Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

FÜNF:hände

Während ich mich am Frühstücksbuffet bediene klage ich innerlich darüber, dass ich es mit einmal nicht schaffe, den Kaffee, den Orangensaft, den Käse, die Wurst und das Brot, zum Tisch mitzunehmen. Ich komme in das Grübeln und frage mich, wie viele Hände braucht der Mensch? Es gibt Situationen wo es mir lieb wäre, mehr als zwei  Hände zu haben. Dabei gehört die Situation am Buffet zu den angenehmen und ist leicht zu bewältigen. Bei einer Warenanlieferung könnte ich mir vorstellen, dass es ein Vorteil wäre, hätte ich mehr als zwei Hände. Ich könnte alles schneller erledigen. Wäre es  für den Menschen ein Nutzen, hätte er fünf Hände  und gäbe es  auch keine Nachteile? Die kürzeste Antwort ist: Die Evolution hat es gewusst warum wir „nur“ zwei Hände haben. Hätten wir mehr Hände, hätten wir die Ressourcen der Erde schon verbraucht, wir würden mehr haben wollen und mehr zusammentragen. Bei Kriegshandlungen und Verbrechen wären wir doppelt so grausam.

Am Nachbartisch sitzt ein Ehepaar mit zwei Kindern, eineinhalb und drei Jahre alt, beim Frühstück. Für die Mutter wäre es ein Nutzen, wenn sie fünf Hände hätte. Jedes der Kinder verlangt ihre Aufmerksamkeit und fordert seine Wünsche ein. Ein  Brot streichen, den Saft einschenken, ein Stück Kuchen abschneiden. Ihr selbst bleiben zum Frühstücken keine Hände frei, mit fünf Händen könnte sie auch  frühstücken. Die Frau mit den zwei Kindern besucht über das Wochenende den kurenden Mann. Umgekehrt wäre es kaum denkbar, dass eine Frau eine dreiwöchige Kur absolviert und der Mann zu Hause zwei Kleinkinder versorgt.

Rollentausch.                

VERVÜCKT:heit

Wir, die wir uns normal benehmen, stecken voller Verrücktheiten. Der Fortschritt, unser tägliches Leben wäre ohne die verrückten Ideen verschiedener Menschen nicht möglich. Denken wir an unsere Fortbewegung, das Auto, die Eisenbahn oder das Flugzeug. Es ist eine Verrücktheit das wir, die wir von Natur aus mit zwei Füßen ausgestattet sind und uns seit Millionen von Jahren mit einer Geschwindigkeit von vier Kilometer in der Stunde bewegen, uns in ein Auto setzten und damit die dreißigfache Geschwindigkeit erreichen. Dafür geben wir oft bis zu dreißig Prozent von unserem Gehalt aus, um unser Leben einer ständigen Gefahr auszusetzen. Dazu kommen die Probleme mit der Lärm- und Abgasbelastung, die unsere Umwelt gefährdet.

Die größere Verrücktheit ist das Verreisen mit dem Flugzeug. Vieles, dass wir bequem aus Reiseerzählungen, von TV-Reportagen oder Diashow kennen, wollen wir durch eine Fernreise selbst erkunden. Würden in einem Geschäft von uns für einen Einkauf die Personaldaten erhoben werden, woher wir kommen und den Grund des Einkaufes, so würden wir ein anderes Geschäft ansteuern. Müssten wir beim Betreten des Geschäftes einen Ausweis vorweisen, ein Foto und einen Fingerabdruck hinterlassen, würden wir schnellstens umkehren. Anders verhalten wir uns bei einer Reise mit dem Flugzeug. Wir nehmen eine lange Wartezeit für die Abfertigung im Schalterraum in Kauf, Auskünfte, Gebäcks- und Leibeskontrollen. Alles freiwillig und zu eigenen Sicherheit, die versprochen wird, aber die es nicht gibt. Weil irgendwann jemand wieder so verrückt sein wird und versuchen wird, ein Flugzeug in die Luft zu sprengen. Die Beschwerden und die Anpassungsschwierigkeiten die das Fliegen hervorruft, nimmt man gerne in Kauf. Bei ähnlichen Gefährdungen am Arbeitsplatz würde man das Arbeitsinspektorat einschalten.

Tiefflug.

