Radio Kärnten, 24.10. 2009, 20.05 Uhr
MundArtTexte von Franz Supersberger
In acht Wochen ist Weihnachten und bei diesem Gedanken habe ich das Gefühl, dass das Jahr vorbei ist. Das Zeiterleben spielt sich im Bauch ab. Wir benützen den Kopf und denken aus dem Bauch heraus. Vieles hat weder Hand noch Fuß, vieles ist für den Arsch, wie es volkstümlich heißt. Über vieles wird im Kopf abgestimmt, was eine Sache des Bauches ist. Kopfarbeiter sein bedeutet alles mit dem Kopf zu entscheiden. Sucht man Verbündete, dann findet man diese im linken Herzlappen und in der rechten Herzklappe. Wird die Kopfarbeit zu schwer, dann kümmert sich der rechte Lungenflügel darum. Durch die neue Aufgabe kann sich der Schleim aus der Lunge nicht lösen. Der Schleim macht das Atmen schwer. F. K. hat gesagt, weil mein Kopf nicht alles ertragen kann, hat die Lunge etwas davon abgenommen. Die Arbeit am PC kann zu viel werden, Verwirrtheit und Entzündungen auslösen. Es braucht Eigenkorrekturen oder einen Korrektor. Wer ist dazu fähig.
Im Haushalt ist an manchen Ereignisse ersichtlich, wie die Zeit vergeht. Finden sich im Briefkasten mehr Modekataloge als normal, weiß man, dass eine andere Jahreszeit kommt, ein Jahreswechsel bevorsteht . Dazu braucht man nicht aus dem Fenster zu schauen, die Natur zu beobachten. Das Gewicht der Post kündigt den Jahreszeitenwechsel an. Das Gewicht einer Person bestimmt vieles. Ein gewichtiger Mensch hat ein gewichtiges Wort mitzureden. Wird eine Meinung ignoriert ist dies ist ein Fliegengewicht, sein Körpergewicht und seine Meinung.
Fliegenfänger.
Im schöpferischen Bereich ist es eine Gratwanderung was von den Menschen, den Betrachtern, den Lesern noch akzeptiert wird. Wie weit geht das Verstehen und Verständnis für ein Bild, für eine Installation, für einen Text. Bei einer Installation erschließt sich für den Betrachter oft erst auf den zweiten Blick der Inhalt, die Aussage der Installation. Es gibt Bezüge zur wirtschaftlichen, politischen und sozialen Situation im Herkunftsland des Künstlers. Schwierig wird das Verständnis, wenn die Künstler aus anderen Erdteilen oder Megacitystädten kommen. Als Wissensgrundlage und zum Verständnis haben wir oft nur Dokumentationen und Nachrichtensendungen aus dem Fernsehen. Nachvollziehen kann ich ein Video von Mark Lewis, das auf der Biennale von Venedig im Pavillon von Kanada, gezeigt wird. Ein Arbeitsloser hat seine Schlafstelle, einen Schlafsack, über einem Kanalgitter am Straßenrand aufgeschlagen. In einer Sporttasche hat er seine übrigen Habseligkeiten. Eine Mineralwasserflasche, Joghurt und eine Dose mit Fertigkaffee stehen daneben. Der Dunst, der vom Kanalgitter aufsteigt, wärmt ihn. Ähnliches habe ich im Winter während meiner Lehrzeit in Spittal/Dr. gemacht. Ist es mir in der Mittagspause in meinen Halbschuhen zu kalt geworden, habe ich mich über ein Kanalgitter gestellt, mir die Füße und Hände gewärmt.
Beim Schreiben ergibt sich eine andere Frage. Wie weit darf die Verwirrtheit gehen, sodass die Texte von den Lesern noch verstanden werden. Ist es eine Beschneidung der Kreativität, wenn man sich klar und verständlich ausdrückt. Im Kopf ist der Text eine brodelnde, erhitzte Masse, die an die Oberfläche drängt. Nach dem Ausbruch langsam erstarrt und dabei bizarre Formen annimmt. Die Art des schriftstellerischen Denken ist eine Gratwanderung. Für den einen verläuft der Weg mehr rechts, für den anderen mehr links. Auch Kommentare, wie die von Siegfried Paul Posch, können eine Gratwanderung sein. Das Internet eröffnet neue Mitteilungsmöglichkeiten. Für manche muss es die Mitte sein, selbst will man im Mittelpunkt stehen. Stimmt die Mitte der Zähne, ist auch die eigene Mitte gestärkt.
Der Mittelfinger.
Ich sitze auf den Steinplatten, welche den Kabelschacht entlang der Eisenbahnstrecke zu decken. Vor mir liegt das Moor, hinter mir verläuft die Bahnlinie zwischen Villach und Tarvis . Im Kabelschacht hausen Schlangen, von der Ringelnatter bis zu der Hornviper. Hier haben sie ideale Bedingungen zum Überwintern, zu jeder Jahreszeit ganztägig Sonne. Auf diesem Stück des Radweges, entlang des Möselsteinermoor, finden sich mehr Schlangen als im Naturpark. Aus meiner Rocktasche ziehe ich den Ausdruck von „Ein neuer Mensch“, weil ich längere Texte öfter in gedruckter Form lese, als online am Bildschirm. Am Fahrradweg ist es ruhig, das Hochwasser im Moor unterbindet den Fahrradverkehr, die nächste Webseite drängt sich nicht in das Bild .
Der Föhn bricht vom Kanaltal in das Gailtal herein. Um mich bewegen sich die Sträucher, die Bäume, die Blätter der Birken fliegen vorbei und die gelben Blumen ducken sich im Wind. Im Tümpel zieht das dunkle Wasser die Augenbrauen kraus. Dem Wind beugen sich das Schilf und die Schilfkolben. Ein winziger Käfer kriecht die Jacke hoch, einmal ist Sonne, einmal sind Wolken. Von der Bundesstraße trägt der Wind die Fahrgeräusche der Autos zu, die zum Shoppen in das Einkaufszentrum unterwegs sind. Dort kommt man an und niemand kennt einen. Dann wird man für Stunden wer, weil man hier auf Weltniveau einkaufen kann, wie es die Manager immer betonen. Man ist in der Welt der Waren angekommen und telefoniert nach Hause, mit den Daheimgebliebenen, den Sitzenbleibern. Man spürt die Macht, mit der man entscheiden kann, wo man einkaufen wird. An der Kassa ist man eine Nummer, ein namenloser Betrag.
Am Abend leuchtet die rote Reklameschrift vom Einkaufszentrum bis nach Judendorf. „Frauen auf dem Judendorfer Feld“, bezeichnet Hans Piccottini, sein ganz in rot gehaltenes Metallobjekt. Am Judendorfer Feld gibt es einen neuen Supermarkt, ein Frauenhaus. Das Einkaufen, das Einräumen der Waren, das Kassieren, ist Frauenarbeit. Hinter der Glasfassade verrichten sie die Arbeit im Schweiße ihres Angesichts. Soll die Metallplastik gehängt oder gelegt werden, und wie sind die Furchen gemeint, die die Plastik durchziehen. Sind es die Ackerfurchen des Judendorfer Feldes, die mit jeder neuen Wohnanlage weniger werden oder die Furchen der Frauen.
Ein Zug fährt vorbei.