schutz:engel

Ob gläubig oder ungläubig, fast alle hoffen, dass sie auf ihren Lebensweg von einem Engel begleitet werden. Ist man in einem Verkehrsunfall mit großem Blechschaden beteiligt und kommt mit Blessuren davon, so sagt man gerne, dass man einen Schutzengel bei sich hatte. Wie ich bei einer Fahrt durch das Kanaltal, Richtung Gemona. Plötzlich verdunkelt sich die Windschutzscheibe und die nächsten Sekunden sind für mich nicht nachvollziehbar. Der Moment wo ich wahrnehme, dass das Auto steht, ist in meiner Erinnerung gespeichert: Mein erster Gedanke galt meinen Füßen, kann ich diese noch bewegen. Auf der Fahrbahn lagen: Schüsseln, Teller, Besteck, Hosen, Pullover T-Shirt, Handtücher, Sandkübel, Schwimmreifen, Kloopapier und viele Sperrholzteile. Diese lassen einen Wohnwagen erahnen. In einer Entfernung von etwa zehn Meter stand ein Lkwzug quer über der Fahrbahn, über beide Fahrstreifen und blockierte die Bundesstraße. Die eingedrückte Fahrertür lässt sich nicht öffnen, ohne es zu planen verlasse ich den R 6 über die hintere Tür. Von der roten hinteren Sitzbank nehme ich meine grüne Reisetasche und setze mich am Straßenrand nieder. Längs meinem Auto steht, entgegen meiner Fahrtrichtung, ein Pkw Caravan. Angehängt das Untergestell eines Wohnwagens.

Nach Minuten völliger Stille ertönen die Sirenen der Rettung und der Polizei. Ein Abschleppwagen beförderte mein Auto zur Seite, der Lkw Zug und der Pkw fahren auf den linken Straßenrand. Jetzt beginnt der Verkehr Richtung Süden an die Obere Adria wieder zu rollen. Vielleicht war dies der Moment, wo mich mein Schutzengel verlassen hat, weil er seinen Job getan hatte. Er hat verhindert, dass ich mit dem Auto unter die Ladefläche des querstehenden Lkw geraten bin. Die Ladefläche des Lkw hätte mich im wahren Wortsinn geköpft. Mein Auto ist vom Vorderreifen abgeprallt und wurde zurückgeschleudert. Der italienische Lkw-Fahrer hat den Wohnwagen des holländischen Urlaubers überfahren und hat sich dann quergestellt. Der Holländer ist mit seinem Pkw meine Fahrerseite entlanggeschrammt. Nach dem Adressentausch durch die Polizei habe ich meine grüne Reisetasche genommen und bin im gegenüberliegenden Bahnhof in den nächsten Zug nach Kärnten eingestiegen.

Fahrplan

tartini:platz II

Von den Fischerbooten, die mit einer Fülle von zerflederten schwarzen Plastikfahnen dekoriert sind, schweift mein Blick zur St. Georgs Kirche.  Dem Kampanile fehlt sein Abschluss. Vor einem Jahr schwebte der Erzengel Michael über der Kirchturmspitze und wachte über Piran und seine Einwohner. Die Touristen eingeschlossen? Auf dem Tartiniplatz ist heute ein Markt, von biologischen Produkten aus Istrien, Wein, Olivenöl, Oliven, Salben und Seifen. Eine größere Menschenmenge drängt sich um die Ladefläche eines Lkw. Die Smartphons werden in die Höhe gehalten und über die Köpfe hinweg ein Schnappschuss gemacht. Auf den Displays der Fotoapparate ist eine Gestalt mit grüner Patina zu sehen. Drei Männer sind auf der Ladefläche damit beschäftigt am Engel Flügel zu verschrauben. Der restaurierte Erzengel Michael bekommt seine gereinigten und entrosteten Flügel zurück. Gespannt wartet die Menge auf den Moment, wo die drei Männer die Ladefläche verlassen. Wird der Erzengel sich in die Luft schwingen und sich auf seinen angestammten Patz, der Kirchturmspitze, niederlassen? Vom Führerhaus fährt ein Kran Arm aus und hievt die restaurierte Statue auf einen Sockel am Platz.

