affen:grün

Die Haut meiner Finger, welche diese Notizen um zwölf Uhr Mittag auf der Aussichtsplattform des Kunsthauses Graz zu Papier bringen, lässt die Plexiglasfassade leichengrün erscheinen. Keine rötliche Hautfarbe auf den Armen, dafür schalgrün und dazwischen braune Hautflecken. Zum Glück kann ich mein Gesicht nicht sehen, über die Gesichtsfarbe könnte ich mich zu Tode erschrecken. Die schwarzen Schuhe schimmern grünlich und das Hemd ist grünblau. Das Wasser der Mur erscheint beim Blick durch die Fassade schwarz. Von der Glasfassade perlen die Regentropfen ab. Meine hellrote Jacke ist dunkelrot. Die Finger sind abgemagert, in die Länge gezerrt, um Jahrzehnte gealtert. Die Handballen zeichnen sich als schwarze Totenflecken ab, die Lebenslinien als tiefe Schluchten.

Die Fassade ist für die Gorillaausstellung in grünes Licht getaucht. Im Video bewegt sich der Gorilla auf einem Ast in Echtzeit. Es sieht so aus, als sitze ich auf einem Ast und gebe mich einen Tag lang dem Nichtstun hin. Dem Beobachten und beobachtet werden.

Leichenschau.

alles:schlagloch

Nach  den ersten Anwendungen  im Therapiezentrum Warmbad haben sich die Beschwerden im Nackenbereich und in den Hüften gebessert. Eine Möglichkeit um die Abnützungen der Gelenke auszugleichen ist, die Muskulatur zu entspannen und zu stärken. Im Stadtzentrum geht es am Kirchtagsgelände rund. Vieles wird in dieser Zeit von den Einwohnern nur mehr am Rande wahrgenommen, egal ob  Korruption, schlechte Wirtschaftsprognosen und Währungskrisen. Ein Kärntner Sprichwort sagt: Wenn die Katze aus dem Haus ist, dann feiern die Mäuse Kirchtag. Wird  die Kontrolle ausgeschaltet, dann feiern die politischen Funktionäre Kirchtag.

Nach ein paar ausgelassenen Stunden im Vergnügungspark ist vieles leichter zu ertragen. Dort ist auch ein sechzigjähriges  Knochengerüst für ein paar Stunden von altem Schwung erfüllt. Muss mit Sechzig alles noch so funktionieren wie mit Vierzig? Soll man die Abweichungen als Defizite sehen oder ist es der Wechsel vom Mittelalter in das Spätmittelalter? Ewiges Glück bedeutet, wenn im Körper alles top funktioniert. Wie lange kann das Glück dauern? Braucht es dafür einen guten Arzt und wo kann man diesen finden? Der einen da abholt,  wo man zurzeit körperlich und seelisch steht.

Das Problem bei Künstlern ist, dass der behandelnde Arzt nichts von der Arbeit des Künstlers kennt. Da  macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen Komponisten, Bildhauer oder Literaten handelt.  Wie kann ein Arzt einem Menschen helfen, von dem er nichts gehört, gesehen oder gelesen hat.  Er kennt einen wesentlichen Teil seines Patienten nicht. Wie kann er dann Symptome und Beschwerden richtig zuordnen. Nur in Ausnahmefällen hat der Arzt oder die Ärztin von mir etwas gelesen. Eine Diagnose gleicht der Landung bei Nacht,  ohne Lichtmarkierungen am Flugfeld. Es ist ein gewagter Versuch, anstatt Licht in die Beschwerden zu bringen.

Verdecktes Schlagloch.

schutz:engel

Dieses Bild ist über dem Kinderbett im Elternschlafzimmer gehangen. Abend für Abend bin ich davor gekniet, habe die Hände gefaltet und folgendes Gebet gesprochen:

Heiliger Schutzengel mein,

lass mich dir empfohlen sein.

In allen Nöten steh mir bei

Und halte mich von Sünden frei.

Auch in dieser Nacht,

halte bei mir treue Wacht.

Amen. 

Danach legte mich die Mutter in das Bett auf den Strohsack und deckte mich mit dem Gulda zu. Der Hofhund Wächter war das wachsame Auge des Schutzengels, er war mein Kindermädchen. Egal ob ich im Stall, auf den Tennboden oder im Garten unterwegs war, er trottet mir nach,. Eines Tages war Wächter nicht mehr da. Beim Einschlafen konnte ich seinen Schatten auf der Zimmerwand sehen. In meinen Träumen rief ich nach dem Hund. Der Schutzengel konnte nicht verhindern, dass ich von Alpträumen geplagt wurde. Eines Tages sagte die Mutter, der Wächter sei im Himmel beim lieben Gott.

