Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

IM:rausch

Sich einen “Rausch antrinken”, wie der Alkoholmissbrauch im Volksmund genannt wird, war früher auf dem Land etwas Normales und hat auch vieles entschuldigt. Oft ist es passiert, dass es im Rausch unter den Gasthausbesuchern zu einem Streit oder einer Rauferei gekommen ist. Es gab kaum eine Brauchtumsveranstaltung, sei es Kirchtag, Feuerwehrfest oder Faschingsball, wo es nicht eine Rauferei gegeben hat. Am nächsten Tag waren sich die Streitparteien  einig, es war eine besoffene Geschichte, der man nicht viel Bedeutung beigemessen hat. Von dem Einen und dem Anderen hat es geheißen, dass er, wenn er im Rausch heimkommt, seine Frau und seine Kinder schlägt. Auch dies hat man zu den entschuldbaren Vorkommnissen gezählt. Es hat genügt, wenn man es in der Kirche gebeichtet hat und der Pfarrer  einem in das Gewissen redete. 

Heute ist man vorsichtiger und überlegt sich, was man im Rausch macht. Bei einer sogenannten Wirtshausrauferei ist man schnell mit dem Paragrafen Körperverletzung und einer Schmerzens-geldforderung konfrontiert. Bei der Misshandlung von Frau oder Kind kommt es zu einem Verweis aus der Wohnung. Den Pfarrer, der einem in das Gewissen redet, muss man suchen.  In der Kirche diskutiert man über komplexe Glaubens- und Sozialfragen. Im Rausch wird der Blickwinkel enger und beim Überschreiten der Geleise bleibt man dort liegen. 

Böses Erwachen.

STÜTZ:punkt

Es macht beim Sport, beim Radfahren, Spass, wenn man sich ein Ziel setzt. Man soll sich nicht überfordern, aber  ein Ziel, welches über der Bequemlichkeit liegt, über der menschlichen Trägheit. Es soll sich eine Zufriedenheit einstellen, wenn man das Ziel erreicht hat und keine Überforderung. Dieses Ziel kann zu einem Stützpunkt, zu einer Orientierung für das Leben werden. Ein solches Ziel ist für mich beim Radfahren die St.Georgs Kirche in Faak am Faakersee. Bei der Hinfahrt muss ich einige Steigungen überwinden, freue mich aber während der Mühen auf die Rückfahrt, wo ich das leicht abfallende Gelände genießen werde. Der Platz vor der Kirche wird von einer Linde geprägt, mit einer Bank um den mächtigen Stamm. Von hier gibt es eine Rundsicht auf die Karawanken, den Dobratsch und das Finkensteiner Moor. An der Außenwand der Kirche ist ein Fresko mit dem „ Hl. Christophorus “  zum Verständnis des Lebens, vom Tragen und vom Getragen werden.

 

Ein weiterer Rastpunkt ist der Brunnen in der Oberschütt. Hier besteht die Möglichkeit die Gedanken, den Unrat der Seele, andere würden sagen, das Böse, auszumisten. Es ist wie das Entrümpeln der Wohnung von dem Müll des Überflusses, der sich in den Nischen eingenistet hat. Man fühlt sich befreit, wenn überschaubare Verhältnisse herrschen. Ist es um einen lichter, wird es auch im Inneren leichter. So geschehen im Innenhof, wo ich die Bäume und die Sträucher ausgelichtet habe. Es war vieles zu üppig, zu viel grün, die Seele konnte nicht mehr frei fliegen. Jetzt sieht man wieder die Kieselsteine, die Schmetterlinge und die Weite, für einen Rundumflug der Seele.

 

Durchforsten.

 

 

Kommentar von Gerhard :
Schöner Artikel !

11.45:12.15

Es ist sonnig, die Bora weht. Drei Straßen bilden zwischen den Häusern ein Dreieck, in der Mitte ein Parkplatz für fünf Autos. An jedem Straßenrand des Dreieckes steht eine Bank. Die Kirche steht unter der Straße. Vor der Kirche hält ein weißer Mercedes Vito mit einem schwarzen Kreuz auf den Seitenwänden. Ein Mann in Schwarz steigt aus und verschwindet in einem Hauseingang. Zwei Kinder kommen von der Schule, ein Elektrounternehmer holt mit dem Auto einen Arbeiter ab. Vis a vis von der Kirche ist ein Haus mit Balkon, eingezäunt von einer Steinmauer, auf der sich eine hellbraune Katze sonnt. Eine Frau mit weißer Hose und rosa Bluse lichtet die Sträucher. Auf einem Betonsockel steht ein Fahnenmast in den Farben weiß, rot, blau. Daneben der Tiefbrunnen, am Brunnenrand steht die Jahreszahl 1830. Das Gejaule einer Flex und das Surren einer Bohrmaschine wechseln sich ab. Von Sträuchern eingegrenzt steht auf der linken Seite eine geschwungene Säule davor ein verwitterter Kranz aus Plastikblumen und eine abgebrannte Kerze. Als ich auf die Säule zugehe, schaut zwischen den Sträuchern eine Katze hervor, verwundert und ungläubig. In der Betonplatte die Inschrift: Spomen – Park, 1941- 1945. Bei den Häusern verlaufen die Strom- und Telefonleitungen auf Putz. In den Vorgärten stehen gelb blühende Palmen, in den Blumenkästen blühen die Geranien. Die Turmuhr schlägt zwölfmal, die Kirchenglocken beginnen zu läuten.

