neuschnee

In der Erinnerung an die frühen Kinderjahre schneite es im Drautal im Dezember immer flächendeckend. Davor war es zumeist einige Wochen kalt. Eines Morgens hieß es von den Erwachsenen, Schnee liegt in der Luft. Ein kräftiger Wind brachte dunkle Wolken über das Goldeck herein in das Drautal, der Schnee breitete sich vom Lurnfeld in das mittlere Drautal aus. Beim Blick aus dem Stubenfenster fiel ein schwaches Licht aus dem Stall in den verschneiten Hof. Der Morgen am Bergbauernhof begann mit den Schneeschaufeln, für einen Steig vom Haus zum Viehstall. Im Hof vorbei am Brunnen, wo das Wasser Tag und Nacht rinnt. Der Brunnentrog ist vereist, am Brunnenrohr hängen Eiszapfen. Das schwache Licht vom Torbogen und ein wenig Licht aus dem Kuhstall genügten, um den Kühen den Weg zum Brunnen zu erleichtern. Jede wollte die Erste am Wasseertrog sein. In der Zwischenzeit konnte das Heu in die Barren verteilt werden. Dabei war zu achten, dass man keiner der zurückkehrenden Kühe bei ihrer ungestümen Art den Hörnern zu nahekam. Als Jugendlicher war ich flink beim Anleinen der Kühe an den Futterbarren. Kaum öffnete ich das Kälberglitsch stürmte das Kalb zur Mutterkuh zum Dudeln. Mehr Geschick verlangte es, das Kalb wieder zurück in das Kälberglitsch zu bringen, die neue Freiheit wollte es genießen. In ihrer wilden Art suchte es bei anderen Kühen Unterschlupf.

Die Freude über den Schnee war bei uns Kindern spontan, wir konnten es damals nicht vom Handy ablesen zu welcher Stunde es schneien wird. Jedes Mal eine Überraschung. In den Volksschuljahren konnte ich mich darauf verlassen, dass die älteren Schüler zuerst durch den Neuschnee strampften und ich hinterher. In der Bibel gibt es öfters die Warnung, wir sollten auf die Wiederkehr Gottes vorbereitet sein, denn niemand weiß die Stunde wann er kommen wird. Das Unverhoffte hat seine Qualität, im Innersten hoffen wir auf etwas Unvorhersehbares, dass unser Leben zum Besseren verändern wird.

schneemangel

Die Freude über den ersten Schnee ist mir bis in das Seniorenalter erhalten geblieben. Den Überraschungseffekt gibt es seit einem Jahrzehnt nicht mehr, die Wetterprognosen werden immer präziser. Bei den Pendlern nistet sich der Gedanke ein, muss ich wegen der schlechten Straßenverhältnisse früher wegfahren und sind die Straßen geräumt? Die blitzblanke Karosserie wird in kurzer Zeit zum Schnee von gestern. Alpträume verursacht die Verkehrsmeldung, dass es zu Verkehrsbehinderungen auf den Autobahnen kommen könnte und es notwendig wird die Schneeketten anzulegen. Für die Bewohner des Hochtales gibt es auf der Fahrt in die Bezirksstadt eine Lawinenwarnung und eine Warnung vor umgestürzten Bäumen. Für den Skilift Betreiber ist die Zeit sich über den Schneefall zu freuen rar. Die Regungen der Freude werden im Gehirn vom Finanziellen überlagert. Dort wird gerechnet, wie viele Skifahrer bringt der erste Schnee auf die Pisten und dem Bergrestaurant an Gästen? Jede Stunde mehr an Schneefall lässt sich in einen wirtschaftlichen Ertrag ummünzen.                                                                                                                                

Zur Mittagszeit trafen wir am 24. Dezember 1971 mit dem VW Käfer in Arnoldstein ein. Auf der Bundesstraße hatten wir im Auto das Gefühl wie durch eine Schlucht zu fahren, rechts und links gesäumt von mannshohen Schneewänden. Mit Mühe haben wir auf dem Gemeindeplatz einen Parkplatz gefunden, wir wollten uns mit dem Verpächter einer Papierhandlung treffen. Der Laden war von der Straße aus nicht sichtbar. Zu Fuß machten wir uns auf die Suche nach dem Geschäftseingang. Ein schmaler Schlurf führte von der Straße zum Anbau an einem Wohnhaus. Der Schnee reichte bis zum Dach. In der Zeitung lese ich nach fünfzig Jahren, dass das Schigebiert Arnoldstein-Dreiländereck seinen Betrieb wegen Schneemangel eingestellt hat.

