Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

WUT:bürger

Dieses Wort wird allen, die sich über die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen informieren und nicht nur die Ereignisse in Europa, sondern auch einen Blick in die USA und in die Staaten des Nahen Osten machen, nicht unbekannt sein. Es ist ungewiss, ob man dieses Wort der Jugend oder den Senioren zuordnen soll. Gehört dieses Wort den politisch Verfolgten, den politisch Unterdrückten, die mit friedlichen Methoden für ein neues gesellschaftliches Modell demonstrieren? Das Wort Wutbürger fällt auch im wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhang, wenn es darum geht, dass die Regierung, die sogenannten Volksvertreter es zulassen, dass mit den Ersparnissen der kleinen Leute spekuliert und vieles verspekuliert wurde. Sie haben mit ihren Informationen die Bürger nicht wahrheitsgemäß über die Finanzen des Staates informiert, sondern den Wähler mit schön gefärbten Zahlen und Versprechungen verführt.

In manchen Fällen könnte man sagen, dass es unverantwortlich wäre einem Finanzminister das Haushaltsgeld, die Planung für einen drei Personen Haushalt, zu überlassen. Ihm für drei Monate das Wirtschaften zu übertragen, wie dies Millionen Hausfrauen täglich machen. Dabei trägt ein Finanzminister die Verantwortung über dreißig Millionen Menschen und mehr und ist oft unfähig abzuschätzen, was drei Semmeln kosten.

Bei diesen Verhältnissen könnte man zum Wutbürger mutieren. Die  Aussagen der Politiker zur Finanzkrise haben gerade drei Tage Gültigkeit, Aussagen, die drei Monate Bestand  haben, haben Seltenheitswert. Perspektiven, welche drei Jahre in die Zukunft reichen, erwartet niemand, dabei wären sie Grundlage für eine Lebensplanung. Mit dem Aufruf zur Flexibilität und mehr Anpassungsfähigkeit redet man diese Situation schön und versteckt  dahinter die Unfähigkeit eine Spur von Sicherheit zu bieten.

Unsichere Zeiten.

VORAUS:denken II

Ich habe das Gefühl, dass es vor Jahrzehnten leichter war zwischen dem  zu unterscheiden was man machen kann und was nicht. Meistens orientierte man sich an alten Regeln, an erprobten Mustern. Viele Dinge blieben über Jahre gleich und haben sich nur in kleinen Schritten geändert. Trotzdem wurde immer wieder etwas Neues in die Wege geleitet, hat man neue Ideen kreiert. Man hat selbst Ideen entwickelt, die den eigenen Wirkungsbereich verbessert haben. Heute ist es schwieriger, egal in welchen Bereich man tätig ist, Neues zu entwickeln, weil es auf jedem Gebiet eine Fülle von Spezialisten gibt.  Als kleiner Anwender schafft man es nicht, seine bescheidenen, aber realistischen Ideen in die Öffentlichkeit zu tragen. Dazu kommt, dass heute die aufwendige Werbung mehr Platz einnimmt, als die Idee selbst. Die Vermarktung macht ein Vielfaches von Einsatz aus, als das Vorhaben selbst.

Nach dem der Durchzugsverkehr aus dem Ortsgebiet von Arnoldstein ausgelagert war, stellte sich für die Gastronomie, die Gewerbebetriebe und den Handel die Frage, wie man mit der neuen Situation umgehen soll. Es wurde einige Monate vorher darüber geredet und gerätselt wie die Situation nach der Autobahnfreigabe sein wird. So dramatisch, wie die Umsatzrückgänge dann eingetreten sind, hatte sich vorher niemand vorstellen können. Die Unternehmer erkannten den Wert der heimischen Bevölkerung als Kunden und orientierten sich neu. In Zukunft war nicht mehr Schnelligkeit gefragt, sondern Qualität. Auch die Kunden in den umliegenden Ortschaften, die wegen des starken Verkehrsaufkommens den Ort gemieden hatten, wurden neu angesprochen.