Kreuzzeichen.

aus:radiert IV

Über die Vorhaben liegt ein Schleier wie im November, die Ungewissheit drückt auf das Gemüt. Langjährige Rentner geben Einblick in das Rentnerparadies, wobei Fernreisen und das Überwintern auf einer Insel im Süden eine gut dotierte Rente voraussetzen. Die anderen suchen um einen Zuschuss zu einem Kuraufenthalt an, anstatt eine Weltreise zu buchen. Sie  müssen jeden Termin akzeptieren, weil sie Zeit haben. Ihr Alltag besteht darin, dass sie halbe Tage in den Wartezimmern der Fachärzte verbringen. Mit dem Schritt vom Arbeitsleben in den Ruhestand beginnt ein neuer Lebensabschnitt, wenn  dieser Wechsel radikal durchführt wird und keine Hintertür offen bleibt. Man beginnt die letzten Jahrzehnte zu beurteilen, eine Bilanz zu erstellen. Die Ärgernisse während des Berufslebens vergisst man schnell, man übt sich in Nachsicht. Das Leben wird auf den Kopf gestellt, seit der Geburt ist es bergauf gegangen, mit Beginn der Pension geht es bergab. 

Die Generation sechzig plus wird heftig umworben:  Vom Lebensmittelhandel mit light Käsesorten, von den Drogeriemärkten mit Nahrungsergänzungsmitteln, von den Apotheken mit Vitamintabletten, von den Volkshochschulen mit Computerkursen für Einsteiger und von den Fitnesscentern mit  schonender Wirbelsäulengymnastik. Die Reisebüros  bieten spezielle Tagesausflüge und Kurzurlaube für ältere Menschen an. Wohlgesinnte und doch etwas neidische Freunde versorgen sie mit Reiseprospekten, sowie einem Zehnerblock für den Besuch des Thermalbades. Nach dem Motto: Am Wochenende in das Bad und monatlich einen Busausflug. Tagesausflüge sind beliebt, weil sie preiswert  und bei der Busfahrt ein Mittagessen und eine Kaffeepause inkludiert sind. Den meisten Senioren ist dabei die Geselligkeit wichtig und das sie zu Mittag zwischen drei Menüs wählen können. Gibt es dazu Musik mit der Ziehharmonika,  steigt die Stimmung. Dazwischen steht die Besichtigung eines Heldendenkmal, eines Wasserfalles oder einer Kirche am Programm. Der  Vorteil ist, dass der  Bus nahe an die Sehenswürdigkeiten heranfahren kann und die Reisenden brauchen nicht weit zu laufen. Sorgt der  Buschauffeur auf  der Heimfahrt für heitere Stimmung, dann gibt es am Ende der Fahrt reichlich Trinkgeld.

Vom  Abschied nehmen berichten viele Lieder und Gedichte. Zuerst denkt man an den  Abschied von einem verstorbenen Menschen. Dieser Abschied ist ein Schnitt in das Herz, der eine Narbe hinterlässt. Das Blut fließt nicht mehr frei, von daher kommen die Schmerzen im Brustbein. Die Beschwerden richten sich danach  wie nahe man dem Menschen gestanden ist.  Ein Weggang ist,  wenn man  aus seiner Wohnung, von seinem Ort, aus dem Tal  wo man jahrelang gelebt hat, wegzieht.  Einen Berggipfel, eine Felswand,  auf die man täglich geschaut hat, verlässt. Der Dobratsch  wechselte mit den Tages- und den Jahreszeiten seine Farbe.  Beim Blick auf die  “Rote Wand” habe ich in ihr oft etwas Neues entdeckt. Der Berg hat mich getröstet,  hat mir Ratschläge gegeben und hat mir Ruhe geschenkt. Er hat mir zugeflüstert:  „Auf diesen Felsen kannst du dein Leben bauen“.

