an schean tog : buchblock

Supersberger  .  An schean Tog

Eine gewisse Schwermut durchzieht wie ein roter Faden die Gedichte von Franz Supersberger. Verwurzelt im Land Kärnten, schreibt er über Tradition, Alltag, Einsamkeit, Sein und Schein in seiner Umgebung. Die Gedichte enden bisweilen unerwartet lapidar. Eurojournal 

Franz Supersberger, 1951 in Ferndorf geboren, lebt als Kaufmann in Arnoldstein, Kärnten. Veröffentlichungen in verschiedenen Literaturzeitschriften und Lesungen im ORF. Regelmäßige Veröffentlichung von Mundartgedichten in der österr. Dialektzeitschrift „Morgenschtean“ und auf den Internetseiten von www.franzstelzhamer.at und www.e-stories.de

Franz Supersberger wurde in Ferndorf geboren und hat schon als Jugendlicher mit dem Schreiben begonnen. Nach der Ausbildung zum Buchhändler war er selbstständiger Kaufmann in Arnoldstein. Heute lebt er als Buchhändler in Muse in Villach /Judendorf. Sein literarisches Schaffen wurde im Hörfunk und in Literaturzeitschriften, sowie in mehreren Büchern veröffentlicht. Er ist Mitglied des Kärntner Schriftstellerverbandes,  der Interessengemeinschaft Österreichischer Autoren und der Literaturplattform Buch13. Franz Supersberger ist  Autor des Blogs schlagloch. Das Blog wird vom Deutschen Literaturarchiv Marbach langzeit archiviert.

 

Franz Supersberger

AN SCHEAN TOG

MundArt

 

Nachdruck  oder Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

C  2005 Franz Supersberger

 

AN  SCHEAN  TOG . . .


IS ERSTE MOL 

I woaß nimma woas

i da olls dazöhlt hon,

wia mir zwoa is erste mol

spaziern gongan san.

I hon Ongst ghobt,

doß wonn i zan redn aufhear

du ma davongeahst.

Kana hot in ondan gfrogt,

wia olt a is.

 

Monche Schmerzn san im

Thermalbod nit bessa woarn,

erst donn, wia mir zwoa

zan redn ongfongan hom.

De Vurstellung, doß

de Liab varrinnen kennt,

hot uns weahtoan…

 

 

AUSZIAGN

Vur lauta Onsponnung

mecht i om liabstn

vom Stuahl aufsteahn

und ausn Zimma auße geahn.

De Wend ruckn imma

gleima zomm.

Vurm Fensta foahrn

de Autos mit hundat

Sochn vurbei, harinan

fong i on zan Schreibn.

Des hast mi ausziagn

und de foltige Haut herzagn.

I woaß nit, wer ma dabei

zuaschaut…

 

 

ALLANSEIN

Um nit allansein

in de Stodt einefoahrn,

iban Hauptplotz geahn,

in fremde Gsichta schaun.

Vur de Schaufensta steahn,

mit de Sochn nix onfongan kennan,

in a Cafe einesitzn und

Zeitungen onschaun.

Bam Hamfoahrn hots gregnat…

 


NOCHT

In da Nocht weckt mi

a Voglschra, a Krah

zabricht dos Fensta.

De Ongst sitzt auf

da Bettkantn.

Mit stoarke Schmerzn

woch wearn,

a Gfühl wia zan Schterbn.

 

Den Bsuch von de

Krah in da Fruah

hon i nit wolln,

se san von sölba kemman.

Seitdem homs kan

Tog ausglossn…

 

AN SCHEAN TOG

KOPFSCHMERZN
OHRNSCHMERZN
ZOHNSCHMERZN
PARKEMED
HOLSSCHMERZN
LIABSSCHMERZN
BRUSTSCHMERZN
THYREX
MOGNSCHMERZN
NIERNSCHMERZN
BUSCOPAN
KREIZSCHMERZN
HÜFTSCHMERZN
KÖRPASCHMERZN

ASPRO

AN SCHEAN TOG NOCH…

 


BSETZT

In da Nocht umormt

mi di Ongst,

da Frost fongt

mi zan Liabn on.

De Ongst vur da Nocht

konn i ma ausredn,

de Ongst bei Tog

vurm Lebn,

weard i nit

so glei los.

