Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

AL.mosen

Man kann schnell an Bedeutung verlieren und als Mensch uninteressant werden, auch dann, wenn man über Jahrzehnte Kundschaft bei einem Großhändler war. Man muß erleben, dass man nur noch als Kontaktperson von Bedeutung ist, um den Kontakt mit dem Nachfolger herzustellen. Man wird als eine Auskunftsperson und als eine Hemmschwelle angesehen, die im Weg steht und über die man hinweg muss, um an den Nachfolger heran zu kommen. Von Interesse ist man solange, bis man den Namen und die Telefonnummer des Nachfolgers bekannt gegeben hat. Dieses Ansinnen wird mit dem Hinweis versehen, man möchte sich beim Zukünftigen  vorstellen, man will ihm nichts verkaufen. Als Kaufmann habe ich nicht erlebt, dass ein Großhändler Almosen verteilen will, er will verkaufen. Wo liegt die Grenze, zwischen einer Hilfestellung  oder man wird zu etwas gedrängt? In Zukunft will man sich nicht mehr drängen lassen,  das, was man sagen und vorbereiten will, selbst entscheiden. Die neue Freiheit geht dahin, dass ich mir  für die Zeit in der Pension nichts vornehme und nichts wünsche. Ich bin für alles offen, was noch kommen wird.

Dankbarkeit.    

BE:schwerden

Der am häufigsten geäußerte Glückwunsch bei festlichen Anlässen ist: „Bleiben sie gesund“, in Kärnten kurz: „Gsund bleibn“. Daher erleben wir jeden Tag, an dem wir nicht gesund sind, als Ärgernis, als einen Fehler der Natur, eine Misswirtschaft des Schöpfers. Wie aber gehen Menschen mit dem Alltag um, die in frühen Jahren krank geworden sind oder im Alter kränklich werden? Dabei sehnen sich gerade diese nach Freude und Abwechslung. Oft ist man der Meinung, dass man der Einzige mit Beschwerden ist, alle anderen sind gesund und glücklich. Diese Ansicht bleibt so lange aufrecht, bis man einen Bekannten im Krankenhaus besucht, der zu den glücklichen Menschen zählte und jetzt total unglücklich ist.

Spürt man beim Abschiednehmen vom Betrieb körperliche Unsicherheit, so muss man dies akzeptieren. Steht man im leeren Lager und weiß das man hier nichts mehr zu sagen hat, kann  dies Betroffenheit hervorrufen. Man muss etwas loslassen, an dem man sich festhalten konnte. Noch weiß man nicht, an was man sich in der Zukunft festhalten wird.

Kärntnerstraße.

RÜCK:zug

In Seminaren wird darüber gesprochen, in Broschüren darüber geschrieben, zu welchem Zeitpunkt man dem Nachwuchs die Führung der Firma überlassen soll. Oft wird damit zu lange gewartet, sodass der Nachwuchs die Freude an der Mitarbeit verliert, vom Übergeber wird verlangt, dass alles so bleiben soll wie es war. Ein Festhalten an Formen die sich  jahrzehntelang bewährt haben, bedeutet die Chance auf Veränderung für die Zukunft  zu vergeben. Für mich eine falsche Ansage war, als eine Interessentin für die Übernahme des Geschäftes sagte: “Alles soll so bleiben wie es ist”. Damit hätte sie sich einzementiert und wäre für die Zukunft unbeweglich gewesen.

In Pension zu gehen kommt mir komisch vor, ich scheide sozusagen aus dem Leben aus. Ich erhalte ein Ablaufdatum, dass manches mal überschritten werden kann, ohne dass der Inhalt verdorben ist. Man freut sich über die Wertschätzung, die Ehrungen, welche einem entgegengebracht werden, obwohl man kein Freund von Zeremonien ist. In der instabilen Wirtschaftssituation beneiden einen viele um das sichere Einkommen. Auf der anderen Seite steht das Wissen, dass es  Jüngere gibt, welche das längere Leben in ihrer Waagschale haben. Nicht immer ist alles eins zu eins umsetzbar.

Duckdonnerstag.

