graz:Lkw II

Wer in den siebziger Jahren in Graz den Führerschein erwarb, hatte mit verschiedenen Tücken zu kämpfen. Es gab noch kein ausgeklügeltes Einbahnsystem, die schmalen Seitenstraßen in der Altstadt waren in beiden Richtungen befahrbar. Mit einem Lastkraftwagen manches Mal nur befahrbar, indem man den Gehsteig in die Fahrbahn mit einbezog. Dabei sehr aufpassen musste, da auf dem Gehsteig reges Fußgehertreiben herrschte. Die Situation wurde noch brenzeliger, wenn am Fahrbahnrand Autos parkten. Das zentimetergenaue Fahren mit Hilfe der  Außenspiegeln lernte ich dabei perfekt. Ansonsten hätte es einige ramponierte Fahrzeuge gegeben. Diese Fahrweise kommt mir noch heute zugute, wenn es auf einer Bergstraße oder in der Stadt von der Breite her knapp wird.

Eine Herausforderung war das Befahren des Jakominiplatzes. Obwohl in den Jakominiplatz geschätzte acht Straßen mündeten, gab es zu meiner Zeit keine Ampelregelung. Außerdem kreuzten noch mehrere Straßenbahnen den Platz.  Dazu kamen die Haltestellen der Straßenbahn, der öffentlichen Busse und die umherschwirrenden Fußgeher. Besonders brisant war das Fahren, wenn Arbeitsschluss war. Auf dem Jakominiplatz  galt nicht das Faustrecht, sondern die Faustregel, der Rechtskommende hat Vorrang. Vor allen übrigen Straßenbenützer  hatte die Straßenbahn Vorrang. In den ersten Fahrstunden bin ich mit dem Lkw im Schritttempo in den Jakominiplatz eingefahren. Mit dem Lkw habe ich mich Zentimeter um Zentimeter über den Platz bewegt, einfach den freien Raum vor dem Lkw ausgenützt. Soweit es möglich war, unabhängig vom Rechtsvorrang.

Auf einem Gebäude stand der Spruch: Nerven sparen, Bahn fahren. Das Menetekel für die Autofahrer. Der eine und andere Schweißtropfen stand auf meiner Stirn, nachdem der Platz überquert war und ich wieder in ruhigeres Gewässer eingebogen bin. Die einzige Sicherheit war die Stabilität des LKW.

Gruppenkomando II

graz:Lkw I

Mitunter bedarf es nur eines markanten Geräusches und man erinnert sich an Situationen, die einige Jahrzehnte zurückliegen. Passiert ist es während der Busfahrt,  von Bibione über Mestre zur Piazza Roma in Venedig, eine Direktverbindung. Im Bus befanden sich drei Reisende, kaum wirtschaftlich. Für die zweistündige Fahrt wurden hin und zurück elf Euro verrechnet. Während der Fahrt war es das knackende Geräusch des Getriebes, welches mich in meine Bundesheerzeit in Graz zurückversetzte. An der einfachen Ausstattung erkannte ich, dass der Autobus schon länger nicht mehr in Betrieb war. Ein altes Modell, welches zumeist in der Garage stand und auf das Ausschrotten wartete. In den Rückenlehnen waren noch Aschenbecher installiert. Diese waren mit einem Klebeband überklebt und so deren Benützung verhindert. Das Rauchverbot in Italien gibt es seit der Jahrtausendwende. Das alarmierende Geräusch meldete sich dann, wenn der Busfahrer in einen niedrigeren Gang zurückschaltete. Bevor er vom Zweiten in den ersten Gang zurückschalten konnte, musste er auskuppeln und Zwischengas geben. Im Getriebe gab es Zähneknirschen, wenn er den niederen Gang einschob.

In den siebziger Jahren habe ich beim Erwerb meines LKW Führerscheines vergleichbares erlebt. Beim Lenken des Lastkraftwagen war es notwendig, dass beim Zurückschalten vom Zweiten in den ersten Gang Zwischengas gegeben wurde. Zuerst  auskuppeln, Zwischengas geben und ersten Gang einlegen. Was  einfach und problemlos klingt, war damals für mich eine Hexerei. Das Zwischengasgeben musste schnell erfolgen, da der Lkw beim Bergabfahren  im Leerlauf sehr schnell in Fahrt kam. Es gab brenzlige Situationen, die zumeist durch eine Schnellbremsung des Fahrlehrers entschärft wurden. Danach gab es von ihm eine wörtliche Schelte und den Hinweis, wäre der LKW beladen, würden wir uns im Straßengraben wiederfinden. Keine schöne Aussichten. So mühte ich mich recht und schlecht durch die Fahrstunden und bestand die Fahrprüfung mit einem Augenzwinkern.

Belgierkaserne

9:45

Unverhofft befinden wir uns in der zweiten Jahreshälfte. Ist es zuerst auch nur eine Plänkelei, ein Zeitvertreib am Friedhof während der Gräbersegnung, plötzlich stellt man fest, in so und so vielen Wochen ist Weihnachten. Ob diese Erkenntnis scherzhaft gemeint ist, hängt von der innerlichen Tagesverfassung ab. Die Feststellung kommt nicht zufällig. Bei älteren Personen ist Weihnachten mit vielen Erwartungen und Emotionen verbunden. Wer einmal durch die Judengasse in der Salzburger Innenstadt geschlendert ist kennt das Geschäft, wo man ganzjährig dekorative Eier für den Weihnachtsbaum, sowie dekorative Eier für den Osterstrauch kaufen kann.

