Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

Kriegsversehrte,

… welche ein Bein oder eine Hand im 2. Weltkrieg verloren haben.

In den letzten zehn Jahren, wo das Thema Barrierefreiheit hochgekocht ist, wäre es im Zuge einer Renovierung möglich gewesen, das Vier Sterne Hotel und Restaurant dementsprechend zu adaptieren. Auch das WC und die Rezeption ist für einen Gast mit Mobilitätseinschränkungen alleine nicht erreichbar. Der junge Ober war offen für ein Gespräch. Die Seniorchefin am Nebentisch, mit der Freundin bei einem Cappuccino, reagierte auf meine Anfrage ungehalten. Ob mir bewusst ist, was die Umgestaltung in Barrierefreiheit kostet und ob ich die angespannte finanzielle Lage im Hotelgewerbe kenne?  Diese Auffassung gibt es, warum sollten wir für eine kleine Minderheit einen solchen baulichen Aufwand betreiben? Vor allem, solange man selbst davon nicht betroffen ist. Dies ist kurzsichtig und entspringt der Hoffnung, so etwas werde ich nie brauchen. In diese missliche Situation werde ich nie kommen. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich in den 60er Jahren in der Öffentlichkeit wenige Menschen mit einer Behinderung getroffen. Im Sommer manches Mal im Spittaler Schlosspark. In diesem Jahrzehnt gab es in der Berufswelt noch Kriegsversehrte, welche ein Bein oder eine Hand im 2. Weltkrieg verloren hatten. Sie fanden Beschäftigung als Nachtportier bei großen Firmen oder in der Gemeindeverwaltung.

Weiterlesen

Eine Behinderung…

auf dem Präsentierteller.

Das große Sesselrücken beginnt, wenn man in der Gaststube mit dem Rollstuhl einen Sitzplatz ansteuert. Einen Vorteil haben diejenigen, welche über einen Wendigen verfügen, der Kostenlose von der Gesundheitskasse zeigte sich als sehr sperrig. Eine Möglichkeit wäre, dass es in der Nähe des Speisesaaleinganges einen Sitzplatz für Behinderte gibt. Wie auf den Parkflächen vor den Einkaufszentren. In den Lokalitäten wird jeder Quadratmeter mit Tischen und Sesseln ausgenützt, da wird es manchmal eng. Die besten Plätze in den gehobenen Restaurants, für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, könnten so platziert sein, dass sie etwas beobachten könnten. Nicht jeden Tag kommen die Räderstuhlfahrer aus den eigenen vier Wänden hinaus. Sie möchten etwas erleben, zumindest optisch. Das Land Kärnten ist reich an Seen und wirbt damit, aber zugänglich sind nur wenige Meter Seeufer. Das unmittelbarste Seeerlebnis bekommt man, wenn ein Restaurant mit einer Seeterrasse besucht wird.

In Millstatt am Millstätter See verspricht ein Hauben Lokal einen unverbauten Blick auf den See. Bei der Frage nach einem behindertengerechten Zugang wird der Rezeptionist etwas unsicher. Eine Möglichkeit besteht durch die Liegewiese auf die Seeterrasse zu kommen. Die Liegewiese entpuppt sich als barrierearm, hinterrücks ist sie zu bewältigen. Zum Scheitern verurteilt erweist sich der Kiesel auf der Terrasse. Den Vorschlag einen Tisch in der Liegewiese zu platzieren und dort zu Speisen, ist gut gemeint, stört sich an meiner Empfindlichkeit. Seitdem ich öfters mit einem Sitzmobil unterwegs bin, sehe ich das Angebot nicht als hilfreiche Geste an, sondern als Absonderung. Eine körperliche Einschränkung auf dem Präsentierteller.  Mit gemeinsamen Kräften, Ober und wir, erreichen wir einen Tisch auf der Terrasse, direkt am Ufer. Jeder Pflaster- oder Kieselweg bedeutet eine starke Belastung für meine Brustwirbelsäule. Das Gericht, Hendlbrust mit Eierschwammerl Soße, war ausgezeichnet. Beim Bezahlen konnte ich auf die Frage des Obers, ob alles in Ordnung gewesen ist, den Hinweis, dass ein barrierefreier Zugang zum Restaurant und der Terrasse fehlt, nicht unterdrücken.

Der Trend zu Unisex-Toiletten…

…wird sich als Vorteil erweisen.

