FROH:botschaft

Vor kurzem bin ich mit dem Fahrrad an der Villacher Stadthalle vorbei geradelt und sah wie aus mehreren Seitenstraßen, Frauen und Männer, Mädchen und Burschen, in allen Altersstufen, auf den Eingang der Stadthalle zuströmten. Am meisten aufgefallen ist mir, dass sie in farbenfrohen Kleidern, gut gelaunt und mit einem heiteren Gesicht unterwegs waren. Auf dem Gehsteig begrüßten sich kleine Gruppen herzlichst untereinander, und redeten angeregt miteinander. Für mich, einen Außenstehenden, der zufällig vorbeigekommenen ist, war ersichtlich, dass diese Menschen von etwas begeistert sind, das ihnen Lebensmut gibt. Ich hatte das Gefühl, das dies ansteckend sein kann, dass sie  in der Stadthalle eine frohe Botschaft erwartet. Wie ich erfahren habe hielten an diesem Wochenende die „Zeugen Jehovas“ ihren Jahreskongress ab. 

In der Nähe der katholischen Kirchen vermisse ich am Sonntag, dass junge und ältere Menschen gemeinsam, mit Heiterkeit auf die Kirche zuströmen. Man nähert sich der Kirche mit einem ernsten Gesicht, mit Andacht, in sich gekehrt. Uns Christen konfrontiert man zuerst mit der Sünde, mit allem was wir falsch machen, an dem wir scheitern. Soll uns etwas Hoffnung machen, dann erreichen wir dies nur durch Reue, Askese und  Verzicht. Die Glückseligkeit muss uns schwerfallen, muss schmerzhaft sein. Der Ablauf der  Messliturgie wird dramatisiert, wirkt fast bedrohlich. Mit ernsten Gesicht folgen die Kirchenbesuchern, in den zumeist schlecht ausgeleuchteten, düsteren Kirchen dem Ablauf der Handlung, nie kommt Fröhlichkeit auf. Auch das Liedgut ist durchzogen von Opfer und Schmerz. Manchmal frage ich mich, ob ich bei der richtigen Glaubensgemeinschaft bin, oder kommen die Signale, die sie aussendet bei mir falsch an.

 Aus heiterem Himmel.

TRACHTEN:paar

Die Norditaliener, vorwiegend Leute aus dem Raum Udine,Triest, Padua und Venedig sind willkommene Gäste in den Grenzorten von Kärnten. Die  Veranstaltungen in Villach, Klagenfurt oder am Wörthersee sind die Zugpferde dafür. Dazu zählen die Weihnachtsmärkte, der Jahreswechsel und die Faschingsumzüge. Im Sommer ist der Villacher Kirchtag, mit seinem großen Trachtenumzug, ein besonderer Anziehungspunkt. Die Friulaner lieben alles was mit Trachten und Musik zusammenhängt und haben eine Vorliebe für das Villacher Bier. Der Villacher Kirchtag fällt in die Zeit der Ferragosta, der traditionellen Ferienzeit in Italien. In dieser Zeit haben  viele Geschäfte, Handwerksbetriebe und Firmen geschlossen. Ein Kurzurlaub in Kärnten ist auch eine Möglichkeit den zumeist schwülen Temperaturen im Hinterland von Venedig zu entkommen. Während dieser Zeit können sich die Gasthöfe in Grenznähe auf brave Esser freuen. Die Italiener sind als Gäste beliebt, weil sie sich Zeit für das Essen nehmen. Bei ihnen steht das Wienerschnitzel und dazu ein großes Bier ganz oben auf der Wunschliste. In Italien sind  Fleischspeisen und Bier vergleichsweise teurer.  Jene Gasthöfe, die ein großes Schnitzel zu einem günstigen Preis anbieten, haben den meisten Zulauf. So bezeichnen sich Gasthöfe als  „Schnitzelkönig“, andere sagen von sich, bei ihnen gibt es die größten und knusprigsten Wienerschnitzel. Wer es noch größer haben will bestellt eine Grillplatte für zwei Personen. Daran können sich drei Personen satt essen, meistens bleibt ein Drittel übrig. Täglich eine warme Mahlzeit. Frei nach dem Motto: „Nach dem Essen soll man ruhen oder tausend Schritte tun“, warten in der angrenzenden Wiese zwei rote Liegestuhle darauf, dass sich jemand ausruht. Das WC wird öfter aufgesucht als die Liegestühle.