Jetzt, nach Jahrzehnten, haben die Einwohner die Möglichkeit ihren Schutzengel aus nächster Nähe zu betrachten. Bislang war der Engel ein transzendentes, imaginäres Wesen. Plötzlich bekommt er ein Gesicht und die Piraner ihn zu Gesicht. Ansonsten von der Bevölkerung weit entrückend, steht er plötzlich mitten unter ihnen, zum Greifen nahe. Mit den Händen zu ertasten. Wie fühlt sich dies an, wenn von etwas der Schleier weggezogen wird? Ist man von der Größe enttäuscht oder angenehm überrascht. Manchmal hebt sich im Leben ein Schleier und eine Person oder ein Umstand wird klar erkenntlich. Es ist eine Seltenheit, dass man bei einer Stadttour auf einen aufgefrischten Engel stößt.

Aus dem Tagebuch…

tartini:platz

Wer sich in Piran dem Tartini Platz vom Busbahnhof her nähert, muss sich die schmale Straße entlang des kleinen Hafens mit dem lokalen Autoverkehr und den vielen Touristen teilen. Zuallererst ist es notwendig die Augen, spaziert man entlang der Kaimauer offenzuhalten, um nicht über eine Unebenheit oder einen Hacken zu stolpern. Ein unfreiwilliges Bad in der Adria zu nehmen. Auf der anderen Straßenseite kann man dicht gedrängt an den Hausmauern entlangpirschen, sich Abschnitt für Abschnitt dem Platz entgegenschleichen. Von einem Verkaufsständer für Hut- und Bademoden zum nächsten für Souvenirs, Deckung suchen.  Hervorspähen und schnellen Schrittes den nächsten Wegabschnitt zurücklegen. Dabei vorsichtig sein um nicht in eine geführte Reisegruppe zu geraten. Aus dieser gibt es kein Entrinnen, man wird, wie von einer Meeresströmung mitgerissen und landet unfreiwillig wieder am Busbahnhof. Bevor man am den Tartini Platz gewesen ist.

Immer einen Sprung vorwärts, gerade so, als befände ich mich auf dem Truppenübungsplatz des Bundesheeres. Dort sind wir in geduckter Haltung, mit dem Tornister am Rücken, einen Stahlhelm auf dem Kopf und das Sturmgewehr StG 56 im Anschlag, von einem Baum zum nächsten gestürmt. In der Ungewissheit, ob wir nicht in eine Fallgrube des Vietkongs stürzen und von den spitzen Pfählen, welche aus dem Boden ragen, aufgespießt werden. Dann lieber im MG-Feuer, welches aus einer einfachen Bambushütte eröffnet wird, umkommen. Während der Bundesheerzeit war der Vietkong in den Wäldern der Umgebung von Graz unser ständiger Feind. Wir haben ihn nie zu Gesicht bekommen, aber in den Köpfen der Ausbildner war er allgegenwärtig und bei jeder Gefechtsübung unser imaginärer Feind. An grauslichen Bildern vom Vietnamkrieg hat es in den Tageszeitungen der siebziger Jahre nicht gefehlt. Heute gibt es genug Berichte, wie sich Massen von Touristen durch enge Altstadtgassen schlängeln. Wer sich dem Strom nicht anpasst, wird mitgerissen.

Vorwärts

morgen:stund II

Sinngemäß sagt Seneca: „Nicht die Länge des Lebens ist wichtig, sondern was man in den Jahren macht. Wir haben nicht zu wenig Zeit, sondern wir gehen mit der Zeit sorglos um“. Bummelt man am Hauptplatz an einer Boutique vorbei und es befindet sich keine Kundschaft im Laden, dann sieht man die Verkäuferin über das Smartphone gebeugt oder am PC im Internet surfen. Auf die Idee im Geschäft sauber zu machen  die Ordnung in den Regalen wiederherstellen, kommen die Wenigsten. Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht und bei einer der zahlreichen Baustellen vorbeikommt, wird feststellen, gibt es eine kurze Arbeitsunterbrechung für den Baggerfahrer, wird dieser in seine Hosentasche greifen und das Handy zücken. Die Smartphones sind zu Zeiträubern und Arbeitsverweigern geworden. Anno dazumal hat man sich die Zeit mit dem zeitweisen Blättern in den Illustrierten und den Zeitungen vertrödelt.

