graz:Lkw I

Mitunter bedarf es nur eines markanten Geräusches und man erinnert sich an Situationen, die einige Jahrzehnte zurückliegen. Passiert ist es während der Busfahrt,  von Bibione über Mestre zur Piazza Roma in Venedig, eine Direktverbindung. Im Bus befanden sich drei Reisende, kaum wirtschaftlich. Für die zweistündige Fahrt wurden hin und zurück elf Euro verrechnet. Während der Fahrt war es das knackende Geräusch des Getriebes, welches mich in meine Bundesheerzeit in Graz zurückversetzte. An der einfachen Ausstattung erkannte ich, dass der Autobus schon länger nicht mehr in Betrieb war. Ein altes Modell, welches zumeist in der Garage stand und auf das Ausschrotten wartete. In den Rückenlehnen waren noch Aschenbecher installiert. Diese waren mit einem Klebeband überklebt und so deren Benützung verhindert. Das Rauchverbot in Italien gibt es seit der Jahrtausendwende. Das alarmierende Geräusch meldete sich dann, wenn der Busfahrer in einen niedrigeren Gang zurückschaltete. Bevor er vom Zweiten in den ersten Gang zurückschalten konnte, musste er auskuppeln und Zwischengas geben. Im Getriebe gab es Zähneknirschen, wenn er den niederen Gang einschob.

In den siebziger Jahren habe ich beim Erwerb meines LKW Führerscheines vergleichbares erlebt. Beim Lenken des Lastkraftwagen war es notwendig, dass beim Zurückschalten vom Zweiten in den ersten Gang Zwischengas gegeben wurde. Zuerst  auskuppeln, Zwischengas geben und ersten Gang einlegen. Was  einfach und problemlos klingt, war damals für mich eine Hexerei. Das Zwischengasgeben musste schnell erfolgen, da der Lkw beim Bergabfahren  im Leerlauf sehr schnell in Fahrt kam. Es gab brenzlige Situationen, die zumeist durch eine Schnellbremsung des Fahrlehrers entschärft wurden. Danach gab es von ihm eine wörtliche Schelte und den Hinweis, wäre der LKW beladen, würden wir uns im Straßengraben wiederfinden. Keine schöne Aussichten. So mühte ich mich recht und schlecht durch die Fahrstunden und bestand die Fahrprüfung mit einem Augenzwinkern.

Belgierkaserne

9:45

Unverhofft befinden wir uns in der zweiten Jahreshälfte. Ist es zuerst auch nur eine Plänkelei, ein Zeitvertreib am Friedhof während der Gräbersegnung, plötzlich stellt man fest, in so und so vielen Wochen ist Weihnachten. Ob diese Erkenntnis scherzhaft gemeint ist, hängt von der innerlichen Tagesverfassung ab. Die Feststellung kommt nicht zufällig. Bei älteren Personen ist Weihnachten mit vielen Erwartungen und Emotionen verbunden. Wer einmal durch die Judengasse in der Salzburger Innenstadt geschlendert ist kennt das Geschäft, wo man ganzjährig dekorative Eier für den Weihnachtsbaum, sowie dekorative Eier für den Osterstrauch kaufen kann.

Welche emotionale Bedeutung misst man einem Jahr bei? Wird der Abstand zum siebzigsten Geburtstag kleiner, ist es ein anderes Gefühl als einst, wo man darauf gehofft hat, dass der sechzigste Geburtstag schnell näher rückt und damit das Ende der  Berufstätigkeit. Nach dem Siebziger fragt man sich, wie wird die Welt nach mir sein, was wird von meiner Zeit bleiben. Eventuell danach, was war das wichtigste Erlebnis zwischen Sechzig und Siebzig. Gibt es etwas, was bleiben wird, in einem Archiv verschwindet, um Jahre später wieder aufzutauchen?

Jahreskreis

7:45

In der ersten Jahreshälfte nimmt man es mit dem Verstreichen der Monate nicht allzu genau. Die ersten Monate des Jahres genießt man wie eine Juxpartie. Dabei spielen auch die verschiedenen Feste eine Rolle. In diese Zeit fallen der Valentinstag und der Fasching, zu jedem Anlass wird gefeiert. Der Villacherfasching wird als fünfte Jahreszeit gesehen, man hat gleich zu Beginn des Jahres eine ideelle Verlängerung eingebaut. Feiert Ostern, das Frühlingsfest, verbunden mit einem Spaziergang in die erwachte Natur. Weis in der westlichen, säkularisierten Welt überhaupt noch wer, dass Ostern einen starken Bezug zur Bibel hat? Dabei geht es um Tod und Auferstehung, nicht um Tod und Auferstehung einer fernen geschichtlichen Person, sondern um den eigenen Tod und Auferstehung. Eine Metapher für unseren Wunsch für ein Leben danach. Was bleibt bei den Menschen haften, Karfreitag und Ostermontag? Karfreitag, arbeitsfrei für die Protestanten und der Ostermontag ein Feiertag für alle. Eine Ausnahme gibt es bei unserem Nachbarland Italien, wo der Ostermontag  und Pfingstmontag kein bezahlter Feiertag ist. In Slowenien gibt es sonderbarerweise gesetzlich anerkannte und nicht anerkannte Feiertage. Der Ostermontag und Maria Himmelfahrt ist ein gesetzlich nicht anerkannter Feiertag. Dies besagt, dass Schulen, die Verwaltung und viele Geschäfte geschlossen halten.