Welche emotionale Bedeutung misst man einem Jahr bei? Wird der Abstand zum siebzigsten Geburtstag kleiner, ist es ein anderes Gefühl als einst, wo man darauf gehofft hat, dass der sechzigste Geburtstag schnell näher rückt und damit das Ende der  Berufstätigkeit. Nach dem Siebziger fragt man sich, wie wird die Welt nach mir sein, was wird von meiner Zeit bleiben. Eventuell danach, was war das wichtigste Erlebnis zwischen Sechzig und Siebzig. Gibt es etwas, was bleiben wird, in einem Archiv verschwindet, um Jahre später wieder aufzutauchen?

Jahreskreis

7:45

In der ersten Jahreshälfte nimmt man es mit dem Verstreichen der Monate nicht allzu genau. Die ersten Monate des Jahres genießt man wie eine Juxpartie. Dabei spielen auch die verschiedenen Feste eine Rolle. In diese Zeit fallen der Valentinstag und der Fasching, zu jedem Anlass wird gefeiert. Der Villacherfasching wird als fünfte Jahreszeit gesehen, man hat gleich zu Beginn des Jahres eine ideelle Verlängerung eingebaut. Feiert Ostern, das Frühlingsfest, verbunden mit einem Spaziergang in die erwachte Natur. Weis in der westlichen, säkularisierten Welt überhaupt noch wer, dass Ostern einen starken Bezug zur Bibel hat? Dabei geht es um Tod und Auferstehung, nicht um Tod und Auferstehung einer fernen geschichtlichen Person, sondern um den eigenen Tod und Auferstehung. Eine Metapher für unseren Wunsch für ein Leben danach. Was bleibt bei den Menschen haften, Karfreitag und Ostermontag? Karfreitag, arbeitsfrei für die Protestanten und der Ostermontag ein Feiertag für alle. Eine Ausnahme gibt es bei unserem Nachbarland Italien, wo der Ostermontag  und Pfingstmontag kein bezahlter Feiertag ist. In Slowenien gibt es sonderbarerweise gesetzlich anerkannte und nicht anerkannte Feiertage. Der Ostermontag und Maria Himmelfahrt ist ein gesetzlich nicht anerkannter Feiertag. Dies besagt, dass Schulen, die Verwaltung und viele Geschäfte geschlossen halten.

Zugänglicher sind die meisten Menschen, wenn in der Märzsonne der Schnee schmilzt und sich die Schneeglöckchen zeigen. Bei der ungestümen Entfaltung der Natur spürt niemand wie die Monate der ersten Jahreshälfte vorüberziehen. Dem Glücklichen schlägt keine Stunde. Nach dem Frühlingssturm  der Gefühle tauchen wir ein in den Sommer. In der gleißenden Sonne wird manches kritischer betrachtet. Das helle Licht macht die Kontraste sichtbar, leuchtet die Untiefen aus. Die intensiven Sonnenstrahlen brennen sich in die Pflanzen, die Häuser und die Menschen ein. Die Tag- und Nachtgleiche bedeutet einen Wendepunkt. Die Sonnwendfeuer lodern auf den Bergen und das Herzfeuer brennt unter freiem Himmel.

Rally

ver:gessen

Bei der Fahrt mit dem Fahrrad zum Drauradweg fuhr ich lange Zeit an einem desolaten Haus vorbei. Die Fassadenfarbe war längst verblasst, an unzähligen Stellen löste sich der Verputz von der Mauer, die eingeschlagenen Fensterscheiben wurden durch Holzbretter ersetzt. Aus der kaputten Dachrinne floss das Regenwasser über die Hauswand, die Grünflächen rund um das Gebäude verwilderten. Das kleine Vordach über der Eingangstür befand sich in Schieflage, an einem Ende hing es noch an einem Eisenwinkel.

Die Bewohnerin des Hauses, eine Dame von über neunzig Jahren befand sich nach einem angeblichen medizinischen Kunstfehler, seit über einem Jahrzehnt in der Geriatrie des Landeskrankenhauses. Das Haus dümpelte, weil sanierungsbedürftig, von niemandem begehrt, vor sich hin. Bei den Verlautbarungen in der Völkendorfer Kirche habe ich erfahren, dass die Besitzerin verstorben sei. Es verging kein Monat, ein Bagger rückte an und machte das Haus dem Erdboden gleich. Nach einem Jahr breitet sich über das ganze Grundstück eine grüne Wiese aus. Nichts erinnert daran, dass hier einmal eine Stadtvilla gestanden ist. Wer aufmerksam durch die Millesistraße flaniert sieht an der Betonsäule beim Gartenzaun, wo vormals das Gartentor befestigt war, die Hausklingel mit dem Namen der Besitzerin.

Übersehen.