KÄRNTNER:seele

Es wird viel darüber geforscht worin die Unterschiede zwischen den einzelnen Völkern und den Bewohnern verschiedener Staaten bestehen. In diversen Studien kann man nachlesen, wie die Psyche des Menschen beschaffen ist. Unterschiede im Verhalten gibt es nicht nur zwischen den Volksgruppen wie Germanen, Romanen oder Slawen, auch innerhalb von Österreich zwischen den Bewohnern einzelner Bundesländer, so zwischen Vorarlberg und Kärnten. Gemeint ist damit vor allem die Lebensart. Zum Verstehen der österreichischen Seele hat Prof. Erwin Ringel ein Buch verfasst: Die österreichische Seele. Darauf, dass damit nicht alle Bundesländer abgedeckt wurden und es eine österreichische Besonderheit gibt, hat er am 15. September 1985, in Keutschach am See, in seinem Vortrag, „Die Kärntner Seele“, hingewiesen. 

Die Unterschiede zwischen dem Vorarlberger Gemüt und dem Kärntner Gemüt zeigt sich bereits im Verhalten der Kinder. Dabei spielen die verschiedenen Einflüsse der Erziehung auch eine Rolle. Dazu zwei Begebenheiten. Bei einer Radfahrt entlang der Ill kommt Jasmin,  das Vorarlberger Mädchen, auf dem nassen Laub in das Rutschen und stürzt zu Boden. In den ersten Schrecksekunden weint es, sie hat sich die Haut am Fuß ein wenig aufgeschürft, ist aber schnell wieder gefasst. Sie richtet das Fahrrad auf und als sie sieht, dass es unbeschädigt ist, strahlt sie über das ganze Gesicht und sagt: „Die Abschürfung am Fuß ist nicht so schlimm, schlimmer wäre es, wenn das Fahrrad beschädigt wäre. Dann müssten wir es in einer Werkstatt reparieren lassen und dies würde Geld kosten.“ Lilly, das Mädchen aus Kärnten sagt: „ Sei froh, dass dir nichts ernsthaftes passiert ist, ein Fahrrad kann man reparieren lassen“.

Bei einer sonnigen Wanderung um den Kopsstausee suchen die Mädchen Jasmin und Lilly nach schönen Steinen. Jedes der Mädchen hat eine Handvoll Steine und wäscht sie am Wegrand in einem Bach. Lilly sagt: „Die schönsten Steine nehme ich mit nach Kärnten und verschenke sie an meine Freundinnen.“  „Nein“, sagt  Jasmin, „die nehmen wir mit zum nächsten Flohmarkt in Schruns und verkaufen sie.“

Kärntner Stritzi.             

GEDANKEN:geröll

Uns plagen täglich Gedanken über naheliegende und ferne Dinge. Am meisten denken wir an unsere nächsten Familienangehörigen, ob sie Grund zur Freude haben oder ob sie über gewisse Umstände besorgt sind. Das sogenannte Glück hängt viel davon ab, ob man schmerzfrei ist und sich gesund fühlt. Plagen einen organische Schmerzen, die Sorge um die Wohnungskosten und den täglichen Bedarf, dann trüben die Gedanken ein. In einer Aufbauphase gehören die Gedanken der Partnerschaft, der Zukunft der Kinder, wie wird man einmal wohnen. Erweitert man den Kreis, denkt man an die Arbeitskollegen und das Klima in der Firma, wie man mit der zugewiesenen Arbeit zurechtkommt. Daran, ob die Aufträge reichen, dass die Firma weiter besteht und der Arbeitsplatz gesichert ist. Interessiert sich jemand für die Öffentlichkeit, ist man schnell bei der Arbeit der Politiker, den Vorkommnissen im Dorf.

