Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

TIER:paradies

Sitzt man auf der Bahnüberführung im Möselsteinermoor, dann blickt man in die Tümpel, in Flächen mit Seegras, in das braune, abgestorbene Schilf, dazwischen kommen die grünen, neuen Triebe hervor. Man sieht Bäume in Schieflage, Föhren deren Wurzeln im Wasser frei liegen. Dazwischen schwappt und glückst es, in der Mitte bewegt sich ein kleiner Wasserstrom und kommt in einem Tümpel zum Stillstand. Unter mir rauschen, klopfen, schmettern die Züge in allen Tonlagen durch. Entlang der Schienen verläuft ein Kabelkanal aus Betonplatten, aus im schlängelt sich eine Hornviper. Im Kabelkanal befinden sich die Winterquartiere und Brutnester der Schlangen. Aus dem zerbröselten Beton ragen verrostete Stahlstäbe, in den Fugen tummeln sich die Ameisen. Im Moor hat der Lurch, der Feuersalamander, der Frosch, der Schmetterling, alle ihren Freiraum. 

Wir haben die Wahlmöglichkeit für die Freiheit zum Leben und die Freiheit zum Sterben. Die Freiheit am Leben ist  schöner als die Freiheit am Tod. Die Freiheit in Frieden zu sterben, ohne Kampf. Man wird immer etwas behalten wollen, noch etwas erleben wollen. Der Mensch ist nie selbstlos, weil der letzte Wille der Wunsch nach dem Paradies ist. 

Wunschlos unglücklich.

SA:hara

Viele Personen  versuchen in diesen Tagen vor der frühsommerlichen Hitze in Südkärnten zu fliehen. Die außergewöhnlichen Temperaturen von über dreißig Grad,  Ende Mai – Anfang Juni,  werden durch einen Föhnsturm aus der Sahara verursacht und mit dem Föhn wird ein feiner Sandstaub mittransportiert, der die Fernsicht trübt. Die Berge verbergen sich hinter einem diesigem Schleier, manchmal die Sonne.

Die  älteren Menschen leiden mehr unter der Hitze als die Jüngeren. Die Jugend sucht die Hitze, die pralle Sonne. Sie entblößen ihren faltenlosen Körper auf der Dachterrasse der Wohnanlage, in den Schwimmbädern oder am Strand vom Presseggersee. Die älteren Personen versuchen eine Strategie zu entwickeln wie sie die heißen Tage überleben können, eine Hitzeüberlebensstrategie. Jeder hat seinen Geheimtipp, versucht einen Ort zu erreichen, wo die Hitze erträglich ist. Manche schaffen es körperlich nicht sich aus der Wohnung zu entfernen. Sie ziehen die Vorhänge zu, öffnen die Fenster nur nachts und halten die Rollladen tagsüber geschlossen. Oft ist das Bad in der Wohnung der kühlste Ort im Sommer. Dort sitzen die hitzegeplagten Menschen und tauchen die angeschwollenen Füße in das kalte Wasser der Badewanne. Hat man einen Balkon der nach Norden gerichtet ist, dann kann man sich hier am Abend abkühlen. Nicht viel Abkühlung verschaffen die Markisen,  wie sie heute auf vielen Balkons zu sehen sind. Sie schützen vor direkter Sonneneinstrahlung, aber Kühlung verschaffen sie nicht. Besser dran ist wer vor dem Haus oder vor der Wohnanlage einen Garten, einen Hof hat, wo mehrere Bäume stehen. Die besten Schattenspender sind die Laubbäume. Im Hof besteht die Wahrscheinlichkeit, dass man jemanden zum Reden trifft, der ebenfalls vor der Hitze geflüchtet ist. Die außergewöhnlichen Hitzetage sind gleich ein Thema. 

Ein Geheimtipp um den tropischen Temperaturen in Möselstein zu entgehen ist eine Bank in der Nähe der Kreuzkapelle. Hinter der Kapelle erhebt sich ein bewaldeter Felsen mit Moos und Farnen, vorne rauscht der Möselsteiner Bach vorbei. Dazwischen ist ein Grünstreifen mit einer Bank zum Ausruhen. Der Felsen ragt in den Altarraum hinein. Direkt aus dem Felsen ist in groben Zügen ein gekreuzigter Christus gemeißelt. Die zum Himmel gerichteten Augen sind für mich ein Leidensthermometer. Sind die Schmerzen in der Welt  groß, dann sind die Augen ganz nach oben gedreht und die Augäpfel quellen aus dem Stein hervor. Schauen die Augen geradeaus, dann herrscht die Normalität des Alltags. Blicken sie gütig zu Boden, dann drückt der Gekreuzigte sein Wohlbefinden über den Zustand der Welt aus. Die Knospen des Rosenstrauches stehen knapp vor dem Aufblühen. 

