Was ich in der Pension machen werde, war die häufigste Frage die mir gestellt wurde. Für die Zeitspanne, in der ich noch im Betrieb war und Stück für Stück loslassen musste, interessierte sich niemand. Wer in Rente geht sollte einen großen Schritt machen und Ballast abwerfen. Viele Prospekte wurden deshalb aufbewahrt, weil es einmal eine Anfrage von einer Kundschaft geben könnte, wo diese Unterlagen gebraucht werden. Als ich damit begonnen habe Prospekte auszusortieren und wegzuwerfen verspürte ich eine große Erleichterung. Eine Entlastung die nicht nur im Kopf, sondern auch körperlich zu spüren war. Nicht jeder Tag war für das Aussortieren, für das Loslassen, gleichermaßen geeignet. Es hat Tage gegeben, wo es mich gedrängt hat, unnötiges wegzuwerfen. Mit dieser Freude sollte man auch im privaten Bereich fortfahren, wenn die Zeit kommt im Privatarchiv Ordnung zu schaffen. Die künftigen Unternehmer werden nicht mehr so viele Prospekte sammeln, weil sie lieber im Internet die Firmenhomepage besuchen. Bin ich im leergeräumten Magazin gestanden, war mir bewusst, dass ich hier nichts mehr zu sagen habe. Ich musste etwas auslassen, an dem ich mich bisher festgehalten habe. Noch wusste ich nicht, wo ich mich in Zukunft festhalten werde.
Im Bekanntenkreis war es eher selten, dass jemand für seinen Betrieb einen Nachfolger gefunden hat. Niemand hat mich danach gefragt wie dieser Prozess abläuft. Welche Schritte gesetzt werden müssen, wo es Reibungspunkte und Hindernisse gibt. Viele glauben dies verläuft so ähnlich, als wenn jemand seinen Job in einer Autowerkstatt, einer Bankfiliale oder in einem Tischlereibetrieb aufgibt. Niemand kennt die Beschwerden die auftreten, wenn alles vom Betrieb offengelegt werden muss. Von einem Tag auf den Nächsten vom Nachfolger benützt wird, es schläft am Morgen jemand anderer in meinem Bett.
Der Tag der Betriebsübergabe rückte näher, so wurden viele Arbeiten zum Letzten mal durchgeführt, wie die Bestellung von Notizbüchern. Verkaufte ich ein Hochzeitsalbum, dann wusste ich, dies wird das letzte Album sein, das ich verkaufe. Manche Kunden haben sich schon Monate vorher verabschiedet, weil sie nicht wussten, ob dies schon ihr letzter Einkauf war. Letztmalig besuchte ich Kunden und nahm an einer Sitzung der Fachvertretung teil. Das Prinzenpaar bedauerte es, dass es von zum Letzten mal zu einem Glas Sekt eingeladen wurde. Die Burschenschaft gebrauchte das Wort letztmalig, um eine Spende zu erhalten, sie wollte letztmalig nicht auf zwanzig Euro verzichten.
Zu Recht sagt man von den kleinen Handwerkern und Händlern, dass sie mit Herz und Seele bei der Sache sind. Schließt ein Betrieb, dies kann eine Drogerie, ein Schuhmacher oder ein Textilgeschäft sein, so bedeutet dies für den Inhaber, dass damit sein zweites Herz geschlossen wird. In dieser Phase muss man aufpassen, dass es nicht zu Herzrhythmusstörungen kommt. Man wird von der Verkaufsbühne in die Requisitenkammer abgeschoben. Dort findet man sich bei der Garderobe der vergangenen Jahre wieder. Jetzt hat man Zeit zum Archivieren und von der Vergangenheit zu träumen. Welche Rollen man gespielt hat, in welche Rollen man geschlüpft ist und wie viel Applaus man dafür bekommen hat. Auf der Straße kommt es noch zu Begegnungen, wo man in seiner alten Rolle erkannt wird. Den Text von früher kann man noch auswendig, aber man hat nicht mehr den Elan. Das Publikum war früher ein größeres, jetzt sind es Einzelne. Dazu kommen die Zwischenrufe, dass der / die Neue die Rolle nicht so gut spielt. Früher war es besser, aber dies war schon immer so. So trägt man eine zweifache Last, dass man von der Bühne abgeschoben wurde und dass man mit den Schwächen der Nachfolger konfrontiert wird. Man wird zum Eingreifen aufgefordert, dabei wird übersehen, dass man nicht mehr vor Publikum auftritt, sondern in der Requisitenkammer die alten Kostüme hegt und pflegt.