„Vergib uns unsere Schuld“, Supersbergers Beitrag zum Kritischen Oktober.
reise:gruppe II
Aus den Lautsprechern kommt eine neue Durchsage: “Vorsicht Bahnsteig eins, der Zug fährt ein und die ersten beiden Waggons des Railjets nach Salzburg sind für eine Reisegruppe reserviert. In diese Waggons nicht einsteigen“. Am Bahnsteig nähern sich von Osten, vorneweg ein Polizist und zwei Polizistinnen, eine Schlange von Menschen. Einige haben einen grauen Müllsack geschultert, andere eine Einkaufstasche eines Lebensmitteldiskonters in der Hand. Alle ohne nennenswertes Gebäck, im besten Fall einen Rucksack am Rücken. Eine Vielzahl von jungen Männern, dazwischen einige Frauen mit einem Kleinkind auf dem Arm. Bei den herbstlichen Frühtemperaturen, zumeist mehrere Kleidungsstücke übereinander getragen, Hauptsache warm. Die übrigen Reisenden werden aufgefordert am Trottoir etwas zurückzutreten. Ein bedrückendes Gefühl, ähnliches ist mir nur aus dem Fernsehen und den Zeitungen bekannt, Kolonnen von Menschen die aus Bürgerkriegsstaaten auf der Flucht sind. Die Augen blicken uns unverstanden an, wir blicken ratlos auf die Vorüberziehenden, die in die ersten beiden Waggons einsteigen. Die übrigen Reisenden gehen zu den Waggons, auch jene Asylanten, welche sich ein Bahnticket kaufen konnten. Für mich war es das erste Mal, dass ich konkret mit Flüchtlingen in einem größeren Ausmaß konfrontiert war. Manches an guten Ratschlägen relativiert sich, wenn man der Wirklichkeit gegenüber steht.
Ein Freund von mir war ehemals Kriegsreporter einer Wiener Tageszeitung. Er hat von vielen Fronten dieses Globus berichtet. Auf meine Frage, wie er den Anblick von getöteten Soldaten, Frauen und Kinder ertragen hat, hat er geantwortet: „Das Schlimmste für ihn waren die ersten toten Soldaten. Man gewöhnt sich in einem Krieg schnell an die Toten”. Dieser Gewöhnungseffekt dürfte auch bei der Flüchtlingskrise eintreten, mit der Variante, dass die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in Misstrauen und Ablehnung umschlagen wird.
Während dieser Notizen schlängelt sich der Railjet die Hohen Tauern entlang, zu unseren Füßen liegt das Mölltal. Der Talboden ist ausgeleuchtet, die Wiesen, auf denen Kühe weiden, verschieden grün. Die Berggipfel vom ersten Schnee weiß eingefärbt. Im Zugabteil ist es wie immer. Die Menschen telefonieren, manche berichten bereits über die Ereignisse am Villacher Hauptbahnhof, andere tippen am Laptop. Beim Schaffner erkundigen sich einige nach der Verfügbarkeit vom WLAN oder schimpfen darüber, dass die Funkverbindung in den Tunnels ausfällt. Ein Kleinkind im Abteil schreit und will beschäftigt werden. Die Mama versucht es mit einem Bilderbuch und einer Banane zu beruhigen. Wie für solche Anlässe üblich, hat sie noch kein Wisch Handy. So beginnt meine Reise zu meinem Kuraufenthalt nach Salzburg. Wahrscheinlich wird uns im Kurheim die Flüchtlingskrise noch beim Mittag- und Abendessen verbal beschäftigen.
Normalität.
reise:gruppe I
Folgendes habe ich beobachtet, als ich in diesen Tagen mit dem Zug von Villach nach Salzburg gefahren bin. Beim Betreten des Bahnhofsgebäude ist manches anders, an der Architektur hat sich nichts verändert, es sind nur viel mehr Leute als üblich in der Bahnhofshalle. Menschen, welche ich bis jetzt nur von den Fernseh Nachrichten und aus den Berichten der Zeitungen kenne. Personen mit einer dunkleren Hautfarbe, einige haben einen Rucksack umgehängt, andere halten eine zerschlissene Reisetasche in der Hand. Die Bekleidung entspricht der Jahreszeit, Jacken mit einer Kapuze kombiniert, wie wir es bei uns von den Jugendlichen kennen. Fast möchte man sagen, es handelt sich um eine Gruppe von jungen Männern, welche einen Ausflug unternehmen. Dazwischen vereinzelte junge Frauen, welche die Dolmetsch Arbeit übernehmen. Den Mann am Fahrkartenschalter auf Deutsch oder Englisch etwas fragen und sich an Einheimische um eine Auskunft wenden. Sie kaufen sich Gruppentickets nach Salzburg. Die Durchsage, dass eine Direktverbindung nach München nicht möglich ist, wird in Deutsch und Englisch immer wiederholt. Reisende, die nach Deutschland weiterfahren, sollen sich an die Info Points im Salzburger Hauptbahnhof wenden.
