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Zum Zahlen meiner Zeche betrete ich in der Bahnhofstraße in Spittal/Drau den Schankraum des Cafe Riedl. Gegenüber der Kellnerin erwähne ich beiläufig, dass ich in der Nachbarschaft vor fünfundfünfzig Jahren meine Ausbildung als Buchhändler gemacht habe. Damals gehörten zum Café ein Reisebüro und eine Fahrschule. Ein Haus weiter gab es die Stadtlichtspiele Spittal/Drau. Hier besuchte ich den Film Doktor Schiwago. Die Kellnerin weiß von der vormaligen Buchhandlung nichts, aber vielleicht die Chefin? Eine resolute Dame mit ergrautem Haar kommt aus der Küche. Der Gesichtsausdruck und die Art der Friseur erinnern mich an die hübsche Besitzerin zur Zeit meiner Lehrjahre. In meiner Zeit als Ladlschupfer war ich ein schüchterner Verehrer von Frau Riedl. Die Mama, meint die resolute Dame, ist vor ein paar Jahren verstorben. An das Papier- und Buchgeschäft kann sie sich gut erinnern, dort hat sie als Kind ihre Schulsachen eingekauft, bei der Frau Traudl.  Frau Traudl war während meiner fünf Jahren in der Bahnhofstraße die Erste Verkäuferin und Lehrmeisterin in der Papierhandlung. Heute würde man sagen die Lehrlingsausbildnerin im Papier- und Bürowarenbereich. Um die Ausbildung im Buchhandel hat sich der Chef selbst bemüht, respektvoll Herr Harald genannt. Frau Hertha, seine Frau und von Beruf Volksschullehrerin war zeitweise auch im Geschäft.

Nicht vergessen habe ich die Seniorchefin, die immer wieder einmal in den Laden gekommen ist. Frau Traudl hat sie gefragt, warum wir dieses und jenes im Betrieb anders machen als zu ihrer Zeit? Darüber hat sie sich auch bei Harry beklagt, der etwas genervt auf ihre Vorhalte reagiert hat: „Mama, dies ist heute anders“. Das Unverständnis darüber, was sich alles verändert oder was die Jugend anders macht, hat es auch schon vor fünfzig Jahren und vor fünfhundert Jahren gegeben. Bei aller Nostalgie möchte ich mir nicht vorstellen was Herr Harald dazu sagen würde, dass im ehemaligen Verkaufslokal der Papier- und Buchhandlung heute ein nationaler und internationaler Lebensmittel Markt eingerichtet wurde. Ich glaube, dass er kein Fan von Lebensmittel aus den Balkanländer wäre. Meiner Lebensgefährtin habe ich vorab per WhatsApp ein paar Foto aus dem türkischen Supermarkt geschickt. Daraufhin hat sie mir geschrieben: „Ich türkischer Lebensmittelverkäufer nix mehr Buchhändler“.