Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

DIE:zeit

Soll man eine Arbeit besonders rasch erledigen, dann gibt es den Spruch: “Die Zeit drängt”. Im Winter hatte man es früher am Bauernhof nicht eilig.  Drängender war es im Sommer, wenn es darum ging, eine Schönwetterperiode für die Heu- oder Getreideernte zu nützen. Gleiches  galt für das  Ausbringen der Saat. Dies brachte es manchmal mit sich, dass man das Mittagessen verkürzte oder auf die Jause verzichtete. So konnte man vor einem heranziehenden Gewitter das Heu in das Trockene bringen. Diese Eile war  nicht  alltäglich und beschränkte sich auf den Sommer. Heute sagt niemand mehr, die Zeit drängt, wir leben in einer beschleunigten Welt und sind selbst oft in Zeitnot. In der selben Zeit soll mehr erledigt und gearbeitet werden, weil wir wollen um vieles mehr besitzen und erleben als frühere Generationen. Da kann es verwundern, wenn man sich weigert ein Buch zu lesen, nur weil man es im Reisegebäck hat. Mir für etwas Zeit nehmen, Musik hören oder Lesen, bedeutet für mich, dafür mindestens  eine Stunde Zeit zu haben. Eine Tageszeitung oder Illustrierte durchzublättern, das Wort durchblättern klingt wie das Durchschleusen von Massen auf einem Fest, ist etwas anderes.

Denke ich an  meine Notizhefte  mit den  Aufzeichnungen aus den letzten dreißig Jahren, dann könnte ich sagen: “Die Zeit drängt”. Bei der Fülle von Notizen wird es mir nicht möglich sein, alles aufzuarbeiten. Ich sehe mein Glück darin, einen Teil  zu  verwenden.

Jahresanfang.

IM:gebirge IV

Im Tal war es in den letzten Tagen sonnig und kalt, der Schnee abweisend und unberührt, nur etwas für das Auge. Diese Landschaft konnte als Vorlage für ein Bühnenbild dienen. Auf dem Brautkleid der Wiesen glitzerten die Schneekristalle. Das Leben hatte sich aus der Flusslandschaft zurückgezogen. Heute hat sich das Wetter geändert, graue Wolken am Himmel, trübes Licht, die Luft ist mild. Ich fahre mit den Langlaufskiern die Ill entlang. Der Schnee ist stumpf und verschluckt die Geräusche. Zwischen den Sträuchern tauchen Hasen und Fasane auf. Von den Bergen weht der Föhn, der Schnee rieselt von den Bäumen. Es ist eine gedämpfte Stimmung, wie an manchen Silvestertagen in der Kindheit. Am frühen Abend ging man über den verschneiten Hof, öffnete die Scheunentür und trat in den dunstigen Viehstall ein, um die Tiere zu versorgen. Der Geruch von Heu und frischer Milch breitete sich im Stall aus. Die Kühe begannen behaglich am Heu zu kauen. Die Zufriedenheit der Kühe übertrug sich auf uns aus. Wir waren mit dem zufrieden was war und was ist. Die Umstände waren eindeutig. Das alte Jahr wird zum neuen Jahr wechseln, kein Ereignis wird das Leben auf diesem Fleck der Erde verändern.

 ALLEN MEINEN LESERINNEN, LESERN, KOMMENTATOREN UND ABONNENTEN EINEN STIMMUNGSVOLLEN JAHRESWECHSEL UND EIN GLÜCKLICHES NEUES JAHR !