Dei Telefon is bsetzt…


GROD

Grod weil ma uns

schoan so long kennan,

grod weil ma imma guat

mitanond auskemman san,

grod weil ma uns

imma ols dazöhln,

grod weil ma uns

bade beim Redn

schwar toan,

grod desholb getrau

i mi nit sogn,

doß i di mog…


LIAB

Dos Morgnroat vadrängt

de schlechtn Tram

von da Nocht, es

leitet dos Telefon.

Obwohl i ka Lust hon

mit dir zan Redn,

legst du nit auf.

Dei woarme Stimm beruhigt

mei kronks Herz.

 

Du vasprichst ma dei Hülf

firn Tog und fir de Nocht,

fir a Dosein ohne Gscher,

nur mei Liab

wüllst du dafir hobn…

 

 


SOMSTOGNOCHT

Om Sunntogvurmittog

des Leintuch und in

Gulda wieda in Kostn

eineraman, weil

i di Somstognocht

nit getroffn hon.

 

Om Telefon klingt

dei Stimm wia da

Klong von ana Zithasaitn,

mit an jedn Sotz

ruck ma nächa zomm,

i spir dein Mund.

Wonn i mei Hond ausstreck

spir i a kolte Mawa…

 

 

 

VAWÖHNT

Du host mi in

da Fruh mit an

Kaffee vawöhnt,

mir den Gortnstuahl

in Schottn gstöllt,

auf mei Gsundheit

gschaut, mir gsogt

wia schean und

stoark i bin.

Monchmol is mir

bei dir so eng woarn…


WEITALEBN

Auf da hiagan

Bettkantn sitzn,

daweil du dazöhlst

vom nimma ausholtn

kennan, von da Ongst

vurm Weitalebn,

von deina Sehnsucht

nochn Schterbn.

Daweil möcht i da

a Bussl auf deine

schwoarzn Hoar unta

de Ochsln gebn…

 

WOCHN SPÄTA

Wochn späta host du dazöhlt

wia schean es in da

Psüchiatri gwesn is,

wo ane fir di ondre

dogwesn is,

wo ane da ondan zuaheart,

wo kane de ondre

ausgnutzt hot.

De Freind von dir hom

di imma ausgnutzt,

kana hot di richtig

gern ghobt.

I konn di vasteahn,

wenn du wieda zruckwüllst,

Wochn späta…


FURTGEAHN

De Muata hot beim Suhn

in da Stodt ongrufn,

er soll hamkemman,

da Vota is kronk, er steaht

vom Bett nimma auf, da Pforra

is a schoan dogwesn.

Wia da Suhn kemman is,

is da Vota beim Kuchltisch gsessn,

mit ana Deckn iba de Schultan,

a Teescholn vur seina und

hot de Zeitung glesn.

 

Glei amol is da Orzt kemman

und hot gmant, da Vota soll

sich im Spittol untasuchn lossn,

da Suhn kenntat ehn glei mitnehman.

Da Vota hot nit mitfoahrn wolln,

er hot vurm Spittol Ongst ghobt,

mon hot ehn oba dazu übaredat.

Vurm Furtgeahn hot sich da Vota

in da Kuchl umgschaut und

is nimma zruckkemman…


VOTA

Nit wohr hobn wolln dos

in den Sorg da Vota drin is,

und sei Lebn zan End.

Aus da neichn Toatnhalle

weard a aufegfihrt aufn

neichn Friedhof.

Da Pforra fongt zan predign

on, von Trost, Kroft  und

von da Aufastehung,

daweil da Sorg ins Grob

obeglossn weard…

 

MUATA

Da Muata ehrne Augn

schaugn gonz lebendig

aus ehrn Gsicht,

de Haut tuat sich um

de Wonganknochn sponnan.

Weils foast nix mehr heart

list se mit ehrne Augn

de Wörta von mein Mund.

Zan selba aufsteahn vom Bett

is se schoan zschwoach…

 

 

BSUCH

I hon de Muata im Spittol bsucht

und hon ehrne Händ gholtn,

de Orm woarn schoan gonz dinn.

Da Vurhong vom Fensta

is za Seitn gschobn gwesn,

sodos se auf de Sunnseitn

aufegsehgn hot.

