SELBST:ständig

In den letzten zehn Jahren mußte ich erleben, dass manche Kollegen ihr Geschäft wegen rückläufigen Umsatz oder bei Erreichung des Pensionsalter zugesperrt haben. Es fand sich kein Nachfolger, auch den Kindern wollte man es nicht zumuten, dass sie das Geschäft weiterführen. Viele soziale Selbstverständlichkeiten die für die Arbeitnehmer gelten, eine geregelte Arbeitszeit, Krankenstand, ein Mindestlohn und Urlaubsanspruch, gelten für den Selbstständigen nicht. Hat ein Berufsgenosse seinen Laden geschlossen,weil für ihn im Handelsalltag kein Platz mehr war, so hat mich dies geschmerzt, als sei jemand aus dem Freundeskreis gestorben. Anderseits zögern manche Mitstreiter, obwohl der Umsatz weniger wird, den Betrieb aufzugeben, weil sie sich den Kunden gegenüber verpflichtet fühlen. Im Verkauf kommt es öfters dazu als Lückenbüßer einzuspringen, weil von den Kunden beim Einkauf in der Stadt etwas vergessen wurde. Manche haben ihr  ganzes Leben dem Geschäft gewidmet, auf Hobbys verzichtet und fürchten jetzt den Schritt in die Pensionierung, dies wäre ein Gang in einen unbekannten Raum. So bleibt man lieber im Geschäft, dort ist alles vertraut.

Vor kurzem ist ein zweiundachtzigjähriger Kaufmann in Pension gegangen und hat bei einer kleinen Feier zu seinen Mitarbeitern gesagt: „Er möchte jetzt sein Leben genießen“.

Sag zum Abschied leise servus.

WAREN:welt

Ich sitze auf den Steinplatten, welche den Kabelschacht entlang der Eisenbahnstrecke zu decken. Vor mir liegt das Moor, hinter mir verläuft die Bahnlinie zwischen Villach und Tarvis . Im Kabelschacht hausen Schlangen, von der Ringelnatter bis zu der Hornviper. Hier haben sie ideale Bedingungen zum Überwintern, zu jeder Jahreszeit ganztägig Sonne. Auf diesem Stück des Radweges, entlang des Möselsteinermoor, finden sich mehr Schlangen als im Naturpark. Aus meiner Rocktasche ziehe ich den Ausdruck von „Ein neuer Mensch“, weil ich längere Texte öfter in gedruckter Form lese, als online am Bildschirm. Am Fahrradweg ist es ruhig,  das Hochwasser im Moor unterbindet den Fahrradverkehr,  die nächste Webseite drängt sich nicht in das Bild .

Der Föhn bricht vom Kanaltal in das Gailtal herein. Um mich bewegen sich die Sträucher, die Bäume, die Blätter der Birken fliegen vorbei und die gelben Blumen ducken sich im Wind. Im Tümpel zieht das dunkle Wasser die Augenbrauen kraus. Dem Wind beugen sich das Schilf und die Schilfkolben. Ein winziger Käfer kriecht die Jacke hoch, einmal ist Sonne, einmal sind Wolken. Von der Bundesstraße trägt der Wind die Fahrgeräusche der Autos zu, die zum Shoppen in das Einkaufszentrum unterwegs sind. Dort kommt man an und niemand kennt einen. Dann wird man für Stunden wer, weil man hier auf Weltniveau einkaufen kann, wie es die Manager immer betonen. Man ist in der Welt der Waren angekommen und telefoniert nach Hause, mit den Daheimgebliebenen, den Sitzenbleibern. Man spürt die Macht, mit der man entscheiden kann, wo man einkaufen wird. An der Kassa ist man eine Nummer, ein namenloser Betrag.

Am Abend leuchtet die rote Reklameschrift vom Einkaufszentrum bis nach Judendorf. „Frauen auf dem Judendorfer Feld“, bezeichnet Hans Piccottini, sein ganz in rot gehaltenes Metallobjekt. Am Judendorfer Feld gibt es einen neuen Supermarkt, ein Frauenhaus. Das Einkaufen, das Einräumen der Waren, das Kassieren, ist Frauenarbeit. Hinter der Glasfassade verrichten sie die Arbeit im Schweiße ihres Angesichts. Soll die Metallplastik gehängt oder gelegt werden, und wie sind die Furchen gemeint, die die Plastik durchziehen. Sind es die Ackerfurchen des Judendorfer Feldes, die mit jeder neuen Wohnanlage weniger werden oder die Furchen der Frauen.

Ein Zug fährt vorbei.