Nach meinen Beobachtungen stellen sich die Inländer in der Bahnhofshalle auch zu kleinen Gruppen zusammen und schauen ungläubig dem Treiben zu. Am Morgen habe ich in einem Artikel der “Kleinen Zeitung” von der moralischen und der ethischen Verantwortung in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise gelesen. Es ist unsere Aufgabe den Menschen auf der Flucht zu versorgen. Die Politiker müssen aber auch die damit zusammenhängenden zukünftigen Aufgaben im Auge behalten. Wie können die Asylanten später in unsere Gemeinschaft eingebunden werden und wie viele. Unabhängig davon hat die Bevölkerung das Recht die Politiker aufzufordern, für Rechtssicherheit und für die Erhaltung der Souveränität unseres Staates zu sorgen. Wer kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass es genügen wird, die Migranten mit einer Broschüre über unsere Lebensgewohnheiten und staatlichen Werte aufzuklären. Schon jetzt werden Anweisungen von Polizei und Grenzschutz missachtet.
Bahn fahren, Nerven sparen.
nach:erben II
Einige versuchen zumindest die verschiedenen Orte in Europa, wo einstmals Verwandte hingezogen sind, zu besuchen. Dabei sucht man oftmals vergeblich nach dem Haus des Onkel und der Tante, sie wurden längst abgetragen. So begibt man sich bei den Nachbarn auf Spurensuche. Stößt man dabei auf Ältere, dann erfährt man noch die eine und andere Anekdote über den Onkel oder die Tante. Der anschließende Friedhofsbesuch endet zum Einen- und Andermal mit einer Enttäuschung. Die Urenkel haben den Friedhofserhaltungsbeitrag nicht bezahlt, bei Platzbedarf wurde das Grab aufgelöst. Nicht immer weiß man wo das Grab gelegen ist und nach einiger Zeit gibt man die Suche auf. Nach solchen Vorkommnissen greift man zu Hause als erstes nach dem Karton mit den alten, vergilbten Fotos. Vordringlich ist diese auszusortieren, sie chronologisch in ein Album einzukleben und die wichtigsten Fakten dazu zufügen.
Wer zu den Sammlern von Büchern, Bildern, Ansichtskarten oder Münzen gehört, denkt an vorderster Stelle darüber nach, wem er einstmals seine Sammlung anvertrauen soll. An einer solchen Sammlung, die oft über Jahrzehnte aufgebaut wurde, hängt man mit mehr Herzblut, als an den Wohnzimmermöbeln, die man einmal zurücklassen muss. Diese Suche bereitet einiges an Kopfzerbrechen, bis man jemanden gefunden hat, mit dem man darüber sprechen will. Eine Briefmarken-, Uhren-, oder Porzellanfigurensammlung welcher Art immer ist etwas höchst Persönliches. Meistens spürt man, dass selbst bei ähnlichen Interessen der Beschenkte die Sammlung mit anderen Augen betrachten wird. Dieser einen anderen Wert anlegen wird, als man dies selbst getan hat. Leidenschaftliche Sammler und Chronisten machen sich kaum darüber Gedanken wie die materiellen Dinge, ein Sparbuch oder eventuell ein unbebautes Grundstück einmal weitervererbt und verwertet werden. Ihr Herz hängt an den zumeist ideellen Dingen, aus ihrer Sicht mit einem unschätzbaren Wert.
Das gebrochene Auge.
nach:erben I
In den ersten Lebensjahrzehnten richtet sich alle Energie auf die Pflege der Nachkommen, auf das Flügge werden der Brut, den Erwerb von materiellen Gütern und auf die Anerkennung der eigenen Person. Man steht mitten im Leben und die Tage sind, um den Schaffensdrang voll auszuleben, oft zu kurz.
Schleichend werden jetzt die Tage kürzer, zum Ende des Sommers verfärben sich die ersten Blätter. Beim Spazieren an der Drau stelle ich überraschend fest, wie viele Blätter am Boden liegen. Kommt eine Brise Wind, dann regnet es dürre, verfärbte Blätter vom Himmel. Die Ursache für die Aufmerksamkeit, welche ich der Natur entgegenbringe, sehe ich in der Natur selbst. Dabei ist es der Umstand, dass ich mich im letzten Drittel des Lebens befinde, dies lässt die Blätter aufwirbeln und früher verfärben. Nicht allein die Tage werden kürzer, sondern auch die voraussichtlichen Lebenstage werden weniger, die einzige Ursache für den raschen Herbstbeginn.
Das Interesse an den alten Familienfotos und zu den weit verstreuten Verwandten kommt nicht aus heiterem Himmel. Rasch begibt man sich noch auf die Suche nach Überlebenden, den Nachkommen von ausgewanderten Blutsverwandten. Erlaubt es die Gesundheit, versucht man die aus den Augen verlorenen Familienmitglieder auf anderen Kontinenten, wie in Asien und in Amerika, zu besuchen. Man probiert dort an die jüngere Generation anzudocken, doch zumeist können diese mit der Verwandtschaft aus Europa, deren Sprache sie nicht verstehen, nichts mehr anfangen. Für sie ist Mexiko oder Indien die wirkliche Heimat. Österreich kennen sie aus den Erzählungen der Großeltern nur schemenhaft. Sie kennen die Musik von Mozart oder von Strauß, eventuell die Städtenamen Wien und Salzburg. Von den übrigen Bundesländern und Städten strahlt kein Licht bis nach Australien. Sie existieren wie die schwarzen Löcher im All, man vermutet das es sie gibt, hat aber keine eindeutigen Beweise.
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