fleisch:fresser II

Zum Atomabkommen des Westens mit dem Iran fällt mir ein, dass unsere Familie in die Wirren der iranischen Revolution involviert war. Nachdem der Schah von Persien aus dem Land gejagt wurde, kehrte Khomeini am 1. Feber 1979  aus dem Pariser Exil in den Iran zurück. Bald danach wurden die engsten Gefolgsleute des Schahs, seine Minister und höchsten Beamte, in Schnellverfahren zum Tode verurteilt. Die Hinrichtungen waren öffentlich, Der Spiegel berichtete davon, mit Fotos. Auf einem der Fotos standen mehrere LKWs nebeneinander und am Kranarm baumelten die Strangulierten. Dabei konnte man den Namen der österreichischen Herstellerfirma von den Kranaufbauten gut lesen. Ein Bruder arbeitete damals bei der Herstellerfirma. Die Lkws wurden noch von der Schah- Administration bestellt und auch ausgeliefert. So rutschten wir in das Rad der Weltgeschichte. Heute hoffen viele Firmen beim Aufbau der Infrastruktur im Iran und dem Liefern von Konsum- und Industriegütern auf gute Geschäfte.

Nach diesem Rückblick empfinde ich es als wohltuend, wenn ich bei einem Besuch des Residenzschlosses Ludwigsburg im Gewächshaus folgende Ankündigung lese: Regionaltreffen „der Gesellschaft für fleischfressende Pflanzen,“ in Ludwigsburg am 4. und 5. Juni.  Danach folgt die Ankündigung verschiedener Programmpunkte, die Auflistung der Referate und Referenten. Unter dem Wesen von fleischfressenden Pflanzen stellt man sich als Außenstehender schreckliches vor, bis zu menschenfressenden Pflanzen. Die Ausstellung im dortigen Gewächshaus zeigte, es sind Pflanzen, welche in der Lage sind Mücken, Fliegen und andere Insekten festzuhalten. Danach werden sie von den Magensäften der Pflanzen verdaut. Das Berühren der Pflanzen mit einem Finger hat für den Menschen keinerlei Folgen. Beruhigend, wenn sich Menschen von den aktuellen Kriegs- Terror- und Vergewaltigungsszenarien abkoppeln können. Über ein Wochenende lang den Gefahren, welche von den fleischfressenden Pflanzen ausgehen, zugewendet haben.

Königsmord

fleisch:fresser I

Durch eine staatlich garantierte Pension und einem dazu angepassten Lebensstil wiege ich mich in einer gewissen finanziellen Sicherheit. Es gibt immer Unkenrufe die behaupten, dass die Pensionen in diesem Ausmaß, wie wir es in Österreich erhalten, auf Dauer nicht gesichert sind. Eine der Kuriositäten des österreichischen Pensionssystems ist, auch Pensionisten bekommen eine dreizehnte und vierzehnte Auszahlung. Urlaubs- und Weihnachtsgeld, wie wir dies aus dem Arbeitsleben kennen. Im benachbarten Deutschland bekommt man ein Urlaubs- und Weihnachtsgeld von den Firmen nur auf freiwilliger Basis. Hierzulande ist der 13. und 14. Monatsgehalt laut Kollektivvertrag für alle Angestellte und Arbeitnehmer Pflicht. Es gibt Berufsgruppen in deren Arbeitsvertrag ein 15. Monatsgehalt, wie bei den Bankangestellten, vorgesehen ist. Die Beamten und Angestellten in den staatlichen und halbstaatlichen Bereichen genießen besondere Privilegien, welche ich nur vom Hörensagen kenne.

Die 13. und 14. Rente sehe ich als einen Glücksfall. Während meiner Selbstständigkeit als Papierhändler war ich weit davon entfernt mir einen 13. und 14. Monatsbezug auszuzahlen. Von Seiten des Staates ist dies möglich. Vielleicht eine kleine Entschädigung für die unsicheren Einkommensverhältnisse während der Berufszeit. Mein Einkommen war während der vierzigjährigen Kaufmannszeit keine fixe Konstante, zumeist unbestimmt. Auf keinen Fall konnte ich mir für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr vorstellen, welcher Gewinn in das Haus stehen wird. Bei den Privatausgaben zurückhaltend zu sein, war die beste Vorsorge. Über die Pensionsprivilegien, die bei den Angestellten der ÖBB oder der ÖNA herrschen will ich mir nicht den Kopf zermartern. Dies würde nur zu einem schweren Kopf  meinerseits führen und doch nichts verändern.