De Herbstsunn hot gscheint,

es woar a stills Lächln auf

ehrn Gsicht.

 

I hon zua ehrn gsogt,

du wirst bold amol daham

vurm Haus auf da Bonk

in da Sunn sitzn.

Do hots ehrn Kopf gschüttlt

und  an klan Schluck

von ehrna gliebtn Frucade gmocht.

 

 

Sie is glei miad woarn

und eingschlofn.

A poar Tog späta

is se gschtorbn…


SCHTERBN

De schlechtn

Schtroßnvahältnisse hom

ban Autofoahrn ka hohe

Gschwindigkeit dalabt.

Es hot stoark gregnat und

späta zan Schneibn

ongfongan, fir de Joahreszeit

vül zu frih.

 

Des Kronkhaus  hot

ongrufn, i miaßat schnell

kemman, won i de Muata

lebenda sehgn wüll,

se liegt im Schterbn.

I hätt da Muata gern

nochamol woas liabs gsogt

oba i bin zspot kemman,

ehrne Händ woarn noch woarm.

 

 

I hon ihr fir olls gedonkt

und gsogt, drübn gibt’s

kane Schmerzn mehr…


DA SCHROA

DA  KRONKN

DA  HUNGRIGN

DA  EINSOMEN

DA  MISSHONDELTN

DA  VAZWEIFELTN

DA  SCHLAFLOSN

DA  STERBENDN

DA  KINDALOSN

DA  HILFLOSN

DA  VATRIEBENEN

DA  ORBATSLOSN

DA  BEHINDERTN

 

DA  SCHROA  LEBT…


SCHMERZN

Wia de Schmerzn im Kreiz

kann aufrechtn Gong alabt hom,

hon i auf de Frog, wia geahts,

nimma glocht und gsogt,

mir geahts guat.

 

I wüll kane Schmerzn hobn,

i geah zum Fochorzt,

der schickt mi ins Spittol,

i kriag ane Infusionen,

es kimmt zu ana Oparation.

 

Von stoarke Schmerzn

woch wearn,

a Gfühl wia zan Schterbn.

Imma noch san de

Schmerzn do und

richtn sich ein zan Bleibn…

 

GLOSHAUS

A Vatreta wortat im Gschäft,

a Einkeifa is om Telefon,

de Frau Gerda wüll an

Vorschlog von mir,

da Vakeifa frogt, kemman

nächste Wochn de

neichn Fliesn?

Es is Trubl im Betrieb,

i schau aus mein Gloshaus

dem Treibn zua…

 


SHOPPING CENTA

Hintan Kuchltisch hom

sich de Prospekte von

de Shopping Centa gsommlt,

jedn Tog hot da

Brieftroga neiche gebrocht.

Da Oma ehrne Schuha san

iba zehn Joahr olt…

 

NOCHBOAR

A Bekonnta is mit

sechsevierzg Joahr bei

an Autounfoll vaunglickt,

im Fruhjoahr is da Nochboar

mit dreiesechzg Joahr on

an Schlogonfoll gschtorbn.

Do hon i gspirt, doß

da Toad mei Nochboar is…

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villacher:kirchtag I

In den Sommermonaten stehen in Kärnten die Veranstaltungen Kopf. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, Veranstaltungen mit kulinarischen Genüssen: Gackern, dabei dreht sich alles um Hendln; Honigfest, zu Ehren der fleißigen Bienen; Speckfest, mit dem butterweichen Gailtaler Speck; Brotfest, verbunden mit der Besichtigung von alten Getreidemühlen; Gulaschfest, nicht nur in Ungarn. Abseits von leiblichen Genüssen unterhalten viele andere Events, Einheimische und Gäste: Nachtwasserschishow, mit tollen Lichteffekten; Strandflohmarkt, für Badehosen- und Bikiniträger;  Literarische Drau Schifffahrt, mit Kärntner Nachwuchsautoren; Nacht der Klostergärten, Gespenstergeschichte inklusive; GTI-Treffen, Gummi, Gummi; Wer es ländlich will, Wischbamaufstellen.

