Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

SICHERHEIT:risiko

Jeder hat andere Vorstellungen von Sicherheit und Risiko, welche Sicherheiten er sich wünscht und braucht, welche Risiken er bereit ist einzugehen. Die einen wünschen sich ein risikofreies Leben, sie entscheiden sich bei der Berufsausbildung und später bei der Arbeitsstelle danach. Dabei wird das Kind von den Eltern unterstützt und versuchen es bei sogenannten krisenfesten Firmen, meistens sind dies halbstaatliche Firmen oder öffentliche Körperschaften unterzubringen. Man hofft, dass der Sohn bei einem staatlichen Energieerzeugung nach der Lehre dort einen lebenslangen Job haben wird. Viele Absolventen der Handelsakademie oder des Gymnasium drängt es in den Verwaltungsbereich, wie Gemeindeamt, Bezirkshauptmannschaft oder Landesdienst. Dort ist auch der Pförtner und das Küchenpersonal pragmatisiert.

Die Berufsentscheidung wird danach ausgerichtet, welche Sicherheiten gibt es und nach wie vielen Dienstjahren kann man in Pension gehen. In den letzten Jahren ist in Österreich die Pragmatisierung den Reformen zum Opfer gefallen. Es klingt nicht trendig, wenn man sagt, dass die Tochter, der Sohn, bei der Bahn oder der Post einen Job hat, aber es hört sich krisenfest an. Man weiß, dass sie oder er durch eine starke Gewerkschaft vertreten wird, die sich gegen jede Bundesregierung mit ihren Forderungen durchsetzen konnte. Zuletzt haben die Schulden der staatlichen Betriebe das Budget so stark belastet, dass vieles privatisiert wurde. Damit sind auch viele Privilegien verloren gegangen.

Kommt man in die Landeshauptstadt und spaziert ein wenig durch die Innenstadt, dann können einem die Gebäude der öffentlichen Stellen beeindrucken. Sei es der Sitz der Landesregierung, das Landesgericht oder die Wirtschaftskammer. In diesen vielen, meist hohen Räumen, sitzen überall Beamte, die alles festhalten von der Geburt bis zum Tod. Hier wird geherrscht, es geht eine Macht aus. Um vieles größer sind die Verwaltungsgebäude in Wien.

Verwaltungsreform.

HÖRIG:keit III

Das Wort Hörigkeit bringt man  meistens mit menschlichen Gefühlen in Verbindung. In den verschiedenen Lebensphasen kommt es zu wechselnden Abhängigkeitsverhältnissen. Die meiste Anhänglichkeit gibt es in der Kindheits- und Jugendphase, zu den Eltern, Lehrer oder  Präfekten. Das Internatsleben führt schon in frühen Jahren zu einer Abnabelung von den Eltern und verursacht bei vielen Heimweh. Dort hofft man auf die Gunst des Präfekten. Bei einer Schar von sechzig Kindern, in einer Schulstufe, geht es im  Studiersaal und in den Schlafsälen, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, um Ordnung und Gehorsam, nicht um Zuwendung und Aufmerksamkeit.

Ein Kreuzzeichen auf die Stirn vor dem Schlafengehen bedeutete ein Auserwählter zu sein. Das Kreuz wurde mit dem Fingernagel eingeritzt. Man versucht das Kreuz abzuschütteln, es glingt in den wenigsten Fällen, außer es ist jemand bereit das Kreuz mitzutragen. Nicht für einen lokalen Kreuzweg zur Osterzeit, für ein Leben lang. 

Es gibt Kinder, die sich der Hörigkeit durch musikalische, literarische oder malerische Begabungen entziehen. Sie leben in ihrem eigenen musischen Kosmos. Das Gefühl der Hörigkeit gegenüber jemanden, der einen aus der Not des irdischen Alltages gerettet hat, kann einen ein Leben lang begleiten.

Befreiungsschlag.  

HÖRIG:keit II

In meinem Geburtsort gab es in einer kleinen Ortschaft eine Schneiderei, der “Avemichlschneider”, er arbeitete allein in seiner Werkstatt. Er war von kleiner und zarter Statur, gerade so, wie die Schneider in den Lesebüchern dargestellt werden. Bevor ich in ein Internat kam nahm der Schneidermeister an mir Maß und fertigte für mich einen Kärntneranzug an. An zwei Sonntagen musste ich zur Anprobe vorbeikommen. Diesen Anzug trug ich im Internat zu allen festlichen Anlässen. In den Ferien wurde der Anzug in die Schneiderei gebracht, um ihn an mein Wachstum anzupassen. In der vierten Klasse passte schon vieles nicht mehr, die Ärmel und die Hosenröhren waren zu kurz, ich hatte sogenannte „Hochwasserhosen“. Der Rock war mir zu eng, ich konnte ihn nicht mehr zuknöpfen. Im Sommer war dies kein Problem, aber im Winter war es bitterkalt und es sah unordentlich aus.

