unter:nehmer

Es gibt noch gestandene Unternehmer, die weit über den Siebziger hinaus im Geschäft oder im Handwerksbetrieb tätig sind. Für manche ist es ihr Leben, solange sie mobil sind im Laden zu stehen und darum nicht in die Krankheit abrutschen. Es passiert öfters, dass von den eigenen Kindern niemand den Gemischtwarenladen, die Schneiderei oder Schlosserei übernehmen will. Solche Unternehmer leben, wie bei einer christlichen Hochzeit, nach dem Gelöbnis: „Bis euch der Tod scheidet“. In diesem Fall bis der Tod dem Unternehmersein ein Ende setzt. Im Hochmontafon steht ein 92-jähriger Kaufmann noch täglich im Gemischtwarenladen. Der Herr ist von kleiner korpulenter Statur und trippelt vorsichtig zwischen den Regalen hin und her. Sein Refugium ist der Kassenbereich, wo er sich tapfer mit der neuen Registrierkassa herumschlägt, morgens die Tageszeitungen und Zeitschriften auflegt. Die letzte Frage an den Kunden ist, ob man eine Packung Zigaretten mitnehmen will. Ist man während eines Aufenthaltes zweimal in seinem Laden, weiß er über die Waren Bescheid, welche man täglich braucht. Sei es Joghurt, Mineralwasser oder eine Zeitung. Ein Kaufmann vom alten Schlag, wobei alt in vielerlei Hinsicht zutrifft. Zu hause wäre er allein, im Geschäft ist er täglich unter Menschen. Soziologen und Gerontologen weisen darauf hin, wie wichtig auch im zunehmenden Alter das Gespräch mit anderen Menschen ist. Dies trägt zur Verlängerung des Lebens bei, der 92-Jährige ist ein lebendes Beispiel dafür.

Einen Schicksalsgenossen hat er schräg gegenüber, den Schneidermeister, der bereits dreimal aus dem Ruhestand zurückgekehrt ist. Es gibt immer wieder Leute, die bei ihm maßgefertigte Jagdbekleidung bestellen. Nach dem Tod seiner Frau hat er beschlossen seinem Couchdasein im Wohnzimmer ade zu sagen. Sein neues, altes Wohnzimmer ist jetzt seine Schneiderei. Auf den ersten Blick möchte man sagen eine Bude, darin hunderte Schnittzeichnungen auf weißem Packpapier, die aus den offenen Wandregalen quellen. Am Boden Stapeln von Modezeitschriften aus den sechziger und siebziger Jahren. Auf einem Seil dümpeln halbfertige Kleidungsstücke vor sich hin, welche niemand geholt hat. Sein Leben hat sich hierher verlagert, sieben Tage die Woche. Auch sonntags sitzt er nachmittags an der Nähmaschine.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert