Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

PARA:dies

Bei der Rast am Unterbergerbrunnen, in der Nähe vom Draukraftwerk Villach, scheint von der Früh weg die Sonne. Nach acht Stunden Schlaf ist am Morgen vieles vergessen. Es ist gut, dass im Schlaf die Erinnerungen an eine Enttäuschung aufgelöst werden. Manches mal lassen der Ärger, die Schmerzen im Brustbereich, die Stiche der Nierenschmerzen, das Brennen im Magen, keinen Schlaf zu. Wird das Sterben eine schlaflose Nacht sein, die im Paradies endet, sobald man das Tor des Vergessens durchschreitet. Alles Irdische wird vergessen sein. Das meiste Leid wird dadurch verursacht, dass unser  Körper, unser Gehirn und unsere Seele von den belastenden Ereignissen nichts vergisst. 

Undine zieht instinktiv die linke Vorderpfote ein, wenn sie zu einem Sprung ansetzt. Vor Jahren hat sie sich diese Vorderpfote verletzt. Wir zucken  zusammen, wenn sich hinter uns etwas bewegt oder zu Boden fällt.

Im Aufwachzimmer.

TRAUM:atisiert

Bei traumatischen Ereignissen stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, dass man psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nimmt. In einem Großteil der Bevölkerung ist das Verständnis dafür nicht sehr groß. Es herrscht die Meinung,  dass man mit den Situationen wie, Tod eines Partners oder der Eltern, bei einem schweren Arbeitsunfall oder einer chronischen Erkrankung, allein zu Rande kommen soll. Im strengsten Fall holt man sich beim Hausarzt gegen Schlafstörungen eine Schlaftablette, bei Nervosität, Schweißausbrüchen und Herzrasen eine Beruhigungstablette. Diese nimmt man ein, ohne sich mit den Ursachen der Störung auseinanderzusetzen. Man versucht die Beschwerden vor der Verwandtschaft zu verbergen. Die Angehörigen bedauern die Beschwerden und  halten Nervosität für ansteckender als eine Grippe. Man wünscht sich lieber an Gelenksschmerzen zu erkranken, als an etwas „Seelischem“. Wohl hat sich die Meinung durchgesetzt, dass bei einem Massenunglück, wie Zugs- oder Busunglück,  Lawinen- oder Tunnelunglück, die Betroffenen psychologisch betreut werden sollen. In so einem  schweren Fall  gesteht man den Betroffenen diese Hilfe zu.

Manchmal ist es unmöglich die Erlebnisse selbst aufzuarbeiten, auch nicht mit der Familie, weil auf einen Unglücksfall jeder anders reagiert. Dabei können einen schon die nächsten Familienangehörige nicht mehr verstehen. Dies zeigt sich bei einem Motorradunfall, wo ein Familienvater mit seinem Motorrad frontal gegen einen entgegenkommenden Linienbus gerast ist und auf der Stelle tot war. Eines der Kinder, die Tochter, ist auch nach einem halben Jahr von dem Unfalltod traumatisiert. Wo sie hinkommt, in ein Geschäft, Bank oder Post und es eine Möglichkeit zum Reden gibt, erzählt sie von dem schrecklichen Unfall und dem Tod des Vaters. Sie entschuldigt sich für ihre Betroffenheit und zieht als Beweis für ihre Schilderung eine kleine Zeitungsnotiz, in einer Folie eingeschweißt,  mit der Überschrift: „Biker raste in den Tod“ aus dem Hosensack. Den Tod ihres Vaters will sie nicht akzeptieren, in ihrer Familie wird nicht geredet.

Hoffnung.  

FREI:tod

Fahre ich in den frühen Morgenstunden am Drauradweg von Villach in Richtung Paternion, so werden in mir verschiedene Erlebnisse wach. Die Drau begleitet mich seit der frühen Kindheit. Blickte ich aus dem Küchen- oder dem Schlafzimmerfenster, so sah ich, wie sich die Drau in vielen Schleifen durch das Tal zog. Rechts und links die Überschwemmungsgebiete, welche sich bei Regenfällen mit Wasser füllten. Die reißende Drau, deren Wasser sich mit Gewalt in Richtung Villach ergoss, war eingebettet in große Auwälder. Je heißer es im Sommer wurde umso näher rückten die Kühe zum Fluss, um sich vor den sengenden Sonnenstrahlen zuschützen und aus den Tümpeln zu trinken. Egal zu welcher Jahreszeit, der Wasserstand des Flusses war ein ständiges Gesprächsthema. Einmal hatte die Drau zu wenig Wasser, ein andermal schwoll die Drau so stark an, dass sie aus den Ufern trat und die angrenzenden Felder überschwemmte. Bei länger andauernden Regenfällen wurden die Keller der Häuser in Beinten überflutet, bei Hochwasser der ganze Talboden. Bis in die sechziger Jahre war die Drau ein unregulierter Fluss, der alle Freiheiten hatte. In den siebziger Jahren wurde die Drau reguliert, aufgestaut und zur Stromerzeugung genützt. 

