vor:au I u. II
vorau I
Ende August langt der Sommer noch einmal kräftig zu, schleudert die Mittagstemperaturen in unerwartete Höhen. Am Chorherrenweg des Stiftes Vorau, im Schatten der Obstbäume, sitze ich auf einer Bank und lese in Wilhelms Händler Roman, wenn wir sterben. In der Mittagshitze gart das Heu in der angrenzenden Wiese vor sich hin. Das Rattern eines Traktors kommt immer näher, kreisförmig beginnt er mit dem Zusammenrechen des Grummets. Eine vorgeneigte Frau, mit einem bunt gefärbtem Kopftuch und einer einfachen blauweisen Schürze bemüht sich mit einem Holzrechen Grummetrückstände aus den Vertiefungen der Wiese zu kratzen. Damit gleicht sie ein Manko des Heuwenders aus. In Rufweite fragt sie mich, „ob es in der Sonne nicht schöner wäre“? „Ja, der Wind kühlt“. Im Schatten lässt mich der frische Wind trotz Sonnenschein frieren. Dankend lehne ich ab und erkläre meine Sonnenabstinenz damit, dass ich am Kopfscheitel an Aktinischen Keratosen leide. So sitze ich bei Sonnenschein vorwiegend im Schatten oder benütze eine Kappe.
„Ob ich in Vorau oder in der Umgebung wohne, dann könnte ich ihr vielleicht sagen, wer zurzeit in der Totenhalle aufgebahrt sei? Beim Vorbeifahren hat in der Leichenhalle das Licht gebrannt, ein Zeichen dafür, dass jemand verstorben ist. Die späte Hitze macht vielen älteren Leuten zu schaffen und manches Mal schafft es das Herz nicht mehr. Meistens ist es Herzversagen, wenn an solchen widernatürlichen Tagen geschundene Landarbeiter und Landarbeiterinnen morgens nicht mehr aufstehen. Von der Bäuerin tot im Bett aufgefunden werden. Beim Heimfahren soll der Bauer kurz bei der Totenhalle stehenbleiben, sie will dann schnell einen Blick auf den Toten werfen. Bei diesen hohen Temperaturen hat man es mit der Beerdigung immer sehr eilig. Auf keinen Fall möchte sie, wie es jetzt auch in Vorau Mode wird, verbrannt werden. Die Hinterbliebenen sollen einen stabilen Eichensarg kaufen und für ein ordentliches Begräbnis sorgen. Sie habe dies auf jeden Fall verdient, ihr Lebtag habe sie fleißig gearbeitet. Woher ich komme, aus Villach. Vor Jahren hat eine Frau aus dem Ort nach Villach geheiratet, leider sei ihr der Name entfallen. Vielleicht würde ich sie kennen“?
vorau II
„Zu Maria Himmelfahrt hat ein furchtbares Unwetter Vorau heimgesucht, der Hagel hat das Gras in den Boden gedrückt und es ist so für den Heuwender schwer greifbar. Die Hagelgeschosse waren nicht rund und glatt, nein, sie hatten Stacheln. Diese zeigten eine besonders zerstörerische Wirkung. Wie dieses Unwetter über Vorau hereingebrochen ist, habe sie im Herrgotteswinkel eine Kerze angezündet und zu beten angefangen. Als der Rosenkranz zu Ende war, war auch das Gewitter vorüber. Der Gottesmutter sei Dank. Sie müsse weitermachen, der Sohn vom Bauer kommt um die Heuschwaden zu silieren“. Visavis vom Stift stehen am Hang in einer Schneise drei Kreuze, beim genaueren Hinsehen entpuppen sie sich als E-Masten.
Am nächsten Morgen kaufe ich im Ortszentrum in der Papier- und Buchhandlung ein Bilderbuch. Auf einer Wand hinter dem Kassenpult sehe ich beim Bezahlen vier Partezettel, sie sind in Augenhöhe angebracht. Es ist unmöglich diese zu übersehen. Die Verstorbenen sind in den Bezahlvorgang eingebunden. Noch einmal rufen sich die Ida, die Ingeborg, der Alois und der Ferdinand bei allen Kunden in das Gedächtnis zurück. Eine weibliche Hauptfigur und die Finanzen im Roman, wenn wir sterben, in welchem ich gerade lese, leiden an Aktinischen Keratosen. Milla wünscht sich aus ihrer Haut zu fahren. Zitat: „Als du aus deiner Haut gefahren bist, hast du dir keine großen Gedanken darüber gemacht, ob du einfach in eine andere Haut geschlüpft bist oder ob es vielleicht sogar ganz ohne Haut geht.“
wald:heimat
Ich besuche eine Verkaufsausstellung in Bruck a. d. Mur und fahre danach weiter zur steirischen Landesausstellung „Wallfahrt-Orte der Kraft“. Die Fahrt führt durch Roseggers Waldheimat. In Krieglach bleibe ich bei Peter Roseggers Landhaus stehen und besichtige die im Original erhaltene Schreibstube und das Schlafzimmer, indem Rosegger gestorben ist. Die Uhr wurde zu seiner Todesstunde angehalten. Er hat über fünfzig Bücher veröffentlicht, alle mit Federstiel und Redisfeder geschrieben. Er ist ein fleißiger Mensch gewesen. Von Rosegger (31.7.1843 – 26.6.1918 ) kennen wir hauptsächlich die Geschichten über das Landleben im Jahreskreislauf. Er war darüber hinaus ein engagierter Schriftsteller der sich mit den wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und religiösen Themen seiner Zeit beschäftigt hat. Die Vorgänge in der Steiermark waren der Zerfall der Dorfstrukturen durch das Bauernsterben und die Industrialisierung. Nach meiner Auffassung ist die Zeit ein Rad, es wiederholt sich vieles, nur die Darsteller, die Menschen werden ausgetauscht. In dieser Zeit gab es viele Arbeitslose, einerseits arbeitslose Landarbeiter und durch die neuen fabrikmäßigen Herstellungsverfahren beschäftigungslose Handwerker. Mein nächster Halt ist Roseggers Waldschule. Um die Schule stehen nette Holzhäuser. An ihren Fassaden sind übergroße Sat-Spiegel angebracht. Den meisten Zuspruch bei den Besuchern hat das Waldgasthaus.
