VER:laufen V

Die Fernsehsender setzen alles daran die Zuschauerzahlen zu steigern. Dadurch sind sie für die Wirtschaft und deren Werbeeinschaltungen attraktiv. Die stärkste Motivation ist das Lukrieren von Werbeaufträgen und die damit verbundenen einnahmen. Das Niveau im Fernsehen steigt nicht, wohl aber die Ansprüche der Zuschauer, sie verlangen mehr Spannung, Grusel und Ekel. Auf diese  Gruppe zielen die  Doku Soap ab. Viele Zuseher sind der Meinung, dass diese Zustände in der Nachbarschaft herrschen. Dabei macht es keinen Unterschied ob es sich um eine Soap wie, „Frau mit Kind sucht Mann“, „Bauer sucht Frau“, neuerdings „Bauer sucht Bauer“ oder „Richterin Barbara“, handelt. Die Wirklichkeit kann sich dabei nicht widerspiegeln, da die Kamera dabei ist und große Gefühle verlangt werden. Bei den meisten Dokusoap werden Laienschauspieler eingesetzt, die stellvertretend für andere ihren Emotionen freien Lauf lassen. In einer Messies Soap werden schreckliche Bilder gezeigt, Ratten in der Wohnung, Müll bis an die Decke, verstopftes und verdrecktes Bad und WC. Könnten die Zuseher den Gestank aus der nachgestellten Wohnungen riechen, so würden sich zwei Drittel der Zuschauer übergeben müssen.

Das Sozialamt meint es in manchen Orten gut und versorgt Arbeitslose und Bedürftige mit einer Fülle von Kleidern. Dabei kontrolliert aber niemand, wie groß der Kleidungsbedarf wirklich ist, ob die Kleider gepflegt und getragen werden und nicht  in einer Ecke der Wohnung gehortet werden. Ähnliches gilt  für Lebensmittelpakete die verrotten, weil man nicht gewillt ist zu Kochen.

Die Antschi war ein fixer Bestandteil des Ortsbildes in Möselstein. Sie schaute viele Stunden am Tag, Woche für Woche, aus dem Fenster vom 1. Stock auf die  Bundesstraße. Dabei stützte sie sich auf einen Polster und redete Jeden und Jede, die sie erspähen konnte, an. Da sie nur eine Fürsorgerente bezog, beschenkte sie das Sozialamt zu ihrem Geburtstag und zu Weihnachten immer mit einem großen Kleiderpaket. Trotzdem trug sie Jahr für Jahr immer dieselben Kleider. Als die Antschi in eine andere Wohnung übersiedelt wurde, wurden aus ihrem Zimmer ein LKW voll unbenützter Kleider entsorgt.

Alles geschenkt.     

VOR.aus

Auf dem Gailradweg von Fürnitz nach Villach gönne ich mir eine kurze Rast und halte in der Nähe der Eisenbahnbrücke bei einem schlichten Holzkreuz inne.  Am Holzkreuz steht: „Wanderer gedenke des  hier Verunglückten Rudolf S.“  Heute sind hier kaum mehr Wanderer unterwegs, es sind fast ausschließlich Radfahrer. Viele  Radtouristen, die von Hermagor kommen und in Villach Anschluss an den Rosental- und den Drauradweg finden. Von den meisten Radfahrern wird das einfache Holzkreuz übersehen,  sie sind mit mehr Tempo unterwegs, als vor zwanzig Jahren die Wanderer. Mir sind das einfache Holzkreuz und der Schemel zum Niedersitzen seit langem bekannt. Komme ich vorbei mache ich Halt, setze mich nieder und spreche ein kurzes Gebet. Ich habe Herrn Rudolf S. persönlich nicht gekannt. Mich verfolgt der Gedanke, wo wird jetzt sein Geist, die Seele sein, wie wird er sich jetzt fühlen?  Weis er davon,  dass ich an ihn denke?

