Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

SCHUTZ.mantel

Vor zwei Jahren war es selbstverständlich, dass man sich Pläne für die Zukunft gemacht hat und sie umsetzte. Eine Wohnung kaufte, und statt der Miete eine etwas höhere Kreditrückzahlung in Kauf genommen hat. In zwanzig Jahren besitzt man Wohnungseigentum, welches den Kindern weitergegeben werden kann. Die helle, freundliche Wohnung wirkt aufbauend auf die Familie. Alle hatten einen Arbeitsplatz, als Vollzeit, Teilzeit, oder Lehrplatz. Vor zwei Jahren gab es keine Sturmwarnung vor einem Wirtschaftstief, in Österreich herrschte gutes Konsumwetter. Jeder der sich bemühte und gute Arbeit leistete erlebte seinen Arbeitsplatz als sicher. Man lebte mit dem Umstand, dass die Firma von einer größeren Firma gekauft und wieder verkauft wurde. Am Firmenstandort wusste man zeitenweise nicht, zu welcher Firmengruppe man gerade gehörte. Vielfach hielt man die fremden Namen für einen Fortschritt, man war bei der Globalisierung dabei. In der Regionalzeitung gab es auf der Wirtschaftsseite einen Bericht, dass die Firma soundso von einem größeren Konzern übernommen wurde, um die Marktchancen zu erhöhen. Alle applaudierten.

 

Das neue Wort heißt Arbeitsplatzwarnung, Anmeldung zur Kurzarbeit beim Arbeitsmarktservice. Ein kurzes Email aus der Konzernzentrale, dass sich die Auftragslage verschlechtert hat, es gibt Absatzprobleme und die Finanzkrise. Eine Fachhandelskette hat viele Fachhändler mit Preisdumping verdrängt, bis sie jetzt selbst ein Opfer des Preiskampfes geworden ist. Beim Frühwarnsystem des Arbeitsmarktservice werden die Verkäufer angemeldet. Bei einem Konkurs werden die offenen Löhne vom Staat bezahlt, vom Steuerzahler. Wie groß ist der Schutzmantel des Staates und wie hoch die Kreditrate.

 

Die Schutzmantelmadonna.

WA(H)RE:krise

Die Bezeichnungen für die jetzige Krise sind vielfältig: Finanzkrise, Bankenkrise, Autokrise, Beschäftigungskrise, Konsumkrise, Warenkrise, Sinnkrise. Wahrscheinlich wird soviel über die Krise geschrieben und gesprochen, weil uns der Sinn abhanden gekommen ist. Unser Konsumverhalten wird infrage gestellt, die Säule unseres Selbstbewusstsein, Erwerb und Erfolg. Die wenigsten wollen  andere Wege gehen. Man hofft, dass es bald so sein wird wie früher. Bei vielen geht es um den Arbeitsplatz, um das Geld für die täglichen Besorgungen.

 

Beim Besuch einer Warenmesse in Salzburg fällt mir auf, dass einige Firmen diesmal nicht ausstellen. Andere Firmen haben aus Kostengründen einen kleineren Messestand. Am Sonntagvormittag kann ich mich ungehindert in den Messehallen bewegen, ansonsten habe ich mir einen Weg durch die Besucher bahnen müssen. An vielen Verkaufsständen ist zu viel Personal am Stand. Bei einem Aussteller musste ich mich in anderen Jahren selbst bedienen, das heißt, eine Bestellliste nehmen und die ausgesuchten Artikel eintragen. Diesmal hat sich der Chef angeboten, mit mir die Bestellung durchzuführen.

 

Das ganze Ausmaß der Krise spüre ich am Stand eines Hobbyartikellieferanten. Statt einer Theke, wo Getränke und belegte Brötchen serviert wurden, stehen diesmal auf einer Stellage drei Schüsseln mit verschiedenen Brotaufstrichen und daneben ein Brotkorb. Die Besucher müssen sich die Brötchen selbst richten. Daneben Mineral und Orangensaft, zum selber einschenken. Die Krise kommt auf leisen Sohlen. 

 

Alle Wege führen nach Rom.    

TUNNEL:blick

Für die Fahrt zu einer Ausstellung benützt man meistens das eigene Auto und liegt der Ausstellungsort weiter entfernt, nimmt man den Weg über die Autobahn. Durch die vielen Lärmschutzwände wird einem der Ausblick auf die Umgebung versperrt. Den Anrainern wird durch die Lärmschutzwände der Blick auf die vorbeifahrenden Autos, und der Autolärm erspart. Man hat sozusagen einen Tunnelblick, obwohl man in keinem Tunnel fährt.  Die Sicht besteht aus dem Blick auf die Fahrbahn und den Lärmschutzwänden aus Holz, Metall oder Beton. Oftmals fährt man in einer Betonbadewanne dahin. Benützt man, weil bequemer und vorteilhafter für eine Ausflugsfahrt einen Bus, einen Doppeldeckerbus, dann bekommt man einen anderen Blickwinkel, eine andere Perspektive. Der Blick reicht über die Lärmschutzwände, man ist aus dem Tunnel befreit, und sieht Häuser, Kirchen und Burgen. Man ist dem Tunnelblick entkommen.

