nitzky:dorf I

Eine engagierte Initiative von Villachern bringt Kleider, Schuhe, Spielzeug und Schulartikel nach Nitzkydorf in Rumänien. Damit werden die Menschen vor Ort unterstützt und angehalten, dass sie im Dorf bleiben. Für diesen Zweck hat es sich gelohnt manches aus dem Kleiderschrank auszusortieren und Schulartikel zu besorgen. Für literarisch Interessierte, es ist der Geburtsort der Literaturnobelpreisträgerin vom Jahre 2009, Herta Müller. Wer erinnert sich noch an sie? Bestimmt könnte man aus dem Umstand, dass aus dem winzigen Ort eine Literaturnobelpreisträgerin hervorgegangen ist,eine touristische und wirtschaftliche Initiative entwickeln. Nach Aussage der Projektbetreuerin die schon mehrmals vor Ort war, verläuft das Leben dort sehr apathisch. Die Hilfsgüter waren, zum Teil von den Handelstreibenden im Dorf, nicht gern gesehen. Sie sahen in der Spendenaktion ein Hineinpfuschen in ihr Geschäft. Dabei werden die Warenspenden unter den Bedürftigsten verteilt, die sich die Kleider und Schulartikel nicht ausreichend kaufen können.

Es wäre interessant zu wissen, ob Herta Müller vom jetzigen Elend in ihrem Geburtsort Bescheid weiß? Genügt es ihr, ihre Kindheit in literarischer Form verarbeitet zu haben und will von den aktuellen Verhältnissen Abstand halten?  Für das Schreiben braucht sie die Bilder aus der Kindheit, immer wieder von neuem. Diese Erinnerungen dürfen nicht durch neue Eindrücke zerstört werden. Kryptisch der Titel eines ihrer Bücher: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel. So, als ändert sich in den Dörfern des Banat bis heute nichts. Leben noch einige Personen aus ihren Kindheitserinnerungen, dann hat sich bei denen bis heute an ihrem Jahresrhythmus nichts geändert. Auch in diesem Sommer werde ich wieder Marmelade einkochen, im Herbst den Kurs Mitten im Leben besuchen und im Winter Socken stricken.

Bettlerdynastie

be:obachten II

Eine direktere Ebene besteht in der Wahrnehmung der Aktivitäten von den Wohnungsnachbarn oder den Hausnachbarn. Gerne wird beteuert, dass man zufrieden und stolz auf seine Nachbarn ist, wenn diese ein Auge auf die Wohnung oder auf das Haus werfen. Vor allem, ist man verreist und kann so die Reise um vieles unbeschwerter genießen. Man kann damit rechnen, dass der Nachbar das eigene Anwesen im Auge behalten wird und man über undefinierbare Vorkommnisse oder Bewegungen rund um das Haus informieren wird. In akuten Fällen die Polizei verständigen wird. Vor einem Pensionistenforum über wirksame Schutzmaßnahmen gegen Einbruch und Diebstahl wird vom Polizisten auf die Einbrecherprophylaxe durch die Nachbarn hingewiesen. Heute handelt es sich zumeist um organisierte Einbrecherbanden aus dem Ausland. Die wirksamste Vorbeugung gegen Einbrecher ist ein Wachhund, vor einem Hund fürchten sich die meisten Einbrecher. Schon der Warnhinweis an der Gartentür Vorsichtig scharfer Hund  lässt manchen Dieb umkehren, auch wenn sich hinter der Gartentür gar kein Hund befindet. Denselben Rang wie ein guter Wachhund nimmt ein aufmerksamer Nachbar ein. Auch für diese Prävention wurden schon passende Aufkleber und Schilder entwickelt: Vorsicht wachsamer Nachbar. So sehr es gewünscht ist, dass der Nachbar während der eigenen Abwesenheit öfter einen Blick auf das verwaiste Haus oder auf die Wohnungstüre im Mietshaus macht, so kann diese Gefälligkeit anderseits das Zusammenleben vermiesen. Nicht von allen ist es erwünscht, dass der Nachbar täglich Bescheid weiß, wer einen besucht oder welche geschäftlichen Kontakte man hat. Dann bleibt am nächsten Tag die Frage, „wie lange war die Tante Erika gestern bei dir“, aus.