Aus meinem Tagebuch…
vor:gestern
Als der Vater ein Moped, die blaue Puch 50, kaufte bedeutet dies für uns Jugendliche einen Schritt nach vorne. Die blaue Puch durfte auch von uns Burschen benützt werden, plötzlich waren wir mobil. Das zweisitzige Moped wurde vielseitig eingesetzt, um Lebensmittel im nahen Ferndorf zu besorgen, die Eier und die Milch zur Sammelstelle zu bringen, zum Besuch der Sonntagsmesse und an Wochentagen um den weit entfernten Holzschlag zu erreichen. Im Sommer fuhren wir mit dem Moped am Sonntagnachmittag in das Ferndorfer Strandbad nach Döbriach. Diese Fahrten gingen nicht immer ohne Blessuren an uns über die Bühne. Die erste Frage nach einem Ausrutscher mit dem Moped war, ist die Blaue nicht beschädigt und fahrtüchtig?, alles andere war nebensächlich. Die wenigen Stunden am Millstättersee reichten aus, dass wir die nächsten Tage an einem Sonnenbrand litten. Zur Fütterung und dem Melken der Kühe mussten wir abends pünktlich am Hof sein. Das schrille Nacht- und Strandleben am Millstättersee, in den wilden 60er Jahren, ging an uns ungenützt vorbei. Die Unterhaltungstempel Rossmann oder Hausboot kannten wir nur vom Hörensagen. Für uns hingen die Trauben tiefer, dies war die Diskothek Untersteggaber in Olsach und die Kirchtage in den umliegenden Dörfern.
Meine Tagehefte werden von mir nummeriert, mit einem Index versehen und in ein Verzeichnis eingetragen. Ein Teil der Notizhefte, deren Ursprung bereits Jahrzehnte zurückliegt, wird in absehbarer Zeit an das Deutsche Literaturarchiv Marbach am Neckar verschickt. Dort finden sie eine neue Heimat, ergänzend zur online Archivierung meines Blog schlagloch.
Ein Sommer wie damals.
reise:gestern II
In einem Sommer arbeitete die Schwester im familiären Hotel Miralago in Pörtschach am Wörthersee. Direkt am Ufer gelegen mit eigenem Badestrand, Bootshaus, Bootssteg und hoteleigenen Ruderbooten.Die Schwester servierte dort morgens das Frühstück und räumte am Vormittag die Zimmer auf. Während ihrer Zimmerstunde saßen wir gemeinsam auf der Hotelterrasse, blickten auf den Wörthersee und genossen unser Eis. Eines der Wenigen während des Sommers. Als Getränk gab es für uns Kinder zumeist Almdudler. Zugleich beobachteten wir die vornehmen Leute am Strand beim Baden, bestaunten die braungebrannten Körper der feinen Damen. Vor einigen Jahren haben wir der Schwester eine Überraschung bereitet und mit ihr nochmals das Hotel Miralgo besucht. Die Außenfassade des Hotels ist unverändert, es führt dieselbe breite Treppe von der Terrasse zum Badestrand. Wie damals vor fünfzig Jahren. Die Jugendstilvilla hat inzwischen die Besitzer gewechselt, in den Sommermonaten wird weiterhin vermietet. Aus ihrer Zeit als Stubenmädchen gibt es ein Foto mit der damaligen Belegschaft, aufgenommen auf der Stiege. Diese Fotoszene haben wir nachgestellt.
Weder die Eltern noch meine Brüder konnten schwimmen. Als einziger in der Familie lernte ich in Tanzenberg, im internatseigenen Badeteich, schwimmen. Beim selben Professor, bei dem ich während eines Skikurses auf der Flattnitz Schifahren lernte. Nichts desto trotz gingen wir an besonders heißen Samstagnachmittagen mit dem Vater zu Fuß über den Berg, vorbei an Nußdorf und Kleinegg, zum Millstätersee in die Laggerbucht zum Baden. Zuvor wurde die Heuarbeit auf den steilen Wiesen in Politzen erledigt. Im Gebäck unsere schwarzen Klothhosen, die sowohl beim Turnen, beim Fußballspielen und beim Baden getragen wurden. Das Planschen im Millstättersee, nach einem verschwitzten Arbeitstag in der Landwirtschaft, ersetzte zugleich das Baden in der Badewanne. Ansonsten wurde im Hof eine große Blechwanne mit lauwarmem Wasser gefüllt, dort konnten wir uns den Schmutz und den Staub vom Leibe waschen. Ein Bad oder Dusche im heutigen Sinne gab es zur Jugendzeit auf dem Bauernhof nicht.