Ein Mann geht aus dem Haus und steckt eine leere Milchpackung in den öffentlichen Müllkorb. Ein junger Vater kommt mit seinen zwei Kindern vom Einkauf im Konzum zurück. Neben der Kirche führt eine Stiege zum Meer, von dort kommt Hundegebell.

Jadranovo.  

HIMMEL:fahrt

Am Christi Himmelfahrtstag rufen die Glocken der Pfarrkirche von Völkendorf in Villach mehrmals zur Heiligen Messe. Wer hört diese Rufe? Viele sind beim Frühstück, planen den heutigen Feiertag, sind bereits in den Urlaub unterwegs, fahren oder fliegen dorthin. Erheben sich in den Himmel, wie einst Jesus, dieser ohne technische Hilfsmittel. Noch heute schauen viele Menschen, vor allem Ältere und Jüngere den Flugzeugen am Himmel nach, den Kondensstreifen, bis sie verblassen.

Mit unterschiedlichen Erwartungen hat sich eine Schar von Gläubigen in der Dreifaltigkeitskirche versammelt, um einer Uraufführung beizuwohnen. Es wird keinem Brauch gehuldigt, keine Volksfrömmigkeit, hier ist fast jeder ein individueller Gläubiger, der sich aus persönlichen Gründen für das Christentum interessiert. Links vom Altar sind verschiedene Schlagzeuginstrumente für die Perkussion aufgebaut. Die Elektrogitarren lassen auf eine Rhythmische Messe schließen. Der  Komponist Primus Sitter hat einen Kompositionsauftrag für Christi Himmelfahrt erhalten. In meiner Erinnerung sehe ich, wie in der Kirche St. Paul ob Ferndorf die Christusstatue in die Höhe schwebt und im Dachboden der Kirche verschwindet. Schaue ich hier in die Höhe, dann sehe ich das Sonnenlicht auf das Mosaik von der Dreifaltigkeit scheinen.

Beim Einzug des Pfarrers mischt sich zwischen die Klänge des Eingangsliedes von einer Audiokassette das Glockengeläut von Völkendorf. Jeder, der dem Ruf der Glocken gefolgt ist, wird noch einmal eingeladen sich auf die Messfeier einzulassen, auf die Musik von Gitarre, Elektrobass und Schlagzeug. Pfarrer Deibler begrüßt die Kirchenbesucher, verweist auf die Lifesituation der musikalischen Darbietung, sie ist nicht wiederholbar. Viele Judendorfer und Völkendorfer werden dies versäumen. Nah dabei sind drei bedürftige Männer, einer mit Steireranzug und einem Hut mit vielen Abzeichen, die sich in die erste Bank setzten.

Zum Gloria rufen die Töne des Didgeridoo und die Kirchenbesucher stimmen mit ein. Zwischen der Ersten und der Zweiten Lesung wird rhythmische Musik, dazwischen akustisch verfremdete Aufnahmen aus früheren Messfeiern von Völkendorf, gespielt. Wir hören unsere Vergangenheit, wir bekommen einen Spiegel vorgehalten. Die Musik wird verstärkt von Zugsignalen und Vogelstimmen.

Im Evangelium steht, wie Jesus seine Jünger darauf vorbereitet, dass jetzt für sie die Zeit gekommen ist, in die Welt hinauszugehen, um seine Botschaft zu verkündigen. Er wird zu seinem Vater in den Himmel zurückkehren. Pfarrer Deibler macht in seiner Predigt darauf aufmerksam, dass die Meisten zeit ihres Lebens in einem Karussell auf einem Pferd sitzen und sich im Kreis drehen. Der einzige Fortschritt besteht darin, dass manche auf ein schnelleres Pferd wechseln und sich das Lebenskarussell schneller dreht. Es ist immer derselbe Jahrmarkt, dasselbe Umfeld, der Kreisverkehr der Provinz. Wer vom Pferd heruntersteigt, dem kann ganz schön schwindlig werden, es dreht sich alles weiter und viele wählen den Weg zurück auf das Pferd. Wenige verlassen den Jahrmarkt der Provinz und gehen hinaus in eine offene, neue Welt.

Vor der Wandlung beginnt die Musik mit feinen Tönen, dazwischen die zarten Klingeltöne der Ministrantenschellen. Das Aufbrausen des Geistes, der gegen den Himmel fährt. Das wiederholte Klingeln läutet unsere Wandlung ein, untermalt von meditativen Tönen. Die Musik bereitet uns darauf vor, gibt uns die Gelegenheit unsere Gedanken zu verwandeln. Der Mittelpunkt der Messe.

Die Melodien zur Kommunion führen uns hinaus aus dem Karussell, zu den Vogelstimmen, zum Rauschen der Drau, diese sind außerhalb der Stadt zu hören.

Ein Zug fährt durch.

Aus dem Tagebuch, 21. Mai 2009. Mehr zu Primus Sitter…