nürnberg:rostbratwürstel

Ausführlich erzählte der Stadtführer in Nürnberg aus der Geschichte vom Henkerhaus und dem bekanntesten Scharfrichter Franz Schmidt. Dieser wohnte hier mit Frau und sieben Kindern. Der Scharfrichter hat denselben Vornamen wie ich, dies ging mir zu Herzen. Die Beschreibungen des Fremdenführers von den Folterungen und Hinrichtungen waren sehr detailreich. Dies ist möglich, da der Scharfrichter Franz Schmidt ein sehr penibles Tagebuch über sein Handwerk und die Durchführungen hinterlassen hat. Während seiner vierzigjährigen Tätigkeit hat er etwa dreihundertsechzig Menschen hingerichtet. In seiner arbeitsfreien Zeit war er als Mediziner tätig. Der Führer hat es genossen, wie die gruseligen Darstellungen die weiblichen Touristinnen erschaudern ließen.

An einem anderen Tag konnte ich, in der Hand ein Rostbratwürstelsandwich, vor dem Kaufhaus Wöhrl in Nürnberg, einen Demonstrationszug für die Freiheit von Gaza und für einen eigenen Palästinenser Staat beobachten. Die fahnenschwenkenden Demonstranten wurden von einem Kordon von Polizisten begleitet. Am Sonntag vor der Abreise besuchte ich nach der Führung durch das Albrecht Dürerhaus das Bratwursthäusle am Rathausplatz. Dort sollte es nach einem Bericht einer Lokalzeitung die besten Nürnberger Rostbratwürstel geben. Die niedere Gaststube war gut besetz und die Würstel wurden am offenen Feuer gebraten. Die Feuerstelle befand sich in der Mitte der Gaststube. Rauch lag in der Luft und haftete auch den Rostbratwürstel an. Am Stammtisch kam ich mit anderen Gästen schnell über das Nürnberger ins Gespräch. Wie es das Reinheitsgebot für das Bier gibt, gibt es ein Reinheitsgebot für die Rostbratwürstel. Die Füllung besteht ausschließlich aus Schweinefleisch und Majoran. Bei einigen Tischnachbarn genießen die Würstel Kultstatus, sie kommen immer wieder hierher. Lob kam von den deutschen Nachbarn für die österreichische Küche. Diese sei etwas geschmackvoller und die Mehlspeisen ein Genuss für sich. Niemand saß am Tisch, welcher nicht schon einmal in Kärnten oder Österreich gewesen ist.

nürnberg:christkindlmarkt

Während einer Nürnberger Stadtführung meinte der Führer, für den Tourismus von Nürnberg ist Albrecht Dürer genauso wichtig wie Mozart für Salzburg. Für die touristische Vermarktung der Stadt steht er an erster Stelle, gefolgt vom Nürnberger Christkindlmarkt und den Nürnberger Rostbratwürstel. Sind es heute profane Ereignisse welche die Touristen anziehen, waren es im Mittelalter die Wunderheilungen des Stadtheiligen Sebaldus. Seine heilsamen Kräfte lockten viele Pilger in die Stadt. Von den Nürnberger Kaufleuten wurde seine Heiligsprechung durch Geldspenden an den Vatikan gefördert. Auf die Eingangsfrage des Stadtführers, was wir über Nürnberg wissen oder was wir mit Nürnberg verbinden dachte ich an die Nürnberger Reichsparteitage und an die Nürnberger Rassegesetze. Ein wenig auch an das besondere Ambiente des Nürnberger Christkindlmarkt, welcher in Kärnten stark beworben wird. Bevor ich mit dem Zug nach Nürnberg gereist bin, habe ich unter Bekannten nachgefragt, was ihnen zu Nürnberg einfällt? Ob sie eine Empfehlung für mich haben? Zu allererst fielen die Schlagworte Nürnberger Christkindlmarkt und Nürnberger Christstollen. Niemand hat Nürnberg mit den Aktivitäten der Nationalsozialisten oder mit Albrecht Dürer in Verbindung gebracht. Bei der Stadtführung habe ich zwei Fragen nicht gestellt: Zum Nürnberger Ei und zum Leben von Kaspar Hauser. Wer war Kaspar Hauser, welcher sich selbst in Frage gestellt hat und wie wurde er von den Erwachsenen manipuliert. Peter Handke hat dies in einem Bühnenstück verarbeitet. Ein Grund nochmals nach Nürnberger zu fahren und diesen zwei Fragen nachzugehen. Zusätzlich könnte ich eine Führung durch die Bleistiftfabrik Faber Castell buchen und dabei näheres zur Firmengeschichte erfahren. Als Papierhändler in Muse bin ich an der Herstellung von Blei- und Buntstiften interessiert.