Zu den traditionsreichen Volksfesten zählen in Kärnten die Kirchtage. In anderen Bundesländern werden sie Kirchweihfeste oder Patrozinium  genannt. Auch die unscheinbarsten Dörfer feiern ihren eigenen Kirchtag. Vorausgesetzt, das Dorf verfügt über eine Kirche, zumindest über eine Kapelle. Der Kirchtag findet zu Ehren des Namenspatron der Kirche statt, in der Woche seines Namenstages. Im Juli und im August gibt es in Österreichs südlichstem Bundesland  zumeist eine Hitzewelle, mit Temperaturen bis fünfunddreißig Grad und höher. Diese Temperaturen finden ihren Niederschlag in der heißen Stimmung am Villacher KirchtagIn der ersten Augustwoche wird ausgelassen gefeiert. Über die Plätze und Straßen der Innenstadt sind Schnüre mit kurzen, färbigen Papierstreifen, rot, weis und gelb, gespannt. Der Wind sorgt für die notwendige Bewegung und Aufmerksamkeit. Diese einfache Dekoration verbreitet schon seit Jahrzehnten eine fröhliche Stimmung.

Volksmusik

zahnarzt:geburt

FRANZ SUPERSBERGER  ZAHNARZTGEBURT

EIN GRAUER TAG. MORGENGRAUEN. OTTO. DER VERZWEIFELTE. UNGLÜCKLICHE. GLÜCKLICH SEIN. FARBEN HÄTTEN DIES VERHINDERT. ROT. GELB. ORANGE. DIE MUTTER WIRD AUF SEE SEIN. SEELUST EINATMEN. AUSATMEN. DAS HAUS IST ERREICHBAR. FÜR FLUGZEUG. LANDEBAHN VORBEREITEN. AUSROLLEN. ÖFFNEN. SCHNEE WIRD FALLEN. IM SCHNEE BADEN. ERSTICKEN. DER STANDESBEAMTE WARTET. EINE HALBE STUNDE. EINE STUNDE. DEN DURST STILLEN. DAS VERLANGEN. DEN HUNGER. AUSSPÜLEN. KÖRPERREINIGUNG. DARMREINIGUNG. OTTO ZÄHLT. FIRMUNGSZEUGNIS. SCHULABSCHLUSSZEUGNIS. GESELLENBRIEF. FÜHRERSCHEIN. WAFFENSCHEIN. DIE GEBURTSURKUNDE FEHLT. GEBURTSURKUNDE ALS TAGEBUCHBLATT VERWENDEN. BESCHREIBEN. ÜBERZEICHNEN. VON DER MUTTER. DEM VATER. DER SCHWESTER. ALLES WÄRE GUT. DER HAARWUCHS. DER BARTWUCHS. DIE VERDAUUNG. DAS TAGESLICHT AUSSCHALTEN. UNERREICHBARE ELEKTROMEISTER. ÜBERLASTETE TELEFONLEITUNGEN. SEXLEITUNGEN. STROMLEITUNGEN. EIN VIERTES MAL KOMMT DIE VERLOBTE NICHT. DER PFARRER. DIE OBERIN. UMTAUSCHEN. DAS LILA BRAUTKLEID BEFEUCHTEN. AUSWASCHEN. ZURÜCKGEBEN. DIE VERKÄUFERIN EINPACKEN. ZU HAUSE EINPARKEN. ERINNERUNGEN AN SEINE GEBURT. HAARWUCHSMITEL. AUGENTROPFEN. NAGELSCHERE. KÖRPERSPRAY. BEGEBENHEITEN SEINER GEBURT ERZÄHLTE DIE MUTTER. DER VATER. DIE SCHWESTER.