Mit diesem Hintergrund kann ich die Aufgeregtheit, mit welcher tagesaktuelle Vorgänge diskutiert werden, nicht immer nachvollziehen. Seien es die Aussagen im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, die Vorgangsweise über den EU Austritt der Engländer oder einen gewollte Verteilung der Flüchtlinge in der EU. Schon gar nicht lasse ich mich von den Versprechungen eines neuen österreichischen Bundeskanzler und den Bundespräsidentschaftskanditaten einlullen. Noch weniger glaube ich, dass es einen neuen politischen Stil im Umgang bei der Postenbesetzung und der Korruption geben wird.

Postenschacher.

inter:aktiv II

Für einen ehemaligen Internatszögling erweist sich die Diskussion über Datenschutz, seien es die persönlichen Daten zu Krankheiten und dem Medikamentenkonsum, die Datenerfassung beim Bezahlen mit einer Kreditkarte, als eine nebensächliche Diskussion. Genauso die Fragen zur Speicherung der Einkäufe beim Lebensmitteldiskonter auf dem Kundenkonto, egal ob es um Joghurt, Kaffee oder Wurstsorten geht, als Kaffeeplausch. Welchen Stellenwert haben die Fragen rund um die Erlaubnis zur Aufzeichnung von Internetkontakten, Telefonanrufen oder dem Email verkehr, wenn man in der Zeit aufgewachsen ist, wo Gott selbst die geheimsten Gedanken lesen konnte. Dieses Gefühl begleitet die Internatszöglinge noch Jahrzehnte später. Die Pessimisten befürchten, dass wir mit der Zunahme der Vernetzung und der freiwilligen Preisgabe von wesentlichen Ereignissen aus unserem Leben darauf zusteuern, dass Google bald unsere geheimsten Gedanken lesen kann. Wie ist es sonst möglich, dass mir bei jeder Gelegenheit freie Hotelzimmer in Portoroz angeboten werden?

Zumeist fühle ich mich in einem größeren Speisesaal wohler, als in einem kleinen Restaurant, wo das Buffet ständig vom Oberkellner beobachtet wird. Auch die Stimmung unter den Gästen ist in einem größeren Ambiente lockerer, als wenn in einem kleinen Saal die Tische zumeist sehr eng gestellt sind und jeder auf jeden acht gibt. Schleppe ich noch immer etwas aus meiner Internatszeit herum oder ist es einfach der Wunsch nach mehr persönlichen Freiraum?

Schwarzes Loch.

inter:aktiv I

Die Möglichkeit eine höhere Schule, in Verbindung mit einem Internat zu absolvieren, war in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ein Privileg. Zumeist konnten dies ihren Kindern nur Eltern der gehobenen Einkommensschicht  bieten. Die monatlichen Internatsgebühren schlossen die Kinder der Arbeiter- und Bauernklasse davon großteils aus. Neben dem Vorteil von einem kurzen Schulweg, wenn Schule und Internat im selben Gebäudetrakt untergebracht waren, gab es am Nachmittag bei den Hausaufgaben eine Aufsicht, bei festgelegten Studienzeiten. Der Tagesablauf in einem Internat ist zum größten Teil geregelt, es gibt feststehende  Essens-, Schlaf-, und Studierzeiten, dazwischen die Freizeitbeschäftigungen.

