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Heute sind die alten Menschen in Altersheimen untergebracht, in modernen, lichtdurchfluteten und mit Blumenschmuck versehenen Seniorenresidenzen aus Glas, Stahl und Beton. Die Betreuung der alten Menschen in eigenen Heimen zu konzentrieren, bündelt die Betreuung und garantiert eine bessere medizinische  Versorgung. Der andere Grund dafür ist, uns den Blick auf das Alter zu ersparen, weil wir dabei mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert werden. Dies verweist auch auf unsere Schwierigkeiten mit dem Glauben, wir werden mit unserem Nichtglauben konfrontiert. Bis in die Neuzeit war der christliche Glaube an Himmel und Hölle in Mitteleuropa fest verankert. Damals waren die Plagen des Alltags, die Krankheit, das Siechtum und das Sterben nur eine Übergangsphase in das himmlische Paradies. Im Himmel erwarteten diejenigen, die glaubten und ihre Sünden bereuten, das schönere Leben.

Heute erwartet den aufgeklärten, den industrialisierten und globalvernetzten Menschen nach dem Tod das Nichts. Umso größer ist der Hunger nach dem ästhetischen Bild, nach dem Schönen in der Kunst. Von den Meisten wird die zeitgemäße Kunst, die dem Menschen einen Spiegel vorhält, abgelehnt. Die Bilder von verstörten Menschen auf der Flucht, zerfetzte Leiber vom Bürgerkrieg und zerstörter Umwelt werden als ein flüchtiger Moment in den Fernsehnachrichten akzeptiert, nicht als Gemälde, Fotomontage oder Installation. Wir sind dabei ein käufliches Paradies auf Erden zu schaffen, je mehr wir nach dem Paradies streben, umso weniger paradiesisch wird es in und um uns.

Morgen wirst du mit mir im Paradies sein.

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Im Werk von Cornelius Kolig, (geb. 7. September 1942 in Vorderberg) spielen die menschlichen Ausscheidungen bei vielen Skizzen, Objekten und Installationen eine wichtige Rolle. Sogenanntes vulgäres wird in den Kunstrang erhoben, er führt das Alltägliche in seiner ganzen Blöße vor und zeigt dabei dem Betrachter nicht mehr als die Realität. Kolig  wendet sich Körperteilen und Körperfunktionen zu, die in der Kunst ausgeklammert wurden. Bedeuten diese Darstellungen eine Abkehr von der Ästhetik wie wir sie von den Griechen kennen und wie sie Winckelmann propagiert? Es handelt sich um eine Erweiterung der Ästhetik, es führt zu einer Ästhetik der Ausscheidungen. Die körpereigenen Ausscheidungen wie Schweiß, Schleim, Urin oder Kot wurden auch zu einem Thema in der Kunst, bisher waren sie eine Fundgrube für die  Medizin, für Hinweise  über den Gesundheitszustand des Menschen. Die Ärzte verlangt es nach Proben von Stuhl, Urin, Hustenschleim und Blut, nach Hautproben und Gewebeproben um eine Diagnose zu stellen. Als gesundheits- und schönheitsverliebte Menschen geben wir die Proben der Ausscheidungen, verbunden mit einer Portion schwarzen Humor ab. Schamhaft, in einer Plastiktasche versteckt werden sie in das Hinterzimmer der Arztpraxis gestellt. Die Künstler erweitern den medizinischen Aspekt um den Künstlerischen.

Von den Plakatwänden und aus den Illustrierten strahlt uns das kommerzielle Schönheitsideal entgegen,  da bedeuten Ausscheidungen und Verwesung einen vorweggenommenen Sterbeprozess. Es erinnert uns an die Gebrechlichkeit des Alters und an unsere Vergänglichkeit. Ich erinnere mich an das verhutzelte Gesicht der Tante, die in eine alte Strickweste gehüllt, in einer Ecke der Bauernstube auf dem Sofa gesessen ist. In sich zusammengesunken hat sie vor sich hin gedöst und gesabbert, neben ihr auf dem Stuhl eine Schüssel mit Apfelkompott und ein Stück Reindling. Immer wieder hat sie nach dem Wochentag gefragt, vor allem danach, wann Sonntag ist, weil sie dann das schöne Kleid anziehen müsste. Wenn Sonntag ist, muss man ihr dies sagen und ihr das schöne Kleid zum Anziehen geben und ihr die Haare kämmen. Ist jemand in die Stube gekommen, dann hat sie danach gefragt, wer es ist. Niemand hat ihr geantwortet. Nachts ist sie in der Ecke von der Stube auf dem Diwan gelegen und darunter der Brunzhäfn.