EIN HUND BELLTE. GESANG. GEHSTEIG. KANAL. DARM. VERSTOPFT. ÜBERLAUFEN. EINLAUF. VORWÄRTSLAUFEN UNMÖGLICH. DAS HAUS. DEN MAGEN. AUSRÄUMEN. PLATZ SCHAFFEN. DIE MUTTER BEKAM ZAHNSCHMERZEN. BRUSTSCHMERZEN. ES SAGETE DIE MUTER. DIE HEBAMME. DER ZAHNARZT. DIE GEBURT HAT ZEIT. DIE ZÄHNE MÜSSEN ERHALTEN WERDEN. DER HAUSMEISTER KLÄFFTE. GESANG. OTTO DRANG IN DIE MUTTER EIN. KÜCHENTÜR. GASHERD. ESSENSGERUCH. ÜBERMALUNGEN. VERBRENNUNGEN. MUTTERMALE. VOM DACH FIELEN TAUBEN. OTTO DACHTE. EIN SCHÖNES ERLEBNISS. UNVERGESSEN. DAS BRAUSEN DER ORGEL. DIE TRÄNEN DER VERLOBTEN. BEFANGEN. VERGANGEN. EINMAL RICHTIG LACHEN. LACHEND ZUR WELT KOMMEN. IN DIE KIRCHE. IN DIE KLINIK. DIE GEBURT  IST EINE TODERNSTE ANGELEGENHEIT. AUFGABE. ANSTRENGUNG. DA LACHT MAN NICHT. EIN FREUDIGES EREIGNIS. GEBET. GEBURTSURKUNDE. VERLOREN. DAVONFLIEGEN. UNAUFFINDBAR. DIE MUTTER. SCHREIBPAPIER. KOPIERPAPIER. ALLES KOMMT WIEDER. DIE VERLOBTE. DER HUSTEN. DER HUNGER. AUF WIEDERSEHEN. DER DURCHFALL. DER HAARAUSFALL. BEWEISE SEINER EISTENZ. SEINE ZUNGE. SEINE AUGEN. SEIN GLIED. SEINE HÄNDE. SIND JEDERMANNS PERSON. UNPERSON. ZUNGE. AUGEN. GLIED. HÄNDE. VORFÜHLEN. IM KOPF. HERZ. HODEN. NICHT VORHANDEN. GEBURTSURKUNDE. EXISTENZ. ATMEN.

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im:westen

Franz Supersberger

IM.WESTEN

Herr A. öffnet das erste Mal die Tür vom Kellerabteil seiner neuen Wohnung und sieht, dass die Stellagen leer sind. In einer Ecke stehen am Boden ein Paar Arbeitsschuhe, an einem Hacken hängen eine grüne Arbeitshose und eine grüne Jacke. In einem Kübel sind verschiedene Gartenwerkzeuge. Daneben steht ein halb voller Sack mit Gartenerde und auf einer Schachtel steht eine Gießkanne. Diese Arbeitsgeräte gehören seinem Vormieter Z., der von einer Reise nicht mehr zurückgekehrt ist. Mit den Hausbewohnern hatte Herr Z. wenig Kontakt. Zur Arbeit verschwand er frühmorgens und kehrte spät am Abend heim. Für die Hausbewohner war er ein Phantom, manchmal sah jemand, wie er seinen linken Fuß über eine Stufe nachzog oder wie sein Rücken in der Türöffnung verschwand. Das Öffnen und Schließen der Wohnungstür besorgte er leise um niemanden zu stören und um sich selbst nicht zu erschrecken. Von seinen Reisen kam er nachts zurück. Bei längerer Abwesenheit klebte an seiner Tür ein Zettel mit dem Hinweis: „Bin im Westen“. Niemand wusste, welcher Westen damit gemeint war. Herr A. bückt sich, stellt die Gießkanne auf den Kellerboden und öffnet die Schachtel. In der Schachtel befinden sich Notizbücher mit der Aufschrift „Nach Westen“. Herr A. nimmt eines der Notizbücher von Herrn Z. und beginnt darin im Schein der Kellerlampe zu lesen.

31.12.

Ich bin in einem Gebirgsdorf zu Besuch und kann beobachten wie bewaffnete Leute aus dem Nachbarstaat über die Grenze eindringen und die Bergstation besetzen. Die Menschen in der Bergstation werden gefangen genommen. Im Gebirgsdorf fallen der Strom und die Wasserversorgung aus. Es dauert eine Stunde bis unsere Luftwaffe die Eindringlinge angreift und zurückdrängt. Jetzt ist es wieder möglich, mit der Bahn auf den Gipfel zu fahren. Bis zur Mittelstation hat die Bahnstrecke eine Steigung von siebzig Prozent, dann geht es senkrecht den Berg hoch. Ich kann mir nicht vorstellen, wie hier der Zug fahren soll. Der Zugführer erklärt den Reisenden, dass er beide Motoren einschalten wird, zweimal je 120 PS. Der Zug fährt mit Schwung, ohne zu rutschen oder zu stocken, hoch. Alle atmen auf, als der Zug auf der Bergspitze ankommt. Die Geleise sind aus Kopfsteinpflaster an denen sich der Zug mit den Saugnäpfen, die am Waggonboden angebracht sind, fortbewegt. Bis zur Rückfahrt gibt es einen längeren Aufenthalt auf dem Gipfel. Als ich aufwache, fährt mein Zug in einer Stunde.