Ich kann mich erinnern, es hat während meiner Ausbildungszeit in der Buchhandlung, Tage der sogenannten toten Zeit gegeben. Dies bedeutete, alles war aufgeräumt, nachgefüllt und abgestaubt, damit war wirklich Alles gemeint. So konnten wir uns, die Erste Verkäuferin und ich, erlauben in den aufliegenden Zeitschriften zu blättern. Dies war vom damaligen Arbeitsverständnis betrachtet, ein absolutes No Go. Vom Chef nicht toleriert. Der Chef, Herr Harald, ist an seinem Schreibtisch im Lager gesessen. Eingekeilt zwischen einer Regalwand, einer Stellage und dem Schreibtisch.  In der Stellage die Ordner von der Buchhaltung und Preislisten, am Schreibtisch ein kleiner Aufbau, voll mit diversen Bestellkarten, Firmenkuverts und Erlagscheinen. Neben ihm, so hoch wie der Schreibtisch, ein Stoß der neuesten Buchkataloge und die Ankündigungen von den Buchneuerscheinungen. In diesem Kosmos war er versunken. Um ein Zeichen unserer Betriebsamkeit abzugeben, haben wir zwischendurch die Zeitschriften auf das Verkaufspult geklatscht.

morgen:stund

Es gibt Ereignisse, von denen denkt man, diese dauern ewig, wie möglicherweise ein Besuch. Dies bedeutet nicht, dass der Besuch unerwünscht oder unangenehm ist. Es gibt einfach das Gefühl, obwohl erst einen Tag bei uns, er ist schon eine Woche hier. Könnte sein, dass es egal ist, ob er hier ist?  Am Besten Distanz bewahren, sich auf die Eigenheiten des Besuches nicht einlassen. Verändert sich mit dem Älterwerden die Zeitwahrnehmung? Plötzlich stellt man fest, wie wenig man täglich, außer an Ausnahmetagen, unternimmt. Oftmals bewundert man Bekannte, welche in der Pension bei vielen Vereinen mitwirken. Dazu haben sie privat eine große Familie, wo die Kinder samt Familie  unerwartet eintreffen. Die Enkel erwarten von ihnen für eine Woche freie Unterkunft mit Vollpension. Die superaktiven Pensionisten stehen um fünf Uhr früh auf und sind spätestens um sieben Uhr voll im Saft. Das Geheimnis für einen erfüllten Tag liegt in den Morgenstunden. Ein Sprichwort sagt: Der frühe Vogel fängt den Wurm.

In meiner Berufszeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Vormittagsstunden die Produktivsten waren. Ich öffnete mein Schreibwarengeschäft in Arnoldstein um sieben Uhr, eine Einkaufsmöglichkeit für die Schüler vor dem Unterricht. Dort verkauften wir morgens nicht nur Schulartikel. Jahrzehntelang waren Süßwaren, offene Stollwerk und Eiszuckerln, sowie Dreieckschnitten von der Süßwarenmanufaktur Kindler in Villach, sehr begehrt. Die Zuckerln wurden in Säcken zu 5 kg eingekauft. Treffe ich heute Schüler aus den 70er und 80er Jahren, dann werde ich auf die offenen Stollwerk und Eiszuckerln angesprochen. Für einen Schilling bekam man zehn Stück. Schon im Geschäft wurde unter den Kindern gefeilscht, ob der eine dem anderen in der Schule zwei oder drei Stollwerk geben wird? Ein Renner waren auch die Karamellstangen.

Carambar