 

Den Alltag erleben wir  ähnlich. Wir sind mit unserer eigenen Meinung unterwegs, wir haben den Tunnelblick auf die Ereignisse, auf die Lebensumstände. Wechseln wir einmal das Fahrzeug, benützen wir einmal die Blickweise eines anderen Menschen, dann können wir den Tunnelblick verlassen. Wir sehen bei zwischenmenschlichen Problemen, bei wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Problemen über die momentane Situation hinaus, wir sehen das Land hinter den Lärmschutzwänden. Oft ist es ein Vorteil, dass wir in Räumen, behütet von Lärmschutzwänden leben, alles was von draußen kommt, abgeschottet wird. Manches mal führen Erkrankungen dazu, dass man sich lärmarme Räume schafft, um sich Lärmschutzwände errichtet. Der größte Lärmschutzerrichter ist die Vorstellung, dass es auf den Tod zugeht.  Dabei sieht man nur mehr das schwarze Loch im Tunnel, nicht das viel zitierte Licht am Ende des Tunnel. Es kann niemand sagen ob es nach dem Tunnel, nach dem Verlassen der Lärmschutzwände den weiten Blick gibt? Vielleicht bedarf es der Benützung eines Doppedeckerbusses , dass man über die menschlichen Vorstellungen hinaus sieht, auf die Schönheiten hinter den Lärmschutzwänden. Dies bedeutet rechtzeitig umzusteigen, vom Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr. Von der individuellen Sichtweise abkehren, die Sichtweise, von sehenden Menschen annehmen.

 

Den Tunnel verlassen.

 

 

AUF:räumen

Der Winter hat sich in unseren Breiten aus den Tälern zurückgezogen. Im Schatten sind an den Straßenrändern noch Schneereste anzutreffen. Grauschwarz von den Autoabgasen und daneben liegen Abfälle, die sich in den letzten Monaten angesammelt haben, und die bis jetzt vom Schnee zugedeckt wurden. Hier finden sich : Bierdosen, Coladosen, alte Zeitungen, Taschentücher, Konservendosen, leere Zigarettenschachteln oder die Verpackung von Mannerschnitten. In den Ortschaften ist der Schnee am Straßenrand unansehnlich.

 

Bei meiner Fahrt zur Arbeit zeigen sich die fernen Berggipfel schneeweiß. Es ist die Zeit des Sonnenaufgangs und die Berge strahlen wie frisch polierte Zähne. Hoch oben soll der Schnee noch reinweiß sein, ich selbst bewege mich nicht in diesen Höhen. Extrembergsteiger berichten, dass auch in Höhen von dreitausend oder fünftausend Metern, der Schnee, das Eis, verschmutzt ist. In diesen Einsamen, Menschenabweisenden, Menschenabwerfenden Höhen sammelt sich der Müll, es gibt Mülldeponien. Bei uns gibt es den Frühjahrsputz, neben der Straße, im Haus und im Garten. In diesen extremen Höhen ist dies schon technisch und menschlich kaum möglich.

 

Wir sind zweigeteilt, wir schreiben über die Schönheit des Schnees, des Winters, andererseits verschmutzen wir die Umwelt, die Berge. Wir richten beim Schreiben unseren Blick öfter auf die schmutzigen Seiten des Lebens, als auf die Schönen. Egal ob in Zeitungen, Zeitschriften oder anderen Medien. Antonin Artaud hat geschrieben: „Alles, was ihr für meine großen Texte hält, sind die Ausscheidungen meines Körpers.“

 

Müllentsorgung.

     

BERUF:ung

Im zweiten Schulhalbjahr müssen sich viele Jugendliche entscheiden, welchen Beruf sie erlernen möchten. Die größere Frage ist, wo gibt es dafür eine freie Lehrstelle. Man beginnt mit der Lehrstellensuche und viele Bewerbungen sind notwendig. War es früher ein formloses Gespräch, so erwarten sich heute die Firmen eine Bewerbungsmappe mit ausführlichen Unterlagen. Blaise Pascal sagte: „Das Wichtigste im Leben ist die Wahl eines Berufes. Der Zufall entscheidet darüber“.

Pascal hat recht. Ich wünschte mir einen Beruf, der etwas mit Büchern zu tun hat. Trotz Suche fanden wir keine Lehrstelle. Als Ersatz sollte ich mich in einer Elektromotorenwicklerei vorstellen. Auf dem Weg zur Vorstellung sahen wir, Vater und ich, im Schaufenster einer Buchhandlung in der Bahnhofstraße in Spittal/Dr. ein Plakat: “Lehrmädchen wird aufgenommen”. Wir sind in das Geschäft gegangen und haben gefragt, ob es auch ein Bursche sein kann. Es war möglich. Die Zeit für die “Berufung” kommt vielleicht noch, die Rufe sind vorhanden.

Das Echo.