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Winckelmann Joachim  (1717- 1768)  gilt als Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und der Kunstgeschichte. Er war sehr an der griechischen Kunst interessiert und stellte die These auf, dass es Zweck der Kunst ist, Schönheit darzustellen!

Muss sie DAS, kann sie DAS, darf SIE es noch?

Durch das Gemetzel der modernen Kriegsführung mit Panzer, Flugzeugen, Bomben und Granaten ist die Ästhetik in der Kunst fraglich geworden. Das Sterben auf den Schlachtfeldern des ersten und zweiten Weltkrieges, bis zu den Terroranschlägen und den Bürgerkriegen der Jetztzeit, lässt bei den Künstlern das Schöne in der Kunst fraglich erscheinen. Kein Tag, wo in den Fernsehnachrichten nicht tote, verstümmelte, blutende und vor Schmerz schreiende Menschen von einem der vielen Kriegsschauplätze auf der Erde gezeigt werden. Durch dieses tägliche Gemetzel hat die Gesellschaft das Recht auf ästhetische Bilder und Skulpturen verloren.

Ob ein Kunstwerk beim Betrachten angenehme oder unangenehme Empfindungen auslöst hängt nicht vom Kunstwerk ab, sondern vom Betrachter. In der aktuellen Kunstszene ist der Zeichenvorrat der Künstler größer als der, der Betrachter. Bei einem geringen Anteil an Neuem wird auf ein Kunstwerk positiv reagiert, bei einem großen Anteil an Neuem negativ. Wird die Sicht- und Denkweise der Betrachter in Frage gestellt, die Vertrautheit der bekannten Symbole zerstört oder ein Thema aufgegriffen, über welches man nicht öffentlich spricht, so stößt das Kunstwerk bei den meisten Betrachtern auf Ablehnung.

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In unserer medial vernetzten Welt sind in der Politik das Auftreten und das äußere Erscheinungsbild des Spitzenkandidaten für den Wahlerfolg wichtiger, als das Parteiprogramm. Heutzutage überschneiden sich Parteiprogramme und da spielt das sympathische Äußere der Spitzenkandidaten und -Kandidatinnen eine besondere Rolle. Mit Absicht holen sich politische Parteien als Quereinsteiger gerne Menschen, die man aus der Fernseh- und Medienwelt kennt. Ein aktuelles Beispiel war der ORF-Moderator Eugen Freund, der für die SPÖ bei der Europawahl 2014 als Spitzenkandidat antrat.

Wird in unserer medialen Gesellschaft das Streben nach Schönheit, der Drang zu einem attraktiven Aussehen und zu einem perfekten Körper, wobei der Höhepunkt des Schönheitsbewusstseins bestimmt noch nicht erreicht ist, zu einem neuen Sündenfall für die Menschheit?

Der Biotechnologie ist es heute möglich die Gene beim ungeborenen Menschen zu verändern und es gibt erste Erfolge von Craig Venter Lebewesen künstlich herzustellen. Der oberste Wunsch von künftigen Eltern wird sein, dass dem Embryo ein Schönheitsgen eingepflanzt wird, vor anderen gewünschten Eigenschaften wie fleißig, musikalisch, wissbegierig, Das Designer Baby. Jürgen Habermas  sieht in der Biotechnologie die Gefahr, dass sich der Mensch selbst abschafft. Ein genmanipulierter Mensch müsste mit dem Bewusstsein leben, dass er nicht mehr naturwüchsig ist, sondern von Dritten vorbestimmt wurde. Ob die Genmanipulation zur Wirkung kommt oder auch nicht, ist dabei nicht das Entscheidende, allein das Wissen solche Gene zu besitzen würde für ein Gefühl der  Fremdbestimmtheit, aus der man sich nicht mehr befreien kann, ausreichen. Somit wäre der genmanipulierte Mensch nicht mehr Autor seiner eigenen Handlungen.

Der Mensch versteht sich bis heute als ein Freiheitswesen, der über sich selbst bestimmen kann. Durch Studien wissen wir, dass der Mensch zu 50% durch soziale Faktoren und zu 50% durch vererbte Gene geprägt ist. Zurzeit hat der Mensch die Möglichkeit sich im Laufe des Lebens selbst aus den sozialen Determinierungen zu befreien und mit den vererbten Genen in Harmonie zu leben. Im Gegensatz dazu könnten die Genmanipulationen nicht mehr rückgängig gemacht werden. So würde, nach Jürgen Habermas, der Mensch seine Entscheidungsfreiheit und damit sich selbst abschaffen.