Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

ruhe:pause

Der Besuch des Josefimarkt in Nötsch, am Josefitag, war in den vergangenen Jahrzehnten Tradition. Coronabedingt wurde er dieses Jahr abgesagt. Bei dem schönen Wetter würden sich hunderte Menschen zwischen den Marktständen durchschlängeln, Groß und Klein. Bewohner aus den entlegenen Orten im Gailtal, für sie ist der Besuch des Josefimarkt ein fester Bestandteil im Jahresablauf. Die Hoffnung besteht, dass im Herbst das Polenta Fest möglich sein wird. So sitze ich beim Kriegerdenkmal in Müllnern auf einer Bank im Schatten. Ich mache beim Radfahren eine Pause und höre das Rauschen, kräftige Töne, vom Abfluss des Faakersee. Heute habe ich die Betriebskostenrechnung für das Haus in Arnoldstein abgesandt, trotz Coronakrise. Ist es der richtige Zeitpunkt? Auch einen Monat später könnte es unpassend sein, zu früh ebenso wie zu spät. Die Bundesregierung hat angekündigt die Umsatzeinbußen des Handels, Gewerbe und Industrie zu ersetzen? Kreditgarantien und Steuerstundungen sind für mich keine wirklichen Betriebshilfen. Zwei Drittel der Radfahrer auf dem Faakersee Radweg sind mit einem E-Bike unterwegs, ich habe wenig Sympathien für die E-Bike Fahrer. Radfahren bei Sonnenschein, dann geht es mir gut, eine Wohltat für die Seele in Pandemiezeiten. Gegenüber wurde der ehemalige Gasthof, er hat etwa die halbe Größe unserer Wohnanlage zu zwölf Wohneinheiten umgebaut.  Heute mit einem Freund in Hermagor telefoniert, seine Frau befindet sich nach einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt in Klagenfurt in der Rehaklinik in Hermagor. Die Restbeschwerden sind Seh- und Sprachprobleme. Er und ich hoffen, dass es noch Fortschritte gibt. Die Wohnungsnachbarin hat für uns coronabedingt Lebensmittel eingekauft.  Mehrmals hat sie versucht Kopierpapier zu besorgen, derzeit ist es Mangelware. In einer Trafik ist sie heute fündig geworden für € 9.80. Dabei dürfte der Trafikant coronabedingt einen Preisaufschlag verrechnet haben. Aus dem Tagebuch, Donnerstag, 19. März 2020

ruhe:stand

Obwohl die Zeit nach dem Arbeitsleben Ruhestand heißt, bleibt vom vielgelobten und angenommenen Ruhestand nicht viel übrig. Plötzlich erfasst einen der Faktor Zeit, der sich vor einem auftürmt und überwunden werden will. Die Trägheit beim Aufstehen am frühen Morgen und bei der Morgentoilette bremst die Zeit ein, da bekommt die Tageszeit einen großen Dämpfer. Vor allem, verschwindet das Frühstücksgeschirr erst nach 9 Uhr im Geschirrspüler. Während der Berufszeit genügte eine Viertelstunde für das Frühstück und der Arbeitsmotor begann um sieben Uhr zu laufen. Ich glaube, nie wird sooft die Frage gestellt, wo ist die Zeit hingekommen, als wie in der Pension? Unerwartet kommen einem Vorhaben in den Sinn, wo die Zeit eine Rolle spielt. Man fragt sich, wieviel Lebenszeit habe ich noch? Im Kopf hat sich der Gedanke, dieses und jenes fertigzustellen, festgekrallt. Der Modus, eine Arbeit abzuschließen, steckt mir aus dem Berufsleben tief drinnen. In der Rente muss ich dies wohl um den Gedanken erweitern, dass nicht jedes Projekt die Gelegenheit dazu haben wird, beendet zu werden.

Vergleichbar mit, nicht jedes Buch, welches ich gekauft habe, habe ich gelesen. Einige nur zu einem Drittel und bei manchen Büchern habe ich nach dem ersten Kapitel aufgehört. Eine der ersten Fragen von Wohnungsbesuchern ist, sehen sie die vielen Bücher, ob ich die Bücher alle gelesen habe. Die Bücher sprechen dafür, dass ich an dem Thema interessiert war, an einer Biographie, am Kosmos oder an einem bestimmten Zeitalter. Lesen hat viel mit der Zeit zu tun, wer dies als Lückenbüßer sieht, als Überbrückung zwischen Tag und Nacht wird mit seinem Lesepensum nicht allzu weit kommen. In der Rente ist es für einen Bücherliebhaber Pflicht, sich als Tagesordnungspunkt eine oder zwei Stunden Lesezeit zu verordnen. Am besten mehrmals die Woche, ansonsten stellt sich keine Zufriedenheit ein. Die größten Feinde der Bücher sind für mich die Zeitungen und Zeitschriften, sie sind Zeitfresser ohne einen wesentlichen geistigen Mehrwert. Heute kann man oft nicht mehr unterscheiden wo man eine Meldung schon einmal gehört hat, am Handy, im Radio oder im Fernsehen. Der Zugewinn an Wissen kommt bei den Zeitungen und Zeitschriften ganz weit hinten. Oftmals versprechen die Schlagzeilen in den Zeitschriften etwas, was dann in der Reportage nicht eingelöst wird. Sie vermehren nur den Inhalt des Altpapier Container. Viele Zeitungen werden bereits online angeboten, dabei kommt es zu einem Generationenproblem. Die 40er, 50er, und 60er Jahrgänge lieben es, eine Zeitschrift in Händen zu halten oder man begnügt sich mit den online Schlagzeilen.

