zer:kratzt

Man sagt, dass die Hauskatzen, werden sie bedroht, versuchen dem Gegner die Augen zu verletzen. Vor einem Streit starren sich die  Katzen gegenseitig lange Zeit an, entweder senkt eine den Blick und wendet sich ab, ansonsten stürzen sie sich aufeinander. Was der Auslöser ist, dass sie zum Raufen beginnen ist meistens unklar.

Auch bei uns Menschen gibt es den Spruch: „Ich kratze dir die Augen aus“. Ich kenne diesen Spruch in Zusammenhang mit Frauen, dass Frauen ihre Fingernägel als Waffe einsetzen. In den meisten Fällen geht es darum etwas zu verteidigen oder für eine Beleidigung Rache zu nehmen. Der Streit dreht sich meistens um einen Mann, dass sich Frauen mit den Fingernägel gegenseitig in das Gesicht fahren. Die Eifersucht führt bei Frauen zu den stärksten Reaktionen, wobei es oft nur eine Vermutung ist oder eine Reaktion auf die Vernachlässigung, die eine Eifersuchtspanne auslösen kann. Die Verletzungen die dadurch verursacht werden, können körperlicher oder seelischer Natur sein. Auf jeden Fall kann die Harmonie wie bei den Hauskatzen von einer Minute auf die andere in einen Kampf umschlagen. Sozusagen das Tier im Menschen.

Tierliebe. 

costa:concordia X

Den Aufenthalt in der Therme Warmbad, einem Zeitvertreib für Rentner, benütze ich um über Ereignisse der letzten Monate nachzudenken. Ich habe das Gefühl, dass ich als Pensionist von meinem  Winterspeck, wie es die Murmeltiere und die Bären machen, zehre. Während der Berufszeit habe ich in die Pensionskasse eingezahlt und jetzt hoffe ich, die restlichen Jahre, von der staatlichen Pension leben zu können. Mit dem Eintritt in den Ruhestand fängt ein neuer Lebensabschnitt an. Man zehrt vom Winterspeck, dämmert im Halbschlaf dahin und weiß nicht, ob man aus dem Winterschlaf erwachen wird. Nach dem Aufstehen und dem späten Frühstück sehnt man sich nach unbequemer und harter Arbeit. Es gibt vieles, worunter man sich ein schönes Leben vorstellt: Viel Freiheit, dagegen die fixen Essenszeiten; eine gesicherte Pension, dagegen die Staatsschulden und die Eurokrise. Vor einem Jahr habe ich gehofft, dass ich im Ruhestand glücklicher sein werde. Bei körperlichen Beschwerden geraten andere Probleme in den Hintergrund. Eine nachhaltige und sinnvolle Tätigkeit würde glücklich machen.

Meinen Winterschlaf gestört hat die Nachricht, dass das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia in der Nähe der Insel Giglio einen Felsen gerammt hat. Das Schiff hat Schlagseite und droht zu versinken. Etwa viertausend Passagiere wurden evakuiert, einige Dutzend Menschen werden noch vermisst. Sind sie im Schiff eingeschlossen, ertrunken? Vor einiger Zeit sind wir mit dem Schiff Costa Concordia unter dem selben Kapitän dieselbe Route gefahren, dabei hat alles wunderbar geklappt. Für mich ist es unvorstellbar, dass mit den modernen Navigationsgeräten so ein Unfall möglich ist.  Bei allen technischen Unterstützungen bleibt der Mensch ein Restrisiko.

costa:concordia IX

Zu einer Stadtbesichtigung gehört der Besuch eines Gemüse- und Fischmarktes. Die Reiseleiterin kann während der Marktbesichtigung eine Pause einlegen, da das Marktgeschehen seine eigenen Regeln hat und sich selbst erklärt. Die einzige Vorgabe beim Besuch des Marktes in Palermo ist, dass wir nach einer Stunde wieder am Eingang sind. Jeder sollte achtgeben, dass ihm nicht die Handtasche oder die Brieftasche geklaut wird. Die meisten Marktstände sind in einem baufälligen Zustand, jeder hat ein anders Aussehen, je nach persönlichen Geschmack und ist zumeist ein Zubau zum Geschäftslokal. Der Markt erstreckt sich rechts und links von der Straße, über einen halben Kilometer lang, und hat einen schmalen Durchgang. Niemand sorgt für Ordnung und Sauberkeit. Der erste  Eindruck ist, dass manche Lebensmittel, wie Fisch und Fleisch besonders abstoßend präsentiert werden. Als Supermarkteinkäufer, mit Hygiene verwöhnt, können wir uns daran nicht satt sehen und gleichzeitig ekelt es uns davor. Bei den Obstständen gibt es Früchte die wir kennen und solche die wir nicht kennen. Das Obst und Gemüse gibt es in allen Farben: Orange, Schwarz, Violett, Oliv, Türkis, Rot und noch Andere. Die Auswahl bei den Fischen, Krebsen und Schaltieren ist groß, manche Fischhälften haben die  Größe von einer Schweinehälfte. Über die Besucherköpfe hinweg hört man die Lockrufe der Marktfieranten. Von den Holzlatten der Verkaufsbuden hängen die gehäuteten und ausgeweideten Capretto, dies sind junge Ziegen. Außer den Verkaufsständen für Obst, Gemüse, Fisch und Fleisch gibt es Buden mit Textilien und Schuhen, Spielwaren, Haushaltsgeräten und Eisenwaren. Durch den Besucherstrom drängen sich Männer, im Anzug und mit Krawatte und nähern sich den Geschäftsinhabern. Diese begrüßen sie mit einem Kuss, die Bruderschaft von Palermo.

