Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

zer:kratzt

Man sagt, dass die Hauskatzen, werden sie bedroht, versuchen dem Gegner die Augen zu verletzen. Vor einem Streit starren sich die  Katzen gegenseitig lange Zeit an, entweder senkt eine den Blick und wendet sich ab, ansonsten stürzen sie sich  aufeinander. Was der Auslöser sein kann, dass sie zu raufen beginnen ist meistens unklar.

Auch bei uns Menschen gibt es den Spruch: „Ich kratze dir die Augen aus“. Ich kenne diesen Spruch in Zusammenhang mit Frauen, dass Frauen ihre Fingernägel als Waffe einsetzen. In den meisten Fällen geht es darum etwas zu verteidigen oder für eine Beleidigung Rache zu nehmen. Der Streit dreht sich meistens um einen Mann, dass sich Frauen mit den Fingernägel gegenseitig in das Gesicht fahren. Die Eifersucht führt bei Frauen zu den stärksten Reaktionen, wobei es oft nur eine Vermutung ist oder eine Reaktion auf die Vernachlässigung, die eine Eifersuchtspanne auslösen kann. Die Verletzungen die dadurch verursacht werden können, da man sozusagen sein Revier verteidigt, körperlicher oder seelischer Natur sein. Auf jeden Fall kann die Harmonie wie bei den Hauskatzen, von einer Minute auf die andere in einen Kampf umschlagen. Sozusagen das Tier im Menschen.

Tierliebe. 

costa:concordia VI

Die Beobachtungen vom Treiben auf dem Schiff und die Erinnerungen an die Tischgespräche schreibe ich  am nächsten Tag in der Bordbibliothek in meine Notizhefte. Die Bibliothek befindet sich auf Deck fünf, in einem Raum mit einer herrlichen Aussicht auf das Meer. Für mich ist es der ideale Rückzugsort, wo ich von der dauernden Musikberieselung und dem allzu fröhlichen Treiben abgeschottet bin, ich kann dort die Schotten „dichtmachen“. Nur vereinzelt besuchen Passagiere die Bibliothek und dämpfen bei ihrer Unterhaltung die Stimme. Von einem Tischnachbar wird bei mir die Erinnerung an meinen Aufenthalt in einem Internat geweckt. Er ist seit kurzem in Pension und hat dort Jahrzehnte unterrichtet. Er war der Nachfolger von  meinem ehemaligen Geografie- und Turnprofessor. Schon im Internat war für mich die Bibliothek, die in der Turmstube untergebracht war, ein Rückzugsort. Dort konnte ich mit meinen Gedanken „allein sein“. „Vor zehn Jahren“, sagte der pensionierte Professor, „wurde die Bibliothek in das Erdgeschoss, in den ehemaligen Kartoffelbunker, verlagert“.

Zum Internat gehörte eine Landwirtschaft mit Viehhaltung, Obst- und Gemüseanbau. Als Zöglinge mussten wir in den siebziger Jahren, im Herbst, bei der Kartoffelernte und Obsternte mithelfen. Unsere Arbeit war die Kartoffel, Birnen und Äpfel aufzuklauben. Als Belohnung gab es eine Jause mit Knackwurst und Kamillentee. Beim Mittagessen gab es fast täglich zu den Hauptspeisen als Beilage Kartoffelpüree und abends gab es heißen Kamillentee . Aus dem Kartoffelbunker ist ein Bücherbunker geworden. Meine  Frage an den Geografieprofessor ist:  „Wird bei einer Prüfung von den Schülern heute noch verlangt, dass sie die Länder mit den Flüssen, den Bergen und den Orten auf der Tafel aufzuzeichnen“? „Ja“.

