IM:gebirge

Das Montafoner Tourismusmuseum widmete, in diesem Jahr,  dem Leben und Wirken des Pfarrers Franz Josef Battlogg (1836 – 1900),  eine Ausstellung. Der Geistliche wirkte von 1867 bis 1882 in Gaschurn als Frühmesner. Er war ein begeisterter Bergsteiger und führte einige Erstbesteigungen durch. Als Musiker dirigierte er einen über das Tal hinaus bekannten Kirchenchor, mit bis zu siebzig Mitgliedern. Er schrieb ein Tagebuch und nannte es „Tagehefte“. Zitat : „In Gaschurn erwarb ich mir einen Weltruf, wenn man die Welt nicht zu weit nimmt.“ 

IM:gebirge I

Herr A. öffnet die Tür vom Kellerabteil, welches zu seiner neuen Wohnung gehört und sieht in einer Ecke am Boden ein Paar Arbeitsschuhe stehen, an einem Hacken hängen eine grüne Arbeitshose und eine grüne Jacke. An der Wand lehnen verschiedene Gartenwerkzeuge. Daneben steht ein halb voller Sack mit Gartenerde und auf einer Schachtel eine Gießkanne. Diese Gegenstände gehören seinem Vormieter F., der von einer Reise nicht mehr zurückgekehrt ist. Die Stellagen sind leer.

Mit den Hausbewohnern hatte Herr F. wenig Kontakte. Zur Arbeit brach er frühmorgens auf und kehrte spät am Abend heim. Für die Mitbewohner war er ein Phantom. Manchmal sah jemand, wie er seinen linken Fuß über eine Stufe nachzog oder wie sein Rücken in der Türöffnung verschwand. Das Öffnen und Schließen der Wohnungstür besorgte er behutsam, um niemanden zu stören. Von seinen sporadischen Reisen kam er meistens während der Nacht  zurück. Bei seiner Abwesenheit klebte an der Tür ein Zettel mit dem Hinweis: „Bin im Gebirge“. Niemand wusste, welches Gebirge damit gemeint war. Herr A. bückt sich, stellt die Gießkanne auf den Boden und öffnet die Schachtel. In der Schachtel befinden sich Notizhefte mit der Aufschrift „Im Gebirge“. Herr A. nimmt eines der Notizhefte und beginnt darin im Schein der Kellerlampe zu lesen:

Ich bin in einem Gebirgsdorf zu Besuch und kann beobachten, wie bewaffnete Leute aus dem Nachbarstaat über die Grenze eindringen und die Bergstation besetzen. Die Menschen in der Bergstation werden gefangen genommen. Im Dorf  fällt der Strom und die Wasserversorgung aus. Es dauert eine Stunde bis unsere Luftwaffe die Eindringlinge zurückdrängt. Es ist wieder möglich, mit der Bahn auf den Gipfel zu fahren. Die Bahnstrecke hat bis zur Mittelstation eine Steigung von siebzig Prozent, dann geht es senkrecht den Berg hoch. Ich kann mir  nicht vorstellen, wie hier ein Zug fahren kann. Der Zugführer erklärt uns, dass er beide Motoren einschalten wird, zweimal 120 PS. Der Zug fährt mit Schwung hinauf, ohne zu Rutschen oder zu Stocken. Alle atmen auf, als der Zug auf der Bergspitze ankommt. Die Geleise sind aus Kopfsteinpflaster auf denen sich der Zug mit  Saugnäpfen, die am Waggonboden angebracht sind, fortbewegt. Bis zur Rückfahrt gibt es einen längeren Aufenthalt. Als ich aufwache, fährt mein Zug in einer Stunde.

SCHWEINER:ei

kunsthutAuf dem Weg zu einem Grillfest in Gögglingen bei Ulm lege ich eine Pause ein, und setze mich auf den Betonsockel einer Garteneinzäunung. Hinter mir befindet sich ein Bauernhaus, links davon steht der Heustadel mit den landwirtschaftlichen Geräten und rechts davon, dem Geruch nach, der Schweinestall. Der Zaun umschließt einen kleinen Hausgarten, mit einem Ausgang aus dem Haus. Meine Anwesenheit auf der Gartenmauer befremdet die Bauersleute, sie beginnen den Geräuschen nach im unbewirtschafteten Garten mit allen möglichen Tätigkeiten. Einmal wird ein Teppich ausgeklopft, ein Wasser ausgeleert und oftmals die Tür geöffnet. Ich drehe mich trotz des regen Treibens hinter mir nicht um. Ein selbstgefalteter Hut, aus den Blättern der „Kunstzeitung“, schützt meinen Kopf vor der Mittagsonne. Ich denke an den Duft der Grillwürstchen und Kotelett, derweil der Geruch vom Schweinestall in meine Nase strömt. Beim Essen wird unser Leben, von der Wiege bis zur Bahre, bestimmt vom Schwein.