Ist es möglich, so freut man sich auf seinen Urlaub, egal ob man ein großes Programm vorhat oder ihn in kleinen Rahmen genießen wird. Einen Ausflug in eine naheliegende Stadt, einen Badetag beim nächsten See oder eine Wanderung in den Julischen Alpen plant. Steht man am Fuße vom Vitranc, der in einer Geröllhalde ausläuft, denkt man an die Schwierigkeiten die auf jene zukommen, die in den Felsen einsteigen. Selbst begnügt man sich mit einer Wanderung am Fuße des Berges. Da kann man spüren, dass der Berg sich Gedanken über uns macht, wir die ihn von allen Seiten betrachten, die Furchtsamen, denen der Felsen Angst macht. Unsere Bewunderung ist auch ein Eingeständnis an unsere Vergänglichkeit, angesichts der Erdgeschichte. Jene, die es wagen ihn zu besteigen, sich an ihn festkrallen, nimmt er als lästige Fliegen wahr, die in einer erdgeschichtlichen Sekunde nicht mehr da sind. Für ihn ist unsere Anwesenheit ein Augenaufschlag.

Bärenhöhle.  

VER:ständigung

Die Völkerverständigung im Dreiländereck wird durch unterschiedliche Aktionen gepflegt. Es gibt gemeinsame Veranstaltungen auf sportlicher und musikalischer Ebene, eine grenzübergreifende Zusammenarbeit der Feuerwehren. Dabei gibt es  Unterschiede, ob es sich um die italienische oder die slowenische Nachbarschaft handelt. In der Zeit nach der EU Erweiterung hat man die Vorteile darin gesehen, dass wir im Nachbarland billiger tanken und essen konnten. Auch die Zigaretten waren günstiger, die Bevölkerung jenseits der Grenze verstand deutsch. Der Manager vom Alpen-Adria-Einkaufscenter meint, dass gemeinsames shoppen zur Völkerverständigung beiträgt. Zu den Slowenen herrscht bei vielen Menschen ein gewachsenes Misstrauen. Die Aneignung eines Wortschatzes setzte ein, als die Nachbarn als Touristen und Konsumenten nach Kärnten gekommen sind. Spricht man über die Nachbarn, dann wird der Ausdruck, dies ist ein Ausländer, weggelassen.

Vor der EU- Erweiterung hat man in der oberitalienischen Region ein nahes Urlaubsgebiet gesehen, den Menschen blieb man auf Distanz. Bei Reisen nach Italien wurde man vor Taschendieben, Autoeinbrüchen und der Gefahr, dass man beim Kauf übervorteilt wird, gewarnt. Anfang der achtziger Jahre wurde ich im Kanaltal durch Fremdverschulden in einen Verkehrsunfall verwickelt. Die beteiligten Personen waren: Ein italienischer Fernfahrer, eine holländische Urlauberfamilie und ich. Der Wohnwagen der Urlauberfamilie wurde vom italienischen LKW überrollt und in seine Einzelteile zerlegt. Die Teile des Wohnwagen, die Bekleidung, Geschirr, Lebensmittel und das Spielzeug waren über die ganze Straße zerstreut. Bei meinem Auto wurde durch den Aufprall auf den LKW der Motorraum zusammengestaucht und das holländische Auto hat meine Fahrerseite eingedrückt. Ich erlitt Prellungen und Hautabschürfungen. Es war eine der Hauptverkehrsstraßen nach Italien, deswegen wurde die Straße von Einsatzkräften schnell freigemacht und die beschädigten Fahrzeuge in die nächste Werkstatt abgeschleppt. Ich trat mit dem Zug und per Autostopp die Heimreise an. Zu hause prophezeite man mir, dass bei meinem Auto alles was möglich ist gestohlen wird:  Das Autoradio, die Reifen, eventuell die Sitzbänke und andere verwertbare Teile.  Ich wusste nicht  genau, wie stark mein Auto beschädigt war. Als ich nach einer Woche im Kanaltal in der Autowerkstätte eintraf, fand ich mein Auto beschädigt aber komplett vor. Nichts ist gestohlen worden. Das Auto wurde mit einem Abschleppwagen nach Kärnten überführt. Nach diesem Erlebnis dachte ich über die Vorurteile gegenüber den Nachbarn nach.

Grenzgebiet.

