drohgespenst

Nicht das Schlechtmöglichste in den Focus stellen.

Wie geht man mit einer Situation um, wenn man glaubt sich in ein Aus hineinmanövriert zu haben? Glaubt aus dieser Spirale nicht mehr herauszukommen, sich eine spirale vorstellt von der man immer weiter hineingezogen wird? Es gibt Begebenheiten wo man anderen zu wenig Menschlichkeit zutraut, dass sie einen straffen Maßstab anlegen, wie man es selbst tut. Eine Situation ergab, dass ich gegenüber einem Orthopäden, der mir sehr respektvoll begegnet ist, das Gefühl hatte, dass ich ihn bei meiner Suche nach einer kompetenten Klinik für eine Hüftoperation übergangen habe. Er hat mir mit Infiltrationen das Leben mit meiner lädierten Hüfte erleichtert. In meinem Innersten fühlte ich mich verpflichtet, über die Möglichkeiten einer Hüftprothesen Implantation in seiner Klinik zu informieren. Vordergründig dieser Klinik meinen Zuschlag zu geben. Ich wählte eine andere Klinik und hatte dort einen fixen OP-Termin. Davor benötigte ich nochmals eine Schmerzlinderung und meldete mich in seiner Ordination an. Er erkundigte sich, ob ich einen OP-Termin habe und wo? Ich musste wohl oder übel bekennen, dass ich eine Klinik in Salzburg Land gewählt habe. Er gab sich wertschätzend und wünschte mir für die OP alles Gute. Sollte ich danach eine Hilfe benötigen, könnte ich mich jederzeit an ihn wenden.   

Dies ist für mich ein Lehrbeispiel, dass ich nicht zu früh eine Drohkulisse, einen negativen Ausgang aufbauen soll. Keine Gespenster an die Wand malen, innerliche Gespenster sind etwas für den Halloween Abend. Wichtig für ein gutes Leben ist, im hier zu leben und für die Zukunft keine Drohgespenster an den Himmel zu malen. Erst einmal abzuwarten, was die nächsten Tage passiert. Vor allem nicht das Schlechtmöglichste in den Focus stellen, dies verursacht nur einen gestörten Schlaf. Hat man Situationen mit einem guten Ausgang präsent, kann man mit den nächsten Problemen besser umzugehen. Vorbei sind die Wochen, wo der Hüftschmerz alle anderen Empfindungen, glückliche und unglückliche, überlagert hat. Aus den Tageheften…

sterndeuter

Im letzten Jahrzehnt hatten wir bei Beginn eines Neuen Jahres zumeist das Gespür, dass die Probleme des vergangenen Jahres abgehackt sind. In diesem Jahr gibt es diese Hoffnung nicht. Nach der Corona Welle gibt es eine Grippewelle, mit verschiedenen Broschüren werden wir auf ein mögliches Blackout vorbereitet und die Jugendlichen bezeichnen sich voreilig als „Letzte Generation“. Wie ein dichter Nebel liegt der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine über Mitteleuropa. Die Politiker der EU feuern mit schweren Geschützen, mit Sanktionen und Waffen, in die Nebelsuppe. Niemand kann genau vorhersagen, wo diese Geschoße im Nebelmeer einschlagen und wie sie wirken werden.

In diesen Tagen ziehen die Sternsinger, auch als Friedensbotschafter, von Haus zu Haus: „Friede den Menschen auf Erden, der Wunsch soll Wirklichkeit werden“. Der Evangelist Matthäus erzählt in einfachen Worten von Sterndeutern aus dem Osten, die einem Stern gefolgt sind, um dem König der Juden zu huldigen. Mit der Geburt Jesus hat sich für alle Menschen der Himmel einen Spalt geöffnet, damit wir in Zuversicht leben können.