Im Rosengarten.  

KO:bra

Die Meisten denken bei dem Wort Kobra an die Schlange mit dem dreieckigem Kopf, welche sich bei einem Angriff aufrichtet und blitzschnell zustößt. Von manchen Menschen sagt man, egal ob als Privatpersonen oder als Politiker, sie sind angrifflustig wie eine Kobra. Diese Bezeichnung kann Anerkennung, aber auch Ablehnung ausdrücken. Eine Eliteeinheit des österreichischen Bundesheeres nennt sich Kobra. Im Yoga werden einige Übungsformen mit Tiernamen bezeichnet, unter anderem mit dem Namen Kobra. Dies ist eine wirkungsvolle Übung zu Vorbeugung von Rückenbeschwerden und zur Entlastung für die Psyche. Im Yoga gilt der Grundsatz, der Erfolg kommt mit dem regelmäßigen Üben. Nicht immer verschaffen die Yogaübungen allen Wohlbefinden. Der Guru hat immer Recht, unangenehme Folgen hat der Schüler zu tragen. Er ist zu unaufmerksam oder hat zu wenig geübt. Wer haftet für negative Erfahrungen, wo hört der Gehorsam gegenüber dem Guru auf. Eltern haften für ihre Kinder. 

Haftung ausgeschlossen.     

VITAL:saft

Beim Betreten der Apotheke in Möselstein ist die Apothekerin damit beschäftigt die Vitrine mit Buerlecithin Flaschen, ein Saft zur Vitalitätssteigerung, aufzufüllen. Dieser Verjüngungssaft wird gerne von den Kindern als Geschenk für die Mutter oder die Oma zum Geburtstag gekauft. Man beruhigt damit sein Gewissen, man hat damit die Vitalität und die Gesundheit der Mama oder der Oma gefördert. Die heutigen Seniorinnen fühlen sich durch dieses Geschenk manchmal gekränkt, da sie voll fit sind. 

Bei einem Besuch nach dem Geburtstag konnte ich feststellen, dass die Flasche Buerlecithin noch verschlossen in der Küchenkredenz stand, mit noch zwei weiteren Flaschen. Diese hatte die Mutter von meinen Geschwistern bekommen. Sie sagte zu mir:  „ Sie wird den Saft einnehmen, wenn sie wirklich alt sein wird, wenn sie über achtzig sein wird. Jetzt ist sie noch zu jung dafür. Ich soll die Flasche Buerlecithin  wieder mitnehmen, mir würde der Vitalsaft bestimmt gut tun. Ich müsste in meinem Beruf viel arbeiten und könnte eine Vitaminspritze gebrauchen.” 

Vitalsaft für Junge.

VER:lust

Ist es notwendig, dass man ein paar Tage in der alten Heimat wohnen und schlafen muss, dann erlebt man in dieser Zeit die alte Geborgenheit. Dazu gehört im Elternhaus ein Zimmer zu haben, sodass man bei Festtagen oder Familienfeiern im Jugendzimmer übernachten kann. Kinder die studieren benützen dieses Zimmer lange. Es ist  ein heiles Universum, wo alles zusammengehört.  Wir leiden unter dem Universum Verlust. Dies beginnt damit, dass die Arbeitsstelle nicht im eigenen Haus, nicht im Wohnort ist, sodass man Zug-  oder Autofahrten von einer Stunde und mehr bewältigen muss. Das kleine Universum gibt es noch am Bauernhof, im  Dorfgasthaus, beim Bäcker  oder in den privat geführten Gästepensionen. Wir  leiden an der Heimatlosigkeit.  Die Nachrichten von Unfällen aus der engsten Umgebung lösen bei uns mehr Betroffenheit aus als Katastrophenmeldungen aus dem nahen Osten. 

Man spricht heute von der globalisierten Welt, die ganze Welt als globales Dorf, wo jeder alles über den Nächsten weis  und alle beten dies fleißig nach. Niemand will als Fortschrittverweigerer dastehen, aber vielen wird der Boden unter den Füssen weggezogen  Vielleicht ist es zuviel und zu schnell gekommen, dass wir mit so vielen Meldungen konfrontiert werden. Vor fünfzig Jahren haben viele Menschen das Tal, wo sie geboren wurden, kein einziges Mal verlassen. Es nicht verwunderlich, dass viele in der Pension aus der Fremde in die Heimat zurückkehren, wenn sie die Möglichkeit haben. Sie sehnen sich nach der einen, kleinen Welt, wo alles eine Einheit ist.  Andere sind in der neuen Heimat erfolgreich und sesshaft geworden. 

Der Neubau.