Schwein gehabt.

MILCH:brot

In einer italienischen Tageszeitung konnte man die Schlagzeile lesen: „Es scheint, dass die Hölle leer ist“. In meiner Jugend war der Ausdruck „Todsünde“ noch üblich. In der Kirche hat bei der Bestrafung der Sünder eine Trendwende eingesetzt. Es wird  nicht mehr der strafende Gott, sondern der verzeihende Gott in den Vordergrund gerückt. Eine Episode, die gerne während des Mittagsessen in Bildungshäusern erzählt wird: Petrus serviert den wenigen Bewohnern des Himmels das Mittagessen. Es gibt seit  Jahren täglich nur Milch und Brot. Durch ein Fenster kann man beobachten, dass einen Stock tiefer, in der Hölle, die feinsten Speisen serviert werden. Dort gibt es zum Mittagessen verschiedene Fleischgerichte, alkoholische Getränke und als Nachtisch Mehlspeisen. Ein Himmelsbewohner fragt Petrus, wie  kommt es, dass wir nur Milch und Brot bekommen, während sie in der Hölle mit Fleischgerichten und alkoholischen Getränken verwöhnt werden. Petrus antwortet: „Für uns wenige zahlt es sich nicht aus zu kochen“.

Ähnlich verschieden war die Stimmung bei einem Aufenthalt in einem Kurzentrum. Ist man durch den Speisesaal der Kassenpatienten gegangen, gab es dort Hintergrundmusik und man erlebte fröhliche und gesprächige Menschen. Betrat man den Privatspeisesaal, dann saßen Kurgäste an Einzeltischen, in die Zeitung vertieft. Jedes Geräusch von Gabel und Messer war im ganzen Restaurant zu hören. Wurde zwischen Bedienung und Gast gesprochen, dann geschah dies im Flüsterton. Jetzt kann man sich überlegen, welche Menschen haben sich beim Essen wohler gefühlt.

Zu ebener Erde und im ersten Stock.          

urban:IIII

Er war  den Staudamm entlang gegangen, kann sich nicht erinnern, dass er das Rauschen des fließenden Wassers gehört hätte.  Das Rauschen des Windes ist in seinen Erinnerungen vorhanden. Der Wind ist sehr kräftig gewesen. Auch an anderen Tagen war der Wind sehr kräftig, und Urban hatte das Rauschen des Wassers gehört. Jedes mal, wenn er stehen geblieben war, hat er auf das ruhig dahinfließende Wasser geblickt. Urban beginnt seine Bewusstseinsbilder  zu analysieren. Es war ein optisch ruhig fließendes Wasser, dass ist es also, er hatte nur dann die Geräusche des fließenden Wassers gehört, wenn, wie bei seinen früheren Spaziergängen war,  sich im fließenden Wasser Wirbel und Strudel gebildet hatten. Das Bild des optisch ruhig fließenden Wassers hatte in seinem Gehör keine Geräusche ausgelöst. Beim Einsteigen in das Auto hatte er sich gefragt, woher er kommt: aus sich selbst, oder ist er das Produkt seiner Umwelt? 