Aus dem Reiseprospekt: „Die Costa Concordia ist ein Schiff mit luxuriösem Design und prachtvoller Inneneinrichtung. Alles an Bord ist darauf angelegt, ihnen als Passagier eine unvergessliche Kreuzfahrt zu bereiten. Erleben sie zauberhafte Städte und malerische Küsten im westlichen Mittelmeer. Von Savona aus bringt sie die Costa Concordia nach Barcelona, der Architektur Metropole von Spanien. Weiter geht die Reise zur Insel Mallorca mit wunderschönen Stränden und eindrucksvollem Hinterland. Kulturelle Erlebnisse erwarten sie auf der Insel Malta und in Palermo. Als abschließenden Höhepunkt besuchen sie die ewige Stadt Rom bevor es nach einer erlebnisreichen Kreuzfahrt zurück nach Savona geht.

alle costa:concordia beiträge sind texte aus dem tagebuch.

costa:concordia V

Zu den Höhepunkten einer Kreuzfahrt zählt das Abendessen, welches in einem der festlichen und verspielten Speisesäle eingenommen wird. Für das ältere Publikum ist dies ein gesellschaftliches Ereignis und der Anlass um die Abendgarderobe zur Schau zu tragen. Von den jüngeren Ehepaaren, von den Kindern, wird auf die Bekleidung kein Wert gelegt. Kommt es auch bei anderen Terminen zu Verzögerungen, zum Abendessen erscheinen alle pünktlich. In einer Woche gibt es verschiedene Gala Menüs: „Willkommens Abendessen“; „Abendessen des Küchenchefs“;  „Abendessen des Kapitän Francesco Schettino“.  Für Überraschung ist am ersten Abend gesorgt, wer werden die Tischnachbarn sein? Mit gewisser Sorge hofft man auf sympathische Menschen. Als Kaufmann bin ich den Umgang mit fremden Menschen gewöhnt und anpassungsfähig, ich erwarte mir gesprächsbereite und weltoffene Sitznachbarn. Bei einer Gruppenreise lernt man so einige seiner Mitreisenden näher kennen.

Die Tischgespräche beim ersten Diner sind ein vorsichtiges Abtasten, dabei kann es hilfreich sein, wenn man aus demselben Tal kommt oder den gleichen Beruf ausübt. Als Selbstständige ähnliche Erfahrungen gemacht oder bei denselben Lieferanten einkauft hat. Viele Kreuzfahrtteilnehmer haben eines gemeinsam, dass sie allesamt in Pension sind. Es gibt eine Hierarchie unter den Tischnachbarn. Jene, die am längsten in Pension sind genießen das höchste Ansehen und haben in den Diskussionen das letzte Wort. Eine Dame ist seit siebenundzwanzig Jahren in Pension, war siebenundzwanzig Jahre selbstständig und siebenundfünfzig Jahre verheiratet. Mit ihrem verstorbenen Mann hat sie einen Süßwarengroßhandel betrieben. Uns verbindet die Meinung, dass es die kleinen Selbstständigen schwer hatten und haben, dabei waren die 70er und die 80er Jahre fruchtbare Jahre für den Mittelstand. Beide haben wir beim Süßwarenhersteller Kindler in Villach eingekauft. Er hat Dreieckschnitten, Stollwerk und Eiszuckerln erzeugt. Nach dem Konkurs hat er eine kurze Zeit in Hohenthurn im Gailtal produziert, bevor er endgültig zugesperrt hat. Die Frage, warum er in Konkurs gegangen ist konnten wir auch dreißig Jahre später, nicht beantworten.

costa:concordia IV

Geiz ist geil beim Einkaufen, man kann auch bei der Zeit geizen. Bei einer Reise will man fünf Minuten Zeit sparen, die man später zum Bus kommt. Einen weiten Teil des Lebens hat man unter dem Zeitdruck zwischen Beruf und  Familie gelitten, dann geht man in der letzten Minute zur Abfahrt. 

Vor dem Wegfahren kommt das Einpacken der Reisebekleidung. Viele Reisen scheitern daran, dass man die Tortur des Kofferpacken nicht auf sich nehmen will. Die Wenigsten sprechen von ihren Problemen beim Einpacken. Manche behelfen sich dadurch, dass sie diese Arbeit an andere abgeben. Sie lassen sich die Vorfreude auf die Reise nicht durch die Qual der Wahl, was und wie viel eingepackt werden soll, verderben. Sie bürden die Entscheidung, wie viele Hemden, Blusen, Socken, Hosen, Kleider, Jacken, Slip, Unterhemden und Schuhe mitgenommen werden sollen, anderen auf. Glückt es die richtigen Utensilien, wie Badezeug, Lesestoff und Toilettensachen mitzunehmen, dann gelingt auch die Reise. 