aus:radiert III

Eine häufige Tätigkeit ist, sich irgendwo an- und abzumelden, das Ausfüllen von Formularen. Es beginnt in der Kindheit, mit dem Anmelden zum Kindergarten, zum Schulbesuch, zum Flötenkurs und zum Sportverein. In den folgenden Jahren wird es nicht besser, es müssen das Auto, der Fernseher, das Studium, ein Wohnungswechsel an- und abgemeldet werden. Das Vorstellungsgespräch und der Arztbesuch erfordern eine Terminvereinbarung. Der erste Schritt in die Selbstständigkeit ist das Anmelden des Gewerbes. Nach den Reformen der Gewerbeordnung ist heute der Erwerb des Handelsgewerbes, von fast allen Bedingungen befreit. Vor Jahrzehnten gab es dafür noch bestimmte Voraussetzungen, wie den Befähigungsnachweis. Heute sind fast alle Hüllen, Pardon, Hürden gefallen. Bei Antritt der Pension muss man sein Gewerbe zurückzulegen.  Ich nahm meine reich verzierten Gewerbescheine und fuhr zur Bezirkshauptmannschaft. Die erste Frage der Beamtin war, „wollen sie das Gewerbe ruhend stellen oder wollen sie es abmelden“? Letzteres ist eine Entscheidung  die man nicht rückgängig machen kann. Der logische Schritt war die Gewerbelöschung. Im kleinen Büro haben sich die Akte am Tisch und auf den Sesseln gestapelt, zum Niedersitzen war kein Platz fei. Aus einer der Schubladen wurde  ein Abmeldeformular hervorgezaubert. Mit meiner Unterschrift war die Löschung des Gewerbes vollzogen, das Formular verschwand im Aktenberg. Ich erwartete von der Beamtin ein mitfühlendes Wort, nichts geschah. Das Herzklopfen, die Abschiedsträne wurden für später aufgehoben. Der Bescheid über die Zurücklegung des Gewerbes wurde per Email zugesandt, kein Schriftstück.

Mit dem Wort „ausradiert“ verbinden wir verschiedene Vorstellungen. Am häufigsten denken wir dabei, dass ein falsch geschriebenes Wort ausradiert wird. Vor Jahrzehnten gab es zum Ausradieren nur den rotblauen Radiergummi aus Kautschuk, später die Plastikradiergummis. Bei den elektronischen Schreibmaschinen konnte man die Fehler mit Hilfe eines Korrekturbandes ausbessern. Heute gibt es am Computer den „virtuellen Radiergummi“, es ist noch nie so einfach gewesen Fehler zu beseitigen. Das Wort „ausradiert“ benützen die Medien bei Katastrophen, wie Lawinenabgang, Tsunami oder Erdbeben, wenn dabei ganze Familien umkommen oder ein ganzer Ort zerstört wird. Eine Familie, ein Ort wurden für alle Zeiten ausradiert. Wir zeigen  Betroffenheit, soweit wir bei der Fülle von Katastrophen die aus den Zeitungen, dem Fernseher und dem Internet in das Wohnzimmer schwappen, dazu noch Zeit und Mitgefühl haben. Nach vierzig Jahren wurde der Firmenname auf der Hausfassade übermalt, er wurde mit Farbe und Pinsel „ausradiert“.

Kommt der letzte Arbeitstag wissen viele nicht was sie in der arbeitsfreien Zeit erwartet. Von einem Tag auf den Anderen befindet man sich in der Alterspension, nicht in einer Fremdenpension. Früher gab es den Begriff, “man geht in die Rente”, dies war ein Hinweis auf einen langsamen Übergang. Einen Tag ohne regelmäßige Arbeitszeit kann man sich schwer vorstellen. Man tastet sich im Dunkeln vorwärts, bis Licht in den Alltag kommen wird. Manche haben vage Vorstellungen, wie Zeitungsausschnitte und Schriftstücke zu ordnen oder die Foto- und die Büchersammlung zu katalogisieren. Der Jahreszeit entsprechend im Garten oder am Balkon Sträucher und Blumen zu pflanzen, Reparaturen in der Wohnung durchzuführen und im Kellerabteil aufzuräumen.

Andere wollen ihren erlernten Beruf in geringem Umfang weiter ausüben. Dies trifft auf Handwerker, wie Tischler, Installateur oder Maler zu, ein guter Handwerker ist immer gefragt. Scheiden sie aus dem Arbeitsleben aus, warten schon Verwandte und Bekannte, dass sie ihnen bei der Wohnungsrenovierung oder beim Bau eines Eigenheimes helfen werden. Die Errichtung eines Einfamilienhauses wird manchmal erst dadurch möglich, wenn Rentner freiwillig mitarbeiten. Die erste Generation der pensionierten Computerfachleute ist bei der Erstellung einer Vereinshomepage gefragt. Kaum Verwendung gibt es für Verkäufer und Bankangestellte im Ruhestand. Sie können als Laienschauspieler und in der Altenbetreuung eine neue Aufgabe finden.