Manchmal nahm er Teile seines Körpers bewusst wahr. Am Morgen hatte er nach dem Zähneputzen sein Zahnfleisch kontrolliert, ob es fest geworden war. Seit einigen Monaten nahm er täglich einen Löffel Levolac zur Festigung seines Zahnfleisches. Er fragte sich, ob sein Zahnfleisch die Härte einer Betonmauer, die eines Baumes erreichen könne oder ob dieser Vorgang mit einem Zahnfleischfest enden werde: ein Fest wie es der erste Mai gewesen ist, an dem er diesen Spaziergang gemacht hatte. Der erste Mai, da müssten doch die Häuser beflaggt gewesen sein. Er fährt in Gedanken den weg zurück. Beim gedanklichen Vorüberfahren an den Häusern, die längs des Weges in die Schütt standen, ist es ihm unmöglich, eines der Häuser als beflaggt zu erkennen. In Gedanken fährt urban in das Waldstück, da erinnert er sich an die rot-weiß-rote Fahne an dem Kraftwerk. Obwohl Urban den Zeitpunkt, an dem er heute morgen wach wurde, nicht genau weiß, kann er diesen Zeitpunkt als sicher annehmen, er kann ihn sogar zeitlich einreihen, es muss vor dem Zähneputzen gewesen sein. Urban wüsste gerne, über welche frage er während der vergangenen Nacht beim Schlafen nachdachte. Denken ist für ihn nicht nur während des Wachzustand möglich. Wenn Denken während des Schlafens möglich war, so hatte er bestimmt auch Bilder gesehen. Er möchte seine Traumbilder näher beschreiben können.

urban:III

Urban muss seine Schlussfolgerungen unterbrechen, ihn ihm entsteht das Bedürfnis, die Tageszeitung anzusehen.  Da ist wieder die Angst, durch diese Ablenkung seine Erinnerungen zu verlieren, deshalb blättert er nicht in der Tageszeitung und sieht nicht zum Fenster hinaus. Er richtet seinen blick nach Innen. Den Blick seiner Augen lässt er in das Zimmer zurückgleiten, dabei verfängt er sich auf dem Bildschirm seines Fernsehapparates. Darin sieht er sich jetzt selbst. Urban betrachtet dies als eine Möglichkeit, sich näher zu kommen. Auf dem Bildschirm, wo er ansonsten andere, ihm fremde Dinge miterleben konnte, kann er sich selbst beobachten und stellt fest, dass er sich fremd ist, wie ihm auch anderes  im Fernsehen fremd war. Obwohl Urban diesen Gedanken verdrängen möchte, denkt er daran, in Zukunft anstatt den Fernseher einzuschalten und das Fernsehprogramm anzusehen, sich selbst im Bildschirm beobachten zu können. Vielleicht läge für ihn darin eine Möglichkeit, seiner Person näher zukommen. 

Eine für ihn neue Variante seiner Wahrnehmung beim Spaziergang war der Hase. Auf dem etwas erhöhtem, asphaltierten Weg entlang des Staudammes sah er während des Gehen einen Hasen. Es war für ihn unmöglich daran zu glauben, dass es ein lebender Hase war, weil er von den Erzählungen der Spaziergänger wusste, dass durch den Bau einer Pipeline  und den Bau einer Autobahn der gesamte Hasenbestand aus diesem Gebiet vertrieben worden war. Dieses Vorwissen veranlasste Urban, seinen  Erinnerungen an den Hasen zu misstrauen. Nach dem friedlichen, aber unwahren Bild des Hasen taucht aus dem Bewusstsein der Erinnerungen ein grelles Bild auf, die Schreie des jungen Mädchens auf dem Gepäcksträger des einsitzigen Mopeds. Waren es die Schreie der in einem Nachbarort von ihrem Vater geschändeten Mädchen, die durch dieses Mädchen in die Öffentlichkeit gelangten? Woran erkennt man geschändete Mädchen? War das Sitzen auf dem Gepäcksträger eines einsitzigen Mopeds ein Zeichen von Schande? Die Schreie bringt Urban in Zusammenhang mit den Schlaglöchern in der Schotterstrasse, welche in den letzten Tage vom Regen ausgewaschen worden waren.

 In Urban sind plötzlich Gedanken an das Bundesheer, Erinnerungen an größere Märsche. Diesen Vergleich findet er absonderlich.  Ein Marsch beim Bundesheer hat keine Ähnlichkeit mit einem Spaziergang. Urban bricht diese Erinnerungen ab. Dies ist ein Aufstand  seiner eigenen Gedanken, der sich gegen ihn richtet.