  1. 01. 1998 Intercity

Beim Lesen der vorherigen Tagebuchseiten habe ich den Eindruck, dass ich mir die sorgenvollen Gedanken hätte ersparen können und damit manche seelische Verstimmung. Ich kann dies in Zukunft verhindern, wenn ich bei Problemen dreimal tief durchatme, drei Lösungsvorschläge erarbeite und abwarte, bis die wirklichen Situationen und Gegebenheiten erkennbar sind. Die Abreise ist gut geglückt, die Sonne scheint in das Zugabteil. Einmal leuchten die Sitze goldgelb, dann liegen sie im Schatten.  Wir fahren durch das weite Drautal, der Blick geht weiter als von meinem Fenster in Möselstein. Im Mölltal ist es Winter, von den Bergspitzen strahlt der Schnee, alles liegt im Sonnenlicht.

Was erwarte ich vom neuen Jahr? Mit einer Zugreise zu R. fängt es schön an. Bei ihr erfüllt sich mein Leben. Wie war es möglich, dem steilen Felshang, die Eisenbahntrasse nach Mallnitz abzutrotzen. Ähnlich ist es im Leben, manches muss dem Leben abgetrotzt werden. Oft spricht vieles gegen das Leben, viele Umstände sprechen gegen das Glücklichsein. Manchmal hilft trotzig sein, ein Gedanke für das neue Jahr. Lebenswille und Gestaltungswille, die Unpässlichkeiten die auftreten nicht wegwünschen, sondern annehmen, sie gehören zu meiner Person. Loslassen von den Beobachtungen am eignem Körper, Gesäß und Lendenwirbel entspannen. Es kommt nicht so schlecht wie befürchtet. Mehr Selbstbewusstsein, meine Arbeit und meinen Einsatz, auf welchem Gebiet immer, nicht selbst unterbewerten. Auf die Ergebnisse stolz sein.

02.01.

Den heutigen Tag spüre ich in meinen Füssen, den langen Spaziergang in der kalten Winterlandschaft. Der kleine Ort im Montafon hat im Winter einen besonderen Reiz, viel Schnee, kleine Holzhäuser und bunt gekleidete Gäste. Die Weihnachtsbeleuchtung an den Häusern brennt den ganzen Winter über. Hier enden Weihnachten erst zu Ostern, wenn die letzten Gäste abgereist sind. Der spannendste Ort ist die Musikkneipe in einer renovierten Mühle, weil ich nicht dort gewesen bin. Hier stimmt die Mischung aus Hotelbetrieben und vielen kleinen Pensionen. Der private Vermieter vergibt seine Aufträge an lokale Handwerker. So wird der Wohlstand auf viele verteilt und ist nicht in der Hand weniger. In der Türkei und in Tunesien gehören die Hoteldörfer einer internationalen Hotel- oder Bankenkette und die Gewinne fließen den Aktionären zu. Die Großbetriebe müssen aufgegliedert werden und die Aktien besteuert. Die Gewinne sollen nicht außer Landes fließen, sondern denen zukommen, welche die Arbeit leisten. Am Nachmittag besuche ich eine Siebzigjährige Frau, ihr Haus steht oberhalb des Dorfes. Der Besuch war schon jahrelang versprochen. Sie vermietet Zimmer an Gäste, dies bringt Geld und etwas Abwechslung in ihren Alltag. Ihr Mann ist vor zehn Jahren gestorben und die Kinder sind aus dem Haus ausgezogen. Sie hat sich einen jahrelangen Wunsch erfüllt und im Haus eine Montafonerstube eingerichtet. Der Parkettboden hat zwei verschiedene Holzarten. In der Stube steht ein Tisch mit Einlegearbeiten, geschnitzten Holzstühlen und ein Wohnzimmerschrank. Auf der Kommode stehen die Fotos vom Mann, den Kindern, Enkel und Urenkel. Hier sind die Vergangenheit und die Zukunft in Bildern festgehalten. Die verkachelte Sitzbank und der Kachelofen werden vom Vorraum aus beheizt. Sie sitzt am liebsten in der Küche, dort steht auch der Fernseher. Beim Abschied gibt sie mir eine Dose Weihnachtsgebäck, mit der Bitte, die Dose zurückzubringen.