Der Sohn erlernte den Beruf beim Vater und erweiterte die Schneiderei um eine Fertigungshalle für Hemden. Darin beschäftigte er etwa fünfzig Mitarbeiter, hauptsächlich Frauen. Er produzierte für verschiedene Versandhäuser Modehemden und -blusen. Die Modehäuser drückten, trotz gestiegener Lohn- und Materialkosten, jedes Jahr den Preis für die Hemden und Blusen. Er erhöhte den Druck auf die Arbeiterinnen und versuchte durch eine straffere Produktion die Rabattforderungen aufzufangen, bis er in den Konkurs schlitterte. Gegen die Konkurrenz aus dem fernen Osten, nachdem man vorher in Spanien produzieren ließ, wäre er so und so chancenlos gewesen.

Handgenäht.

HÖRIG:keit

Es gibt vielerlei Arten von Abhängigkeit, solche die mit wirtschaftlicher, menschlicher oder religiöser Natur zu tun haben. Manche kleinen Handwerksbetriebe haben oft nur einen größeren Auftraggeber und dieser entscheidet über den wirtschaftlichen Erfolg. Zum Jahreswechsel bemüht man sich, dass man auch für das neue Jahr mit Aufträgen bedacht wird. Von einem Schlossereibetrieb weis ich, dass zwei Drittel seines Umsatzes darin bestand, für eine Fertighausfirma die Eisenverbindungen herzustellen. Die Geschäftsverbindung ist durch einen Hausverkäufer aus dem Familienkreis zustande gekommen. Durch ihn hat man erfahren, dass viele „Verbindungen“ pro Haus notwendig sind. Nach einem Vorstellungsgespräch und einem Angebot hat man den Zuschlag für die Fertigung der Eisenverbindungen bekommen. Die ortsansässige Schmiede war die Arbeit los.

Vor jedem Jahreswechsel machte man sich darüber Gedanken, mit welchem Präsent man den Firmenchef der Fertighausfirma überraschen könnte. Es sollte etwas Originelles, nichts Alltägliches sein und nicht den Eindruck erwecken, man möchte damit etwas erreichen. Die Schlosserei profitierte von den laufenden Bestellungen. Bei einem Geschäftsbesuch wurde mitgeteilt, dass eine andere, eine größere Firma, die mit Schneide- und Schweißautomaten arbeitete, in Zukunft die Eisenverbindungen, zu einem günstigeren Preis, liefern wird. Als Trostpflaster versprach man, die Spezialeisenverbindungen, weiterhin bei ihnen zu bestellen.

Fassungslos.

PUZZLE:magie

Noch immer wird darüber geforscht, nachgedacht und diskutiert, was der Mensch ist. Wie ist dies zu deuten, was er sieht und was er erlebt. Wie wirklich ist das, was man hört und riecht, wer kann die Wirklichkeit bestätigen. Wirklichkeit ist ein Begriff den wir selbst erfunden haben, in der Natur gibt es ihn nicht. Wir haben die Begriffe für alles, was wir sehen, selbst erfunden. Die Arme, die Füße, der Baum, das Licht sind eine Erfindung unseres Gehirn. Wir empfinden unsere Füße, Arme und andere Dinge nicht immer gleich. Manchmal empfinden wir sie als schwer, als nützlich, aber auch als unsinnig. Die Berge, die Häuser oder die Wiesen, sieht jeder anders, geprägt durch seine Erfahrungen.

Es kann vorkommen, dass alles, was wir an Erfahrungen und Erlebnissen gesammelt haben in das Wanken gerät und wir an allem was wir tun und getan haben zweifeln. Viele bezeichnen dieses Infragestellen als Krise. Sie beharren auf den Erkenntnissen und Standpunkten die sie vor langer Zeit gebildet, von den Eltern oder Lehrern übernommen haben. Andere benützen eine Krise um sich selbst neu zu erfinden. Die Wirklichkeit kann danach ganz anders aussehen. Ein magisches Puzzle welches immer verschieden zusammengebaut wird. Es gibt neue Funktionen und Sichtweisen, einen neuen Menschen. Der Fortschritt liegt in der Krise.

Dauerkrise