Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

UN:vergessen

Jeder hat in seinem Leben unvergessliche schöne Momente. Manche sagen, dass gerade die schlechtesten Ereignisse unvergesslich bleiben. Für neue Eindrücke, will ich sie nicht vergessen, brauche ich heute das Notizbuch. Am leichtesten erschließen sich manche Ereignisse, wenn man auf Fotos zurückgreifen kann. Hat man Glück, dann kommt man mit einzelnen Personen wieder in das Gespräch. Es kann sein, dass abgebildete Personen verstorben sind, ohne dass man davon benachrichtigt wurde. Ein unvergesslicher Augenblick ist für mich, als ich das erste Mal die Kirche in Portoroz betreten und die Kreuzigungsgruppe von Temschwar gesehen habe. Christus hat eine Hand vom Kreuz gelöst und ergreift damit die Hand einer hilfesuchenden Frau und lächelt ihr aufmunternd zu. Jedes Mal wenn ich in Portoroz bin, dann besuche ich diese Kirche und präge mir das Altarbild aufs Neue ein. Die Kreuzwegbilder an der Kirchenwand stammen von der Künstlerin Mira Licen – Krmpotic. Für sie bedeutet Auferstehung sich im Leben, nach einem Schicksalsschlag, wieder aufzurichten.

BANK:schalter

In diesen wirtschaftlich turbulenten Zeiten, wo der Staat Unsummen zur Stützung der Banken bereitstellt, ist der einzelne Staatsbürger verunsichert, wie es um die Stabilität des Euro bestellt ist. Die Frage ist, bleibt es bei der Bürgschaft oder wird der Staat diese Summen den maroden Banken und Ländern zahlen müssen, ist dann die Stabilität der Währung noch gesichert? Die Verluste im Budget können nur durch neue Steuern ausgeglichen werden. Damit verbunden wären geringes Wirtschaftswachstum, Verlust von Arbeitsplätzen, Preissteigerungen und Inflation. Schnell kann das Geld an Wert verlieren, obwohl wir unsere Hoffnungen auf das Geld setzen. Die wiederkehrenden Zahlungen werden heute per Dauerauftrag überwiesen, trotzdem herrscht in der Weltsparwoche und zum Monatsende bei den Bankschaltern ein erhöhtes Kundenaufkommen.

Davon sind ein Großteil Pensionisten, die Auskunft verlangen, wie viel auf ihrem Pensionskonto ist und sich einen Teil des Guthaben auszahlen lassen. Ein älterer Herr, der sich in den letzten Jahren wegen einer Herzerkrankung hat schonen müssen, betritt den Kassenraum. Das Auto hat er vor der Bank unordentlich eingeparkt, seine Bewegungen sind unkontrolliert und die Gesichtsfarbe bläulich. Bei der Bankangestellten erkundigt er sich nach seinem Kontostand und will etwas beheben. Plötzlich ringt er nach Luft, versucht sich etwas in den Mund zu sprühen und stürzt zu Boden. Die Angestellten bemühen sich um ihn, der Notarzt wird verständigt. Jemand sagt: „Er hat keinen Puls mehr“. Das Notarztteam versucht hinter einem Paravent den Pensionisten wiederzubeleben. An den Kassenschaltern wird der Betrieb weitergeführt, Geld einzahlen und beheben. Vom Rettungsauto angelockt, strömen immer mehr Leute in die Bank, mit dem Gefühl, überlebt zu haben. Nach einer Stunde stellt der Notarzt die Wiederbelebungsversuche ein und erklärt den Pensionisten für tot. Der Tote wird abgedeckt und von der Bestattung abgeholt.

Geldentwertung.

BANK:konto

Welchen Wert haben die Ersparnisse auf einem Bankkonto, wenn man stirbt. Es ist eine unheilvolle Allianz zu wissen, über soundsoviel Geld zu verfügen, und dann im nächsten Moment, in den nächsten Tagen sterben zu müssen. Was wird einen in der Todesstunde beschäftigen. Der Tod ist durch Geld nicht zu bestechen, es gibt keine Stunde, keinen Tag zusätzlich. Man wird sich nicht über das, was man getan hat aufregen, als vielmehr über das, was man nicht getan hat. Aus menschlicher Sicht gibt es tragische Verknüpfungen, wo man sich fragt, warum hat man etwas nicht schon früher gemacht. Sich anderen Menschen geöffnet, anderen Menschen geholfen oder bei gesellschaftsrelevanten Bewegungen mitgearbeitet. Vieles wird von uns auf später verschoben, wenn es leichter möglich ist, es in den Lebensalltag einzubauen. Manchmal fehlt einem dann die Kraft dazu oder es ist plötzlich zu spät. Im menschlichen Leben gibt es „Sternstunden“, Ereignisse schicksalhafter Natur, nach denen man eine Kurskorrektur vornimmt.