DANIEL:teil2

Während des gehens durch das dorf haben wir gelegenheit den gesprächen der kirchengehenden bevölkerung zuzuhören. Wohlbeleibte frauen mit weiten röcken, einem kopftuch und ihren kindern sprechen über das essenkochen, die alkoholabhängigen und gewalttätigen männer, von unerfüllten wünschen und vom pfarrer. Sie sprechen vom kaffeekränzchen am samstagnachmittag im dorfgasthaus, von den derben griffen der fabriksarbeiter nach dem busen und zwischen die beine, dem dafür bezahltem glas wein und von den heimlichen liebschaften. Die männer bilden eine eigene gruppe, sie brauchen die frauen nur in der küche und im bett. Den mittelpunkt der männergespräche bilden der fußball, der schnaps und die jungen frauen. Die örtlichen parteifunktionäre reden über die wohnungsvergaben, die fördergelder und die macht. Den vornehmen familien des dorfes begegnen wir zuerst, sie werden in den vordersten bänken der kirche platznehmen. Am müllablagerungsplatz finden wir berge von verpackungsmaterial des knappergebäcks, konservendosen und leere getränkeflaschen. Die berge von verpackungsmaterial sind für daniel eine folge der anspruchslosen fernsehprogramme , wodurch die fernsehzuschauer angehalten werden sich mit essen und trinken zu unterhalten. Er übt sich seit jahren in fernsehabstinenz und hat damit seine besten erfahrungen. Haben wir bisher die spaziergänge schweigend zurückgelegt, so hat daniel am heutigen frühlingssonntag zu sprechen begonnen:

„ er wollte mit mir schon immer reden, er wollte mit mir die ausführlichsten gespräche führen, aber erst seit es ihm nach jahren möglich ist seine studie über speisemüll niederzuschreiben könne er frei sprechen. Jahrelang habe er sich in der wohnung eingeschlossen und bis zur körperlichen erschöpfung versucht seine im kopf ausgearbeitete müllologie niederzuschreiben. Es war die angst durch die gescheiterten versuche verrückt zu werden, die es ihm jetzt ermöglichte die studie niederzuschreiben. „

 

DANIEL:teil1

Der spaziergang jeden sonntagvormittag mit dem taglöhner daniel vom dorfbrunnen  zur mülldeponie und zurück ist für mich eine zeremonie wie es vorher der besuch der sonntagsmesse war. Seit jenem sonntag als der taglöhner und ich nicht den weg zur kirche sondern den weg zur müllablagerung wählten müssen wir auf  unseren spaziergängen entgegenkommmenden kirchgängern ausweichen. Bei unseren spaziergängen schweigen wir. Es ist für ihn meine, für mich seine art und weise des gehens die jeden ansatz eines gespräches zwischen uns zerstört. Unsere verständigung beschränkt sich auf gesten. Die bis in den nachmittag dauernden spaziergänge sind für mich, der ich des gehens ungewohnt bin sehr anstrengend. Am müllablagerungsplatz verständigen wir uns durch das hinzeigen auf die verschiedensten abfälle ohne worte. Begriffe wie verwahrlosung, kreuzigung oder kopfleiden lassen sich auf diese art und weise gut zum ausdruck bringen. 

Auf dem müllplatz kann man an der art speiseabfälle die jahreszeiten frühling, sommer, herbst und winter erkennen. Daniel arbeitet auf dem müllplatz und hat die fähigkeit entwickelt aus den küchenabfällen die mahlzeiten der vornehmen familien des dorfes aufzuzählen. Das maßlose essen ist für daniel eine ersatzbefriedigung und eine förderung des niederen triebes im menschen. Es führt dazu, dass die wartezimmer der ärzte überfüllt sind. Die betten in den krankenhäusern sind von erwachsenen belegt, welche sich den wohlstandsbauch entfernen lassen. Für manche erwachsene ist dieser krankenhausaufenthalt eine jährliche selbstverständlichkeit, wie der jährliche urlaub an einem der verschmutzten meeresstrände. Von ihm gering geachtet werden jene, welche durch die  hilfe ihres wohlstandsbauches in der gemeinde zu ansehen und gut bezahlten posten gekommen sind. Das vermehrte aufkommen von müll steht in zusammenhang mit der hoffnungslosigkeit welche in der bevölkerung herrscht. Daniel arbeitet an einer studie über speisemüll, von ihm kurz müllologie genannt. Er konnte eine wechselbeziehung zwischen mißerfolg im beruf, ungestillten bedürfnissen und vermehrten speisemüllabfällen beobachten. Er selbst lebt mit einem minimum an bedürfnissen.