corona:wallfahrt ll

Beim Betreten des Kirchenraum der Wotrubakirche überrascht mich, dass die Betonquader, welche von außen betrachtet kreuz und quer stehen, im Inneren Harmonie erzeugen. Der Altarblock steht in der Mitte und die Sitzplätze für die Messebesucher sind rund um den Altar angeordnet. Möchte sich jemand während der Messe zurückziehen, kann er sich in einer der Nischen, die durch die ungleichmäßigen Anordnungen der Quader entstehen, tun. Von außen werden die Fenster in der Betonmasse kaum wahrgenommen, innen sind sie präsent. Kurze Zeit zeigte sich die Sonne, das Spätsommergrün der Bäume und das Blassblau am bewölkten Himmel besuchte den Sakralraum. Die Betonquader erzeugen einen Schutzraum, der für verschiedene Zwecke dienen könnte. Man sitzt in einer Höhle, welche einem Angriff von außen standhalten würde. Abgeschirmt, von wem, dies muss ich erst herausfinden und was suche ich in dieser Abgeschiedenheit? Spannend ist für mich die Verwandlung der groben Filzstiftskizzen und der massigen Tonmodelle in der Ausstellung zu diesem Sakralbau. Ist es bei der Betrachtung des Baukörpers von Bedeutung, wie gläubig und welches Glaubensverständnis Wotruba hatte?

Zur Mittagsstunde betritt eine festlich gestimmte Schar von Menschen, allen voran die Taufpatin mit dem Neugeborenen, die Kirche. Sie versammeln sich um das Taufbecken. Ein etwa dreijähriges Mädchen wiegt eine Puppe in ihren Armen, auf dieselbe Art wie die Taufpatin das Baby. In der Kapelle beginnt die Taufzeremonie, was wird der Pfarrer der Patin, den Anwesenden, dem neuen Erdenbürger auf ihren Lebensweg mitgeben?

Vor ein paar Stunden sah ich im Frühstücksraum des Azimut Hotels in den Armen einer jungen Mutter ein etwa einjähriges Kind. Mit einer Hand hat es den Pulli seiner Mama hochgeschoben und genussvoll an ihrer Brust gesaugt. Im Trubel und Gedränge des Frühstücksraums ist diese Episode weitgehend unbeachtet geblieben. Mir wäre sie auch entgangen, wenn die Familie nicht in meinem Blickwinkel gesessen wäre. Am meisten irritiert von der Ungezwungenheit der Mama waren die anwesende Oma und der Opa.

Eine Frau, welche auch den Weg von der Straßenbahn zur Wotruba Kirche genommen hatte, verabschiedete sich mit der Feststellung, dass die Kirchenfenster einmal geputzt gehörten. Aus dem Tageheft 258

omikron:wallfahrt

Der erste Ausstellungsbesuch in Wien, im lockeren Coronasommer 21, führte mich in das Untergeschoß des Belvedere 21. Dort wird die Entstehungsgeschichte der Wotruba Kirche am Georgenberg in Wien-Mauer nachgezeichnet. Zuerst lautete der Auftrag an Wotruba eine Klosteranlage mit Kirche auf den Georgenberg zu errichten. Verwirklicht wurde der Kirchenbau, 1974 begonnen und 1976 eingeweiht. Die ersten Skizzen welche Fritz Wotruba (1907-1975) zum Kirchenbau machte verlangen von den Besuchern viel Vorstellungsvermögen. Er war kein Architekt, sondern Bildhauer und die Skizzen gleichen seinen Entwürfen für eine Skulptur. Die ersten räumlichen Darstellungen in Ton stehen den Skizzen nichts nach. Ein Wunsch von ihm war die Kirche mit rieseigen Steinblöcken zu realisieren. Die Entwürfe für die Kirche lösten damals heftige Diskussionen aus, heute ist der Kirchenbau für Gläubige und an Baukunst Interessierte ein Wallfahrtsort.

Von Hietzing aus erreichte ich den Ort Mauer mit der Straßenbahnlinie 10. Vom Zentrum führt die Lange Gasse und diesen Namen führt die Gasse zu Recht, bergwärts. Den beschwerlichen Aufstieg auf den Georgenberg hatten mehrere zum Ziel. Nähert man sich der Kirche erscheint sie wie eine überdimensionierte Skulptur am Berg, so als hätten Riesen mit übergroßen Granitquadern ein Gebäude errichtet. Richtig trotzig steht sie am Berg, als Kärntner würde ich sagen am Nock. Die Kirche sendet das Signal, ich kann mich eines jeden Besuchers, bei einer Burg würde man sagen eines jeden Angreifers erwehren. Die aufeinander gewürfelten Betonklötze scheinen von außen betrachtet jede Statik zu ignorieren.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Besucher oder kann man sie Pilger nennen, welche den steilen Weg hinter sich haben, zu aller erst um die Kirche herumgehen. Gekonnt wurden die Fenster zwischen die Betonblöcke gesetzt, durch die ich einen kleinen Einblick in das Innere nehmen kann. Dabei habe ich erleichtert festgestellt, dass der Innenraum sich an einer Kirche orientiert. Niemanden habe ich beobachtet, der direkt in die Kirche eingetreten wäre. Wobei das Kirchentor von jeden einzelnen neu entdeckt werden muss. Mit Absicht, um die Menschen auf das Nichtalltägliche vorzubereiten. Aus dem Tageheft Nr. 258