Am Ende des Winterwanderweges steht ein Neubau. Ein rechteckiger, lang gezogener Betonkörper mit einer Glasfront zur Talseite. Der Anbau und der Eingangsbereich sind mit Brettern verkleidet. Die Sonne, der Regen und der Schnee werden die Bretter bearbeiten. Viele lehnen den Bau ab, weil er nicht der Tradition, der Enge, des Tales entspricht. Viele verreisen oft. Sie beharren in der Fremde auf den Surenkäse. Sie suchen in der Ferne die Bestätigung dafür, dass es nirgendwo so gut und so schön ist wie zu Hause. Die Vielreiser und Engdenker. Die Allinklusiv-Urlauber leben in Afrika genauso wie in Mitteleuropa. Sie wohnen dort wie zu Hause, essen wie zu Hause und unterhalten sich mit den Leuten von zu Hause. Engstirnigkeit oder Weitsicht ist keine Frage des Verreisens oder des Fernsehens, vom Lesen redet niemand mehr. Welche Auswirkungen hat es für einen Vermieter in Montafon, wenn ein Teil von Südamerika im Pazifik versinkt oder er nicht in Petersburg war. Das Wesentliche ist, die Andersartigkeit zuzulassen. Es gibt ein Grundmuster wie man sich gegenüber anderen Menschen verhält. Unabhängig davon, ob jemand ein Weltreisender oder ein Bodenständiger ist. Dazu gehört, dass man beim Essen wartet, bis alle am Tisch sitzen, alle die Suppe im Teller haben, und erst dann zu Essen beginnt. Weiterlesen

selbst:fliegen

SELBST . FLIEGEN

Eine Alltagsgeschichte von Schlagloch; Franz Supersberger

schwindel. schwindelfrei. als ausgangspunkt den balkon nehmen. hausdach. stadtturm. ich stürze. falle. fliege. über die wiese. bäume. berge. vorhaben. zustimmen. ausführen. abheben. vom sinn. leben. im liebesakt. zukunft. planen. in frage stellen. auslöschen. ausradieren. hobby. leidenschaft. deine. unsere. meine. selbstfliegen ist schön. unbekümmert. furchtlos. wunderbar. flugzeug. hochgeschleudert. fallengelassen. in die ungewissheit. bodenlosigkeit. existenzlosigkeit. unsicherheit. auflösung. des körpers. körperteile. bewusstsein. erfahrungen. zerteilen. zerreisen. zerbrechen. zerstückeln. des unterleib. lendenwirbel. mastdarm. pressen. herausdrücken. hineindrücken. in den flugzeugrumpf. mutterbauch. schutzmantelmadonna. punkte. ball. kugel. eingedrückt. die augenhöhle. gehirnmasse. netzhaut. verfinstert. bedeckt. gefährdet. das leben. seele. existenz. gedanken absichern. absturzsicher. aufschreiben. fortpflanzen. zerteilung des bewusstsein. äusseres. verfinstert. verschmutzt. zerstört. mundhöhle. ohrgang. kopfraum. auswaschen. saubermachen. grundreinigen. druck. druckanstieg. druckausgleich. im gehirn. kopf. harndrang ist hirndrang.

