Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

venedig & grado

Bei der Rückfrage aus der Heimat, wie es um das Zimmer in Grado bestellt ist war meine Antwort, besser als vor zwei Jahren in Venedig. Damit habe ich zweierlei signalisiert: ich bin vom Zimmer nicht begeistert, aber das Positive an diesem Zimmer war, es ist geräumiger, mit Meerblick und mit einem Lift erreichbar.  Das Zimmer in Venedig, nahe dem Bahnhof, in einem drei Sterne Hotel war ein Erlebnis eigener Art. Gebucht habe ich ein Einzelzimmer mit Frühstück und der Option bei Verfügbarkeit Upgrade auf ein Doppelzimmer. In der Hotelbeschreibung, obere Stockwerke mit dem Lift erreichbar. Die Rezeption lag geschätzt im 3. Stock und war nur über eine steile Treppe mit rotem Teppich erreichbar. Vom Upgrade auf ein Doppelzimmer war nichts bekannt. Das Einzelzimmer lag im Hinterhof, über schmale und verwinkelte Stiegen erreichbar, auf Erdgeschoß Niveau. Durch eine schmale Zimmertür betrat ich das Zimmer und stand neben dem Einzelbett. Über eine Stiege gelangte ich in das tieferliegende Bad. Das inbegriffene Frühstück wurde in Abrede gestellt, worauf ich den Support der Buchungsplattform kontaktierte. Innerhalb weniger Stunden erhielt ich aus Singapur in perfektem Deutsch die Nachricht, dass das Hotel kontaktiert wurde und für mich das Frühstück inbegriffen ist.

In Grado war dieses Jahr das Frühstück reichlich und statt Hinterhof gab es Meerblick. An einem Tag ertönte um fünf Uhr morgens eine Sirene. Schlaftrunken und unwissend, ist dies ein Alarm wegen Sturmfluten, ging ich auf den Balkon. Am Abend hatte es zuvor in Grado kräftige Gewitter gegeben. Das Meer war ruhig.  Die Sirene machte keine Pause, war dies ein Brandalarm im Hotel? Beim Blick auf den Hotelgang, die Brandschutztüren sind geschlossen, weitere Zimmertüren öffnen sich. Verschlafen und ungläubig schauen wir uns an, Gott sei Dank kein Rauch oder Brandgeruch. Einige Gäste hasten über die Stiege in das Erdgeschoß. Ich eile in das Zimmer und ziehe über den Pyjama das nächstliegende Kleidungsstück, eine Hose und die neue Jacke, über. Dazu nehme ich das Handy und den Zimmerschlüssel in die Hand und hinaus in das Stiegenhaus. Bei einer Dame vor mir weigert sich der Hund über die Stufen zu gehen.

documenta & biennale

Auf eigene Faust erkunde ich die documenta in Kassel oder die Biennale in Venedig.  In den letzten Jahrzehnten hat sich die bildende Kunst von der klassischen Malerei abgewandt und die Projekte und Objekte tragen zumeist soziale Vorschläge in sich. Vom Status quo der Maler, Bildhauer oder Objektkünstler als Genie hat man sich seit zwei Jahrzehnten abgewandt. Auf den großen Kunstaustellungen in Mitteleuropa steht als Urheber einer Installation ein Kollektiv.

Zeitweise stellt sich vor dem Besuch einer Kunstausstellung die Frage, ob man gemeinsam mit dem Partner die Ausstellung besucht oder ist das Interesse einseitiger Natur. Die körperliche Beanspruchung für ein mehrtägiges Verweilen auf der documenta in Kassel ist enorm. Dabei sind, trotz Verkehrsticket, die zu Fußstrecken und die sommerlichen Temperaturen eine weitere Beschwernis. Daher war ich auf der documenta fünfzehn in Kassel und der 60. Biennale in Venedig allein unterwegs. Meine Erfahrung ist, dass in den Hotels die Einzelzimmer zumeist winzig sind, keinen besonderen Komfort bieten und keine bevorzugte Lage haben. Meine Herangehensweise ist, im Internet über eine Hotelplattform nach einem Doppelzimmer zur Einzelbenützung zu suchen. Dadurch ist ein gewisser Standard gewährleistet. In diesem Jahr besuchte ich die 60. Kunstbiennale in Venedig, das Quartier war aus Familiengründen in Grado. Zeitgleich fand der österreichische Ärztekongress in Grado statt. Die Auswahl an Zimmern mit Meerblick war zu meinem Buchungstermin nicht sehr groß. Es gab ein freies Einzelzimmer mit Meerblick, in nächster Nähe der Altstadt. Die Hotelzimmer an der oberen Adria sind aus meiner Erfahrung eng bemessen. Die Hotellerie rechnet damit, dass sich die Gäste tagsüber am Strand aufhalten und die Zimmer nur zum Schlafen benützt werden. Übernachtet man zu zweit in einem Doppelzimmer in Strandnähe braucht es in einigen Fällen eine Akrobatikübung, dass man aus dem Bett in das Bad kommt.