Vor ein paar Tagen habe ich mit Bekannten, deren Onkel vor kurzem verstorben ist, einen Kaffee getrunken. Dabei ist die Frage nach dem Weiterleben im Jenseits gestellt worden. Entspringt diese Vorstellung nur unserem eigenen Wunschdenken? Ist ein Weiterleben in den Kindern und Enkelkindern eine Alternative dazu. Kann man die biologische Form des Weiterlebens um eine soziologische und künstlerische Form erweitern? Wir kennen die berühmten Namen der Maler, der Musiker und der Literaten, die Museen, Konzerthäuser und Bibliotheken füllen. Wenige gehören zum allgemeinen Kulturgut, der Großteil der Künstler sind Katalogleichen. Stöbert man ein wenig, sind die Spuren des Einen und des Anderen auch noch nach einigen Jahrhunderten zu finden. Der nächste Schritt ist die Präsenz im Web, aber wie sind dort die „Überlebenschancen“?   Dies kann heute noch niemand beantworten. Es gibt Bestrebungen die Bilder und die Bücher zu digitalisieren. In zweihundert Jahren kann der Zugriff darauf daran scheitert, dass sich die Programme geändert haben, nicht mehr kompatibel. Keine guten Aussichten für die Zukunft oder werden wir uns dann in der Vergangenheit vom digitalen Zeitalter befinden?

Die spannende Frage, ob Rudolf S. im ewigen Leben angekommen ist, wie es uns viele Religionen versprechen, ist auch nach so vielen Zeilen noch immer offen. Diesen Bewusstseinsstand hat er uns voraus oder ist er im Nichts gelandet und alles ist nur eine Hoffnung, die das Leben erträglich machen soll. Ist das Weiterleben im Jenseits eine  Vorstellung mit der wir uns trösten, je älter wir werden? Elementarteilchen.

Kommentar von Schlafmütze: 

Es bedeutet für mich auch: Jetzt leben, jede Sekunde, eine zweite Chance gibt es nicht.
Ein Text von Bertold Brecht:

Gegen Verführung
1
Laßt euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen;
Ihr könnt schon Nachtwind spüren:
Es kommt kein Morgen mehr.

2
Laßt euch nicht betrügen!
Daß Leben wenig ist.
Schlürft es in schnellen Zügen!
Es wird euch nicht genügen
Wenn ihr es lassen müßt!

3
Laßt euch nicht vertrösten!
Ihr habt nicht zuviel Zeit!
Laßt Moder den Erlösten!
Das Leben ist am größten:
Es steht nicht mehr bereit.

4
Laßt euch nicht verführen
Zu Fron und Ausgezehr!
Was kann euch Angst noch rühren?
Ihr sterbt mit allen Tieren
Und es kommt nichts nachher.

E:bikes

Im letzten Jahrzehnt haben immer mehr Menschen ihre Vorliebe für das Radfahren entdeckt. Beigetragen hat dazu die Einsicht, dass es gesünder und billiger ist, im Alltag kurze Strecken mit dem Rad zurückzulegen. Im Stadtverkehr gibt es, bei der Begegnung zwischen Rad- und Autofahrern sowie den Fußgängern, eine Reihe von Gefahrenquellen. Gefordert wird eine gegenseitige Akzeptanz zwischen Auto- und Radfahrern und bei gegenseitiger Rücksichtnahme ist im öffentlichen Verkehrsnetz Platz für beide. Das Radwegenetz wird weiter ausgebaut und verkehrssicher gemacht. Für das Radfahren werben die Gesundheitsaposteln und die Fremdenverkehrswirtschaft. Seit kurzem werden E-Bikes zum Kaufen angeboten, dabei wird die eigene Muskelkraft bei Bedarf durch einen E-Motor unterstützt. Ich stehe als Radfahrer, der die Muskelkraft benützt, dem E-Bike skeptisch gegenüber. Es ist gut, wenn man zu Fuß schlecht unterwegs ist oder eine Unterstützung durch den E-Motor braucht um eine Steigungen zu überwinden. Ich kann mir vorstellen, dass sich E-Bikefahrer zu einer Gruppe zusammenschließen, um gemeinsame Ausflüge zu unternehmen. Argwöhnisch bin ich, wenn in einer Gruppe ein Teil mit E-Bike unterwegs ist und der andere Teil mit herkömmlichen Fahrrädern. Ähnliche Skepsis habe ich, wenn ein  Partner das traditionelle Fahrrad verwendet und der Andere ein E-Bike. Dadurch entsteht ein Wettbewerbsverzehr der Kräfte. Während der Eine mit Unterstützung des E-Motor bequemer und schneller die Strecke zurücklegt, fährt der Andere mit dem herkömmlichen Fahrrad hinterher und fühlt sich gestresst.  Ein ungleicher Wettbewerb tut einer Gruppe oder einer Paarbeziehung nicht gut.

