RISIKO:vernunft

Im Sommer kann es in den Bergen vorkommen, dass sich nach einem starken Gewitter ein Sturzbach gebildet hat und ein Stück von einem Wanderweg in die Tiefe gerutscht ist. Nicht immer ist es möglich den Urzustand sofort herzustellen, oft wird nur das Notwendigste ausgebessert. Dann gibt es vor der Baustelle den Hinweis: „Begehen auf eigene Gefahr“. Wir können mit unserer Vernunft abwiegen, ob uns der schöne Ausblick das Risiko wert ist. Verstand bedeutet Leben auf eigenes Risiko. Wir haben den Höhepunkt unserer persönlichen Freiheit hinter uns. Wir sind immer weniger bereit Risiko einzugehen, unsere Freiheiten auszunützen, wir sehnen uns nach Vorschriften. Dafür braucht man sich nur die Fülle von Verordnungen, die unser Freizeitverhalten reglementieren, anzusehen. Gerade dort, wo wir glauben am meisten frei zu sein. Dies beginnt beim Moped- Rad- und Skifahren mit der Helmpflicht, beim Autofahren mit der Gurtepflicht. Dazu zählt auch das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, sowie in Gasthäusern. Erlaubt es die Geldbörse versuchen wir mit allen Arten von Versicherungen, wie Gebäude- und Wohnungsversicherung, Kranken- und Lebensversicherung oder Freizeitunfallversicherung möglichen Risiken vorzubeugen. Frühgeburt.

MOZART:kugeln

Im Sommer erschweren es einem die vielen Besucher, Salzburg mit den Fahrrad zu erkunden. Es ist vorteilhaft, wenn man die meistbesuchte Straße der Stadt, die Getreidegasse, auslässt. Obwohl ich das Notizbuch und einen Kugelschreiber schreibbereit in der Gesäßtasche habe, schaut es so aus, als ob ich nichts neues entdecken könnte. So setze ich mich auf dem Residenzplatz im Freien, beim Café Demel, nieder und bestelle einen Cappuccino. In der Sommerhitze ziehen immer wieder Gruppen von Touristen mit ihrem Stadtführer vorbei. Alle schwitzen in der Mittagssonne, einige schützen sich mit einem Regenschirm davor. Wenn die Einzelnen vorbeigehen, dann kommt man zu dem Schluss, dass alle Amerikaner übergewichtig sind. Am Nebentisch wird nach einer Torte, bei einer Milchallergie, verlangt. Diesen Wunsch kann die ehemalige K. u. K. Hofbäckerei erfüllen. Ein junger Mann verteilt an die Caféhausbesucher Heiligenbilder: „Christkönig kommt Ende November“. Junge Paare marschieren mit Einkaufstaschen von Zara und Tommy Hilfinger vorbei.

Danach fahre ich über den Kapitelplatz, der von einer neuen Skulptur geprägt wird,  eine große goldene Kugel und darauf steht ein kleiner Mann, der fragend und orientierungslos in die Welt schaut,  weiter zu dem weniger frequentierten Kajetanerplatz. Dort entdecke ich vor einem Souvenirgeschäft einen Plakatständer mit dem Hinweis : „Letzte Möglichkeit vor der Autobahn, 18 Stück Mozartkugeln um € 4.95“. Ich frage mich, was diese Tafel in einer verkehrsberuhigten Zone in der Innenstadt, soll? Die nächste Auffahrt zur Autobahn liegt am Stadtrand, weit von diesem Platz entfernt. Der berühmteste Salzburger der hier lebte war der Barockmaler Sylvester Bauer. Für ihn gibt es an einer Hausmauer eine Gedenktafel. W. A. Mozart ist allgegenwärtig und hat in jeder Gasse gelebt. Jetzt lebt er weiter als Mitbringsel in Form von Mozartkugeln. Noch schnell besorgt, bevor man die Stadt über die Autobahn verlässt. Mozarttaler.

FAIR:verkehr

Zu Beginn dieses Sommers bereiteten die Anwohner der Saint-Julien-Straße  den Autofahrern eine Überraschung. An einem Wochenende wurde die Straße für den Autoverkehr gesperrt und das „Fairkehrtes Fest, blühende Straße„ von den Anrainern und vielen Besuchern gefeiert. Die Straße führt zum Salzburger Hauptbahnhof und ist stark befahren. Der Zebrastreifen und Teile der Fahrbahn wurden mit Rasen belegt. Auf diesen Rasenflächen haben sich die Menschen niedergelassen. “Schnapsen”, „Mensch ärgere dich nicht“ oder mit den Kindern Ball gespielt. Manche haben ihre Gitarre oder Ziehharmonika ausgepackt, andere ein Buch. Die aufgestellten Bierbänke waren reichlich besetzt, die Unabhängigen haben ihre eigenen Klappstühle mitgebracht. Die Wagemutigen sind oben ohne in den Liegestühlen gelegen. Es herrschte auf der Straße ein dichtes Gedränge, weil viele Zuwanderer mit der ganzen Familie, von der Oma bis zu den Kleinkindern  gekommen sind. Dazwischen mischten sich Radfahrer und Inlineskater. Musiziert wurde an mehreren Standorten. Versorgt wurden die Besucher mit türkischen und persischen Spezialitäten, mit Pizza und Kebab oder heimisch mit Weißwurst und Bier. Für Vegetarier gab es eine vegetarischen Gulaschsuppe. Nützliche Informationen konnte man sich bei der kath. Frauenbewegung, den Kinderfreunden, der Arbeiterkammer, dem Klimabündnis und bei den StadtBus holen. Bemalte Kartonautos bewegten sich auf vier Füßen, nicht mit vier Rädern vorwärts. Autoverkehrt.