So wurde aus dem Verkehrsvakuum die Idee für eine örtliche Werbegemeinschaft geboren. Wir waren Ideenspender und Umsetzer in einem, wir haben vieles selbst entwickelt und auch umgesetzt. Auch mit unseren bescheidenen finanziellen Mitteln haben wir die Aufmerksamkeit der Menschen erreicht. Zu dieser Zeit war die Werbung noch nicht so schrill und aggressiv wie heute und es gab noch nicht so viele verschiedene Kanäle für die  Werbebotschaften. Der Trend zu einem offenen Samstagnachmittag, dem sogenannten langen Samstag im Monat, zeichnete sich bereits ab. Heute haben die Einkaufszentren und Supermärkte ein Doppeltes an Öffnungszeiten. Damals bin ich dagegen Sturm gelaufen, als einige Kollegen sich wünschten, am Mittwochnachmittag geschlossen zu halten, um Erledigungen durchzuführen. Ich bezeichnete dies in Anbetracht der längeren Öffnungszeiten der Einkaufszentren in einem Lesebrief als kaufmännischen Irrweg. Manches mal gibt es Rückfälle in die gute alte Zeit. Es gibt junge Kollegen die glauben, dass sie die Kunden erziehen können und sich einen Tag in der Woche Auszeit nehmen. Es ist nicht auszuschließen, dass wir bei einer technischen Panne trotz unseres Fortschritts in der Steinzeit enden können.

Kaufmännischer Irrweg.

VORAUS:denken

Das erste starke Reisewochenende der Saison war zu Ostern, begonnen hat es am Karfreitag. Bereits um sechs Uhr früh stauten sich die Autos von der österreichischen- italienischen Grenze bis zurück in den Ort und darüber hinaus. Die Grenze ist vom Ort etwa fünf Kilometer entfernt. Der Übertritt nach Italien bildete in den achtziger Jahren eine wirkliche Grenze, auf beiden Seiten wurden die Reisepässe kontrolliert und teilweise auch das Reisegebäck. Diejenigen, welche an der Bundesstraße wohnten, brauchten keinen Kalender um zu wissen, dass Ostern nahte. Die Autogeräusche hörte man in das Schlafzimmer und in die Küche. Noch stärker war der Reiseverkehr am Pfingstwochenende und ab diesem Zeitpunkt staute es sich an jedem Wochenende. Es gab sogenannte Hyperwochenenden, wenn mehrere Deutsche Bundesländer Ferienbeginn hatten oder bei den Automobilfabriken der Betriebsurlaub stattfand. Der starke Reiseverkehr teilte den Ort in zwei Teile, die Bundesstraße war eine innerörtliche Grenze, die man nur mit Mühe überqueren konnte. Zeitweise war der Ort für die Einwohner nur über eine Nebenstraße erreichbar, die Bundesstraße war verstopft. Für die meisten Dorfbewohner war dies eine Belästigung, aber einige Branchen wie Tankstellen, Fleischhauer und die Gasthäusern entlang der Ortsdurchfahrt waren die geschäftlichen Gewinner. Eine große Auswahl an Speisen war nicht notwendig, nur das Servieren musste schnell gehen, die Durchreisenden hatten es eilig. Oft ist eine Person aus dem Auto ausgestiegen und in eine Fleischerei gelaufen, um für alle  heiße Würsteln oder Leberkäsesemmeln zu holen. Das Auto, welches langsam in der Kolonne vorwärtsgefahren ist, hat man wieder leicht  eingeholt. Eine Zeitung oder Illustrierte zu kaufen, war kein Problem, dabei hatte man das vorwärtsrollende Auto immer im Blickpunkt. Ich habe mit Wehmut vom ersten Stock auf die übergroßen Wohnwagen und die Autos mit einem Boot am Anhänger, die in Richtung obere Adria unterwegs waren, geblickt.