punkt. punktgenau. als ausgangspunkt den tisch nehmen. schrank. stuhl. hintern. stuhlgang. das flimmern. grautöne. rosatöne. zwischentöne. wie ich es beschreibe. das sehen. nichtsehen. nichterkanntwerden. nichtberührtwerden. frage. was sehe ich. rieche. esse. fernsehen. ein unscharfes bild. punkte. streifen. knoten. in der brust. hals. darm. schamlos. zusehen. zugreifen. zustossen. vom hören. hörensagen. gehörtwerden. gespürtwerden. ein schuss. ich flüchte. zimmerecke. fensternische. wasserpfütze. forellen. fasane. die angst. alptraum. erschossen zu werden. unabsichtlich. unfreiwillig. ein unnatürlicher tod. warten. essen. trinken. schlafen. auf den natürlichen tod. die welt ist grau. diesseits. zwischen den schamlippen. mundwinkeln. pobacken. jenseits. rosarot. sehen. was ich jetzt nicht sehe. schnittwunde. bauchschuss. beinstumpen. angst. vor dem sprechen. lieben. hoffen. maskentod. sehnsuchtstod. lachkrampf. herzkrampf. bauchkrampf. den tod einatmen. ausatmen. anlachen. sonntagvormittag. ostersonntag. schinken. eier. auferstehung. sehnsucht. ausleben. eintauchen. austrinken. fruchtwasser und lungenödem.

kopf. kopflos. als ausgangspunkt den kopf nehmen. arme. schultern. halsschmerzen sind liebesschmerzen. singen. schreien. überrreden. bezwingen. ich merke. spüre. sehe. punkte. flecken. im auge. netzhaut. herumschwirren. anziehen. ausdehnen. zusammenwachsen. zur scheibe. ball. wächst. in die augenhöhle. gehirn. alles beginnt im kopf. nierensteine. gallensteine. aussäen. giessen. ernten. nierenleiden ist kopfleiden. vernichten.  machtlos. eintönigkeit. einheitsliebe. eilmeldung. der ball im kopf. ausdehnung. ausweitung. programmwechsel. stoffwechsel. geschlechtswechsel. möglichkeiten annehmen. ausnützen. abstossen. verändern. augenblicklich. stundenweise. atemweise. beim einführen. ausführen. aus dem hals. lunge. leber. vom diesseits. tagträume. angstträume. einfärbig. grau. ball. wächst. drückt. schmerzt. ausdehnung. stoppen. verhindern. bekämpfen. mit schmerzmittel. brechmittel. suchtmittel. sich totlachen. liebe. lust. gedankenlos. lachen. töten. ficken. nur nicht totlachen. tod. arbeitslos. kraftlos. geschlechtslos. farblos. jenseits. rosarot. blutrot. bei sprengung. von rumpf. haupt. gehirn. hirnteile versprengt. zerstreut. im zimmer. wiese. tal. gehirnkulturen. todeskulturen. anwachsen. entwickeln. zufällig. auslese und zufall.

rosa. rosarot. als ausgangspunkt die geburt nehmen. mädchen. junge. singend. tanzend. musizierend. bilder verdichten. zu erinnerungen. befindlichkeiten. störungen. unblutig. blutig. harn. stuhlgang. speichel. ausfliesen. ableiten. wegspülen. waschbecken. kloo. kanal. klären. hinterfragen. aufklären. licht ins dunkel. der angst. schmerzen. getäuscht. getauscht. das geschlecht. kind. gemüt. der junge. rosarote kleider. pullover. schürze. angezogen. erzogen. gerufen. hoffnung. wunschvorstellung. anpassung an mädchen. unterdrückung. verleugnung. bart. stimme. schwanz. ich sage. namen. einteilung. unterschied. männlich oder weiblich. aufheben. vergessen. ausgleichen. eingeschlecht. einheitsmensch. geschlechtslosen menschen. herstellen. fertigen. staat. kirche. verein. abbauen. unterschiede. gedanken. gefühle. inneres auge. jenseits. rosa. farbe. duft. schweiss. ausbreiten. die scheibe. kugel. gewächs. im kopf. der tod. gehirn. zerstören. zernagen. schädeldecke spalten. durchfressen. sprengen. im hinterkopf. rinnt. tropft. fliesst. plasma. gewebe. blut. ich weiss. erkenne. das flimmern. rieseln. punkte. auf der netzhaut. im kopf. körper. die brutstätte für den tod.

SUPERSBERGER . FRANZ  / KURZ  . SCHRIFTSTELLER / GEBOREN . FERNDORF . KÄRNTEN / VERÖFFENTLICHT . IN /  DIE BRÜCKE . MANUSKRIPTE . STERZ . MORGENSCHTEAN /