Eine Behinderung…

auf dem Präsentierteller.

Das große Sesselrücken beginnt, wenn man in der Gaststube mit dem Rollstuhl einen Sitzplatz ansteuert. Einen Vorteil haben diejenigen, welche über einen Wendigen verfügen, der Kostenlose von der Gesundheitskasse zeigte sich als sehr sperrig. Eine Möglichkeit wäre, dass es in der Nähe des Speisesaaleinganges einen Sitzplatz für Behinderte gibt. Wie auf den Parkflächen vor den Einkaufszentren. In den Lokalitäten wird jeder Quadratmeter mit Tischen und Sesseln ausgenützt, da wird es manchmal eng. Die besten Plätze in den gehobenen Restaurants, für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, könnten so platziert sein, dass sie etwas beobachten könnten. Nicht jeden Tag kommen die Räderstuhlfahrer aus den eigenen vier Wänden hinaus. Sie möchten etwas erleben, zumindest optisch. Das Land Kärnten ist reich an Seen und wirbt damit, aber zugänglich sind nur wenige Meter Seeufer. Das unmittelbarste Seeerlebnis bekommt man, wenn ein Restaurant mit einer Seeterrasse besucht wird.

In Millstatt am Millstätter See verspricht ein Hauben Lokal einen unverbauten Blick auf den See. Bei der Frage nach einem behindertengerechten Zugang wird der Rezeptionist etwas unsicher. Eine Möglichkeit besteht durch die Liegewiese auf die Seeterrasse zu kommen. Die Liegewiese entpuppt sich als barrierearm, hinterrücks ist sie zu bewältigen. Zum Scheitern verurteilt erweist sich der Kiesel auf der Terrasse. Den Vorschlag einen Tisch in der Liegewiese zu platzieren und dort zu Speisen, ist gut gemeint, stört sich an meiner Empfindlichkeit. Seitdem ich öfters mit einem Sitzmobil unterwegs bin, sehe ich das Angebot nicht als hilfreiche Geste an, sondern als Absonderung. Eine körperliche Einschränkung auf dem Präsentierteller.  Mit gemeinsamen Kräften, Ober und wir, erreichen wir einen Tisch auf der Terrasse, direkt am Ufer. Jeder Pflaster- oder Kieselweg bedeutet eine starke Belastung für meine Brustwirbelsäule. Das Gericht, Hendlbrust mit Eierschwammerl Soße, war ausgezeichnet. Beim Bezahlen konnte ich auf die Frage des Obers, ob alles in Ordnung gewesen ist, den Hinweis, dass ein barrierefreier Zugang zum Restaurant und der Terrasse fehlt, nicht unterdrücken.

Emeritierter Buchhändler…

…und Pensionsexperte.

Wer öfters, wie ich, mit dem Zug von Villach nach Salzburg fährt erlebt, bewegt sich der Zug aus dem Bahnhof Villach in das Drautal, eng der Drau entlang, herrscht unter den Reisenden noch viel Unruhe. Paare und Alleinreisende sind auf der Suche nach dem optimalen Sitzplatz. Für mich ist wichtig, dass ich einen Sitzplatz in Fahrtrichtung ergattere, die Landschaft entgegenkommt und ich nicht der Landschaft hinterherblicken muss. Vielleicht damit zu erklären, dass ich auch im fortgeschrittenen Alter nach etwas Neuem suche. Etwas Neues erleben möchte und nicht gerne dem Vergangenen hinterherblicke. Ich bin dennoch nicht abgeneigt mich an unsere schönen Reisen zu erinnern. Dies verstärkt beim Ansehen einer Fernsehdokumentation sei es über Amsterdam, Prag, Lissabon oder Rom. So werden zurückliegende Eindrücke und vorhandenes Wissen aufgefrischt. Vor zwei Jahrzehnten war ich bestrebt, vornehmlich im Großraumwagen an einem Vierertisch Platz zu nehmen. Ich hatte die Hoffnung, dass die freien Plätze besetzt werden und es ergeben sich auf irgendeine Art und Weise mit den anderen Reisenden ein Gespräch.

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Bevor der Schrei…

… in der Kälte erfriert.

