URBAN:IX
Beim zweitem Spaziergang hatte er die Möglichkeit, eine Wahrnehmung aus dem ersten Spaziergang zu überprüfen, ob sie mit der Wirklichkeit übereinstimmte und nicht nur seinem Bewusstsein entsprungen war. Er konnte es nicht erwarten, an der Futterhütte vorbeizugehen, um zu überprüfen, ob seine Erinnerung an die Futterhütte nur ein Fantasiegebilde gewesen war, Schlussfolgerungen von Wahrnehmungen, die sich in vielen Jahren im Gehirn gesammelt und nichts mit seinem Spaziergang gemeinsam hatten. Urban freute sich, weil er erkannte, wie nahe er der Beantwortung, ob seine Beschreibungen der Wirklichkeit im wörtlichen sinne entsprachen, anhand der Futterhütte kam. In diese Erwartungen mischten sich die Windgeräusche eines Laubbaumes. Die Beantwortung der Frage, ob die Bilder aus dem Bewusstsein die Wirklichkeit waren, wurde immer verschwommener, bis keine Hoffnung mehr bestand, die Frage zu beantworten. Dies bedeutete den Anfang der urbanischen Hoffnungslosigkeit.
Aus den Windgeräuschen war es ihm möglich, das Geräusch eines einzelnen Laubbaumes herauszuhören. Er hatte sich auf diesen einen Laubbaum konzentriert, der noch das Laub vom Herbst getragen hatte. Der belaubte Laubbaum war ein Außenseiter unter den anderen kahlen Laubbäumen. Der Laubbaum hatte an diesem Umstand selbst keine Schuld. Urban kann sich mit diesem Laubbaum identifizieren.
Das Klicken beim Kraftwerk hat auch heute nichts von seiner Faszination auf ihn verloren. Er versucht über den Spaziergang hinaus in seinen Erinnerungen zurückzugehen, ob er diesem Geräusch schon einmal begegnet ist. Aus der starken Beziehung zu dem metallischen Klicken schließt Urban, dass es in ihm aufgrund eines angenehmen Erlebnisses in seinem Unterbewusstsein bereits vorhanden ist. Urban hört ein Wort und kann sofort sagen: Dies ist die Briefträgerin, das sind die Wohnungsnachbar, das ist die Drogistin, ohne die betreffende Person mit den Augen gesehen zu haben. Eine Stimme sagt einem alles über eine Person. Jedes Geräusch wird jemandem zugeordnet, zu ganz bestimmten Bewusstseinsbildern. Für das Klicken findet Urban keinen Gegenstand, dem er es hätte zuordnen können.
PISTEN:raupe
Nach den ersten Schneefällen wird in den Skigebieten eifrig an der Präparierung der Skipisten gearbeitet, die Schneekanonen werden zum Einsatz gebracht, um die Abfahrten zusätzlich künstlich zu beschneien, obwohl vieles durch den Föneinbruch fraglich geworden ist. Blicke ich abends aus dem Fester sehe ich in der Ferne die Lichter der Pistenraupe den Berg hinauf- und herunterfahren. Es gilt den Schnee neu zu verteilen, den Naturschnee mit dem Kunstschnee zu vermengen. Am Wochenende werden die Skihungrigen die Pisten stürmen. Diese wollen unter ihren Skiern einen weichen, griffigen Schnee spüren, keinen harten, eisigen Kunstschnee. Vieles hängt vom Geschick des Pistenraupenfahrers ab, wie die Schneeverhältnisse sein werden. Eine gute Präparierung der Skipiste entscheidet oft über den Verbleib der Wintergäste.
Was in unseren Breiten die gepflegte Skiabfahrt im Winter ist, dass ist im Sommer an der oberen Adria der feine Sandstrand. Bei Einbruch der Dunkelheit gleiten die Scheinwerfer der Sandraupe über den Strand. Mit einem, der Schneeraupe ähnlichen Gefährt wird der Sand durchpflügt und gelockert, um am nächsten Tag den Badegästen optimale Liegeplätze zu bieten. Verstummen die Geräusche der Strandraupe, kann man das Rauschen des Meeres hören. Es begleitet einen in den Schlaf.