Nach dem Passieren des Bundesheeranlegeplatzes bei Oberwollanig erblicke ich am Rand vom Drau-Radweg eine Gruppe von Frauen, welche mit erhobenen und ausgebreiteten Armen, mit leicht gebeugten Knien und einem verzückten Gesicht  in die gegenüberliegenden Sträucher blicken. Vor Verzückung bleiben sie von allen Geschehnissen vor und neben ihnen unberührt. Die Innigkeit wie sie in die Sträucher blicken lässt, in der Zeit um den großen und kleinen Frauentag, auf eine Marienerscheinung schließen. Oder es zeigt sich eine der vielen Frauen, die in ihrer Ausweglosigkeit den Weg in die Drau gewählt haben. „Wieda is ane aus da Sunnseitn ins Wossa gongan“, wurde zu uns Kinder gesagt, wenn eine Frau den Freitod in der Drau gewählt hat.

Ebereschen.   

STRASSEN:fest

Es schmerzt, wenn die Partnerin, mit der man über Jahrzehnte zusammengelebt hat, stirbt. Obwohl das Zusammenleben nicht immer einfach war, wird die Verstorbene in den höchsten Tönen gelobt. Sie fehlt in der Wohnung, wo viele Stücke an sie erinnern, dies tut weh. Die Fotoalben werden hervorgeholt und darin geblättert,  sowie Bilder aufgestellt. In Zukunft wird es schwieriger sein, da die Fotos auf CD gespeichert sind, und die CD als Grabbeigabe beigelegt werden. Deshalb erfreuen sich die Herstellung von digitalen Fotobüchern immer größerer Beliebtheit. Es spricht einiges dafür, dass man die Verstorbene über das Geschehen und die Veränderungen in der Wohnstraße weiterhin informiert. Am Fuße des Dobratsch ist  die Frau eines Nachbarn verstorben, sie waren über Jahrzehnte verheiratet. Damit die Verstorbene über die Ereignisse in der Straße weiter Bescheid weiß, geht der Mann einmal in der Woche, das Bild seiner Frau in der Hand, durch die Straße und erzählt ihr, was sich in der letzten Woche zugetragen hat. Dabei lässt er nichts unerwähnt: Bei einem Haus wurde die Fassade neu gestrichen, beim Nächsten hat sich das Kind beim Spielen verletzt. Die Familie aus dem übernächsten Haus ist in den  Sommerurlaub gefahren und von der Familie gegenüber hat die Tochter jetzt einen festen Freund. Bis er die ganze Straße abgeschritten ist, dauert es eine Weile, so wird die verstorbene Frau über vieles informiert.

Aus den Berichten von Bekannten gelingt es den Frauen zumeist leichter über den Verlust von ihren Partner hinwegzukommen und den Alltag zu meistern. Sie haben mit der Instandhaltung der Wohnung und dem Zubereiten der Mahlzeiten eine Aufgabe. Dazu kommt die Grabpflege und erlaubt es die Entfernung wird es täglich besucht. Am Friedhof kann man erleben, dass Frauen ein leises, manchmal  ein lautes Zwiegespräch mit dem verstorbenen Mann führen, bei ihm ihren Kummer und die Sorgen abladen.

Nachbarschaft.

NACH:feiern

Von den Kärntnern wird behauptet, dass sie gerne singen und feiern. Auch bei Verallgemeinerungen ist meistens ein Körnchen Wahrheit dabei, aber auch Vorurteile. Es ist spannend, wenn sich Menschen aus den verschiedenen österreichischen Bundesländern über die landesspezifischen Eigenheiten unterhalten. Eine ältere Frau erzählte, dass in Vorarlberg Anfang der fünfziger Jahre die Steiermark und Kärnten für das Ausland gehalten wurden. Dies ist nicht verwunderlich, da zu dieser Zeit viele Bewohner ihr Heimatal ein ganzes Leben nicht verlassen haben. Die weiteste Reise führte in die  Bezirksstadt. Man kann sagen, die Kärntner sind eine Mischung aus Österreicher und Italiener und die Vorarlberger sind eine Mischung aus Österreicher und Schweizer.

Verschickt man die Einladungen zum letzten Fest, dann klingt dabei Wehmut mit und was ist das letzte Fest? Es entsteht bei anderen Missgunst, wie beim Gleichnis vom verlorenem Sohn in der Bibel. Der Daheimgebliebene ist dem ausgewanderten Sohn das Fest zur seiner Wiederkehr neidig, da dieser sein ganzes Erbteil durchgebracht hat. Zum Geschäftsende wird  betont, was man für den Ort geleistet hat, die Mitarbeit in der Öffentlichkeit, die geistigen Impulse. Von der Verwandtschaft wird spekuliert, wie viel man für die Erben zur Verfügung stellen wird. Wer sucht der findet.

Ein Afrikaner, ein Paketzusteller aus Zimbabwe hat mich gefragt, was ich mir anläßlich der Pensionierung denke? In seinem Land gibt es für die Menschen keine Pension. Arbeiten, bis die Lebenszeit abgelaufen ist.       

Das Ticken der Sanduhr.