knopfchirurgie

Am Villacher Kirchtag besorgte die Nachbarin für mich zwei Lebkuchenherzen. Eines für die Lebensgefährtin R. und eines will ich an den Schwersternstützpunkt der Orthopädie im Kardinal Schwarzenberg Klinikum versenden. Dazu ein paar nette Zeilen zum Aufenthalt. Die Aufmerksamkeit und Zuwendung gegenüber uns Patienten war sehr sorgsam und menschlich. Der Schwesternschülerin, ich habe ihr den Beinamen Die Biene gegeben, habe ich beim Austreten aus dem Krankenhaus den Roman von Robert Seethaler, „Die Biene und der Kurt“, überlassen. Nach der Lektüre hatte ich das Gefühl, dass Seethaler für seine Protagonistin die Schwesternschülerin als Vorbild genommen hat. Ich konnte mir vorstellen, dass sich die pummelige Schwesternschülerin in der Figur „Die Biene“ wiederfinden wird. Morgens wurden wir von ihr mit dem Satz, “darf ich ihnen den Blutdruck messen”, geweckt.

Die Nachbarin, eine Krankenschwester, war ganz überrascht, dass ich nach der Hüftprothesenoperation keine Stützstrümpfe tragen muss. Soweit sie Bescheid weiß, ist es in der Villacher Orthopädie üblich, dass die Frischoperierten Stützstrümpfe tragen. Des Weiteren war es nicht notwendig mir täglich eine Thrombosespritze zu verabreichen. Als Krankenschwester hätte sie mir diese Spritze verabreicht. Zur Vermeidung einer Thrombose musste ich einen Monat lang täglich eine Xarelto 50 mg einnehmen.

Nach dem Krankenhausaufenthalt genieße ich frühmorgens, bei Sonnenschein, die Zeit auf unserer Loggia. Auf dem Teller mit dem Apfelstrudel tummeln sich ein paar Ameisen. Winzige Tiere und doch voller Leben. Sie verfügen über alles, was sie zum Leben und Überleben brauchen. Nicht mehr und nicht weniger. Ich nehme an, dass sie die menschliche Gier, die nach immer mehr verlangt als notwendig ist, nicht kennen. Soweit ich weiß leben sie in einem Sozialstaat, wo die Aufgabenteilung geregelt ist. Wie soll ich dieses Zusammenspiel einordnen, staunen darf ich darüber. Aus dem Tageheft…

mobilität

Groß war die Freude, als ich nach der Hüftoperation das erste Mal im Freibecken der Sonderkrankenanstalt Warmbad schwimmen konnte. Zuerst vorsichtig, als würde ich dem neuen Hüftgelenk nicht trauen. Das Alter hat auch seine Vorteile, man braucht sich niemandem gegenüber beweisen. Den Beweis für die Lebenstüchtigkeit hat man schon erbracht, ansonsten ist es zu spät. Der Schwerpunkt liegt auf einigermaßen, niemand will sich vor der Zeit aufgeben.  Ganz oben steht bei älteren Leuten der Wille gehfähig zu bleiben, heute spricht man vom mobil bleiben. Ein vielgebrauchtes Wort ist die Mobilität, auch gegen die uneingeschränkte Mobilität wie sie in den siebziger und achtziger Jahren begrüßt und gefördert wurde.  Dem Auto- und Flugverkehr kehrt man den Rücken zu. Dazu möchte ich anmerken, dass besonders in der Jugend und gerade in der Pension die Mobilität, das Autofahren, eine besondere Aktualität hat.