Zu den leiblichen Erziehungsbevollmächtigten, den Präfekten und dem Lehrpersonal kam noch eine übergeordnete Instanz, die Transzendente. Für uns Zöglinge eine ganz und gar unheimliche Instanz, weil dieser nichts verborgen bleibt. Egal ob man sich im Turmzimmer oder in einer Hütte im Wald versteckte, dem lieben Gott, wie er von den Präfekten genannt wurde, bleibt nichts verborgen. Selbst die bösen Gedanken, die man gegenüber einem Mitschüler hegte, weil er einem bei der Hausaufgabe nicht geholfen hat. Ebenso die unkeuschen Gedanken, die einem nach dem Blick auf den Busen der Tochter vom Schulwart nicht mehr losließen. Von alldem wusste Gott, Gedanken auf die sonst niemand Zugriff hatte. Die Präfekten konnten sich im Umgang mit den Zöglingen viel Ärger ersparen, es genügte der Hinweis, dass Gott alles sieht, auch wenn wir es vor dem Erzieher verheimlichten.

Drittes Auge

auf:schreiben II

Bei einem Genussaufenthalt in Istrien entdecke ich in der Kärntner Lokalzeitung eine Traueranzeige und meine Internatstage holen mich ein. Dort lese ich, dass sich die Familie S. bei den Ärzten und beim Pflegepersonal des Bezirkskrankenhauses für die gute Betreuung von Frau S. bedankt. Sie wurde in aller Stille im Familiengrab auf dem Waldfriedhof beigesetzt. Der Name des Ehemannes stimmt mit dem Namen meines ehemaligen Deutschprofessors überein. Er war für seine faire Art bei uns Schülern beliebt, obwohl er im Unterricht keine Abschweifungen duldete, sehr auf Disziplin bedacht war. Sein Bestreben war, uns ein breites Allgemeinwissen zu vermitteln. Er unterrichtete die Fächer Geschichte und Deutsch. In den 60er Jahren gab es außer einem Lesebuch kaum Behelfe für den Deutschunterrricht. Die Rechtschreib- und die Grammatikregeln, sowie die Literaturgeschichte wurden von ihm, zumeist im letzten Drittel der Unterrichtsstunde, diktiert. Das Heft mit der Literaturgeschichte habe ich viele Jahre aufbewahrt und zählte zu meinen Lehrbüchern für die Buchhandelslehre. Von den Hirnforschern wurde festgestellt, dass sich Lerninhalte am besten einprägen, wenn diese handschriftlich niedergeschrieben werden. Mit dieser Erkenntnis ist davon abzuraten, das Erlernen der Schreibschrift auszusetzen. Das Mitschreiben von mündlich diktierten Lerninhalten zugunsten von Lerninhalten aus dem Internet zu vernachlässigen. Mein Eindruck ist, dass die Aneignung von Basiswissen immer mehr in das Abseits gerät. Dafür gewinnt das “Fleckerlwissen”, das “Häppchenwissen” und das “Wikipediawissen” immer mehr an Bedeutung. Vom Deutschprofessor wurden meine Aufsätze gelobt und ich durfte die Aufsätze der Klasse vorlesen. Schon in den Jugendjahren war das Aufsatzschreiben, vor allen anderen Fächern, meine Stärke. In der Pension treibt es mich zum Schreiben.

Auf dem Lungomare zelebrieren die Meerstimmungstouristen ihre Yoga- und Atemübungen. Das Meditieren im Angesicht der an die Felswand schlagenden Wellen verzückt eine Anzahl von Frauen. In Abständen von fünfzig Meter sitzen sie am steinigen Ufer. Kein Istrianer würde sich so dem Meer zuwenden, für sie ist das Meer der Alltag. Als Alpenländer zelebrieren wir unseren Aufenthalt am Meer.

Während der Internatsjahre in Tanzenberg war es obligatorisch bei der Heiligen Messe zu ministrieren. An den acht Seitenaltären der Internatskirche wurden jeden Tag gleichzeitig die Messopfer gefeiert. Am Hauptaltar die Seminaristenmesse. Die Messfeier war ein Ziborium. Als Ministranten mussten wir dem Priester die Schleppe vom bodenlangen Messgewand, wie die Brautjungfrauen, hinterhertragen. Den Präfekten bei der Heiligen Wandlung in seinen Handreichungen unterstützen.

Dominus vobiscum.