costa:concordia IX

Zu einer Stadtbesichtigung gehört der Besuch eines Gemüse- und Fischmarktes. Die Reiseleiterin kann während der Marktbesichtigung eine Pause einlegen, da das Marktgeschehen seine eigenen Regeln hat und sich selbst erklärt. Die einzige Vorgabe beim Besuch des Marktes in Palermo ist, dass wir nach einer Stunde wieder am Eingang sind. Jeder sollte achtgeben, dass ihm nicht die Handtasche oder die Brieftasche geklaut wird. Die meisten Marktstände sind in einem baufälligen Zustand, jeder hat ein anders Aussehen, je nach persönlichen Geschmack und ist zumeist ein Zubau zum Geschäftslokal. Der Markt erstreckt sich rechts und links von der Straße, über einen halben Kilometer lang, und hat einen schmalen Durchgang. Niemand sorgt für Ordnung und Sauberkeit. Der erste  Eindruck ist, dass manche Lebensmittel, wie Fisch und Fleisch besonders abstoßend präsentiert werden. Als Supermarkteinkäufer, mit Hygiene verwöhnt, können wir uns daran nicht satt sehen und gleichzeitig ekelt es uns davor. Bei den Obstständen gibt es Früchte die wir kennen und solche die wir nicht kennen. Das Obst und Gemüse gibt es in allen Farben: Orange, Schwarz, Violett, Oliv, Türkis, Rot und noch Andere. Die Auswahl bei den Fischen, Krebsen und Schaltieren ist groß, manche Fischhälften haben die  Größe von einer Schweinehälfte. Über die Besucherköpfe hinweg hört man die Lockrufe der Marktfieranten. Von den Holzlatten der Verkaufsbuden hängen die gehäuteten und ausgeweideten Capretto, dies sind junge Ziegen. Außer den Verkaufsständen für Obst, Gemüse, Fisch und Fleisch gibt es Buden mit Textilien und Schuhen, Spielwaren, Haushaltsgeräten und Eisenwaren. Durch den Besucherstrom drängen sich Männer, im Anzug und mit Krawatte und nähern sich den Geschäftsinhabern. Diese begrüßen sie mit einem Kuss, die Bruderschaft von Palermo.

In den schmalen Gassen, wo von den baufälligen Fassaden der Verputz abbröckelt und die Fassadenfarbe unkenntlich ist, bewohnen viele Familien im Erdgeschoß nur einen Raum. Die Eingangstüren stehen offen,  so sieht man, dass Küche und Schlafraum eins ist. Die Hausarbeit der Frauen, die Schulaufgaben der Kinder wird im Freien, neben den hupenden Autos, erledigt. Dazwischen schlängeln sich die Touristengruppen durch. Manche Türen und Fenstern werden repariert, sodass es möglich ist über Nacht die Eingangstür und die Fenster abzuschließen. Man sieht  kein Auto, welches nicht eine Schramme oder eine Beule in der Karosserie hat. Die Strom-, Telefon- und die Wasserleitungen verlaufen auf Putz, ein Wirrwarr von Kabeln und Leitungen.

Am Rathausplatz von Palermo erzählt uns die Reiseführerin, dass die Brunnenanlage, welche mit nackten Jünglingen geschmückt ist, einst die Nonnen vom Kloster vis a vis, sehr erzürnt hat. Heute leben noch sieben ältere Nonnen in der weitläufigen Klosteranlage. Ein mobiler Verkäufer mit Reiseführer gesellt sich zur Gruppe und schlägt zu den Erklärungen der Reiseführerin die passende Seite im Buch auf. Er weist darauf hin, dass der Führer mit den Sehenswürdigkeiten von Palermo bei ihm erhältlich ist. Entlang des Touristenstroms haben sich  einige Bettler niedergelassen, einer mit der Tafel: „Nehme auch 1 €.“ Am Abend gibt es das Galamenü des Küchenchefs.   

 

costa:concordia VIII

Seit einer Stunde sitze ich im Cafe „Helsinki“ an Bord  in einem bequemen Sessel und blicke durch das Panoramafenster auf das Meer. Ich trinke einen Milchkaffee und lese  im Buch von Franz Schuh: „Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche“. Bei schräg stehender Sonne fließt  vor meinen Augen in einer Endlosschleife das Meer vorbei. Durch die getönten Scheiben wirkt  das Wasser dunkler, als vom Reling aus. Ein sanftes Kräuseln an der Wasseroberfläche, keine großen Wellenbewegungen, keine Inselgruppe oder Küstenstreifen. Der blassblaue Himmel vermählt sich weit entfernt mit dem Meer. Aus den Lautsprechern klingt sanfte Musik, einige Passagiere flanieren vorbei oder setzen sich in der der Nähe der Panoramafenster nieder. An einem Nebentisch nimmt eine Frau aus ihrer Handtasche einen Kamm,  einen Spiegel und  beginnt ihre Haare zu frisieren.

