Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

FASCHING:ade

Das österreichischen Fernsehen sendet Aufzeichnungen von Faschingssitzungen aus ganz Österreich, als Letzte heute die vom Villacher Fasching.  Kaum vertreten sind  die westlichen Bundesländer,Vorarlberg,Tirol und Salzburg. Die meisten Faschingsgilden gibt es in  Kärnten, Steiermark und dem Wiener Raum. Jeder  größere Ort in Kärnten hat seine eigene Gilde mit einem Prinzenpaar und einigen Faschingssitzungen. Zur Faschingsprinzessin oder zum Prinz gewählt zu werden ist eine hohe Auszeichnung. Personen, die in der  Öffentlichkeit bekannt sind hoffen, dass sie in einer Parodie der örtlichen Faschingssitzung vorkommen. Es kommt vor, dass manches Geheimnis plötzlich allen bekannt ist. 

Der Villacher Gildenkanzler bezeichnete Kärnten als die Narrenhochburg Österreichs. Viele Beiträge beschäftigen sich mit den politischen Vorkommnissen in Kärnten und diese sind bühnenreif. Manche Gags sind einfältig, die  Unfähigkeit im Alltag darüber zu sprechen, dann finden sich solche Situationen auf der Bühne wieder. Man  macht darüber einen Scherz und erntet dafür den meisten Applaus. Dabei geht es oft um alte Menschen, Frauen oder sogenannte Verrückte. Wer mit  einer heiklen Situation nicht zurechtkommt rettet sich in einen Witz und lacht lauthals.

Lei, lei.

HAUS:schlachtung

Nähert sich der Fasching dem Höhepunkt,  dann wird bei den Bauern im Gailtal für den Eigenbedarf ein Schwein geschlachtet. Es gibt am Faschingsdienstag einen Sauschädelschmaus. Schon Tage vorher ist unter den Hofleuten  eine Unruhe zu spüren, Geschäftigkeit macht sich bemerkbar. Der Haartrog wird auf seine Dichtheit überprüft, die Schlachtbank und der Dreifuß, wo das Schwein nach dem Schlachten zerteilt und aufgehängt wird, muss gesäubert werden. Das Pökelsalz, zum Konservieren des Specks, wird mit verschiedenen Gewürzen gemischt, die Wurstmaschine aus der Vorratskammer geholt. Am Schlachttag soll alles schnell von der Hand gehen.  Die Bäuerin sieht dem Tag mit gemischten Gefühlen entgegen, bedeutet es doch, dass eines der Schweine, dass sie seit dem Sommer gefüttert hat, abgestochen wird. Als  kleine Gutmachung wird das Schwein am Tag vorher mit einer extra Portion Mastfutter verwöhnt. Der Bauer betrachtet es nüchtern und freut sich auf seine Portion gerösteter Leber und die angebratenen Nierndln,  die er nach der Arbeit verspeisen wird. 

Am Schlachttag  wird zeitig am Morgen das Wasser im Futterkessel für die Enthaarung erhitzt. Im Schweinestall gilt es jeden Lärm zu vermeiden. Mit einem Schups wird das Schwein aus der Stallung gestoßen und mit dem Schussapparat getötet, zum Ausbluten mit dem Messer gestochen. Das Blut fängt meistens der Jüngste in einem Reindling auf und es wird später zu einer Blutsuppe und Blutwurst verkocht. Nach dem Enthaaren wird die Sau am Dreifuß aufgehängt und ausgeweidet. In der Nähe lauern die Hofkatzen und warten darauf,  dass  für sie etwas abfällt. Auch die  Hühner sind auf Futtersuche und  picken alles auf, was zu Boden fällt. Für das Zerteilen und Weiterverarbeiten braucht es viele Helfer,  es dauert bis in die Abendstunden und manches wird erst in den nächsten Tagen gemacht. Das Fleisch wird in Portionen aufgeteilt,  für Schnitzel,  Schweinsbraten und Gulasch und in der Tiefkühltruhe eingefroren. Besondere  Achtsamkeit wird auf die Stücke gelegt, die zum Speckselchen vorbereitet werden. Diese werden mit der Pökelsalzmischung  eingerieben. Das Einbeizen wird in der nächsten Zeit mehrmals wiederholt. Im ganzen Haus riecht es nach frischen, rohen Fleisch. Die Innereien kommen in den folgenden Tagen auf den Mittagstisch. Der Schweinskopf wird ausgekocht und aus dem Sud eine Sulze angesetzt und für die Jause mit Essig,  Öl und Zwiebel abgesäuert. Die Gedärme werden gesäubert und sind als Wursthaut verwendbar. Bevor man sie über die Wurstmaschine stülpt, werden sie vom Bauern „aufgeblasen“. 

Auf einer Kunstausstellung konnte ich in einem Video sehen, wie der amerikanischen Aktionskünstler Bruce Neumann einen Darm aufbläst,  als wollte er beim Wursten helfen.

Der Sauschädel.