In den schmalen Gassen, wo von den baufälligen Fassaden der Verputz abbröckelt und die Fassadenfarbe unkenntlich ist, bewohnen viele Familien im Erdgeschoß nur einen Raum. Die Eingangstüren stehen offen,  so sieht man, dass Küche und Schlafraum eins ist. Die Hausarbeit der Frauen, die Schulaufgaben der Kinder wird im Freien, neben den hupenden Autos, erledigt. Dazwischen schlängeln sich die Touristengruppen durch. Manche Türen und Fenstern werden repariert, sodass es möglich ist über Nacht die Eingangstür und die Fenster abzuschließen. Man sieht  kein Auto, welches nicht eine Schramme oder eine Beule in der Karosserie hat. Die Strom-, Telefon- und die Wasserleitungen verlaufen auf Putz, ein Wirrwarr von Kabeln und Leitungen.

Am Rathausplatz von Palermo erzählt uns die Reiseführerin, dass die Brunnenanlage, welche mit nackten Jünglingen geschmückt ist, einst die Nonnen vom Kloster vis a vis, sehr erzürnt hat. Heute leben noch sieben ältere Nonnen in der weitläufigen Klosteranlage. Ein mobiler Verkäufer mit Reiseführer gesellt sich zur Gruppe und schlägt zu den Erklärungen der Reiseführerin die passende Seite im Buch auf. Er weist darauf hin, dass der Führer mit den Sehenswürdigkeiten von Palermo bei ihm erhältlich ist. Entlang des Touristenstroms haben sich  einige Bettler niedergelassen, einer mit der Tafel: „Nehme auch 1 €.“ Am Abend gibt es das Galamenü des Küchenchefs.   

 

costa:concordia VIII

Seit einer Stunde sitze ich im Cafe „Helsinki“ an Bord  in einem bequemen Sessel und blicke durch das Panoramafenster auf das Meer. Ich trinke einen Milchkaffee und lese  im Buch von Franz Schuh: „Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche“. Bei schräg stehender Sonne fließt  vor meinen Augen in einer Endlosschleife das Meer vorbei. Durch die getönten Scheiben wirkt  das Wasser dunkler, als vom Reling aus. Ein sanftes Kräuseln an der Wasseroberfläche, keine großen Wellenbewegungen, keine Inselgruppe oder Küstenstreifen. Der blassblaue Himmel vermählt sich weit entfernt mit dem Meer. Aus den Lautsprechern klingt sanfte Musik, einige Passagiere flanieren vorbei oder setzen sich in der der Nähe der Panoramafenster nieder. An einem Nebentisch nimmt eine Frau aus ihrer Handtasche einen Kamm,  einen Spiegel und  beginnt ihre Haare zu frisieren.

So einen Zustand wünsche ich mir für die Zeit in meiner Pension, so klangen auch die Vorhersagen: „Wenn du im  Ruhestand bist, dann werden die Probleme, welche sich in den Berufsjahren auf den Schultern abgelagert haben, weg sein. Du wirst in einem Paradies auf Erden, mit einem ewig blauen Himmel,  sein“. Ich möchte nicht aufstehen, ich will mich  von dieser himmlischen Stimmung nicht lösen. Ist es Unzufriedenheit, wenn ich den versprochenen Himmel, das versprochene Paradies, einfordere. Jetzt bin ich zornig, dass die Tage nicht konflikt- und beschwerdefrei verlaufen. Andere fordern in der Pension finanzielle Zulagen, Vortritt in den Zügen, schnelle Abfertigung am Bankschalter und an der Supermarktkasse. Sie erwarten sich einen Nachschlag für ihr Leben, sie wollen Versäumtes nachholen. Sie glauben, dass mit einer Urlaubsreise, einem Busausflug oder einer Stadtbesichtigung die Zufriedenheit steigt. Ich wünsche mir Gleichmäßigkeit und Schwerelosigkeit.