HUNDE:treue

In der Innenstadt von Villach kann ich beobachten, wie treu ein Hund sein kann, oder ist es die Aussicht auf eine Belohnung? Eine Frau überquert mit einem Hund an der Leine einen kleinen Platz. Der Hund dreht sich immer wieder um und richtet seinen Blick nach oben, zu einem Fenster in einem mehrgeschossigen Wohn­haus. Die Frau drängt den Hund zum Weitergehen, er macht genau das Gegenteil. Er dreht sich um, setzt sich auf sein Hinterteil und blickt zu den Fenstern im ersten Stock empor. Er ist mit Worten nicht  zu bewegen seinen Platz zu verlassen, er fängt leise zu jammern an. Die Hundebesitzerin erklärt: “Normalerweise zeigt sich eine Bekannte hinter dem Fenster, öffnet das Fenster und wirft dem Hund  einen Leckerbissen zu”. Heute bleibt das Fenster geschlossen, es brennt auch kein Licht in der Wohnung. Der Hund ist nicht bereit weiterzugehen und fängt zu klagen an. Um sich Klarheit zu verschaffen, will die Hundebesitzerin in den Wohnblock gehen und bei der Bekannten anläuten. So kann sie klären, ob sie nicht zu Hause ist oder ob sie irgendwelche Beschwerden hat.

 

Pflichtbewusstsein. 

KATZEN:sprache

Besucht man die Biennale in Venedig, dann hat man den Eindruck, dass in einem Planquadrat „Katzentod“ die Stadt von den umherstreunenden Katzen gesäubert wurde. Geht man durch den Park Giardini, zum Eingang des Biennalegeländes, dann begegnet man keiner Katze. Vor Jahren war es umgekehrt. Der Grund dafür könnte sein, dass sich viele Venezianer einen Schoßhund zugelegt haben. Katz und Hund vertragen sich in den engen Gassen nicht. Die stärkere Lobby wird den Ausschlag gegeben haben. Die Dogen waren Hundefreunde. Vielleicht sitzt heute noch ein Hund in der Stadtverwaltung und hat das Schicksal der Katzen besiegelt.


Durch die Installation im deutschen Pavillon, „Eine Küchenkatze spricht“, sind die Katzen zurückgekehrt. Der Künstler Liam Gillick lässt eine Küchenkatze, die auf der Kredenz einer „Frankfurter Küche“ sitzt, zu den Besuchern sprechen. Es kommen immer mehr Menschen, um die sprechende Katze zu hören. Auf die sprechende Katze sind alle stolz. Die Leute lesen der Katze aus der Zeitung vor und die Katze äußert zum Weltgeschehen ihre Meinung. Eines Tages gilt eine sprechende Katze als völlig normal und niemand kommt mehr zu Besuch. Da wird die Katze depressiv. Es kommen zwei Kinder zu Besuch. Die Kinder sagen zur sprechenden Katze: „Du hast einen schlechten Atem“. Es ist der schlechte Atem des Pavillon, Zahnfleischentzündung. 
 

charly

charly

Charly steht mit erhobenem Kopf und aufgestelltem Schwanz in der Küche und schaut mich fragend an. Ich sage  zu ihm: „Charly sprich halt“. Charly: „ Euer Vorteil ist, dass ihr längere Beine habt, unsere Beine nehmen an Länge zu, wir wachsen. Die Beine von euch beginnen sich, durch das viele Sitzen, das Autofahren, das Fliegen zu verkümmern. Ihr gebraucht eure Beine immer weniger. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihr wieder auf allen Vieren daherkommt, wir brauchen nur zu warten.“  Ich : „Soll ich eine Dose öffnen?“ Charly: “Wenn wir wollen, können wir uns selbst ernähren, wir finden in der Natur alles was wir brauchen. Wir haben euch vor dem Verhungern gerettet, wir haben die Ratten und Mäuse gejagt, die eure Getreidevorräte aufgefressen haben. Wir brauchen keinen Supermarkt, ihr ernährt euch  aus der Dose, ihr seid dosenabhängig.“  Ich: „Willst du Keksi fressen“? Charly: „Ja“. 

