Lese ich während einer Bahnfahrt in der Zeitung von schrecklichen Schicksalen, dann lasse ich von der Zeitung ab. Ich unterhalte mich mit den Reisenden, dabei kommt man zum Thema Verreisen und Fliegen. Da komme ich mit meiner Bodenständigkeit und meiner Vorliebe für das Zugfahren nur am Rande vor. Ich schaue auf die kleinen Dinge, die sich im Zugabteil abspielen. Gerade gibt es im Bahnhof Chiemsee vom Zugbegleiter eine Durchsage, dass die Reisenden nach München den Regionalzug benützen sollen, da der EC-Zug restlos überfüllt ist. Am Eingang zum Zugabteil sitzen manche am Boden, überall stapelt sich das Reisegepäck und ein Kinderwagen muss auch noch Platz haben. Wie sich die Reisenden im übervollen Zug verhalten ist ganz unterschiedlich. Die einen schlafen, verschlafen sozusagen die Überfüllung, ihnen bringt man am meisten Respekt und Zurückhaltung entgegen. Andere packen den Laptop aus und brechen zu einer virtuellen Reise auf oder haben die Kopfhörer vom IPod im Ohr. Manche drängen sich durch die stehenden Leute, auf der Suche nach dem Rest der Familie. Kinder spielen am Boden ein Würfelspiel und die Würfel rollen immer wieder unter die Sitze. Ein dunkelhäutiges Mädchen „läuft“ mit dem Zug mit, sie läuft im Abteil am Stand und ist der Meinung, dass wenn sie zum Laufen aufhört, der Zug zum Stillstand kommt. Am Kopf fängt sie an zu schwitzen, dann gibt sie auf und verlangt ihre Haribogummis. Der grau melierte Herr im hellen Anzug vertieft sich in ein Piper Taschenbuch. Die ständig vorbeidrängenden Passanten zwingen ihn zum Aufgeben und er legt das TB zur Seite, verschränkt seine Arme und schaut dem Treiben zu. Ein Mädel und ein Bub haben auf dem Schoß eine Obststeige, die sie zu einem Transportbehälter für zwei Zwerghasen umfunktioniert haben. Die vielen verschiedenen Handyklingeltöne ergeben ein eigenwilliges Konzert. Inmitten dieser Unrast sitzen zwei Ehepaare und haben ein Sechsertragerl Löwenbräu auf der Ablage stehen, lesen und kommentieren gemeinsam die Bild Zeitung. Andere schauen argwöhnisch, wenn sich neben sie jemand hinsetzt.
Nerven sparen, Bahn fahren.
Auf dem Weg zu einem Grillfest in Gögglingen bei Ulm lege ich eine Pause ein, und setze mich auf den Betonsockel einer Garteneinzäunung. Hinter mir befindet sich ein Bauernhaus, links davon steht der Heustadel mit den landwirtschaftlichen Geräten und rechts davon, dem Geruch nach, der Schweinestall. Der Zaun umschließt einen kleinen Hausgarten, mit einem Ausgang aus dem Haus. Meine Anwesenheit auf der Gartenmauer befremdet die Bauersleute, sie beginnen den Geräuschen nach im unbewirtschafteten Garten mit allen möglichen Tätigkeiten. Einmal wird ein Teppich ausgeklopft, ein Wasser ausgeleert und oftmals die Tür geöffnet. Ich drehe mich trotz des regen Treibens hinter mir nicht um. Ein selbstgefalteter Hut, aus den Blättern der „Kunstzeitung“, schützt meinen Kopf vor der Mittagsonne. Ich denke an den Duft der Grillwürstchen und Kotelett, derweil der Geruch vom Schweinestall in meine Nase strömt. Beim Essen wird unser Leben, von der Wiege bis zur Bahre, bestimmt vom Schwein.