Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

VER:rückt

Auf einem Maskenball oder bei einem Faschingsumzug nehmen viele eine andere Identität an, sie besetzen eine andere Rolle oder wie gerne gesagt wird, sie schlüpfen in eine andere Haut. Manchmal wäre es gut man könnte aus der Haut fahren. Beim Faschingstreiben ist man außer sich, maskiert,  geschminkt und verrückt. Wie viele verschiedene Leben können wir hier auf Erden haben und wie viele Rollen verträgt unsere Psyche, dabei sind nicht Theaterrollen gemeint. Dabei gibt es die Rolle des guten Ehemannes und strengen Abteilungsleiters, die andere Seite ist  der verschwenderische Unterhalter in einer Bar. Der allseits beliebte Bankdirektor und zu hause der missmutige Ehepartner.

Ist es verrückt, wenn bei der rockigen Faschingsmesse in der  Dreifaltigkeitskirche in Völkendorf bei der Predigt der Versuch unternommen wurde, die Auferstehung als eine Verrücktheit des Lebens zu bezeichnen. Es wird von uns verlangt an etwas zu glauben, was außerhalb unserer  Normalität und Erfahrung steht. Die „Dreifaltigkeit“, drei Personen in einer Person vereint, kann als Verrücktheit bezeichnet werden. Fasching und Ostern haben vieles gemeinsam. Nehmen die Kirchenbesucher maskiert an der heiligen Messe teil, so wird das Außersichsein, das dem Glauben innewohnt, auch äußerlich dokumentiert. Auf einem Hut findet sich der Bericht von der Eröffnung der olympischen Spiele in Vancouver. Dort findet der irre Kampf um Medaillen statt, dabei wird mit Tausendstelsekunden gemessen, eine Bewegung, die mit dem menschlichen Auge nicht  wahrnehmbar ist. Niemand leistet gegen diese verrückte Art der Leistungsbemessung Widerstand. Vieles was uns im Alltag bewegt, bewegt sich im Bereich des Närrischen. Im Evangelium nach Lukas, am sechsten Sonntag im Kirchenjahr, heißt es: “Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. Die Normalität wird auf den Kopf gestellt. 

Aus dem Tagebuch, 14.2.2010

EIN:heit

Bei vielen Umgangsformen die wir heute als normal empfinden, denken wir, dass diese schon seit einem Jahrhundert so sind. Dabei liegen deren Durchsetzung oft nur einige Jahrzehnte zurück. Heute bemühen sich die evangelische und die katholische Religionsgemeinschaft um einen Konsens.  Vor ein paar Jahrzehnten war es undenkbar, dass Protestanten und Katholiken gemeinsam eine Messe gefeiert hätten. Den Islamisten ist es noch heute verboten, dass sie eine katholische Kirche besuchen oder einem katholischen Pfarrer die Hand geben.

Es war früher unmöglich, dass ein Katholik und eine Evangelische kirchlich geheiratet hätten, außer, eines von den Eheleuten ist zum anderem Glauben übergetreten und hat sich verpflichtet, die Kinder in diesem Glauben zu erziehen. Das Übertreten vom evangelischen Glauben zum  katholischen Glauben wegen Eheschließung, wie es vor einigen Jahrzehnten noch verpflichtend war, lässt die Frage zu, ernsthaft gestellt bei einem Besuch in Politzen, wie es nach dem Tod weiter geht?  Die Oma war zwanzig Jahre evangelisch und ist dann bei der Heirat zum katholischen Glauben übergetreten, somit war sie bis zu ihrem Tod sechzig Jahre katholisch. Kommt sie in den evangelischen oder in den katholischen  Himmel? Wenn die beiden Kirchen hier auf Erden getrennte Wege gehen, dann wird es auch im Himmel eine Trennung geben. Entscheidet die Dauer der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft darüber, in welchen Himmelbereich man kommt? In Österreich erhält man von jener Versicherung die Pension, bei der man am längsten versichert war.

Enkelkinder.

TODES:zone

Nähert sich der Sterbetag von einem Familienangehörigen, so wie jetzt vom Vater, dann denke ich darüber nach, wo er sein wird und wie er jetzt „leben“ wird? Könnte er sich dazu äußern, dann wüsste ich, wie ich voraussichtlich einmal „leben“ werde. In den Berichten über Nahtoderfahrungen liest man, dass man im Sterben in ein Stadium des Wohlfühlen kommt, obwohl mir die Tatsache, dass die Sterbenden die Umgebung wahrnehmen, sehr irdisch vorkommt. In der Bibel gibt es sehr viele Stellen über das Jenseits, und für alle Auserwählten wird es himmlisch sein. Da ich es in diesen Tagen nicht schaffe sein Grab zu besuchen, so benütze ich die Mittagspause um in der Kirche eine Kerze anzuzünden und ein“ Vater Unser“ zu beten. Der Vater war ein gläubiger Mensch, wenn es möglich war hat er an den Sonntagen die Heilige Messe besucht. Im Sommer konnte es durchaus passieren, dass bei Schönwetter die Heuernte wichtiger war. Er hat eine Zeit lang als Mesner in der Pfarre Dienst versehen.