Muscheln.
ZU:hause
In einem Großteil der Gespräche ist heute davon die Rede, welche Reise man plant oder die Leute erzählen wo sie gewesen sind. Ein Trend sind die Städtereisen über das Wochenende. Den meisten genügen drei Tage um eine Stadt kennenzulernen. Die Hotels und die Reiseveranstalter haben auf diese Strömung reagiert, deshalb gibt es auch günstige Angebote, wenn man drei oder zwei Nächte bleibt. Wird bei einem Treffen mit Freunden vom Reisen erzählt, dann stehe ich etwas abseits, weil ich selbst wenig gereist ist und dann noch oft den selben Ort, die selbe Landschaft besucht habe. Deshalb, weil ich mehr kennenlernen will als die zehn besten Tipps vom Polyglottreiseführer.
Um etwas von einer Landschaft, von der Lebensweise der Menschen die dort leben zu erspüren, muss man öfter hinfahren. Zu verschiedenen Jahreszeiten, Begebenheiten und Feste. Nie kommt man der Seele der Menschen näher, als wenn man an ihren Feiern teilnimmt, diese nicht zum Zwecke des Fremdenverkehrs stattfinden. Auch die Gerüche, die Farben, das Licht einer Landschaft sind in jeder Jahreszeit verschieden. So betrachtet macht beim Reisen nicht die Fülle von Orten aus, sondern die Eindrücke vor Ort. In diesem Sinne habe ich etwas von Friaul erlebt, dafür war ich noch nie in New York.
Manche wollen es anderen beim Verreisen gleichtun, sie fühlen sich ansonsten benachteiligt, obwohl sie kein Reisetyp sind. Ihnen macht eine neue Umgebung und die Änderung des Tagesablauf Beschwerden. Sie bekommen nach einigen Tagen körperliche Beschwerden, wie Magenschmerzen, Schwindel und Übelkeit, die wirkliche Ursache liegt im Heimweh. Sie fühlen sich zu Hause am wohlsten, in der vertrauten Umgebung.
Tagesausflug.
KUH:stall
In den Handelsgeschäften ist es nicht mehr üblich, dass die Waren im Kopf zusammengezählt werden. In den meisten Fällen werden die Preise in die Kassa eingescannt und so die Rechnung erstellt. Bei den Supermarktkassiererinnen ist jedes Gespür für den Rechnungsbetrag verloren gegangen, was die elektronische Kasse anzeigt, das stimmt. So werden Tippfehler kaum erkannt und wahrgenommen. In meiner Lehrzeit war es üblich, die Posten auf einen Block aufzuschreiben und mit dem Kopf zusammenzuzählen. Dabei konnte es vorkommen, dass man bei mehr als zehn Posten, beim Nachrechnen etwas anderes herausgekommen ist, als beim ersten Mal. Zum Schluss hat die „Erste Verkäuferin“, so hieß dies damals, die Rechnung noch einmal kontrolliert. So hat sich bei mir im Laufe der Jahre ein Zahlengefühl entwickelt. Damals war es selbstverständlich, dass man das Einmaleins „im Schlaf“ konnte. In der Schule wurde zu Beginn des Unterrichts eine Viertelstunde Kopfrechnen geübt. Heute benützen die Kinder schon sehr früh einen Taschenrechner und manche scheitern bei kleinen Kopfrechenaufgaben.
Beim Melken der Kühe hat der Vater mit uns Kinder das Einmaleins geübt, oder das Zusammenzählen und das Wegzählen. Ich weiß nicht, ob die Kühe auch mitgezählt haben, zugehört haben sie.
Für das Leben lernen wir.