Wer es selbst erlebt weiß, dass es mit zunehmendem Alter mühsamer wird größere oder steile Wegstrecken mit vollen Einkaufstaschen zurückzulegen. Es gibt öfters Termine in der Innenstadt, die zwar mit dem Bus erreichbar sind, aber schon der Weg bis zur nächsten Bushaltestelle kann eine Herausforderung darstellen, der man nicht mehr gewachsen ist. Dies, obwohl man in der Vorstadt von Villach lebt. In Politzen, wo ich aufgewachsen bin, beobachte ich wie Bekannte altern. Am Land spielt die eigene Fahrtauglichkeit zum Arzt, zum Kaufhaus, zur Kirche oder zu einer Veranstaltung eine besondere Rolle. Nur die topfitten Achtzigjährigen schaffen es zu Fuß zum Gemeindezentrum nach Ferndorf. Der Weg dorthin ist etwa vier Kilometer lang. Hinunter ist es manchen möglich, aber auf den Politzner Berg hochzugehen ist eine Herausforderung. Glücklich jene Haushalte, wo mehrere Generationen im Haus wohnen und einer der Bewohner einen Shuttledienst anbietet.

bodenpersonal

Ich beobachte ein interessantes Phänomen, zu bestimmten Zeiten erinnere ich mich an bestimmte Aussagen und Erfahrungen von früher. Nach dem Betreten der Arztordination, bei der Anmeldestation entscheidet sich vieles. Hat man die Hürde bei der Ordinationsassistentin geschafft, bekommt man einen Platz im Warteraum zugewiesen. Vor Jahrzehnten war es die Ordinationsgehilfin, diese Bezeichnung wird heute nicht mehr verwendet. Eines haben viele Praktische- und Fachärzte gemeinsam, die Freude sehr zeitig mit der Ordination zu beginnen. Ist dies ein Attribut an früher, wo es selbstverständlich war, dass die Menschen um sechs Uhr morgens mit der Arbeit begonnen haben? Ein Relikt der Krankenhaus Gene, wo die praktische Ärzteausbildung beginnt, bevor sie sich selbstständig machen können. Wer schon einmal den Krankenhausalltag erlebt hat weiß, dass die Patienten von der Nachtschwester morgenfit gemacht werden. Ob es sich um Blutdruck-, Fiebermessen, Verbandswechsel oder um das Frühstück handelt. Ein Sprichwort sagt, der frühe Vogel fängt den Wurm. Die erste halbe Stunde gehört den Ordinationsgehilfinnen um die Frühstarter aufzunehmen, Rezeptwünsche zu erfüllen und mit den ersten Versorgungen, wie Blutabnahmen, Infusionen und Massagen zu beginnen.

Beim Betreten der Ordination steht die Tür zum Arztzimmer offen und ist unbeleuchtet. Ich stelle mich bei der Ordinationsassistentin mit einem freundlichen Guten Morgen vor und der wohlmeinenden Feststellung: „Das Bodenpersonal ist schon bei der Arbeit“. In meiner ersten Lebenshälfte gehörte der Ausspruch, die Ärzte sind die Götter in Weiß zum Alltag.  Damit verknüpfe ich die Vorstellung von überirdischen Wesen, sie schweben über unseren Köpfen und sind für die Erdung auf ein Bodenpersonal angewiesen. Unter den landläufigen Christen ist die Bezeichnung, das Bodenpersonal vom lieben Gott für Priester und Ordensleute weit verbreitet. Für die Missstände in den christlichen Kirchen trifft die Schuld nicht Gott, sondern schuld daran ist das Bodenpersonal. Im Warteraum vom Arzt gebe ich mich allen möglichen Gedanken hin und es fehlt am Überblick, warum ich noch nicht aufgerufen wurde? Eine Intervention beim Bodenpersonal ob es sein kann, dass Rentner zurück gereiht werden, diese haben ja Zeit? Vom Bodenpersonal kommt ein Dementi, dies sei nicht der Fall, es passiert alles der Reihe nach.