Für mich bedeutet Rad fahren nicht ein fahren von Punkt A nach Punkt B, sondern für mich steht das Loslassen, das Entspannen und ein leichtes Konditionstraining im Vordergrund. Radfahren hat für mich meditativen, religiösen Charakter, es ist eine Kulthandlung. Das Wichtigste am Radfahren sind für mich die Pausen, in denen ich mich niedersetzte und die Beobachtungen in einem Notizheft festhalte.

Tagebuchnotizen.   

SARA :brennt II

Gott, der Sara und Abraham einen Sohn verspricht, welcher der  Gründervater für das Volk Israel sein wird, wird während der Kirchenoper  nie greifbar, so unsichtbar wie heute.  Er lässt sich durch einen Engel, eine Stimme und eine Erzählerin vertreten, manches Mal ein Feuerschein auf der Zeltplane.  Manche hören ihn  sprechen und  erwarten, dass die Umstehenden, die nichts sehen und hören, an ihn Glauben und ihren Aussagen Glauben schenken. Die Musik lässt kein  mitfühlen um das Ringen nach Klarheit und Antworten zu,  zerstückelt kommen die Töne aus dem Seitenschiff, in der Nähe der Sakristei. Ich erinnere mich, dass dort das Ewige Licht brennt. Sosehr man sich bemüht bei der Musik zu verweilen, die Klänge brechen sofort wieder ab, eine musikalische Folter im Kirchenraum. Unerwartet setzt der Gesang Sarahs ein, fragend und fordernd, eine Kampfansage an Gott und die Männer. Als Leuchtschrift am Himmel die Texte, sie werden in roter Schrift auf einem Lichtbalken angezeigt, zum Mitlesen. Einmal werden die Decke der Stiftskirche und die Seitenaltäre für einen Moment von einem sanften, weichen Licht ausgeleuchtet und die Musik schweigt. Ein Lichtblick.

Am Tag der „Mariä Himmelfahrt“, da ich diesen Text verfasse,  hörte man in der Lesung von einem vergleichbaren Schicksal. Auch Maria kann es nicht glauben, dass sie ein Kind gebären soll, da sie mit keinem Mann „zusammenwohnt“.  Wieder wird von einer  Frau erzählt, die bedingungslos an die Verheißungen Gottes glaubt. Beidemal, bei Sara und Maria, würden die Geschehnisse einer medizinischen und biologischen Überprüfung nicht standhalten.  Aber haben wir heute noch den Mut so bedingungslos zu glauben, uns ganz den Verheißungen Gottes auszuliefern. Heute wollen wir kein Risiko eingehen, wir wollen gesicherte Straßen und Wanderwege, organisierte Busfahrten und Zeltfeste,  beständige Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen.  Für jedes Risiko gibt es eine Versicherung, man muss sie nur bezahlen können. Für die großen  Risiken, die Bewältigung der  Schulden- und Eurokrise, die Versprechungen der Minister. Offene Verheißungen.