 

undine

undine

Ich rufe: „Undine, wo bist Du, komm halt“. Undine: „Ein höherer Platz bringt mir neue Einsichten. Wir können unseren Standpunkt frei wählen. Eure Kopflastigkeit, euer Kopf, auf einem schmalen Hals  wird zu einem Problem werden. Die Halswirbelsäule ist euer schwächster Punkt. Die Bildschirme zerstören eure Halswirbelsäule. Für viele von euch sind die PC die neuen Götter“. Ich: „Die PC sind unsere Sklaven, unser Personal“. Undine: „Wir haben uns in eure Wohnungen eingeschlichen. Wir halten die Küchen, die Wohnzimmer, die Schlafzimmer, die Terrassen besetzt. Ihr seid unser Personal. Unsere Krallen sind unsere Waffen, aber wir machen unsere Pfoten nicht schmutzig. Wir lassen Krieg führen. Der nächste Krieg wird ein Krieg zwischen Katzen- und Hundebesitzer sein,  ein Stellvertreterkrieg. Dann werden wir eine katzengerechte Welt einfordern, ohne Türen und Fenstern, alles offen“. Ich: „Willst du Stangele fressen“? Undine: „Ja“.  

Das Sprachzentrum.

KATZEN:tod

Besucht man dieselbe Stadt  in Abständen von ein paar Jahren , dann bemerkt man Veränderungen. Dies kann die Installierung einer Fußgeherzone sein, neue Verkehrsregelungen, die Renovierung von Fassaden. Es kann einen Museumsneubau geben, die Errichtung eines Schwimmbades oder Freizeitzentrums. Die Eröffnung eines Einkaufszentrums, dieses nimmt den Status eines historischen Gebäudes ein.

Beim Besuch der „Biennale di Venezia” in Venedig zeigt sich vieles unverändert, das Plätschern der Lagune, die drängenden Touristen, die übervollen Vaporetto und die Luxusjachten am Ende des Canale Grande. Etwas hat sich verändert, es gibt  auf den Plätzen und in den Parks von Venedig keine streunenden Katzen mehr. Vor Jahren gab es davon viele. Dieses Jahr sieht man nur vereinzelt eine Katze. Sie kommen mit erhobenem Haupt und einem stolzen Blick daher, sie sind die Überlebenden einer Säuberungsaktion, eines Planquadrat „Katzentod”. Folgt man nicht dem Touristenpfad von der Piazza Roma zur Rialtobrücke, weiter zum Markusplatz und zum Biennalegelände, sondern wählt einen Weg abseits, dann kann man eine Entdeckung machen.

In der Nähe des Platzes „Campo Santa Maria Formosa” liegt der Eingang zum „Bookshop in the World”, bewacht von zwei Katzen. Sie lassen sich durch die vorbei-gehenden Menschen in ihrer Nachmittagsruhe nicht stören.  Als ich näherkomme, laufen sie nicht davon.  Sie können  Bücherliebhaber und Markus-Platztouristen  an ihrem Duft unterscheiden.  Im Eingangsbereich stehen Postkartenständer, Stadtpläne,  Bildbände und Reiseführer von Venedig in allen Sprachen und Kalender für 2010. Kalender, mit Fotos von der Stadt, Kunstkalender, Kalender mit Porträts von den Gondoliere und Kalender mit Fotos von den Priestern der Stadt. Eine Anregung einmal im Monat den Pfarrer zu wechseln. Ich betrete den Laden, dort türmen sich auf den Tischen und in den Regalen die Bücher, bevorzugt wird die horizontale Lagerung der Bücher. Hier findet man seltene Literatur zur Geschichte der Stadt, Atlanten, historische Reisebücher und Landkarten. Bildbände von den Sehenswürdigkeiten, den Malereien und Kunstschätzen in den Kirchen. Wissenschaftliche Werke zur Anatomie und Mechanik, klassische Literatur. Ein Schild mit dem Hinweis „Neuheiten” konnte ich nicht entdecken. Den Mittelraum des Geschäftslokales füllt ein Ruderboot von etwa zehn Meter Länge aus, vollgefüllt mit Büchern. Im hinteren Teil sitzt, durch Bücherstapel vor neugierigen Blicken geschützt, ein freundlicher Herr. Mit dem Hinweis, dass ich ein Kollege bin, kommen wir in das Gespräch.

 Frizzo Luigi, der Inhaber der Buchhandlung, spricht ein wenig deutsch, und sagt stolz, dass Donna Leon, von ihm eine Bekannte sei. Meiner Bitte, von ihm ein Foto zu machen, stimmt er gerne zu. Persönlich führt er mich in den zweiten Verkaufsraum, dort ist die Hintertür offen und das Wasser vom Kanal plätschert an der Türschwelle vorbei.

 Auch in diesem Raum stapeln sich die Bücher bis zur Decke und in der Mitte das „Bücher-schiff”. Gibt es „Acqua alta”, dann könnte sich die Lagerung der Bücher in einem Ruderboot als Vorteil  erweisen.

Der Tod in Venedig.