Eine einschneidende Veränderung gab es in Arnoldstein Mitte der Achtziger Jahre, als der Durchzugsverkehr, durch die Eröffnung der Alpen Adria Autobahn, aus dem Ortsgebiet ausgelagert wurde. Im Juni des Jahres 1984 wurde das Autobahnteilstück von Villach bis zur Staatsgrenze freigegeben. Am Pfingstsamstag rollten in den Morgenstunden die Autos noch im Schritttempo durch den Ort, nachdem der Autobahnabschnitt am späten Vormittag für den Verkehr freigegeben wurde, war es von einer Stunde auf die Andere mit dem Autoverkehr Schluss. In den Vormittagsstunden waren die Gastgärten der Gasthöfe noch voll besetzt, ab der Mittagszeit herrschte eine gespenstische Leere. Am frühen Morgen des Pfingstsonntags konnte ich, als ich aus dem Schlafzimmerfenster sah nicht begreifen, dass auf der Straße gähnende Leere herrschte: Keine lärmenden Erwachsenen, die ihren Unmut über den Stau freien Lauf ließen, keine zuschlagenden Autotüren und dröhnende Autoradios, keine Kinder die lautstark  darum bettelten auf das Klo gehen zu müssen. Die Notdurft wurde meistens zwischen den Häusern auf unbebauten Wiesen verrichtet.

In den nächsten Tagen konnte man auf der Bundesstraße, wo man eine Woche davor nur unter Lebensgefahr die Straße überqueren konnte, Fußball spielen. Aus Neugier benützte ein Großteil der Einheimischen in den ersten Monaten, wenn sie zur Arbeit oder für eine Erledigung in die nahe Bezirksstadt fuhren, die Autobahn.

Autobahnauffahrt.

SPECK:fest

Auch in diesem Jahr öffnen sich in wenigen Tagen die Pforten zum Speckfest. Eine Veranstaltung, die  ganz nach dem Geschmack der Gailtaler und vieler Kärntner ist. In allen Bevölkerungskreisen finden sich Freunde des GailtalerSpecks und der GailtalerFrigga. Der direkte Weg um sich mit einer Region zu identifizieren erfolgt über das Essen und Trinken, dies hält Leib und Seele zusammen. Die Gewinner des dreitägigen Speckfestes sind die bäuerlichen Direktvermarkter. Der Frontmann des Speckfestes ist der GailtalerSpeck, an ihm kommt kein Besucher vorbei. Dazu kommen Salami, Hauswürstel und Käse. Für den GailtalerKäse gibt es im Herbst ein eigenes Käsefest. Ohne diese Feste wären die Bewohner des Tales heimatlos, sie würden in der Gail das Gailtal hinuntertreiben, um dann am GailSpitz in der Drau zu ertrinken. Das Gailtal würde sich entvölkern, aber überall wo ein Gailtaler fehlt, würde ein Sommerfrischler als Zweitwohnungsbesitzer nachrücken.

In Erinnerung geblieben ist der Streit zwischen dem Verein des GailtalerSpeck und einer Landwirtin aus dem Gailtal.  Ursache des Streites war, dass nur jemand, der Mitglied des Vereins GailtalerSpeck ist, seinen Speck GailtalerSpeck nennen darf. Auch wenn der Speck von einem Gailtaler Bauer erzeugt wird, so darf dieser nicht GailtalerSpeck genannt werden, wenn der Bauer nicht dem Verein GailtalerSpeck angehört. Nur ein Vereinsspeck ist ein echter GailtalerSpeck.

So gerät das Gailtal, seine Berge, der Schnee, das Wasser, die Luft, der Speck und der Käse, immer mehr in die Hände von Marketingstrategen. In Zukunft wird auch die Aussage, “Ich bin ein Gailtaler”, dem Markenschutz unterliegen und  nur wer Mitglied vom GailtalerVerein ist, darf dies von sich sagen. Jeder andere Gailtalbewohner müsste dafür Strafgebühren zahlen.

 Schwein gehabt.