Wie wir die Schweine in großen Mastbetrieben behandeln, ist schweinisch. Schweine in einer kleinen Zucht führen ein schweinisch gutes Leben, bis zu dem Tag, da sie geschlachtet werden. Jedes von uns Kindern hatte am Bauernhof sein Lieblingsschwein, für das man einen extra Leckerbissen in der Futterküche besorgt hat. Die Freuden eines Schweineleben, das ausgiebige Fressen, haben ein Ziel, das es mit dem Schwein ein baldiges Ende nimmt, um als Grillwürstchen und Kotelett einen guten Duft zu verbreiten.

Im Alltag gibt es für Verfehlungen eine kurze und klare Ansage, du bist ein Schwein. Die jetzige Wirtschaftskrise wurde von einigen Profitschweinen ausgelöst. Wir Verbraucher sind arme Schweine. Die ganz Armen, denen es beim täglichen Essen auch am Schweinefleisch mangelt, waren die ersten Opfer der Schweinegrippe.

Eine Dorfbewohnerin richtet einen argwöhnischen Blick auf meine Kopfbedeckung und macht einen Bogen um meine Person. Die Mittagsglocken läuten meinen letzten Kilometer ein.

Schweinskotelett.

URLAUB:reif

Ein regelmäßiger Urlaub war früher bei den Bergbauern oder bei den kleinen Handels- und Gewerbetreibenden nicht möglich. Wird man älter, denkt man öfter an Urlaub. Man braucht die körperliche Erholung und stellt sich die Frage, wie lange es körperlich möglich sein wird, auf Urlaub zu fahren. Auch im Alter hat man Pläne und Projekte, die man noch verwirklichen möchte. Man sieht im Urlaub eine vergeudete Zeit, in der man eines der Projekte verwirklichen kann. Solange man es noch selbst bestimmen kann, was soll Vorrang haben, der Urlaub oder die Arbeit. In diesem Zwiespalt kann man den Urlaub nicht genießen. Man beginnt die Urlaubszeit, und die Arbeitszeit mit Aufgaben zu überladen. Es ist wie bei einem Pferdefuhrwerk, man will in kurzer Zeit viel bewegen und mutet dem Pferd zu viel zu. Das Pferd streikt. Bei uns ist es der eigene Körper, dem man zuviel zumutet und der dann streikt.

 

Was kann das Ziel von einem Urlaub sein? Ein Ziel kann sein, dass man von den Sorgen um die Zukunft Abstand gewinnt. Man bekommt Freiheiten angeboten, die lange Leine. Sie wird gekürzt, wenn man sie ausnützen will.

 

Leinen los.        

 

VER:antwortung

Der Kreis für unsere Verantwortung wird immer größer. Es genügt nicht, dass wir die Verantwortung für die Familie, einen Betrieb oder die Gemeinde tragen. Heute wird verlangt, dass jeder Verantwortung für die ganze Welt übernimmt. Wie nehmen wir die Welt wahr?, besteht die Wahrnehmung der Welt aus der Zeitung, aus dem Fernsehen, neu dazugekommen ist das Internet. Auf Reisen nehmen wir entferntere Teile der Welt wahr, diese  werden jetzt durch  Reiseberichte oder Google Erath ersetzt. Der Drang zum Verreisen kann zur Sucht werden, ein Ablenkungsmanöver, weil man sich nicht wahrnehmen will, ein verreisen vor sich selbst. Je mehr wir an Informationen aufnehmen, umso unsicherer werden wir in unserer Urteilsbildung.

 

Früher genügte zur Urteilsbildung, dass man die unmittelbare Umgebung aufmerksam wahrgenommen hat. Heute glaubt man, dass zur Urteilsbildung die ganze Welt einfließen muss, trotzdem ist alles Stückwerk.

 

Die Tastatur.

BLÄTTER:rauschen

Zu den Annehmlichkeiten eines Kuraufenthaltes gehört die Zeit zwischen den Kuranwendungen. Die Therapien sind nicht immer angenehm, in vielen Fällen sind sie anstrengend. Die Zeit zwischen den Anwendungen kann man sich mit dem Lesen von Tageszeitungen vertreiben. Die Kurorte im Gasteinertal verfügen über einen Lesesaal, wo eine Reihe von deutschsprachigen Tageszeitungen angeboten werden. Hier liegen Schundzeitungen und Schwundzeitungen nebeneinander, es ist eine geistige Dialysestation. Im Lesesaal rauscht es, wie das Laub im Herbst. Dazu kommt das Rauschen der Entlüftung, gleich der am WC. Manche verbinden das Lesen einer Tageszeitung mit dem Trinken von einer Tasse Kaffee. Der Lesesaal verhält sich zu einem Café wie ein Klinikspeisesaal zu einem Gourmetrestaurant. Vor dem Fenster spielt eine hochgewachsene Dame auf einer Flöte. In der Zeitung habe ich vom digitalen Buch gelesen, vom Rascheln beim Seiten umblättern zum geräuschlosen digitalen Umblättern. Oft finden sich in verschiedenen Zeitungen dieselben Nachrichten, wessen Meinung zählt? Plötzlich ist man eingenickt.

 

Vom Lesesaal zum Schlafsaal.