Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

insektenmast

Vielerorts werden Alternativen ausprobiert um das Fleisch durch andere Lebensmittel zu ersetzen. Für das lebensnotwendige Eiweiß und die Proteine bietet sich der Verzehr von gezüchteten Würmern und Raupen an. In der Wirtschaftskammer in Klagenfurt gab es ein Buffett mit Würmern und Raupen. Eine Nichte hat daran teilgenommen und erzählte, dass sie sich nicht entschließen konnte beim Raupen- und Heuschreckenbuffet zu zugreifen. Sie bediente sich am traditionellen Buffet. In Kärnten gibt es einen innovativen Betrieb im Lavanttal der in großem Umfang Insekten, Würmer, Raupen und Heuschrecken züchtet. Bei dieser Menge muss man sagen, mästet. Die Populationen befinden sich in den Schubladen einer Schrankwand. Wird eine Lade geöffnet, dann wuselt es nur so. Ist dies Art von Zucht ein landwirtschaftlicher Mastbetrieb, statt Rinder sind es Insekten oder ist es ein Industriebetrieb, statt Vitaminpillen sind es Insekten? Gibt es dabei eine Trennlinie? Ob Schwein, Rind oder Insekt, um es als Nahrungsmittel zu verwenden, ist ein Tötungsvorgang notwendig. Im Lavanttaler Betrieb erfolgt die Tötung oder ist es eine Schlachtung im Kollektiv dadurch, dass die Temperatur auf etwa Minus fünfzehn Grad abgekühlt wird. In diesem Minusbereich stellen die Insekten ihre Lebensfunktion ein.

Um eine Facette reicher wird die Mästung von Insekten, wird auf diese der Tierschutz angewendet, wie er für Hühner, Schweine oder Rinder gilt.  Die Tierschutzorganisationen bemängeln, dass es in den industriell geführten Mastbetrieben für die Tiere nicht den nötigen Platz und Auslauf gibt. Dabei wird verdrängt, dass Tiere Gefühle und Emotionen haben, bis zu der Annahme, dass die Tiere ihren Tod, die bevorstehende Schlachtung, instinktiv spüren. Wie steht es mit dem Tierschutz bei der Insektenmast?  Hier leben Tausende von Rauben und Würmer auf kleinsten Raum in Schubladen. Einer kraxelt über den Anderen, es ist ein Wirrwarr wie bei einem Ameisenhaufen. Laut einem TV- Bericht haben neue Forschungen festgestellt, dass auch Insekten Gefühle haben und sich organisieren.

landleben

In schwierigen Lebensumständen ist es manches Mal befreiend einen Blick auf andere Lebenssituationen zu werfen. In der Fernsehsendung Landleben kann ich miterleben, wie in kleinen bis mittelgroßen bäuerlichen Betrieben Zufriedenheit und Harmonie herrschen. Wie mit einer Nische, Bienen- oder Fischzucht, mit der Haltung von Schafen oder der Aufzucht von Noriker Pferden ein wenig Wohlstand erworben wird. Mit reichlichen Ideen werden die landwirtschaftlichen Produkte verarbeitet und am Hof oder am Wochenmarkt verkauft. Ansprechend durch individuelle Verpackung und charmante Präsentation, die ganze Familie ist in die Arbeit eingebunden. Geborgenheit und Zufriedenheit strahlt der bergbäuerliche Kosmos aus und spiegelt sich im Verhalten der Kleinkinder wider. Diese werden mit kleinen Handgriffen betraut und wachsen ohne Scheu vor Schafen oder Kühen, in einer ursprünglichen Natur auf. Die Großeltern nehmen am gemeinsamen Mittagsessen teil. Sie sind stolz auf die neuen Ideen der Jungen, mit denen der Bauernhof eine Zukunft haben wird. Im Lebensalltag sind die bäuerlichen Familien mit der Landschaft, dem Rhythmus der Jahreszeiten, dem Wetter, dem Wachsen und dem Reifen unmittelbar verbunden.