LEBENS:boot

Im Kurort Radenci in Slowenien, nahe der österreichischen Grenze bei Bad Radkersburg, steht der Kirchenneubau „Cerkev Sv.Cirila in Metoda“. Im Kirchenraum befindet sich auch ein Marienaltar. Diese Kirche wurde auf Verlangen von Jovanka, der Frau des verstorbenen Staatsgründers und Staatspräsidenten  Tito erbaut. Wie ist es dazu gekommen, dass im ehemaligen kommunistischen Jugoslawien, wo es offiziell keine christlichen Religionen gegeben hat, der Staatschef religiöse Gefühle zeigte und seiner Frau erlaubte eine Kirche zu errichten. Wie gläubig kann ein Atheist  im fortgeschrittenen Alter werden?  Erleben wir es nicht an uns selbst, dass wir mit zunehmendem Alter religiöser werden. Ich meine, es gibt im Leben zwei religiöse Phasen. Zur Ersten gehört die Kindheit, wo einem von den Eltern und dann in der Schule religiöses Verhalten und Wissen vermittelt wird. Im mittleren Lebensabschnitt glaubt man, alles selbst in der Hand zu haben. Für den Erfolg, das Glück, die Liebe selbst verantwortlich zu sein. Den Fortschritt, den man erreicht, aber auch einen Misserfolg, verbucht man auf sein eigenes Konto.

Die zweite religiöse Phase setzt im letzten Lebensdrittel ein. Man spürt, dass die körperlichen Kräfte, auch die geistigen Fähigkeiten, nachlassen. Es ist nichts mehr so wie in der Lebensmitte. Da wendet man sich gerne spirituellen, religiösen Themen zu. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass man aus dem Glauben eine Unterstützung erfährt, wenn man mit manchen Missgeschick, die jetzt häufiger auftreten, nicht zurechtkommt. Neben dem Ehepartner, den Kindern, dem Bekanntem und Freundeskreis holt man einen weiteren „Partner“ in das Lebensboot, um das stürmische Leben zu bewältigen.

Bei einem Kurzurlaub in einem Thermalhotel in Bad Radkersburg hat mich eine Frau gebeten, mit ihr zusammen den Lift zu benützen, da ihr das Alleinfahren Angst macht.

Lebensnotstand.

WERTE:skala

Unsere Alltagssituationen sind durch verschiedene Rangordnungen geregelt. Wie sich diese Hierarchie bemerkbar macht, ist ganz unterschiedlich. Es gibt kaum einen Lebensabschnitt, wo es nicht eine Struktur gibt. Es fängt in der Familie an, mit Vater, Mutter und Kindern. Wächst man mit  mehreren Geschwistern auf, sind die Regeln klar, der ältere Bruder oder die ältere Schwester hat das Sagen. In der Schule, während der Berufsausbildung und im Arbeitsalltag setzt sich das fort.

Intensiv gespürt habe ich die Auswirkungen der Rangordnung während meiner Internatszeit. Dort besuchten circa fünfhundert Schüler das Gymnasium. Die  Schulartikeln und auch Toilettensachen, wie Seife oder Zahnpasta, konnten wir abends in einem Shop von etwa 25 Quadratmetern kaufen. Geöffnet war er an Wochentagen in der Zeit von 19.30 Uhr bis 20.00 Uhr. Es war die Zeit zwischen Abendessen und der nächsten Studierstunde, der letzten am Tag. Als Zögling der Unterstufe ging ich schon eine Viertelstunde vor dem Aufsperren zum Laden, um in der Warteschlange vorne zu stehen. Der Shop war ein größeres Zimmer, mit einem Verkaufspult  quer durch den Raum und dahinter Regale mit den Schulartikeln. Um halb acht öffnete der Hausmeister, der auch als Verkäufer fungierte, die Tür zum Laden und alles stürmte hinein. Diejenigen, welche vorne einen Platz erkämpften hatten Glück, sie wurden als erste bedient. Der Nachteil war, man wurde von den Nachdrängenden fast erdrückt. Es verging keine Viertelstunde, dann kamen die Schüler der Oberstufe in die Kantine und wurden über unsere Köpfe hinweg bedient. Bei diesen Verhältnissen war es keine Seltenheit, dass ich mich für den Einkauf von einem Bleistift und zwei Heften dreimal vor der Kantine anstellen musste.

Heute glaubt man, dass die Hierarchie im Alltag an Bedeutung verliert. Im Speisesaal des Bildungshauses St. Georgen kann man sich vom Gegenteil selbst ein Bild machen.  Hinter dem Buffet  hängen an der Wand drei Bilder in absteigender Reihenfolge.  Das erste Bild zeigt Kardinal Ratzinger bei seinem Urlaub im Jahre 1990 in St. Georgen. Das Nächste zeigt Kardinal Ratzinger als Papst Benedikt den XVI. und das dritte Bild, das Unterste, zeigt den Bischof von Kärnten, Alois Schwarz.

Alle Brüder sind gleich.