So einen Zustand wünsche ich mir für die Zeit in meiner Pension, so klangen auch die Vorhersagen: „Wenn du im  Ruhestand bist, dann werden die Probleme, welche sich in den Berufsjahren auf den Schultern abgelagert haben, weg sein. Du wirst in einem Paradies auf Erden, mit einem ewig blauen Himmel,  sein“. Ich möchte nicht aufstehen, ich will mich  von dieser himmlischen Stimmung nicht lösen. Ist es Unzufriedenheit, wenn ich den versprochenen Himmel, das versprochene Paradies, einfordere. Jetzt bin ich zornig, dass die Tage nicht konflikt- und beschwerdefrei verlaufen. Andere fordern in der Pension finanzielle Zulagen, Vortritt in den Zügen, schnelle Abfertigung am Bankschalter und an der Supermarktkasse. Sie erwarten sich einen Nachschlag für ihr Leben, sie wollen Versäumtes nachholen. Sie glauben, dass mit einer Urlaubsreise, einem Busausflug oder einer Stadtbesichtigung die Zufriedenheit steigt. Ich wünsche mir Gleichmäßigkeit und Schwerelosigkeit.

Auf Mallorca erleben wir, dass die Menschen trotz Hitze und Palmen am Jahresrhythmus festhalten. Entlang der Straßen wurden an den Palmen die Weihnachtsbeleuchtung, die Weihnachtskugeln und die Weihnachtssterne angebracht. Nur sehr selten schneit es auf der Insel. An der Strandpromenade bieten die Souvenir- und Geschenkshops Weihnachtsschmuck an. An Bord der Costa Concordia kaufen einige  Reisemitglieder eine Armbanduhr. Es hat den Anschein, als wäre eine Reihe von Armbanduhren über Bord gefallen. Die Zeit, welche man zur Verfügung hat, wird umso genauer eingeteilt. Beim Abendessen glänzen, für alle sichtbar, auf den Unterarmen die neuen Uhren.

costa:concordia VII

Unsere Gruppe feiert am Donnerstagvormittag mit dem Dompfarrer von Klagenfurt auf dem Schiff eine Messe. Da wir seit einigen Tagen auf See sind müssten wir unserem Glück schon näher gekommen sein. Welche Voraussetzungen sind für das glücklich sein notwendig und wie sieht das Glück aus? Jeder wird es anders erleben. In der Predigt stellt uns der Pfarrer die Frage, was uns lieber wäre: „Auf unseren Wohlstand zu verzichten und glücklich zu sein oder unseren Wohlstand zu behalten und unglücklich zu sein“? Die meisten bleiben die Antwort schuldig, weil die Wenigsten können sich vorstellen, dass man ohne unseren Wohlstand glücklich sein kann.

Am Vormittag findet auf Deck 9, der „Riviera Magica Lido“, ein bayrisches Bierfest mit Weißwürsten und Brezen statt. Es gibt Auftritte von Sängerinnen aus Afrika und Schuhplatter aus Taiwan. Dazu gesellen sich die Lesachtaler Trachtenkapelle und eine Sängerin aus Kärnten. Von der Blasmusik angezogen füllt sich das Deck mit Italienern und mit dabei die Kleinkinder und die Halbwüchsigen. Die Musikanten, bekleidet mit einer roten Kniebundhose und Joppe, dazu ein Trachtenhut mit einer großen weißen Feder, fangen zum Jodeln an. Der Jodler klingt wie ein Notruf, ein SOS,  an die  Mitreisenden. Auf  die Frage der Sängerin: „Wollts ihr noch epas hörn“, kommt als Echo, „Jo freilich“  zurück. Im Vergleich zu den farbenfrohen Kleidern der afrikanische Frauen schauen die Trachtenanzüge einfach rot aus.  Die Exotinnen werden von allen Seiten fotografiert und die besten Bilder werden daheim auf der Homepage des Trachtenvereins veröffentlicht. Die italienischen Bambini tanzen zur Musik in ihren violetten, grünen, pinkfarbenen Bademänteln.  Auf einer Seite der Tanzfläche stehen die Kärntner Seniorinnen und Senioren  mit einem Glas Bier in der Hand und schunkeln eifrig mit. Daneben  tummeln sich im Sprudelbad die Gäste aus allen Nationen im Bikini: Schlanke, Mollige, Barbusige, Dunkelhäutige, Sonnengebräunte und Blasse. Der Frühshoppen, ein buntes Schauspiel der Unterhaltungsmaschinerie auf der Costa Concordia, Vormittagsdisco für Alpenbewohner. An den Fenstern fließt unser Urlaubstraum, das Meer vorbei. Zum Abschluss singt man den Hit aus Kärnten: „Is schoan still uman Sea „.