Von heranwachsende Teenagern wird es verabscheut, wenn die Nachbarin akribisch die Besuche von Freundinnen oder von Freunden beobachtet. Nach dem Wochenende der Vater im Stiegenhaus darauf hingewiesen wird, dass sie es ihrer jugendlichen Tochter nicht erlauben würde, dass der Freund hier schläft. Die meisten Vorhänge und Gartenhecken dienen wohl dem einen Zweck, zu verhindern, dass der Nachbar alles mitbekommt. Obwohl man das Gefühl hat, dass man nichts zu verbergen hat.

Wohnungsnachbarn.

be:obachten I

Als heranwachsendes Kind findet man es normal, dass man von den Eltern dabei beobachtet wird, was man gerade spielt oder lernt. Es gehört zum Kindesalter dazu, von den Eltern, der Kindergärtnerin, Lehrern, Tanten und Onkels beaufsichtigt zu werden. Diese Personen, Erziehungsberechtigte wie es im Amtsdeutsch heißt, beschützen einen auch vor Verletzungen und Unfällen. Sie warnen einen, bevor man sich mit der Schere oder dem Messer verletzt, auf die Balkonbrüstung steigt oder auf einen hohen Baum klettert. Dass man beim Spielen am Wildbach vorsichtig ist. In der Schule gibt es in den Unterrichtspausen die Gangaufsicht durch einen Lehrer. Je größer die Gruppe der spielenden und lärmenden Kinder, umso größer die Unfallgefahr. Den Mädchen will man beweisen, dass man schneller laufen und über mehr Stiegen stufen springen kann, als die anderen Buben. Dabei passiert es schnell, dass man gegen eine Mauerkante prallt oder sich den Knöchel beim Aufprallen auf den harten Fliesenboden verstaucht. In der Pubertät will man sich den Beobachtungen der Eltern und der Erziehungspersonen entziehen. Mit seinen Kumpeln trifft man sich an geheimen Orten, unter einer Brücke, im Schrebergarten, in der Burgruine oder in einer ungenützten Garage. Zumeist heckt man dabei etwas Verbotenes aus. Einer von der Runde bringt eine Flasche Bier aus Mutters Kühlschrank mit, ein anderer ein paar Marlboro aus der Zigarettenpackung vom Onkel. In der Garage wird getestet, wer Alkohol und Zigaretten besser verträgt und darüber spekuliert, wie groß der Busen der Klassenältesten sein wird? Ob sie unten schon Haare hat, wie die jungen Fotomodelle in der Praline. Mit jedem Jahr kann man sich aus den Beobachtungen der Erwachsenen mehr herausschälen. Die Abnabelung endet mit der Bitte der Mutter : „Möchtest du mir nicht erzählen, mit wem du das Wochenende verbracht hast“?

Wie viel Überwachung verträgt der Mensch, ab wann fühlt man sich unwohl? Dies ist eine Diskussion, die auf verschiedenen Ebenen geführt wird. Heute denkt man an erster Stelle an die Videokameras auf dem Bahnhof, auf öffentlichen Plätzen, am Bankschalter und in der Tiefgarage. Die Diskussion über die digitale Überwachung jedes Einzelnen ist ein Dauerbrenner in der Öffentlichkeit. Einerlei was man benützt, das Handy, den Laptop, den Krankenkassenchip oder die Stammkundenkarte beim Einkauf, alles wird irgendwo gespeichert. Einige versuchen ihre digitalen Spuren zu verwischen oder zu verschlüsseln. Die Meldung, dass die Nachrichtendienste wahllos die Daten von Millionen unbescholtenen Bürgern speichern, schlägt wie eine Bombe ein.