Keinen Grund sehe ich darin, wegen der Rostbratwürstel nach Nürnberg zu fahren. Diese haben mich von der Größe und vom Geschmack nicht überzeugt. Bei meinem Aufenthalt habe ich mich durch die Nürnberger Rostbratwurstszene durchgekostet. Den Anfang machte ich im Bratwurst Glöcklein, eine Bratwurstküche seit dem Jahre 1313. Der Geschmack hat sich nicht von den Bratwürstchen beim Frühstücksbuffet im Hotel unterschieden. Die Bratwurstküche befindet sich im Handwerkerhof in der Nähe vom Hauptbahnhof. Auf dem Areal stehen Imbissbuden und Markthütten, verkauft werden Blechspielzeug, Töpferwaren, Schmuck, Strickwaren und Souvenirs.

politzen

Die Registrierung von Asylanten und Migranten gestaltet sich nach Aussagen von Beamten oftmals schwierig, wenn es unvollständige oder keine offiziellen Papiere gibt. Es gibt Probleme bei der Feststellung des Geburtsjahres und des Geburtsortes, wann und wo geboren. Dazu kommen fehlende Zeugnisse von der Schul- und Berufsausbildung. Zudem gibt es ausreichende Erzählungen über die Erlebnisse während der Flucht, wo und wann die Dokumente abhandengekommen sind. Verlässlich ist der Besitz von einem Smartphone. 

Im österreichischen Beamtenstaat, mit den Strukturen und dem Umfang wie es in der Monarchie notwendig war, kam es am Meldeamt zu einer Diskussion. Bei der Abmeldung von meinem Zweitwohnsitz wurde ich vom Administrator gefragt, wo ich jetzt geboren wurde, in Politzen oder in Ferndorf? Zuerst war ich irritiert weil ich nicht weiß, war ich eine Hausgeburt oder kam ich im Wöchnerinnenheim in Ferndorf zur Welt. Bei einer Hausgeburt wäre der Geburtsort Politzen, vulgo Unterdabernig, gewesen. In den fünfziger Jahren sind die meisten Erdlinge in der Gemeinde Ferndorf im Wöchnerinnenheim der Hebamme Sulzenbacher auf die Welt gekommen. In einem Wohnheim hatte sie auf einer Etage mehrere Zimmer gemietet. Schon einmal, als ich meinen desolaten rosaroten Lappen, den Führerschein, in ein Scheckkartenformat umtauschte, wurde angezweifelt, dass ich in Politzen geboren wurde. Niemand kannte bei der KFZ-Behörde den Ort Politzen. Zur Überprüfung wurde auf der Geburtsurkunde nachgesehen, hier steht: Geboren in Politzen, Gemeinde Ferndorf. Jeder kann darauf vertrauen, da wir am Tag der Geburt Geburtsort und Geburtsdatum nicht persönlich wahrnehmen, dass die Eintragung in der Geburtsurkunde stimmt. Meine zehn Jahre ältere Schwester erzählte mir, dass ich in Ferndorf bei der Frau Sulzenbacher zur Welt gekommen bin. An einem Sommerabend sei der Vater von Ferndorf heimgekommen und sagte, sie hat ein Brüderchen bekommen. Um den Status des fraglichen Geburtsortes hervorzuheben, unterschreibe ich manchmal in Gästebüchern oder Anwesenheitslisten mit Franz von Politzen.