Brand aus.

SARA:brennt

Bei der Fahrt entlang des Ossiachersee zur Kirchenoper „Sara und ihre Männer“  in der Stiftskirche Ossiach denkt man an die Nachbarn, deren Sohn am Südufer ein Fischrestaurant führt  und indem die Eltern in den Sommermonaten täglich aushelfen. Den genauen Standort weis man nicht, aufmerksam verfolgt man die vielen Hinweistafeln entlang der Straße, ein Tourismusbetrieb reiht sich an den Anderen. Unverhofft das Schild „Campingplatz Martinz“, ein Fingerzeig  zur politischen Situation in  Kärnten. Kurz vor Ossiach, auf einer Kuppel, erblickt man den  See.  Die Sonne ist von Wolken verdeckt,  die Wasseroberfläche Preußischblau fast Schwarz.  Der Turm der Stiftskirche wird sichtbar und in nächster Nähe steigen Rauchschwaden auf. Bei der  Fahrt in den Ort werden die Rauchschwaden dichter, der Qualm steigt von einem Gebäude gegenüber dem Stift  auf.  Beim ersten Hinschauen sieht man angekohlte Balken auf den Steinmauern, die  Schornsteine stehen im Freien und ragen nackt  in den Himmel. Ein kleines Stück vom Dachgeschoss, in Schräglage, existiert noch, aus allen Luken qualmt es.  Das Gebäude, die ehemalige Stiftsschmiede, heute ein Fischrestaurant,  ist  von Zuschauern eingekreist. Zum Großteil sind es Urlauber, die hier am See ihre Freizeit verbringen, Babys,  Kleinkinder und Ehepaare im Freizeit Look,  zum Teil noch in Badebekleidung. Vom Strand zum Brandherd. Viele halten die  Hände hoch, zum Fotografieren mit dem Handy. Verwundert stellt man fest, dass kein Brandgeruch zu riechen ist, obwohl es im Holz und Gebälk des in sich zusammengestürzten Dach- und Obergeschoßes noch immer knistert und  kracht,  glost und raucht. Der Wind treibt den Rauch vom Stift weg, den See auswärts nach Villach.  Am Ufer steht ein Feuerwehrauto mit laufendem Motor  und einem Saugrohr im See.  Vor dem Gebäude mehrere Feuerwehrleute in dunkelgrünen Uniformen und zwei Feuerwehrautos. Es beginnt zu dämmern  und ab zu züngelt im Gebälk eine Feuerszunge hervor und wird mit einem Wasserstrahl zum Schweigen gebracht.

Immer noch strömen Leute herbei. Damen und Herrn in den besten Jahren und ältere Ehepaare, alle in Abendkleidung, sie sind auf dem Weg zu der Kirchenoper „Sara und ihre Männer“. Etwas diskreter zücken auch sie ihre Handys, eine Vorstellung außerhalb der Kirche. Im Gastgarten des Stiftes, vis a vis der Brandruine,  stehen zwei dicke, verkohlte Baumstämme. Es sieht so aus, als wären zwei Stämme aus den Flammen gerettet und hier aufgestellt worden. Es ist dies eine  Installation  von  Johann Feilacher  mit dem Titel,  „Keil / zum Keil“. Zwei  abgeschrägte Eichenstämme  mit einer glatten Schnittfläche, ansonsten rundherum versengt.  Es entsteht der Eindruck, als wären es Vorboten zum Brand gewesen, zwei angeschwärzte  Keile die mahnend in den Himmel zeigen.  Darauf hinweisen, dass Feuer vom Himmel fallen kann. Bei der Einführung zur Kirchenoper hört man im Pfarrsaal durch das geöffnete  Fenster die Geräusche der Wasserpumpe, im Saal ist es unerträglich heiß.

Feuerzungen.