DANIEL:teil2

Während des gehens durch das dorf haben wir gelegenheit den gesprächen der kirchengehenden bevölkerung zuzuhören. Wohlbeleibte frauen mit weiten röcken, einem kopftuch und ihren kindern sprechen über das essenkochen, die alkoholabhängigen und gewalttätigen männer, von unerfüllten wünschen und vom pfarrer. Sie sprechen vom kaffeekränzchen am samstagnachmittag im dorfgasthaus, von den derben griffen der fabriksarbeiter nach dem busen und zwischen die beine, dem dafür bezahltem glas wein und von den heimlichen liebschaften. Die männer bilden eine eigene gruppe, sie brauchen die frauen nur in der küche und im bett. Den mittelpunkt der männergespräche bilden der fußball, der schnaps und die jungen frauen. Die örtlichen parteifunktionäre reden über die wohnungsvergaben, die fördergelder und die macht. Den vornehmen familien des dorfes begegnen wir zuerst, sie werden in den vordersten bänken der kirche platznehmen. Am müllablagerungsplatz finden wir berge von verpackungsmaterial des knappergebäcks, konservendosen und leere getränkeflaschen. Die berge von verpackungsmaterial sind für daniel eine folge der anspruchslosen fernsehprogramme , wodurch die fernsehzuschauer angehalten werden sich mit essen und trinken zu unterhalten. Er übt sich seit jahren in fernsehabstinenz und hat damit seine besten erfahrungen. Haben wir bisher die spaziergänge schweigend zurückgelegt, so hat daniel am heutigen frühlingssonntag zu sprechen begonnen:

„ er wollte mit mir schon immer reden, er wollte mit mir die ausführlichsten gespräche führen, aber erst seit es ihm nach jahren möglich ist seine studie über speisemüll niederzuschreiben könne er frei sprechen. Jahrelang habe er sich in der wohnung eingeschlossen und bis zur körperlichen erschöpfung versucht seine im kopf ausgearbeitete müllologie niederzuschreiben. Es war die angst durch die gescheiterten versuche verrückt zu werden, die es ihm jetzt ermöglichte die studie niederzuschreiben. „

 

DANIEL:teil1

Der spaziergang jeden sonntagvormittag mit dem taglöhner daniel vom dorfbrunnen  zur mülldeponie und zurück ist für mich eine zeremonie wie es vorher der besuch der sonntagsmesse war. Seit jenem sonntag als der taglöhner und ich nicht den weg zur kirche sondern den weg zur müllablagerung wählten müssen wir auf  unseren spaziergängen entgegenkommmenden kirchgängern ausweichen. Bei unseren spaziergängen schweigen wir. Es ist für ihn meine, für mich seine art und weise des gehens die jeden ansatz eines gespräches zwischen uns zerstört. Unsere verständigung beschränkt sich auf gesten. Die bis in den nachmittag dauernden spaziergänge sind für mich, der ich des gehens ungewohnt bin sehr anstrengend. Am müllablagerungsplatz verständigen wir uns durch das hinzeigen auf die verschiedensten abfälle ohne worte. Begriffe wie verwahrlosung, kreuzigung oder kopfleiden lassen sich auf diese art und weise gut zum ausdruck bringen. 

Auf dem müllplatz kann man an der art speiseabfälle die jahreszeiten frühling, sommer, herbst und winter erkennen. Daniel arbeitet auf dem müllplatz und hat die fähigkeit entwickelt aus den küchenabfällen die mahlzeiten der vornehmen familien des dorfes aufzuzählen. Das maßlose essen ist für daniel eine ersatzbefriedigung und eine förderung des niederen triebes im menschen. Es führt dazu, dass die wartezimmer der ärzte überfüllt sind. Die betten in den krankenhäusern sind von erwachsenen belegt, welche sich den wohlstandsbauch entfernen lassen. Für manche erwachsene ist dieser krankenhausaufenthalt eine jährliche selbstverständlichkeit, wie der jährliche urlaub an einem der verschmutzten meeresstrände. Von ihm gering geachtet werden jene, welche durch die  hilfe ihres wohlstandsbauches in der gemeinde zu ansehen und gut bezahlten posten gekommen sind. Das vermehrte aufkommen von müll steht in zusammenhang mit der hoffnungslosigkeit welche in der bevölkerung herrscht. Daniel arbeitet an einer studie über speisemüll, von ihm kurz müllologie genannt. Er konnte eine wechselbeziehung zwischen mißerfolg im beruf, ungestillten bedürfnissen und vermehrten speisemüllabfällen beobachten. Er selbst lebt mit einem minimum an bedürfnissen.