WOHL:verdient

Komme ich mit Kunden oder Bekannten in das Gespräch und erzähle, dass mein Pensionsantritt knapp bevor steht, dann fällt meistens der Satz: „ Das ich den Ruhestand wohlverdient habe“. Man unterscheidet heute zwischen dem wohlverdienten und dem nicht verdienten Ruhestand? Es hat ein neues Rechtsbewusstsein um sich gegriffen, dass man denen, die über Jahrzehnte durchgehend gearbeitet haben einen Ruhestand zusteht, denen, die viel an Auszeit in Anspruch genommen haben oder mit Fünfzig in die Rente gehen den Ruhestand nicht vorurteilsfrei zugesteht. Es gibt in Österreich beim durchschnittlichen Pensionsantrittsalter gravierende Unterschiede. Bei der ÖBB gehen die Menschen mit durchschnittlich 53 Jahren in Pension, bei den Bauern und den Gewerbetreibenden mit 58 Jahren.

Blicke ich auf meine vierzigjährige Selbstständigkeit zurück, so kommtes mir vor, als seien es vierzehn Jahre gewesen. In jedem Jahrzehnt hat es Umbaumaßnahmen und Veränderungen im Sortiment gegeben. Länger kommt mir der  Zeitraum vor, wenn ich im Sammelordner, wo ich die verschiedenen Werbezettel und Aussendungen abgelegt habe, blättere. Dort lassen sich über Jahre die Preise vergleichen und ich wundere mich selbst darüber, welche Waren  im Geschäft geführt und verkauft wurden.

Nicht so schnell vergangen sind die Monate, wo ich mit verschiedenen Beschwerden  behaftet war, und vor einer menschlichen Überlastung gestanden bin.

Kernschmelze.

RÜCK:blende

Plant heute jemand die Übernahme oder die Neugründung eines Unternehmen, dann wird mit Experten, dem Steuerberater, dem Notar und dem Kreditberater gesprochen. Bei der Wirtschaftskammer gibt es das Gründerservice, wo sich Menschen die ein Unternehmen gründen wollen beraten lassen können. Handelt es sich um  eine Betriebsübergabe, dann gibt es Beratungsstellen für Übergeber und Übernehme. Man versucht die Erfolgsaussichten mit Kennzahlen zu berechnen. Oft wenden sich Jungunternehmer an einen Persönlichkeitstrainer der sie mental stärkt. 

Geht etwas zu Ende, dann erinnert man sich gerne an die Anfänge. In der “Volkszeitung” wurde Anfang Dezember 1971 in einem Inserat ein Nachfolger für das Papiergeschäft in Möselstein gesucht. Dies war der Auslöser zu meiner Selbstständigkeit. Meine Hoffnung war, dass ich als selbstständiger Buchhändler viel Zeit mit dem Lesen verbringen könnte. Nach einem Telefonanruf  fuhren der Vater, der Bruder und ich am 24. Dezember mit einem VW Käfer nach Möselstein um das Geschäft zu besichtigen und mit dem Verpächter zu verhandeln. Der Verkaufsraum hatte ein Ausmaß von ca. 30 m2. Heute wäre dies die Größe für eine Würstelbude oder einen Süßwarenkiosk am Bahnhof. Das Geschäft, im Ortszentrum gelegen, war ein Zubau zu einem bestehenden Wohnhaus. Die Schneewände an den Straßenrändern reichten bis in den ersten Stock. Bei einem Glas Wein wurden wir handelseinig und mit ein paar schriftlichen Notizen fuhren wir nach Hause. Wir mussten am Bauernhof rechtzeitig zur Fütterung der Tiere und zur Bescherung ankommen. Zum Jahresanfang nahm ich einen Kredit auf und kaufte einen gebrauchten Renault 4, der wie eine alte Bauerntruhe bemalt war. Der Vorbesitzer war ein Möbelrestaurator. Bei einem Papiergroßhändler bestellte ich Ware nach dem Bauchgefühl. Noch war ich bei der Firma Gabor in Spittal/Dr. als Schuhfacharbeiter, als „Absatzschrauber“,  beschäftigt. Pro Schicht verschraubte ich etwa 2800 Stück Damenabsätze. Am Freitag vor der Geschäftseröffnung sagte ich zum Personalchef , “dass ich am Montag nicht mehr zur Arbeit kommen werde”. Dieser hat mich aufgefordert die vierzehntägige Kündigungsfrist einzuhalten. Kurze Zeit später ist  der Betriebsleiter gekommen und hat mir gedroht: „Wenn ich die Kündigungsfrist nicht einhalte wird man mir jeden Schuh, der durch meinen plötzlichen Abgang weniger produziert wird, von meinem Lohn abziehen und notfalls bei Gericht einklagen“. Einen Tag vor der Geschäftseröffnung bin ich, mit einem Ölofen und einem Diwan beladen, nach Möselstein gefahren und habe  am 20. Jänner das Geschäft wiedereröffnet.

Frühstart.