Wieviel haben die Pflanzen und die Bäume uns hochgezüchteten Bewohnern der Erde, voraus?  Wir erkennen uns selbst, angenommen wir vertrauen der eigenen Erkenntnis. Bei einer Wanderung im Frühsommer durch den Mischwald ist mir in das Auge gestochen, dass die Bäume an ihren kahlen Zweigen feine, hellgrüne Blätter austreiben. Im Volksmund heißt es, im Frühjahr sprießen wieder die Bäume. Diesen Wunsch kann ich mich anschließen, dass im Frühjahr meine Haare wieder zu sprießen beginnen. So müsste ich auch akzeptieren, dass mir im Herbst die Haare ausfallen.

klosterzelle

Wer aus Interesse an Kunstaustellungen, an neuem Wissen oder nach einer Möglichkeit sucht im Urlaub etwas für das Gehirn zu tun, der findet eine Fülle von Angeboten. Diese weichen von den pauschalen Urlaubsangeboten, Radfahren, Wandern, Sonne und Meer ab. Schnell fündig wird man bei einem Blick in die Programmhefte der Bildungshäuser oder von Kulturinitiativen. Die Palette reicht von Malkursen, Töpferkursen, Sprachkursen bis zu Singakademien. Mein Interesse in den Sommermonaten gilt Seminaren wo es um Bücher und Literatur oder um Symposien zu grenzübergreifenden Themen wie Wahrheit oder Vertrauen geht.

Öfters besucht wurden von mir die Vorauer Literaturtage im Zisterzienser Kloster Vorau. Für eine Woche haben wir uns mit dem Inhalt und dem Schreibstil von drei, im Vorfeld zu lesende Bücher, beschäftigt. In den Klöstern werden zumeist einfache Übernachtungsmöglichkeiten geboten. Im Stift Vorau stehen während der Sommermonate den Seminarteilnehmern die Schülerzimmer der Landwirtschaftlichen Berufsschule zur Verfügung. Die Ausstattung ist spartanisch, aber auf der Order ganz oben steht der Austausch unter Bücherfreunden. Reicht die Zahl der verfügbaren Zimmer nicht für alle Teilnehmer so gibt es eine Notlösung. Männliche Seminarteilnehmer können eine Klosterzelle in der Klausur erhalten. An eines dieses Appartement kann ich mich erinnern. Ich habe es über eine Flügeltüre betreten, es gab ein großes Zimmer mit einem mächtigen Schreibtisch und einigen herrschaftlichen Stühlen. Dazu einen Sekretär und einen Schrank für Bücher. Aus den Fenstern hatte ich einen prächtigen Blick auf die umliegende Hügellandschaft. Bei jedem Schritt knarrte der Holzboden. Eine Tür führte vom Arbeits- und Wohnzimmer in das Schlafzimmer. Darin ein einfaches Bett, daneben ein Betstuhl und an der Wand ein übermächtiges Kreuz. Im Bad befand sich ein übergroßer Boiler und eine Badewanne. Über dem Waschbecken war ein Allibert Toilettenschrank mit Spiegel und eingebauter Beleuchtung montiert. Der Schrank hatte drei Türen und die Standardfarbe grün.

wolldecken

Die Überschwemmungen vom Herbst rufen in Kärnten bei älteren Semester die Erinnerungen an die Hochwasser in den Jahren 1965 und 1966 wach. Einige können von dramatischen Erlebnissen erzählen. Ein pensionierter Eisenbahner erzählte während einer Zugfahrt nach Wien, wie er in den 1960er Jahren nach Arbeitsschluss von Lienz mit dem Zug nach Oberdrauburg, seinem Wohnort fährt. Der Zug hält plötzlich auf freier Strecke, die Eisenbahnlinie war durch Überflutungen unterbrochen. Die letzten Kilometer ist er zu Fuß gegangen. In Oberdrauburg drohte die Brücke über die Drau einzustürzen. Bäume, Sträucher, Möbel, vieles hatte sich hinter den Brückenpfeilern verkeilt. Auf der anderen Seite vom Fluss befindet sich sein gerade erst fertiggestelltes Haus. Seit einem halben Jahr wohnt er darin mit seiner Frau, wie kommt sie mit der Situation zu recht? Die Polizei wollte ihn daran hindern die einsturzgefährdete Brücke zu überqueren, er setzte sich über alle Bedenken hinweg. Er war seit einem Jahr verheiratet und seine Frau erwartete ein Kind. Der Gailbergbach, welcher in der Nähe vorbeifließt, ist über sein Bachbett getreten und hat Garten und Haus verwüstet. Der Keller und das Erdgeschoss sind voll von Schotter und Geröll. Die Frau ist in den ersten Stock geflüchtet, erleidet ein paar Tage später durch den Schock eine Fehlgeburt. Beim Aufräumen halfen ihnen Verwandte und von den Überschwemmungen nichtbetroffene Nachbarn.