Kundenkarte

ver:gessen I

Seit Jahren gingen wir sonntags an einem Haus in der Milesiestraße vorbei und rätselten darüber, ob es möglich ist, dass in diesen Haus noch jemand wohnt? Wenn, dann wahrscheinlich eine ältere Pension, eine alleinstehende Frau, deren Mann verstorben ist, wie es hier bei einigen Villen der Fall ist. Wobei es den Witwen, ob ihres Alters, nicht mehr möglich ist die großen Gärten zu betreuen. Auch kleine Reparaturen am Haus werden vernachlässigt. Zumeist reicht die Witwenrente nicht aus, um einen Hausbesorger zu engagieren oder einen Handwerker zu bezahlen. Diese Generation Frauen war bei den Kindern zu Hause und hatte kein eigenes Einkommen. Die Nachkommen sind schon lange ausgezogen und haben ihren Lebensmittelpunkt in einer anderen Stadt. Bei manchen kommt es zwischen den Eltern und den erwachsenen Kindern zu Streitigkeiten. Niemand ist bereit in das Elternhaus heimzukommen. Die Kinder sehen die Liegenschaft als eine gut dotierte Geldreserve, die sie einmal verkaufen können.

Inzwischen haben wir erfahren, dass die Witwe seit Jahren auf der Geriatrie in LKH Villach Tag und Nacht gepflegt wird. Das Haus musste gegen Willkürakte gesichert werden. Alle Türen und Fenster sind jetzt zugenagelt. Der Strom unterbunden und der Garten eine willkommene Schuttablagerung. Vor einigen Monaten ist die Frau im LKH verstorben und jetzt hat ein Bagger das Haus abgebrochen. Es wurde alles eingeebnet und begrünt. Wahrscheinlich wird es nicht lange dauern und hier steht eine Tafel: Grundstück zu verkaufen. An der Grundgrenze steht noch der Betonpfosten wo die Gartentür einschnappte. Dort erinnert die Taste für die Hausklingel an die Frau. Man kann auf die Klingel drücken, aber niemand meldet sich.

Abgemeldet

post:it

Von Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten wird das Internet und das Smartphone auf das heftigste verteufelt. Das Handy wird als das Böse gesehen, ein Schleichweg, auf dem der Satan in die Welt gekommen ist. Andere behaupten keine Minute ohne diese neuen Kommunikationsmittel verbringen zu können. Vor dem Internetzeitalter, welches gerade den fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hat, gab es schon die Post-it, die kleinen selbstklebenden gelben Zettel. Eine Zeitlang hat man diese über jedem Bürotisch, auf jedem Garderobeschrank und auf jeder Kühlschranktür gesehen. Auf dem Frühstücksteller und auf dem Armaturenbrett klebten täglich ein Post-it, mit verschiedenen Aufforderungen zum Tag. Alles, was man in den nächsten Stunden erledigen sollte. Hätte es sie nicht gegeben, dann hätte man wohl vieles vergessen. Ab und zu gab es auf den gelben Zetteln auch eine persönliche Nachricht, dass man geliebt wird und sich auf die Rückkehr freut.

Es wirkt schon etwas antiquiert, als eine Villacher Apotheke auf ihrem Schaufenster mit vielen Post-it Zettel das Wort Stress formte. Mit vielen Hinweisen, was alles Druck auslösen könnte. Darunter Kurioses und Einmaliges. Zum Einen was Stress verursacht, zum Anderen was eigentlich Glücksgefühle auslösen müsste. Eine kleine, feine Auswahl: Mit Alex in das Kino gehen. Der Geburtstag vom Onkel. Pillen kaufen. Antigelsen-Spray besorgen. Strafzettel einzahlen. Wohnung putzen. Urlaub buchen. Auch hier fehlt nicht der Hinweis auf den Antistresskiller, Dr. Schreibers Kraftquelle. Stressfrei, statt für € 17.95 um € 15.95 in der Apotheke zu erwerben.

Pillen kaufen