tartini:platz II

Von den Fischerbooten, die mit einer Fülle von zerflederten schwarzen Plastikfahnen dekoriert sind, schweift mein Blick zur St. Georgs Kirche.  Dem Kampanile fehlt sein Abschluss. Vor einem Jahr schwebte der Erzengel Michael über der Kirchturmspitze und wachte über Piran und seine Einwohner. Die Touristen eingeschlossen? Auf dem Tartiniplatz ist heute ein Markt, von biologischen Produkten aus Istrien, Wein, Olivenöl, Oliven, Salben und Seifen. Eine größere Menschenmenge drängt sich um die Ladefläche eines Lkw. Die Smartphons werden in die Höhe gehalten und über die Köpfe hinweg ein Schnappschuss gemacht. Auf den Displays der Fotoapparate ist eine Gestalt mit grüner Patina zu sehen. Drei Männer sind auf der Ladefläche damit beschäftigt am Engel Flügel zu verschrauben. Der restaurierte Erzengel Michael bekommt seine gereinigten und entrosteten Flügel zurück. Gespannt wartet die Menge auf den Moment, wo die drei Männer die Ladefläche verlassen. Wird der Erzengel sich in die Luft schwingen und sich auf seinen angestammten Patz, der Kirchturmspitze, niederlassen? Vom Führerhaus fährt ein Kran Arm aus und hievt die restaurierte Statue auf einen Sockel am Platz.

Jetzt, nach Jahrzehnten, haben die Einwohner die Möglichkeit ihren Schutzengel aus nächster Nähe zu betrachten. Bislang war der Engel ein transzendentes, imaginäres Wesen. Plötzlich bekommt er ein Gesicht und die Piraner ihn zu Gesicht. Ansonsten von der Bevölkerung weit entrückend, steht er plötzlich mitten unter ihnen, zum Greifen nahe. Mit den Händen zu ertasten. Wie fühlt sich dies an, wenn von etwas der Schleier weggezogen wird? Ist man von der Größe enttäuscht oder angenehm überrascht. Manchmal hebt sich im Leben ein Schleier und eine Person oder ein Umstand wird klar erkenntlich. Es ist eine Seltenheit, dass man bei einer Stadttour auf einen aufgefrischten Engel stößt.

Aus dem Tagebuch…

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