ZUG:fahrt

Steht eine Bahnreise bevor, sitzt man geistig schon im Zugabteil, bevor man dort ist. Man macht sich Gedanken welchen Platz man bekommen wird und wer die übrigen Mitreisenden sein werden, besonders die unmittelbaren Nachbarn. Man hat keinen Blick für das Treiben auf dem Bahnhofsvorplatz und in der Bahnhofshalle, weil man zu knapp auf  dem Bahnhofsgelände eintrifft und es sehr eilig hat den Zug zu erreichen. Einmal den neu gestalteten Bahnhofsvorplatz in Villach vor der Abfahrt zu genießen habe ich mir gegönnt. Der Platz, eigentlich sind es zwei Plätze, einer links und einer rechts der Bahnhofsstraße ist offen, luftig und leicht, sowie praktisch gestaltet. Nach dem Berufsverkehr ist eine Gruppe von Volksschülern, alle mit gelben Sicherheitswesten, unterwegs. Zu den umliegenden Geschäften eilen die ersten Vertreter, ein Monteur von Thyssen macht sich am Fahrstuhl zu schaffen. Beim Billa besorgen sich die Frauen die fehlenden Lebensmittel,  ein junger Schlosser holt die Jausenbrote und das Bier für seine Kollegen. Ständig überqueren Rad- und Zugtouristen den Vorplatz.  Bei den Cafétischen sitzen die ersten Raucher bei einem Cappuccino und einer Zigarette. Das Lieferauto von Ölz parkt rückwärts ein.

Das Zugabteil ist unterbesetzt, die meisten suchen nach einem  Fensterplatz oder einem Platz mit Fußfreiheit. Auf der anderen Seite von mir hat ein junger Bursche seinen Laptop am Ausziehtisch und neben sich eine Tasche mit der Aufschrift: Studieren in Innsbruck. Der Zug fährt pünktlich ab. Schmerzhafte Laute, Aufschreie,  kommen von einer Frau die einige Bänke vor mir sitzt. Sie hat einige Illustrierte neben sich liegen, blättert darin und beginnt mit sich selbst zu reden. Dabei wird sie lauter und beschuldigt jemanden sie betrogen und hintergangen zu haben. Es gibt kein Gegenüber. Dann sinkt sie zusammen und stimmt in ein Jammern ein. Beim  Schaffner  erkundigt sie sich nach dem Tunnel. Die meisten fühlen sich gestört, es ist eine angespannte Situation, im Grunde sind wir Mitreisenden hilflos, wissen mit der Situation nicht umzugehen. Die unmittelbaren Sitznachbarn befreien sich davon, dass sie den Platz wechseln.  Hoffentlich gibt es einen Lichtblick nach dem Tunnel. Tauerntunnel.

GE:hört

Der Heilungsprozess, angeregt durch einen Kuraufenthalt hört nicht mit der Kur auf, sondern setzt sich nach der Kur fort. Dies bedeutet kein Vertrösten der Kurgäste, die oftmals während den Behandlungen über mehr Beschwerden klagen als vor der Kur, auf später. Die Kurärztin verweist bei der Abschlussuntersuchung darauf, dass sich die Kurerfolge in vier bis sechs Wochen nach der Kur zeigen, dies sei wissenschaftlich erwiesen. Aus der Erfahrung weis man, dass sich manche Verspannung nicht durch die  verordneten Therapien, sei es Galvanisation, Moorbad oder Wassergymnastik lösen, sondern indem sie sich Gehör verschaffen, dass ihnen jemand zuhört. Ein Ort sich Gehör zu verschaffen mit der Aussicht, dass jemand zuhört, ist in Bad Vigaun der Kurheurige Georg. Es ist dort am Abend nicht einfach, das man gehört wird, weil das Stimmengewirr ist groß. Alle hoffen darauf jemanden zu finden, der ihm zuhört. Viele der Kurgäste sind Pensionisten und diese klagen schmerzlich darüber, dass ihnen niemand mehr zuhören will, obwohl sie eine Menge an Erfahrungen gesammelt haben.  Auch ist es jetzt möglich manches auszusprechen, was man früher aus Rücksicht auf seinen Arbeitsplatz, seine Kollegen, auf eine Geschäftsbeziehung oder auf  einen Kredit nicht ausgesprochen hat. Viele meinen,  ist man aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden, wird man in der Öffentlichkeit nicht mehr wahrgenommen. Jetzt ist der Kurheurige  eine der wenigen Möglichkeiten sich auszusprechen und viele nützen dies  in großem Umfang. Es kommen in unserer Gesellschaft in der Regel nicht diejenigen zu Wort die wesentliches zu sagen haben, sondern jene, die sich mit rücksichtslosen  Methoden Gehör verschaffen.

Das Zusammentreffen von Menschen aus den verschiedensten Orten Österreichs kann auch dazu dienen, um  festzustellen, was kennt man in anderen Orten vom eigenen Ort. Über die Ortsgrenze hinaus bekannt ist das Wirken des Grenzlandchores und ein ehemaliger Akteur beim Villacher Fasching. Sie sind sozusagen die Aushängeschilder des Ortes. Faschingskrapfen.