Ein Taxifahrer machte mich auf dem Weg von Warmbad Villach zum Hauptbahnhof darauf aufmerksam, dass seine Kinder für die voraussichtlichen Schneefälle gerüstet sind. Sie sind abgehärtet, nicht jeden Meter werden sie mit dem Auto gefahren. In seiner Jugendzeit, in den 70er Jahren, waren bei ihm Zuhause nicht alle Räume geheizt. Meinerseits konnte ich zwei Jahrzehnte weiter zurückschauen, in die 50er und 60er Jahre. Im Bergbauernhaus gab es einen beheizten Raum, dies war die große Küche. Der Holzherd wurde jeden Morgen neu eingeheizt, patzte man beim Feuermachen verzögerte sich die Erwärmung. Dort stand in einer Ecke die Waschschüssel für die Morgentoilette. Unser Schlafzimmer konnte nicht beheizt werden, auf den Zimmerfenstern bildeten sich im Winter Eisblumen. Abends diente uns ein Schamotteziegel, welcher im Backrohr erwärmt und dann in ein ausrangiertes Flanellhemden eingewickelt wurde, als Wärmeflasche. Während der Lehrzeit erwärmte ich in den Wintermonaten meine Füße und Hände an der warmen Luft, welche aus dem Kanalschacht aufstieg. Zuflucht suchte ich über die Mittagszeit im beheizten Warteraum vom Spittaler Bahnhof. Den teilte ich mit Unterstandslosen und einigen Alkoholikern. Dort verzehrte ich die selbstgebackenen Schwarzbrote, bestrichen mit Butter und belegt mit Käse und Speck.

wolldecken

Die Überschwemmungen vom Herbst rufen in Kärnten bei älteren Semester die Erinnerungen an die Hochwasser in den Jahren 1965 und 1966 wach. Einige können von dramatischen Erlebnissen erzählen. Ein pensionierter Eisenbahner erzählte während einer Zugfahrt nach Wien, wie er in den 1960er Jahren nach Arbeitsschluss von Lienz mit dem Zug nach Oberdrauburg, seinem Wohnort fährt. Der Zug hält plötzlich auf freier Strecke, die Eisenbahnlinie war durch Überflutungen unterbrochen. Die letzten Kilometer ist er zu Fuß gegangen. In Oberdrauburg drohte die Brücke über die Drau einzustürzen. Bäume, Sträucher, Möbel, vieles hatte sich hinter den Brückenpfeilern verkeilt. Auf der anderen Seite vom Fluss befindet sich sein gerade erst fertiggestelltes Haus. Seit einem halben Jahr wohnt er darin mit seiner Frau, wie kommt sie mit der Situation zu recht? Die Polizei wollte ihn daran hindern die einsturzgefährdete Brücke zu überqueren, er setzte sich über alle Bedenken hinweg. Er war seit einem Jahr verheiratet und seine Frau erwartete ein Kind. Der Gailbergbach, welcher in der Nähe vorbeifließt, ist über sein Bachbett getreten und hat Garten und Haus verwüstet. Der Keller und das Erdgeschoss sind voll von Schotter und Geröll. Die Frau ist in den ersten Stock geflüchtet, erleidet ein paar Tage später durch den Schock eine Fehlgeburt. Beim Aufräumen halfen ihnen Verwandte und von den Überschwemmungen nichtbetroffene Nachbarn.

Für ihn gab es keine öffentlichen Entschädigungen finanzieller Art, auch nicht von der Gebäudeversicherung. In den 60er Jahren mussten die meisten Hochwasseropfer mit ihren Schäden alleine zu Rande kommen. An einem regnerischen Novembertag im selben Jahr befand sich die Kommission zur Wildbachverbauung in einem Gasthof in Oberdrauburg. Sie berät darüber, ob und in welchem Ausmaß der Gailbergbach reguliert werden soll. An diesem Nachmittag trat der Bach abermals über die Ufer. Damit gab es über die Notwendigkeit den Bach zu verbauen keine Diskussion mehr. Im Dezember haben sie von einer Wohlfahrtsorganisation aus Wien zwei Wolldecken erhalten.      

wartezeit II

Bei ihnen, in Mettnitz, gab es im Ort einen Spar Markt, dieser ist vor Jahren abgebrannt. Erst in diesem Jahr hat man einen Neubau begonnen. Von ihrer Wohnung aus kann er den Baufortschritt beobachten. Er hat bei einer Villacher Baufirma als Schlosser gearbeitet und großes Interesse am Neubau. Seine Schlosserlehre hat er in der Maschinenfabrik Springer in Friesach gemacht, ein weltweit tätiges Unternehmen im Anlagenbau. Ein wichtiges Exportland war Russland, dieses ist durch die Sanktionen im Zuge des Ukraine Krieges weggebrochen. Ein ähnliches Firmenschicksal kenne ich durch meinen Neffen, welcher für die Firma Palfinger in Russland mit der Leitung von Zweigniederlassungen tätig war. Die Firma Palfinger musste Russland sanktionsbedingt verlassen.