Auf Mallorca erleben wir, dass die Menschen trotz Hitze und Palmen am Jahresrhythmus festhalten. Entlang der Straßen wurden an den Palmen die Weihnachtsbeleuchtung, die Weihnachtskugeln und die Weihnachtssterne angebracht. Nur sehr selten schneit es auf der Insel. An der Strandpromenade bieten die Souvenir- und Geschenkshops Weihnachtsschmuck an. An Bord der Costa Concordia kaufen einige  Reisemitglieder eine Armbanduhr. Es hat den Anschein, als wäre eine Reihe von Armbanduhren über Bord gefallen. Die Zeit, welche man zur Verfügung hat, wird umso genauer eingeteilt. Beim Abendessen glänzen, für alle sichtbar, auf den Unterarmen die neuen Uhren.

costa:concordia VII

Unsere Gruppe feiert am Donnerstagvormittag mit dem Dompfarrer von Klagenfurt auf dem Schiff eine Messe. Da wir seit einigen Tagen auf See sind müssten wir unserem Glück schon näher gekommen sein. Welche Voraussetzungen sind für das glücklich sein notwendig und wie sieht das Glück aus? Jeder wird es anders erleben. In der Predigt stellt uns der Pfarrer die Frage, was uns lieber wäre: „Auf unseren Wohlstand zu verzichten und glücklich zu sein oder unseren Wohlstand zu behalten und unglücklich zu sein“? Die meisten bleiben die Antwort schuldig, weil die Wenigsten können sich vorstellen, dass man ohne unseren Wohlstand glücklich sein kann.

Am Vormittag findet auf Deck 9, der „Riviera Magica Lido“, ein bayrisches Bierfest mit Weißwürsten und Brezen statt. Es gibt Auftritte von Sängerinnen aus Afrika und Schuhplatter aus Taiwan. Dazu gesellen sich die Lesachtaler Trachtenkapelle und eine Sängerin aus Kärnten. Von der Blasmusik angezogen füllt sich das Deck mit Italienern und mit dabei die Kleinkinder und die Halbwüchsigen. Die Musikanten, bekleidet mit einer roten Kniebundhose und Joppe, dazu ein Trachtenhut mit einer großen weißen Feder, fangen zum Jodeln an. Der Jodler klingt wie ein Notruf, ein SOS,  an die  Mitreisenden. Auf  die Frage der Sängerin: „Wollts ihr noch epas hörn“, kommt als Echo, „Jo freilich“  zurück. Im Vergleich zu den farbenfrohen Kleidern der afrikanische Frauen schauen die Trachtenanzüge einfach rot aus.  Die Exotinnen werden von allen Seiten fotografiert und die besten Bilder werden daheim auf der Homepage des Trachtenvereins veröffentlicht. Die italienischen Bambini tanzen zur Musik in ihren violetten, grünen, pinkfarbenen Bademänteln.  Auf einer Seite der Tanzfläche stehen die Kärntner Seniorinnen und Senioren  mit einem Glas Bier in der Hand und schunkeln eifrig mit. Daneben  tummeln sich im Sprudelbad die Gäste aus allen Nationen im Bikini: Schlanke, Mollige, Barbusige, Dunkelhäutige, Sonnengebräunte und Blasse. Der Frühshoppen, ein buntes Schauspiel der Unterhaltungsmaschinerie auf der Costa Concordia, Vormittagsdisco für Alpenbewohner. An den Fenstern fließt unser Urlaubstraum, das Meer vorbei. Zum Abschluss singt man den Hit aus Kärnten: „Is schoan still uman Sea „.

Mit ernsten Gesichtern holen sich die Spätaufsteher am Frühstücksbüffet ihre Pizzastücke, Würstel, Omelette, Obstsalat, Butter, Marmelade, alles für einen guten Start in den Tag. Es ist ein Kampf um den Fressnapf, wie in der Früh bei den Katzen Charly und Undine. Wird die Sheba Dose nicht schnell genug geöffnet, so schimpfen und beißen sie uns in den Fuß. Danach stürzen sie sich auf Huhn und Leber. Auf Deck 9 beginnt die Suche nach einem freien Platz mit Meerblick. Kein Frühstück ohne Meerblick, man hat schließlich für alles bezahlt.

ps. alle costa concordia texte, sind texte aus dem tagebuch.