spät:lese

Eine Spätlese des literarischen Lebens.

Wann ist die Zeit für die Spätlese, mit sechzig, siebzig oder achtzig Jahren? Der Mittagskogel ist in Wolken gehüllt, leichter Regen und die Rosen verwelken auf der Loggia, dazu das Wort Spätlese. Vordergründig denken manche bei dem Wort Spätlese an die Weinernte, dieser Tropfen sei besonders gehaltvoll. Nach meinem Dafürhalten und dies ist kein Erkennen eher ein Vertrauen, haben die gehaltvollen, die gut mundenden Weine ihren Preis. Hängt mein Urteil beim Wein davon ab, wieviel die Flasche gekostet hat?

Spätlese kann auch im literarischen Bereich seine Bedeutung haben, wenn ein Schriftsteller seinen achtzigsten Geburtstag überschritten hat. Die jetzigen Veröffentlichungen von Texten sind eine Spätlese seines literarischen Lebens. Engelberts Spätlese sind amüsante Beobachtungen, die sich im Zwischenmenschlichen, im Familiären, im Dorf abspielen. Klappt er nach einer öffentlichen Lesung sein Buch zu, denkt er an sein Nächstes. Sind die ersten Frosttage über das Land gezogen, dann gibt es die letzte Weinlese. Stirbt ein Jugendfreund, dann spürt man im vorgerückten Alter den Frost des Sensenmannes. Lebensfreude ist in diesen Tagen anders. Bei der Spätleselesung gab es ein Wiedersehen mit einem einstmals stattlichen und kräftigen Mann, von Berufung Steinbildhauer. Weniges hat mich an ihm an früher erinnert, die kräftigen Hände und der kraftstrotzende Gesichtsausdruck sind der Spätlese zum Opfer gefallen.

Ein Berufskollege aus Hermagor hat in seiner Spätlese festgestellt, dass sich seit Corona Zeiten der Buchhandel in einer frostigen Lage befindet. Die Lockdown Zeiten haben den Onlinebuchhändlern in die Hände gespielt. Die Missstimmung ist bei den Kunden, aber auch in der bürgerlichen Gesellschaft in Hermagor zu spüren. Auffallend das zwischenmenschliche Verhalten, welches sich seit der Corona Pandemie verändert hat, eine soziale Distanz ist geblieben. Händeschütteln ist die Ausnahme, diese Erfahrung habe ich auch bei meiner Reha nach der Hüftoperation gemacht. Zumeist waren die Patienten zurückhaltend den Anderen mit Handschlag zu begrüßen. Überrascht wurde ich bei der Abschlussuntersuchung als mir die behandelnde Ärztin am Ende der Aussprache die Hand entgegengestreckt hat, offen und bestimmt. Viel Unsicherheit herrscht beim katholischen Gottesdienst beim Segensspruch: „Der Friede sei mit euch“. Nach der Aufforderung, gebt einander ein Zeichen des Friedens, gemeint ist ein Händedruck, blickt man in ablehnende, fragende oder aufmunternde Gesichter. Manche Arme strecken sich einem entgegen und werden dann wieder fallen gelassen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert