Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

SCHNEE:palmen

Es gibt kein verrückteres, zeitloseres, ergiebigeres Thema als über das Wetter zu sprechen und zu schreiben. Es vergeht kein Jahr, wo man nicht sagt, das Wetter spielt verrückt. So ärgern sich jetzt viele Leute darüber, dass das Italientief nicht abzieht. Die einen sprechen davon, dass jüngere Forschungen eine neue Eiszeit prophezeien, einen Ganzjahreswinter. Zurzeit ist durch die Banken- und die Wirtschaftskrise, die Arbeitsplatzverluste, das Thema der Klimaerwärmung, des Klimawandels, völlig aus den Nachrichten und aus den Tageszeitungen verschwunden. Bei einer Wetterperiode, wo es im Gasteinertal täglich leicht schneit, glaubt niemand  an die Klimaerwärmung. Daran, dass in einigen Jahrzehnten, stimmen die Forschungen, es Schneesicherheit nur in einer Meereshöhe ab zweitausend Meter geben wird. Man sagt voraus, dass Ende dieses Jahrhunderts, in den Alpentälern Palmen wachsen werden. Den Hobbygärtnern kommt dies gerade recht, so erübrigt sich die mühselige Arbeit, die Palmen über den Winter in das Haus zu stellen. 

Einen Vorgeschmack auf diese Zeit bieten die Skiorte im Gasteinertal an. Sie laden zum Ende der Skisaison zu einer Party unter dem Motto: „Palmen auf den Almen”, ein. Man versucht mit dem Aufstellen von Kübelpalmen im Freien, die Stimmung von Schnee und Sand, zu vereinen. Tropen und Alpen auf einen Fleck. Es könnte sein, dass der Schnee einmal fehlen wird und die Palmen von selbst wachsen werden, dann braucht es um die Palmen Kunstschnee. 

Der Zeit voraus. 

 

SCHUB:umkehr

Beim Wort Schubumkehr denken jene, die sich für das Fliegen interessieren und sich in technischen Belangen auskennen, an das Bremsmanöver bei der Landung. In Österreich ist die Erinnerung wach, dass es zu einem Flugzeugabsturz bei der  LaudaAir gekommen ist, weil sich die Schubumkehr während des Fluges eingeschaltet hat. Von einer Schubumkehr kann man bei verschiedenen Menschen sprechen, wenn sie sich im Alter ihrer Kindheit zuwenden. Sie beginnen vor allem aus ihren Kindheits- und Jugendtagen, zu erzählen. Der Mittelteil des Lebens, dort wo man am meisten bewegt und geschafft hat, spielt oft keine Rolle. Ebenso die Gegenwart und schon gar nicht die Zukunft. Oft trifft es bei Schriftstellern zu, dass sie die Aufarbeitung und Erlebnisse der Kindheit und Jugend für die späteren Jahre aufheben. Das Langzeitgedächtnis des Menschen funktioniert besser, als das Kurzzeitgedächtnis.

 

Zu einem eigenartigen Ereignis ist es in der Bekanntschaft gekommen. Eine betagte Frau hat nach einem kleinen Gehirnschlag nur mehr windisch geredet. Windisch hat sie während ihrer Kindheit im gemischtsprachigem Gebiet von Kärnten gesprochen. Damit man sich mit ihr verständigen konnte, wurde ein windisch-slowenisch sprechender Pfleger hinzugezogen.

 

Im Kindergarten.    

SCHUTZ.mantel

Vor zwei Jahren war es selbstverständlich, dass man sich Pläne für die Zukunft gemacht hat und sie umsetzte. Eine Wohnung kaufte, und statt der Miete eine etwas höhere Kreditrückzahlung in Kauf genommen hat. In zwanzig Jahren besitzt man Wohnungseigentum, welches den Kindern weitergegeben werden kann. Die helle, freundliche Wohnung wirkt aufbauend auf die Familie. Alle hatten einen Arbeitsplatz, als Vollzeit, Teilzeit, oder Lehrplatz. Vor zwei Jahren gab es keine Sturmwarnung vor einem Wirtschaftstief, in Österreich herrschte gutes Konsumwetter. Jeder der sich bemühte und gute Arbeit leistete erlebte seinen Arbeitsplatz als sicher. Man lebte mit dem Umstand, dass die Firma von einer größeren Firma gekauft und wieder verkauft wurde. Am Firmenstandort wusste man zeitenweise nicht, zu welcher Firmengruppe man gerade gehörte. Vielfach hielt man die fremden Namen für einen Fortschritt, man war bei der Globalisierung dabei. In der Regionalzeitung gab es auf der Wirtschaftsseite einen Bericht, dass die Firma soundso von einem größeren Konzern übernommen wurde, um die Marktchancen zu erhöhen. Alle applaudierten.

 

Das neue Wort heißt Arbeitsplatzwarnung, Anmeldung zur Kurzarbeit beim Arbeitsmarktservice. Ein kurzes Email aus der Konzernzentrale, dass sich die Auftragslage verschlechtert hat, es gibt Absatzprobleme und die Finanzkrise. Eine Fachhandelskette hat viele Fachhändler mit Preisdumping verdrängt, bis sie jetzt selbst ein Opfer des Preiskampfes geworden ist. Beim Frühwarnsystem des Arbeitsmarktservice werden die Verkäufer angemeldet. Bei einem Konkurs werden die offenen Löhne vom Staat bezahlt, vom Steuerzahler. Wie groß ist der Schutzmantel des Staates und wie hoch die Kreditrate.

 

Die Schutzmantelmadonna.

WA(H)RE:krise

Die Bezeichnungen für die jetzige Krise sind vielfältig: Finanzkrise, Bankenkrise, Autokrise, Beschäftigungskrise, Konsumkrise, Warenkrise, Sinnkrise. Wahrscheinlich wird soviel über die Krise geschrieben und gesprochen, weil uns der Sinn abhanden gekommen ist. Unser Konsumverhalten wird infrage gestellt, die Säule unseres Selbstbewusstsein, Erwerb und Erfolg. Die wenigsten wollen  andere Wege gehen. Man hofft, dass es bald so sein wird wie früher. Bei vielen geht es um den Arbeitsplatz, um das Geld für die täglichen Besorgungen.

 

Beim Besuch einer Warenmesse in Salzburg fällt mir auf, dass einige Firmen diesmal nicht ausstellen. Andere Firmen haben aus Kostengründen einen kleineren Messestand. Am Sonntagvormittag kann ich mich ungehindert in den Messehallen bewegen, ansonsten habe ich mir einen Weg durch die Besucher bahnen müssen. An vielen Verkaufsständen ist zu viel Personal am Stand. Bei einem Aussteller musste ich mich in anderen Jahren selbst bedienen, das heißt, eine Bestellliste nehmen und die ausgesuchten Artikel eintragen. Diesmal hat sich der Chef angeboten, mit mir die Bestellung durchzuführen.

 

Das ganze Ausmaß der Krise spüre ich am Stand eines Hobbyartikellieferanten. Statt einer Theke, wo Getränke und belegte Brötchen serviert wurden, stehen diesmal auf einer Stellage drei Schüsseln mit verschiedenen Brotaufstrichen und daneben ein Brotkorb. Die Besucher müssen sich die Brötchen selbst richten. Daneben Mineral und Orangensaft, zum selber einschenken. Die Krise kommt auf leisen Sohlen. 

 

Alle Wege führen nach Rom.    

TUNNEL:blick

Für die Fahrt zu einer Ausstellung benützt man meistens das eigene Auto und liegt der Ausstellungsort weiter entfernt, nimmt man den Weg über die Autobahn. Durch die vielen Lärmschutzwände wird einem der Ausblick auf die Umgebung versperrt. Den Anrainern wird durch die Lärmschutzwände der Blick auf die vorbeifahrenden Autos, und der Autolärm erspart. Man hat sozusagen einen Tunnelblick, obwohl man in keinem Tunnel fährt.  Die Sicht besteht aus dem Blick auf die Fahrbahn und den Lärmschutzwänden aus Holz, Metall oder Beton. Oftmals fährt man in einer Betonbadewanne dahin. Benützt man, weil bequemer und vorteilhafter für eine Ausflugsfahrt einen Bus, einen Doppeldeckerbus, dann bekommt man einen anderen Blickwinkel, eine andere Perspektive. Der Blick reicht über die Lärmschutzwände, man ist aus dem Tunnel befreit, und sieht Häuser, Kirchen und Burgen. Man ist dem Tunnelblick entkommen.

 

Den Alltag erleben wir  ähnlich. Wir sind mit unserer eigenen Meinung unterwegs, wir haben den Tunnelblick auf die Ereignisse, auf die Lebensumstände. Wechseln wir einmal das Fahrzeug, benützen wir einmal die Blickweise eines anderen Menschen, dann können wir den Tunnelblick verlassen. Wir sehen bei zwischenmenschlichen Problemen, bei wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Problemen über die momentane Situation hinaus, wir sehen das Land hinter den Lärmschutzwänden. Oft ist es ein Vorteil, dass wir in Räumen, behütet von Lärmschutzwänden leben, alles was von draußen kommt, abgeschottet wird. Manches mal führen Erkrankungen dazu, dass man sich lärmarme Räume schafft, um sich Lärmschutzwände errichtet. Der größte Lärmschutzerrichter ist die Vorstellung, dass es auf den Tod zugeht.  Dabei sieht man nur mehr das schwarze Loch im Tunnel, nicht das viel zitierte Licht am Ende des Tunnel. Es kann niemand sagen ob es nach dem Tunnel, nach dem Verlassen der Lärmschutzwände den weiten Blick gibt? Vielleicht bedarf es der Benützung eines Doppedeckerbusses , dass man über die menschlichen Vorstellungen hinaus sieht, auf die Schönheiten hinter den Lärmschutzwänden. Dies bedeutet rechtzeitig umzusteigen, vom Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr. Von der individuellen Sichtweise abkehren, die Sichtweise, von sehenden Menschen annehmen.

 

Den Tunnel verlassen.