Auf seine Frage, wo wir zuhause sind, habe ich geantwortet wir wohnen jetzt seit fast zwanzig Jahren in Villach. Jahrzehnte habe ich in Arnoldstein gelebt und war dort mit einer Papier- und Buchhandlung selbstständig. Er hat in den siebziger Jahren mehrere Wochen auf dem Werksgelände der Bleiberger Bergwerksunion in Containern verbracht. Die Firma Kollitsch hat dort eine Werkshalle errichtet und der ganze Bautrupp hat auf der Baustelle gelebt. An diese Wochen kann er sich gut erinnern, an einen Wochentag im Besonderem. An diesem Tag haben sie bis etwa halb acht Uhr abends am Bau gearbeitet. Sie saßen beim Abendbrot als in ihren Unterkünften plötzlich die Lampen schwankten, das Geschirr vom Tisch fiel und die Containerwände zu knirschen begannen. Keiner hatte eine Erklärung dafür, bis der Polier schrie, alles raus, ein Erdbeben. Im Freien sahen sie mit Schrecken, dass der Baukran ganz schief stand, zu ihren Gunsten nicht umgekippt war. In den nächsten Tagen gab es immer wieder kurze Erdstöße, wo Flaschen oder Gläser auf den Boden fielen. Seine Erinnerungen kann ich nachfühlen, zu dieser Zeit war ich bereits selbstständig in Arnoldstein. Das Erdbeben ereignete sich am 6. Mai 1976 um neun Uhr abends. Das Epizentrum lag im benachbarten Friaul, in der Nähe von Gemona, etwa achtzig Kilometer von Arnoldstein entfernt.

wartezeit

Ambulante Patienten werden oft von den Angehörigen, den Partnern begleitet. Für sie stellt sich die Aufgabe, wie sie die Wartezeit zubringen. Im Klinikum Klagenfurt, wie auch in fast jedem anderen Krankenhaus, gibt es die Möglichkeit derweil in der Cafeteria einen Cappuccino zu trinken. Besteht die Notwendigkeit meine Partnerin zu einer Untersuchung in das Klinikum zu begleiten, dann sorge ich zu Hause für die Wartezeit vor.  Mein Tageheft habe ich immer in meiner Dokumententasche. Es gibt keine Wartezeit, wo ich nicht etwas in das Tageheft einzutragen habe oder meistens der Fall, nachzutragen habe. Manches Mal genügt die Tageszeitung zum Lesen, weil zu Hause komme ich im besten Fall zum Durchblättern. Bei unserem letzten Termin hatte ich das Buch Wittgensteins Neffe von Thomas Bernhard dabei. Ich bin gerade dabei, dieses Buch nach Jahrzehnten nochmals zu lesen. Der Auslöser dafür war, dass ich mich in eine Biografie von Ludwig Wittgenstein vertiefe. Die Cafeteria im 1. Stock hat eine kleine Terrasse in den Innenhof des Klinikums und war an einem Hundstage, einem Sommertag mit über dreißig Grad eine Oase der Glückseligkeit. Mein erster Eindruck, hier warten am späten Vormittag auch andere Familienangehörige auf Finale der Untersuchungen.

Ein Herr, etwas jünger als ich, saß vor der zusammengefalteten Tageszeitung in der Nähe von mir. Er bestellte sich nochmals einen Durstlöscher, Himbeere und Soda, einen halben Liter. Nachdem die Serviererin den Durstlöscher vor ihn abgestellt hatte, blickte er mit einem Seufzer auf die Uhr: „Dos Dauert“. Ausdrücken wollte er damit, dass die Untersuchungen an seiner Frau kein Ende nehmen. Ich habe ihn ermuntert und gesagt, dass ich auf meine Lebensgefährtin warte. Schnell sind wir in das Gespräch gekommen, manches hatten wir gemeinsam. Wir waren es, welche die Frauen mit dem Auto hierhergebracht haben und wir sind der mobilere Teil in der Partnerschaft. Sie sind im Mettnitztal zuhause und dort ist ein Pkw eine Notwendigkeit um die Alltäglichkeiten zu erledigen. Ich verwies auf meine Hüftoperation vor etwa einem Jahr und dass ich froh bin, wieder ein Fahrzeug lenken zu können. So sind wir als Lebensgemeinschaft mobil für größere Einkäufe und verschiedene Erledigungen.