Zugänglicher sind die meisten Menschen, wenn in der Märzsonne der Schnee schmilzt und sich die Schneeglöckchen zeigen. Bei der ungestümen Entfaltung der Natur spürt niemand wie die Monate der ersten Jahreshälfte vorüberziehen. Dem Glücklichen schlägt keine Stunde. Nach dem Frühlingssturm  der Gefühle tauchen wir ein in den Sommer. In der gleißenden Sonne wird manches kritischer betrachtet. Das helle Licht macht die Kontraste sichtbar, leuchtet die Untiefen aus. Die intensiven Sonnenstrahlen brennen sich in die Pflanzen, die Häuser und die Menschen ein. Die Tag- und Nachtgleiche bedeutet einen Wendepunkt. Die Sonnwendfeuer lodern auf den Bergen und das Herzfeuer brennt unter freiem Himmel.

Rally

ver:gessen

Bei der Fahrt mit dem Fahrrad zum Drauradweg fuhr ich lange Zeit an einem desolaten Haus vorbei. Die Fassadenfarbe war längst verblasst, an unzähligen Stellen löste sich der Verputz von der Mauer, die eingeschlagenen Fensterscheiben wurden durch Holzbretter ersetzt. Aus der kaputten Dachrinne floss das Regenwasser über die Hauswand, die Grünflächen rund um das Gebäude verwilderten. Das kleine Vordach über der Eingangstür befand sich in Schieflage, an einem Ende hing es noch an einem Eisenwinkel.

Die Bewohnerin des Hauses, eine Dame von über neunzig Jahren befand sich nach einem angeblichen medizinischen Kunstfehler, seit über einem Jahrzehnt in der Geriatrie des Landeskrankenhauses. Das Haus dümpelte, weil sanierungsbedürftig, von niemandem begehrt, vor sich hin. Bei den Verlautbarungen in der Völkendorfer Kirche habe ich erfahren, dass die Besitzerin verstorben sei. Es verging kein Monat, ein Bagger rückte an und machte das Haus dem Erdboden gleich. Nach einem Jahr breitet sich über das ganze Grundstück eine grüne Wiese aus. Nichts erinnert daran, dass hier einmal eine Stadtvilla gestanden ist. Wer aufmerksam durch die Millesistraße flaniert sieht an der Betonsäule beim Gartenzaun, wo vormals das Gartentor befestigt war, die Hausklingel mit dem Namen der Besitzerin.

Übersehen.

meer:emotion

Von welchen Empfindungen werde ich erfasst, spaziere ich von der St. Georgskirche, die über den Dächern von Piran thront, den Wanderweg hinunter in die Bucht von Fiesa? Dabei lohnt es sich an verschiedenen Stellen inne zuhalten, zu verweilen. Einen Moment oder eine gefühlte Ewigkeit auf das Ufer mit seinen Felsblöcken zu schauen, auf die Vor- und Rückwärtsbewegungen der Wellen. In Fiesa kommt man dem Meer ganz nahe, es lässt den Wanderer an jeder seiner Regungen teilhaben. Wie viel Entspannung tut einem gut, als Vorbereitung auf das Ewige Leben im Schlagloch der Erinnerungen.

Das Meer drängt nicht zur Eile. Es läuft nicht davon, es rinnt nicht aus, obwohl es dazu die Möglichkeit hätte. Es ist mit der Erde nicht fest verbunden. Anders als die Gräser, die Sträucher und die Bäume, die mit den Wurzeln tief in der Erde verwachsen sind. Das Wasser könnte überall hinfließen und erst recht von einer Kugel müsste das Wasser abtropfen. In einem Strom in den Weltraum abfließen. Schüttet man eine Kanne Wasser auf einem Schotterweg aus, dann bahnt es sich eine Rinne, auf der es abfließt. Wird ein Wasserkübel auf einem Holzboden ausgeleert, dann verschwindet es urplötzlich in einem Spalt, der vormals nicht hier war.

Für das Anhaften des Wassers auf der Erdoberfläche gibt es eine physikalische Erklärung, wir wissen um die Erdanziehungskraft. Wir haben eine physikalische Antwort aber keine Emotionale. Ähnliches erleben wir bei anderen physikalischen oder technischen Fragen. Wir brauchen mehr emotionale Antworten statt nüchterne Physik und Technik. Die Biologie ist dem Emotionalen schon näher. Manchen natürlichen Dingen fühlen wir uns gefühlsmäßig verbunden, ich denke an Feuer und Wasser, den Mond und den Sternen.

Vernunft