Mit ernsten Gesichtern holen sich die Spätaufsteher am Frühstücksbüffet ihre Pizzastücke, Würstel, Omelette, Obstsalat, Butter, Marmelade, alles für einen guten Start in den Tag. Es ist ein Kampf um den Fressnapf, wie in der Früh bei den Katzen Charly und Undine. Wird die Sheba Dose nicht schnell genug geöffnet, so schimpfen und beißen sie uns in den Fuß. Danach stürzen sie sich auf Huhn und Leber. Auf Deck 9 beginnt die Suche nach einem freien Platz mit Meerblick. Kein Frühstück ohne Meerblick, man hat schließlich für alles bezahlt.

ps. alle costa concordia texte, sind texte aus dem tagebuch. 

rede:antwort

Man kann sagen jeder Mensch hat eine andere Nase, einen anderen Mund, eine andere Stirn und doch erkennen wir sie als Nase, Mund und Stirn. Es gibt in den Gesichtern der Menschen verschiedene Stimmungsbilder, wie ein Verzogenes, ein Aufgewühltes, ein Lächelndes, ein Schmerzhaftes, wir erkennen die unterschiedlichsten Stimmungsschwankungen. Auf diesen Gesichtsausdruck, der etwas von der Stimmung im Innersten preisgibt, reagieren wir mit unserem eigenen Gesichtsausdruck. Wir reagieren mit unseren Gesten, mit unserer Sprache, mit unserem Mitgefühl und mit unseren Entscheidungen.

Die Redegewohnheiten sind bei den Menschen, wie die äußeren Merkmale, verschieden. Im Alltag befinden sich unsere Redegewohnheiten auf umgangssprachlichem Niveau. Meistens geht es darum jemanden seine Wünsche mitzuteilen, eine Frage zu stellen, sich über eine Sache zu äußern oder eine Antwort zu geben. Es geht um Äußerungen, die mit dem unmittelbaren Leben zu tun haben. Ein nüchternes, abgeschliffenes Redeverhalten, dass sich beim Umgang mit Kindern und mit älteren Menschen verändert, einen anderen Tonfall annimmt. Oft ist dies im Umgang mit Kindern, Senioren und dem Partner ein belehrender Tonfall. Der Befehlston schleicht sich bei langjährigen Beziehungen ein, wenn der Partner, die Partnerin, Rede und Antwort einfordert. Dann kommt Skepsis auf, an dem was gesagt wurde.   

Von Menschen die einen Vortrag halten erwartet man, dass sie Punkt für Punkt zum Kern der Sache kommen, für alle verständlich. Diese Vorträge sind oft nicht sehr kreativ. Philosophen und Schriftsteller gehen einen anderen Weg, sie erzählen zuerst von den Nebenschauplätzen, sie verweisen auf Dinge die nur am Rande mit dem ursächlichen Thema etwas zu tun haben, es wird ein Umweg gemacht. Sie springen manches Mal von einer Wortverbindung zu einem Wortspiel. Vieles andere ist wichtiger und von sprachlicher Schönheit, als das gewählte Thema. Eine  Angelegenheit wird eingekreist, wie eine schöne Blume auf der Wiese, sich Spirale um Spirale der Blume nähern. Um eine Antwort zu erhalten müsste man zur  Blüte vordringen, die Blume zerstören. Danach hätte man verschiedene Blüten, aber keine Antwort. Es braucht eine gute Geschichte und nicht eine Antwort die alles zerstört.

Beantworten.       

leer:geräumt

Für uns alle spielt die Menge, die Fülle, eine große Rolle. Wir leben in einer „immer weiter und höher“ Gesellschaft.  Die Höhe des Gehalt, die Größe der Wohnung, die Fülle an Waren, wie man sie seit kurzem im Drogeriemarkt Müller im Alpen Adria Einkaufszentrum vorfindet. Die Leute kommen in das Schwärmen und die Augen fangen an zu glänzen, wenn sie von ihrem Besuch im Drogeriemarkt berichten. Man will die Fülle der Wahlmöglichkeiten bei den Drogerieartikeln, bei den Schuhen und bei den Textilien. Der Drang zur großen Auswahl setzt sich bei den Zeitungen und den Fernsehprogrammen fort. In den westlichen und östlichen Weisheitslehren, so die Vermutung, ist die Stille und die Leere ein Vorbild, statt Konsum.

Wie angenehm die Leere ist erlebe ich,  wenn ich in diesen Tagen über den Villacher Hauptplatz spaziere. Noch vor acht Wochen war der Hauptplatz als solcher nicht zu erkennen, überall standen die Punschzelte, die Holzhütten des Weihnachtsmarktes, dazwischen die Würstel- und Glühweinstandln. Eine Kindereisenbahn,der Christbaum, aus allen Ecken leuchteten die Weihnachtssterne und die Lichterketten. Jetzt ist alles weggeräumt und der Platz als solcher zu erkennen und zu genießen. Die Weite des Platzes berührt mich. Sorgenvoll blicke ich auf das Faschingswochenende, wo alles wieder dekoriert und beflaggt wird.

Leergeräumt erlebe ich die Pfarrkirche Völkendorf, nachdem am Tag der Maria Lichtmess die Krippe und die mit Strohsternen geschmückten Christbäume verräumt wurden, um vieles intensiver. Auch in der Wohnung genieße ich es, dass die üppige Weihnachtsdekoration wegräumt wurde. Nach der Fülle an Dekorationsartikel, die oft  die innere Leere überdecken, genieße ich jetzt die Leere.

Wurfschlangen.