Im Bioladen will jedes Produkt in die Hand genommen werden. Dieser bietet völlig andere Produkte als ein Lebensmitteldiskonter an, wie sie in jedem Villacher Stadtteil zu finden sind. Wer die Welt aus der Sicht eines Rollstuhlfahrers beobachtet muss neu sehen lernen. Für Rollifahrer sind einige Waren in den Regalen zu hoch, die anderen zu tief. Sie erfassen die Welt nur rund um den Äquator, die obere und untere Halbkugel bleibt verschlossen, außer es reicht jemand Stück für Stück aus dem Regal. Der Fahrer wird zum Vorleser, alles ist für den Menschen mit dem aufrechten Gang konzipiert. Die süßesten Trauben hängen am Höchsten. Es gibt verschiedene körperliche Einschränkungen, bei der Beweglichkeit, beim Sehen und Sprechen, beim Hören, bis zu Situationen und Begebenheiten nicht richtig zu erfassen. Erstmals zu erkunden, wo und wie kann man sich mit dem Sitzmobil geschickt durch die zusätzlichen Verkaufsständer schlängeln und dabei nirgends anstreifen? An einem Kleid hängenbleiben oder eine Vase umstoßen. Wer den Luxus genießen will, soweit die körperlichen Kräfte reichen, und einen Shopping Bummel durch mehrere Geschäfte macht, der muss als Immobiler vorausdenken: Sind die WC barrierefrei, besser, gibt es ein behindertengerechtes WC und eine Vorlaufzeit einrechnen, bis man das WC erreichen kann.

Weiterlesen

Die Entdeckung der Langsamkeit,

beim Besuch eines Bioladens.

Die Bemühungen, dass Geschäfte, Restaurants, Behörden oder Museen barrierefrei werden, gibt es seit Jahrzehnten. Die Diskussion für eine behindert gerechte Welt wird in der Öffentlichkeit kontrovers geführt. Zuallererst denkt man dabei, dass Menschen die einen Rollstuhl benötigen, diese Zugang zu allen öffentlichen Gebäuden haben. Unabhängig davon, ob die Mobilitätshilfe händisch bewegt wird, von einem E-motor angetrieben oder durch einen Betreuer geschoben wird. Im Mittelpunkt steht der Umstand, wie kommt jemand mit Behinderung in einen Supermarkt, in ein Kaffeehaus, in eine Bankfiliale oder kann sich einen Kinofilm ansehen. Etwas Besonderes ist Mobilität im weiteren Sinne, eine Bus- oder Zugfahrt. Wie zugänglich für alle sind Bahnhöfe, die Bahnsteige mit einem Lift erreichbar? Toll finde ich die S-Bahn und den Railjet der ÖBB, welche beim Ein- und Aussteigen mit dem Bahnsteig eine Ebene bilden. Dies kommt auch den E-Bike Fahrern, welche oft ältere Personen sind zugute. Diese sind mit dem Gewicht des Elektrofahrrades wiederholt überfordert. Bei den öffentlichen Gebäuden hat sich die Barrierefreiheit am meisten durchgesetzt. Hier kommt zugute, dass in historischen Gebäuden auch aufwendige Einbauten von Rampen und Aufzügen nicht aus Betriebsgewinnen bezahlt werden müssen, sondern aus dem Staatshaushalt finanziert werden. An deren Kosten beteiligen wir uns alle. Dies ermöglicht, dass alle großen Wiener Museen, wie ich sie kenne, ohne Zugangsbeschränkungen sind. Es ist kein Zufall, dass sich verhältnismäßig viele Rollstuhlfahrer durch die Ausstellungen bewegen. Musik hören, Bücher lesen und Ausstellungen zu besuchen sind Beschäftigungen, welche missliche Vorkommnisse im Alltag, Zerwürfnisse und Beleidigungen vergessen lassen. Zumeist für einige Stunden und dies ist ein Geschenk.

Weiterlesen

Nach dem Platznehmen…

…im Waggon wird nach dem Smartphon gegriffen.

Die erste Handlung, nachdem der passende Platz gefunden, der Koffer verstaut und die vorgesehene Reiselektüre am Tisch liegt ist, mein Jausensackerl zu öffnen.  Darin befindet sich ein Kornspitz mit Salami und dazu eine Dose Coca-Cola. Beim Zugfahren schmeckt mir eine Jause am besten. Mit diesem Ritual bin ich nicht allein, die Hälfte der neu Zugestiegenen zaubern aus ihrem Handgepäck einen kleinen Imbiss.  Die einen essen aus einer Plastikbox mit einer Gabel verschiedene Salate, andere vertiefen sich in Schurgebäck und bestellen dazu beim Zugbegleiter einen Milchkaffee. Die Genügsamen schälen sich einen Apfel oder eine Banane. In den ersten dreißig Minuten der Bahnfahrt wird vielerorts gekaut und dazu ein Schluck getrunken. Es hat etwas mediatives, wenn sich im Abteil ein Großteil dem leiblichen Genuss hingibt. Erst danach mustere ich mit verstohlenem Blick die Mitfahrenden und versuche ein Gespräch anzufangen, wenn ich beim Gegenüber dazu eine Bereitschaft erkenne.

Weiterlesen