Es ist alles ausgeschöpft, das Vaterunser, der Rosenkranz, das Flehen zu Gott. Mein Gott warum hast du mich verlassen, bedeutet, dass der Ruf nach menschlicher Hilfe ergebnislos war. Dieser Schrei wird in das Grab mitgenommen und im Jenseits wieder ausgestoßen. Wie die Hilfe dort aussehen wird wissen wir nicht. Dies können wir uns im Hier und Jetzt nicht vorstellen. In kurzen Momenten davon träumen und hoffen, dass es drüben eine Hilfe gegen die Verzweiflung geben wird. Mit der Altersweisheit versuchen sich in die Luft zu erheben, über die Erde zu schweben und dem Schlund der vergangenen Jahrzehnte zu entkommen. Wer hört den Ruf aus der Gletscherspalte, bevor der Schrei in der Kälte erfriert.

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Das modische Schuhwerk…

würde die Füße an die “Wand fahren”.

Eine Tante beklagt sich darüber, dass es ihr nicht mehr möglich ist in die Stadt zu fahren und in einem guten Schuhgeschäft, wie sie sich ausdrückte, ein paar Hausschuhe zu kaufen. In den Schuhgeschäften, wie sie in den Einkaufszentren am Stadtrand zu finden sind, gibt es nur modisches Schuhwerk, welches für sie, in ihrem Alter nicht in Frage kommt. Ihre Füße haben mit den Jahrzehnten gelitten und dieses modische Zeug würde die Gesundheit der Füße, insbesondere die ramponierten Zehen, ganz an die Wand fahren. Was sie braucht sind ein paar Hausschuhe mit rutschfester Sohle, kompakt und vor allem leicht anzuziehen. Ohne sich bücken, einfach hineinschlüpfen. Vorne und hinten offen und dass die Schlaufen der Schuhe nicht an der Stelle angebracht sind, wo sie seit einem Jahrzehnt an einem Hühnerauge leidet. Hausschuhe bei denen sie das Gefühl hat, dass sie mit ihrem Fuß verwachsen sind, eine Einheit bilden. Mit denen sie nicht unentwegt darauf achtgegeben muss, dass sie ausrutschen oder stolpern könnte. Zu Hause hat sie ein paar Modelle ausprobieren können, aber alle wieder zurückgeschickt.

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pflegebett

Mit dem Wachsein haushalten.

Neben dem Mangel an Pflegepersonal sind die körperlichen Beanspruchungen, denen die Pflegekräfte ausgesetzt sind ein Grund für den Einsatz von technischen Hilfsmittel in der Pflege. Pensionierte Pflegekräfte erkranken oft an einer gekrümmten Wirbelsäule und haben Schmerzen in den Handgelenken. Die knappen Zeitvorgaben für die Handgriffe sind Ursachen für Herzrasen, Appetit- und Schlaflosigkeit. Erleichterung erfuhren im letzten Jahrzehnt die Pfleger durch neue Pflegebehelfe. Ein in allen Höhen und Lagen verstellbares Pflegebett ist Standard. Erweitert werden die Pflegebetten der neuen Generation mit Halterungen und Vorinstallationen für die Aufnahme eines Bildschirmes zum Fernsehen, Internetsurfen und  alles was heute zum modernen Medienkonsum dazugehört. Eine pensionierte Diplom Pflegefachfrau hat darin eine überflüssige Sache gesehen. Ihrem Dafürhalten geht es den bettlägerigen Menschen nicht darum im Internet zu surfen oder bis spät abends fernzuschauen. Sie  müssen zumeist mit ihren Energiereserven, ihrem Wachsein haushalten und schlafen zwei Drittel am Tag, aus Erschöpfung und Ermüdung. Ich mache den Fehler von meiner guten Befindlichkeit aus Wünsche zu äußern, sollte ich einmal ein Pflegebett brauchen. Viele Wünsche eines mobilen Menschen sind dann nebensächlich. In der aktiven Berufszeit der Pflegefachfrau hat niemand nach einem Pflegebett mit integrierten Multimedia Funktionen verlangt. Hätte dies jemand gewünscht, dann hätte sie für jene Person die Dosis bei den Psychopharmaka erhöht.

Unverständlich ist mir, dass bis dato in den Matratzen keine Sensoren eingebaut werden, welche für automatische Verlagerung des Körpers sorgen. Damit könnten die Auflagepunkte des menschlichen Körpers wechseln und so ein Wundwerden der Haut verhindern. Vieles an medizinischen Daten könnte dabei übermittelt werden. Ich versuche mich von den üblen Gedanken zu Pflegebett und Pflegeroboter zu lösen und lese wieder in einer Biografie über Franz Kafka. Seine Gemütsschwankungen, Vorbehalte gegen eine Beziehung,  seine Aversion gegen die eigene Familie und sein Gefühl ein Gefangener im Beruf zu sein, lassen meine Gedanken zur Pflege als einen liebenswerten Spaziergang durch den Park erscheinen.