Beim Auspacken treten kaum Schwierigkeiten auf, man braucht keine Entscheidungen zu treffen. In der Schiffskabine ist der Platz beschränkt, für den Inhalt eines Reisekoffers ist genug Platz. Im Kleiderschrank befinden sich für den Fall, dass das Schiff in Seenot gerät, auch die Rettungswesten. Schon am ersten Seetag fand eine Rettungsübung statt. Jeder musste sich zu den Rettungsboten begeben, es gab keine Ausnahmen. Das Anlegen der Schwimmwesten wurde vom Bordpersonal vorgezeigt. Erst als alle Passagiere angetreten waren, wurde die Seenotübung abgebrochen. 

Im Kleiderkasten verstauen wir auch unseren Sack für die Schmutzwäsche. Im Falle einer Seenot hätten wir zwei Dinge griffbereit, die Schwimmwesten und den Beutel mit der Schmutzwäsche. Bei Seenot würden wir auf keinen Fall die Schmutzwäsche an Bord lassen. Müssen wir von Bord gehen, dann auf keinen Fall ohne unsere Schmutzwäsche. Noch nie sind wir von irgendwo abgereist ohne unsere Schmutzwäsche mitzunehmen. Wir sind ordentliche Reisende, wenn von Bord, dann alles von Bord.

costa:concordia III

 Die Fahrt mit dem Komfortbus führt in den Nachtstunden von Villach quer durch Oberitalien zum Hafen in Savona. Der Bus wird ansonsten von den Eishockeyspielern des KAC für ihre Fahrten benützt. Fünfzig Kilometer vor Genua machen wir am frühen Morgen bei einer Autobahnraststätte eine Capuccinopause. Bei der Einrichtung, den Waren und bei der Entgegennahme der Bestellungen in der Raststätte „Autogrill“, spürt man das Italienische. Die Straßenbeleuchtung und die Telefonmasten sehen anders aus als in Kärnten. Die Trasse der Autobahn führt im weiteren Verlauf einen Hang entlang und fällt zum Meer ab, nach ein paar Tunnels kommen wir an die Küste. Die Einschiffung auf die Costa Concordia erfolgt zu Mittag. 

Beim ersten Schiffsrundgang finde ich die Ausstattung und das Angebot des Schiffes überwältigend: Das Deck mit den zwei Swimmingpools, die vielen Selbstbedienungsrestaurants, mehrere elegante  Restaurants, Bars und Cafés. Überall wird edles Material verwendet. Bei der Beleuchtung und den dekorativen Elementen wird kräftig aufgetrumpft. Im Atrium befinden sich in den oberen Stockwerken die Boutiquen für Schmuck, Parfum, Schuhe und Kleidern. Die Einkaufsgalerien sind eine Augenweide für die Sinne. Vom Prunk bin ich irritiert, da die kath. Kirche Mitveranstalter der Reise ist: „Kärnten sticht in See“.  Welchen religiösen Zweck kann diese Kreuzfahrt erfüllen? Wer sind die Armen, von denen im Evangelium die Rede ist? 

Am ersten Tag auf See kommt es vor, dass man sich auf einem Deck, in einem Cafe oder in einem Winkel des Schiffes befindet, wo man auf keinen Fall hinwollte. Es braucht Zeit, diesen Irrtum zu korrigieren. Der Boom bei den Kreuzfahrten ein Irrläufer des Tourismus? Die einzelnen Sparten des Tourismus liefern sich ein  Wettrennen um die Freizeit des Menschen. Die Reiseveranstalter sind die Heilsverkünder und freuen sich über die Verdienstmöglichkeiten.