 

IM:gebirge III

Auf dem Rückweg bemerke ich neben dem Winterwanderweg einen Neubau. Ein lang gezogener, rechteckiger Betonkörper, mit  einer Glasfront zur Talseite. Der  Anbau, indem sich die Sanitärräume und die Küche befinden, hat eine Verkleidung aus Holzbretter. Der Regen, die Sonne und der Schnee  werden den Brettern zusetzen und er wird sich von den Stallgebäuden der Umgebung nicht mehr hervorheben.  Die Dorfleute haben zu diesem  Bau unterschiedliche Meinungen. Einige Dorfleute lehnen den Bau ab, weil er nicht der Tradition des Tales entspricht , auch wenn sie viel verreisen. Diese beharren in der Fremde zur Jause auf den Surenkäse. Sie suchen in der Ferne die Bestätigung dafür, dass es nirgendwo so gut und so schön ist wie in der Heimat. Viel reisen und eng denken. Die Allinklusiv Urlauber leben in Tunesien genauso wie im Montafon. Sie urlauben mit dem selben Komfort wie zu Hause und unterhalten sich dabei mit Bekannten.  Engstirnigkeit oder Weitsicht ist keine Folge des Reisens oder des Fernsehens, über das Lesen redet niemand. Welche Folgen hat es für einen Vermieter im Montafon, wenn Teile von Südamerika von Überschwemmungen heimgesucht werden oder er nicht in Sibirien war?  Wesentlich ist die Andersartigkeit zuzulassen, egal, ob jemand ein Weltreisender oder ein Bodenständiger ist. Beim Mittagessen  zu warten, bis alle die Suppe im Teller haben und erst dann mit dem Essen zu beginnen.

IM:gebirge II

Im  Skiort  liegt rechts und links vom Straßenrand ein Wust von Schnee, auf den Straßen tummeln sich Urlauber in bunter Skibekleidung. Die Gästehäuser verteilen sich über die Steilhänge.  An den Häusern brennt die Weihnachtsbeleuchtung über den ganzen Winter. Hier endet  Weihnachten  zu Ostern, wenn die letzten Gäste abreisen. Für den spannendsten Ort halte ich  eine Musikkneipe, in einer renovierten Mühle. Selbst bin ich noch nicht dort gewesen. Hier stimmt die Mischung aus touristischen  Leitbetrieben und privaten Fremdenpensionen. Der Privatvermieter vergibt seine Reparaturaufträge an lokale Handwerker, ein internationales Hotel würde anderst entscheiden. So verteilt sich der Wohlstand auf viele und ist nicht in der Hand weniger. Die großen Hoteldörfer gibt es in der Türkei, Spanien und Tunesien. Sie gehören den internationalen Hotelketten und die Gewinne fließen den Aktionären zu. Großbetriebe sollen aufgegliedert werden und die Aktien stärker besteuert. Vom  Gewinn  soll auch denen etwas zu Gute kommen, die die Arbeit leisten. 

Am Nachmittag besuche ich  eine siebzigjährige Frau, ihr Haus steht etwas außerhalb des Dorfes. Der Besuch ist seit einem Jahr versprochen. Sie vermietet Zimmer, dies bringt zusätzliches Geld zu ihrer Mindestpension und Abwechslung in ihren Winteralltag. Der Mann ist vor fünfzehn Jahren gestorben, die Kinder sind aus dem Haus ausgezogen. In diesem  Jahr hat sie sich einen lang ersehnten Wunsch erfüllt, eine Montafonerstube eingerichtet.  In der Stube steht ein Tisch mit Einlegearbeiten,  geschnitzte Holzstühle  und ein Wohnzimmerschrank. Der Parkettboden hat  zwei verschiedene Holzarten. Auf der Kommode befinden sich die Fotos vom Mann, den Kindern, den Enkeln und dem Urenkel. Die Vergangenheit und die Zukunft in Fotos festgehalten.  Der Kachelofen und die verkachelte  Sitzbank werden vom Vorraum aus beheizt. Selbst sitzt sie am liebsten in der Küche, dort befindet sich  der Fernseher. Zum Abschied drückt sie mir eine Dose Weihnachtskeks in die Hand, mit der Bitte, die Dose zurückzubringen. Der nächste Besuch ist versprochen. Am Abend spüre ich den Winterspaziergang in meinen Füßen.