Das Erdbeben, welches in den siebziger Jahren in Friaul tausende Tote verursachte und Südkärnten erschütterte, führte zu einer Veränderung der Lebensumstände. Es war am 6. Mai um etwa 20.45, dass ich mit dem Stuhl wie auf einer Welle hochgehoben wurde, um dann wieder am Fußboden zu landen. Die Erdstöße verursachten wellenförmige Bewegungen. Dann folgten die Erschütterungen der Mauern, das Klirren der Fenster und Gläser. Von draußen hörte man das Aufprallen der herabstürzenden Dachziegel und Mauerbrocken. Danach absolute Stille, bis die Menschen aus allen Häusern in das Freie stürmten. In den nächsten Tagen war das Durchschlafen unmöglich, immer wieder gab es leichte Erdstöße, die Türen standen zwecks schneller Fluchtmöglichkeit offen. Die Zeitungen und das Fernsehen berichteten ausführlich von den Zerstörungen bei den Nachbarn, manche Ortschaften waren völlig zerstört, wie nach einem Bombenangriff. Schon am darauffolgenden Wochenende waren die Gasthäuser und die Tanzlokale in Südkärnten gut besucht, viele versuchten etwas vom Leben nachzuholen, bevor es zu spät sein könnte. Beim Totenschmaus ist es in Kärnten so unterhaltsam wie beim Hochzeitsmahl.

Wiedergeburt.

WEIHNACHT:illumination

Überall kann man jetzt beobachten wie in den Supermärkten, in den Fachgeschäften und in den Möbelhäusern die Weihnachtsware ausgepackt wird. Im Freien verwöhnt uns das Wetter mit einem schönen Herbsttag. Dabei ist Vorsicht geboten, bei Sonnenschein kommt man gut ohne Jacke aus, im Schatten kann es ganz schön abkühlen. In den Lebensmittelmärkten sind die Herbststollen zum Weihnachtsstollen mutiert. Tritt man in das XXL Möbelhaus um nach einem Dekorartikel für Halloween zu suchen, einen Kürbiskopf in dem man ein Teelicht stellen kann, weil man einen Besuch mit Kind erwartet, sieht man zuerst vor lauter festlich dekorierter Christbäume den Rest der Halle nicht. Der Christbaumschmuck, die Dekorengel und Renntiere, in verschiedenen Materialien, sind zu Pyramiden aufgestapelt. Mit diesem vorweihnachtlichen Frühstart nehmen wir uns selbst die Illumination auf Weihnachten. Wie soll die große Schar von Kindern, welche noch an das Christkind, dass den Christbaum und die Geschenke bringt, glauben, wenn die Christbäume in so großer Zahl im Eingangsbereich stehen. Die Halloweenartikel gab es im Sommer.

Um das Warten auf das Christkind zu verkürzen, ging man mit uns Kindern am 24. Dezember, bei Einbruch der Dämmerung, spazieren. Dabei hofften wir, dass wir für einen Augenblick das Christkindl sehen können, vielleicht wie es beim Stubenfenster hinein- oder herausfliegt. Selbst wenn die Christi Geburt eine Illusion wäre, so müsste man dafür dankbar sein, dies wäre dann eine Illusion die noch intakt ist.

Ohne Illusionen.

NICHT: versäumt

Den Bildern, als über das Wunder von Chile berichtet wurde, wie wir sie in der vergangenen Woche gesehen haben, wo jede Falte, jede Träne, jede Regung  im Gesicht der Geretteten und der Angehörigen von den Fernsehkameras übertragen wurde, konnte man sich nicht entziehen. Bestimmt hat es vielen Menschen für Stunden geholfen ihrer eigenen misslichen Lage zu entfliehen. Selten wird die Situation so lebensgefährlich sein, wie bei den Bergknappen. Die Bergleute wurden den Millionen Fernsehzuschauern gewaschen, frisch rasiert und mit sauberer Kleidung präsentiert, welche von der Firma Oakley gesponsert wurde, als kämen sie gerade von einer aufregenden Höhlenexpedition, mit überraschenden Entdeckungen zurück.  Bei einem solchen Ereignis stellt sich die Frage, wie lange könnten wir heute ohne das Medium Radio, Fernsehen und Internet leben. Gibt es jemanden im Westen der von dem Grubenunglück nichts gehört und diese Bilder nicht gesehen hat? Solche Ereignisse, die auch Medienereignisse genannt werden, lassen auch nicht Betroffene enger zusammenstehen. Es erleichtert, trifft man auf Bekannte, ein Gespräch anzuknüpfen, es bildet eine gemeinsame Gesprächsbasis, die alle verbindet.

In den Ferien stellte ich nach einer Woche fest, dass ich ohne die tägliche Tageszeitung und den Fernsehnachrichten nichts versäumt habe. Viele Nachrichten die wir hören, sehen und lesen, erreichen nicht unser Gedächtnis, weil sie für uns keine persönliche Bedeutung haben. Die wenigen Neuigkeiten, die auch für unseren Alltag etwas bedeuten, das Leben beeinflussen werden, erfährt man später bestimmt aus der Nachbarschaft.

Der Gartenzaun.