Für ihn gab es keine öffentlichen Entschädigungen finanzieller Art, auch nicht von der Gebäudeversicherung. In den 60er Jahren mussten die meisten Hochwasseropfer mit ihren Schäden alleine zu Rande kommen. An einem regnerischen Novembertag im selben Jahr befand sich die Kommission zur Wildbachverbauung in einem Gasthof in Oberdrauburg. Sie berät darüber, ob und in welchem Ausmaß der Gailbergbach reguliert werden soll. An diesem Nachmittag trat der Bach abermals über die Ufer. Damit gab es über die Notwendigkeit den Bach zu verbauen keine Diskussion mehr. Im Dezember haben sie von einer Wohlfahrtsorganisation aus Wien zwei Wolldecken erhalten.      

lebenswege

In meiner Erinnerung sitze ich, am 6. Mai 1976 um 20.59 Uhr, in der Küche am Tisch und plötzlich geht eine Welle durch das Haus.  Der Stuhl auf dem ich sitze wird hochgehoben, dass ich einem Moment befürchte mit dem Kopf am Plafond anzustoßen. Von draußen höre ich wie Dachziegel auf der Straße aufschlagen. Der nächste Gedanke war raus aus dem Haus und weit weg vom Gebäude. Beim Nachbarhaus lag in der Einfahrt der halbe Schornstein auf dem Asphalt. In den folgenden Nächten war kein Durchschlafen möglich, immer wieder wurde ich von kurzen Erdstößen geweckt. Auf dem Nacht Kastl lag eine Banktasche griffbereit mit den Geschäfts- und Autoschlüsseln, Dokumenten und Ausweispapiere. Die Wohnungstüre habe ich in den ersten Wochen nach dem großen Erdstoß nicht abgeschlossen. Diese Erinnerung hat sich unverhofft eingestellt, als wir, zwei fremde Menschen in der Klinikum Cafeteria auf unsere Partnerinnen gewartet haben.

Der Funke der Erinnerung ist auf eine dritte Person übergesprungen.  Eine Frau mischte sich in unser Gespräch ein und erzählte von sich. Sie kann sich gut an den Herbst des Jahres 1976 erinnern, an den siezehnten September. Am Vormittag saß sie in der Handelsakademie in Spittal Drau, um die Aufnahmeprüfung zu schreiben, als plötzlich die Erde bebte. Schreiend sind sie aus der Schule gestürmt.  An diesem Tag ereignete sich das stärkste Nachbeben in Friaul und in Kärnten. Die Angstschreie der Kinder von der gegenüberliegenden Volksschule in Arnoldstein klingen mir noch immer im Ohr. In den ersten Schulwochen standen die Eingangstür von der Schule und die Türen von allen Klassenzimmern offen, es gab immer wieder Nachbeben.

Meine Erinnerungen an Spittal / Drau beginnen etwa ein Jahrzehnt früher. In den sechziger Jahren absolvierte ich in der Papier- und Buchhandlung Petz am Bahnhof meine Ausbildung zum Buchhändler. Als Hak Schülerin hat sie dort ihre Schulwaren eingekauft.  Die Jugendlichen welche mit dem Zug oder mit dem Postbus am Spittaler Bahnhof ankamen, hatten die Möglichkeit vor Schulbeginn in der Papierhandlung einzukaufen. Manche Lebenswege begegnen sich unverhofft, um danach wieder in verschiedene Richtungen auseinanderzugehen.