ALLEN MEINEN LESERINNEN UND LESERN, EIN BESINNLICHES WEIHNACHTSFEST!

Es ist ein Ros entsprungen...

Es ist ein Ros entsprungen...

 

IM:gebirge

Das Montafoner Tourismusmuseum widmete, in diesem Jahr,  dem Leben und Wirken des Pfarrers Franz Josef Battlogg (1836 – 1900),  eine Ausstellung. Der Geistliche wirkte von 1867 bis 1882 in Gaschurn als Frühmesner. Er war ein begeisterter Bergsteiger und führte einige Erstbesteigungen durch. Als Musiker dirigierte er einen über das Tal hinaus bekannten Kirchenchor, mit bis zu siebzig Mitgliedern. Er schrieb ein Tagebuch und nannte es „Tagehefte“. Zitat : „In Gaschurn erwarb ich mir einen Weltruf, wenn man die Welt nicht zu weit nimmt.“ 

IM:gebirge I

Herr A. öffnet die Tür vom Kellerabteil, welches zu seiner neuen Wohnung gehört und sieht in einer Ecke am Boden ein Paar Arbeitsschuhe stehen, an einem Hacken hängen eine grüne Arbeitshose und eine grüne Jacke. An der Wand lehnen verschiedene Gartenwerkzeuge. Daneben steht ein halb voller Sack mit Gartenerde und auf einer Schachtel eine Gießkanne. Diese Gegenstände gehören seinem Vormieter F., der von einer Reise nicht mehr zurückgekehrt ist. Die Stellagen sind leer.

Mit den Hausbewohnern hatte Herr F. wenig Kontakte. Zur Arbeit brach er frühmorgens auf und kehrte spät am Abend heim. Für die Mitbewohner war er ein Phantom. Manchmal sah jemand, wie er seinen linken Fuß über eine Stufe nachzog oder wie sein Rücken in der Türöffnung verschwand. Das Öffnen und Schließen der Wohnungstür besorgte er behutsam, um niemanden zu stören. Von seinen sporadischen Reisen kam er meistens während der Nacht  zurück. Bei seiner Abwesenheit klebte an der Tür ein Zettel mit dem Hinweis: „Bin im Gebirge“. Niemand wusste, welches Gebirge damit gemeint war. Herr A. bückt sich, stellt die Gießkanne auf den Boden und öffnet die Schachtel. In der Schachtel befinden sich Notizhefte mit der Aufschrift „Im Gebirge“. Herr A. nimmt eines der Notizhefte und beginnt darin im Schein der Kellerlampe zu lesen:

Ich bin in einem Gebirgsdorf zu Besuch und kann beobachten, wie bewaffnete Leute aus dem Nachbarstaat über die Grenze eindringen und die Bergstation besetzen. Die Menschen in der Bergstation werden gefangen genommen. Im Dorf  fällt der Strom und die Wasserversorgung aus. Es dauert eine Stunde bis unsere Luftwaffe die Eindringlinge zurückdrängt. Es ist wieder möglich, mit der Bahn auf den Gipfel zu fahren. Die Bahnstrecke hat bis zur Mittelstation eine Steigung von siebzig Prozent, dann geht es senkrecht den Berg hoch. Ich kann mir  nicht vorstellen, wie hier ein Zug fahren kann. Der Zugführer erklärt uns, dass er beide Motoren einschalten wird, zweimal 120 PS. Der Zug fährt mit Schwung hinauf, ohne zu Rutschen oder zu Stocken. Alle atmen auf, als der Zug auf der Bergspitze ankommt. Die Geleise sind aus Kopfsteinpflaster auf denen sich der Zug mit  Saugnäpfen, die am Waggonboden angebracht sind, fortbewegt. Bis zur Rückfahrt gibt es einen längeren Aufenthalt. Als ich aufwache, fährt mein Zug in einer Stunde.