Um das Einkommen vom Bergbauernhof etwas aufzubessern, hat er als Grabmacher gearbeitet, im Volksmund als „Totengräber“. Es war eine anstrengende Arbeit, mit Pickel und Schaufel, händisch ein Grab auszuschaufeln. Erschwerend waren die Bedingungen bei Regen oder im Winter, wo die oberste Erdschicht gefroren war. Ich habe ihm auf den Friedhof eine Jause, Speck und Käse, sowie eine Flasche Most, gebracht. Ob der Vater durch diese Arbeit, die er solange durchgeführt hat, bis sie ihm körperlich zu schwer geworden ist, dem Tod nähergekommen ist, sozusagen mit dem Tod Frieden geschlossen hat, weiß ich nicht. Man sagt von Menschen, die viel mit Sterbenden oder Toten zu tun haben, wie die Ärzte oder die Bestatter, dass sie nicht über den Tod sprechen wollen. Bei schrecklichen Erlebnissen verwenden wir das Wort „Todesangst“, so befinden wir uns Zeit unseres Lebens in der Todeszone.

Absprungbasis.

SEIL:schaft

Mit Bergsteigern wird der Begriff Seilschaft in Verbindung gebracht, die als Gruppe einen schwierigen Berg besteigen, es müssen dies nicht Extrembergsteiger sein. Eine Seilschaft gibt gegenseitig Sicherheit und hilft den Schwächeren dabei, mitzuhalten. Wichtig ist der Umstand, dass man sich auf den Anderen verlassen kann. Die Herstellung von Hanfseilen war früher ein eigenes Gewerbe und die Seile haben in der Schifffahrt und in der Fördertechnik eine große Rolle gespielt. In vielen Bereichen wurden sie durch Stahlseile, wegen der längeren Haltbarkeit und der stärkeren Zugkraft, verdrängt. In meiner Lehrzeit bin ich öfters an einer Seilerei vorbeigekommen. Im Ausstellungsraum hatten manche Seile die Stärke eines Oberarms.

Im übertragenen Sinn spricht man, wenn sich Menschen gegenseitig im Beruf, im politischen oder öffentlichen Leben unterstützen, von einer Seilschaft. Das Wort Seilschaft kann einen guten oder einen schlechten Beigeschmack haben. Nicht herzeigenswert ist eine Seilschaft wo sich das Vorwärtskommen aus der Zugehörigkeit zu einer Vereinigung oder einer Partei gründet, und nicht die entsprechende Leistung dahintersteht. Dadurch kommt es zu Misswirtschaft und Verschwendung bei den Steuergeldern.

Ich weiß nicht ob man eine Freundschaft oder eine Lebensgemeinschaft als Seilschaft bezeichnen kann. Mit dabei ist das Risiko, dass jemand aus der Seilschaft ausbricht oder die Seilschaft aufkündigt. Gibt es eine Seilschaft welche ein ganzes Leben dauert? Gerne wird über die ewige Treue und von der ewigen Liebe gesungen. Was bedeutet Ewigkeit und wo findet sie statt? Unser Leben kann nicht als ewig bezeichnet werden. Eine ewige Seilschaft kann uns nur Gott anbieten. Diese Seilschaft gilt nicht nur für das Jetzt, sondern auch für die Ewigkeit, wenn es sie gibt. Für die Seilschaft demonstrierten die Kirchenbesucher in Völkendorf, als sie sich an einem Seil festhielten und als lange Prozession durch die Kirche und rund um den Altar  wanderten. Ob diese Seilschaft über die Messfeier und  das Pfarrcafé hinaus Bestand hat, wird sich bei der nächsten Prüfung, beim nächsten Grad, beim nächsten Ausrutscher erweisen.

Seilerei. 

THOMAS:bernhard

Gestern wäre Thomas Bernhard achtzig Jahre alt geworden. Einer seiner markanten Sätze lautet: „Die Ursache jedes Übels ist man selbst“. Er könnte damit gemeint haben, dass wir dazu neigen die Ursache für unsere Probleme bei anderen zu suchen. Anderen die Schuld an unserem Unglück zuzuschieben. Es gibt Lebenssituationen, die von anderen mitgesteuert werden, wenn man es dabei belässt. Für böse Menschen wird oft mehr Verständnis aufgebracht als für die Braven. In der Bibel steht, dass im Himmel mehr Freude über einen reuigen Sünder herrscht, als über hundert Gerechte. Die Frage ist, ob böse Menschen ein Unrechtsempfinden haben?  Sie sehen sich nie im Unrecht.

Es heißt, dass sich viele Menschen damit die Hölle auf Erden schaffen, indem sie die  Schuld bei anderen  suchen. Andere Menschen mit Vorwürfen überhäufen, die nicht stimmen und sich dabei selbst die Hölle bereiten. Die christliche Theologie sieht im Himmel und in der Hölle keinen jenseitigen Zustand. Die Menschen bereiten sich, durch gute Taten den Himmel und durch schlechte Taten die Hölle, hier auf Erden selbst.

Eine Eigenschaft, mit denen man sich die Hölle auf Erden bereiten kann, ist die Eifersucht. Es gibt nichts Konkretes, man bohrt  in Ereignissen und erwartet, dass aus den Bohrlöchern, Honig und Milch fließen, es kommt bittere Galle. Nebensächliche Vorkommnisse werden zu einer Geschichte entwickelt.

Fegefeuer.