Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

BRUT:stätte

Der Zug fährt an einer kleinen Siedlung im unteren Drautal vorbei und für einen Moment sehe ich, wie auf dem Misthaufen der Hahn thront und rundherum ein paar Hühner sind. Während meiner Kindheit in Politzen sah ich es täglich, wie der Hahn mit einer Schar von Hühnern am Misthaufen im Hof nach Würmern, Käfern und Engerlingen geschart hat, es war ein Paradies für Hühner. Orte wo etwas Neues entsteht werden als „Brutstätten“ bezeichnet. Der Zug passiert als nächstes die Bahnstation Ferndorf, wo sich entlang den Geleisen das Heraklithwerk ausgebreitet hat. Beim Bahnübergang in der Ortschaft Rothenthurn, steht heute noch das Bahnschrankenwärterhaus, wo früher die Bacher Mitzi gewohnt hat, von uns Kindern liebevoll die „Eiertante“ genannt. Hierher brachten wir die Eier zum Verkauf, welche uns die Mutter zu hause sorgfältig im Rucksack verstaut hatte. Von Politzen Berg hinunter in die Beinten und dann der Bahnstrecke entlang nach Rothenthurn war ein weiter Weg, etwa sechs Kilometer. Je nach Witterung konnte der Marsch sehr beschwerlich sein. Nach mehreren Regentagen trat das „Bombachl“ über das Ufer und setzte den Feldweg unter Wasser. Behelfsmäßig wurden dann Bretter zum Überqueren der Wasserstellen ausgelegt, trotzdem kamen wir oft mit nassen Füssen nach Rothenthurn. Die Strecke vom Bahnschrankenwärterhaus in Beinten bis zum Bahnschrankenwärterhaus in Rothenthurn war für uns Kinder unheimlich, da es dazwischen keine Häuser gab, dafür viel Schilf, Sträucher und Auwald. Der Feldweg wurde von den Einheimischen kaum benützt, wohl aber von durchziehenden Scherenschleifer, Kesselflicker und Wanderburschen, die uns Kinder Angst machten. Vor ihnen wurden wir von den Eltern gewarnt und man erzählte sich, dass schon Kinder von den Handwerksburschen verschleppt, „vazaht“ wurden. Einen Sommer lang soll sich angeblich ein Mörder in den Auen versteckt haben.

Als wir das Moped zum „Eierführen“ benützen konnten, ging es viel schneller. Für die Mutter war es wichtig, dass wir die Eier sturzfrei zur Bachermitzi brachten. Die Mutter wollte es genau wissen, wie viel sie für die Eier bezahlt hat. Dabei spielten zehn Groschen, die die Bachermitzi mehr oder weniger bezahlte eine große Rolle. Die „Eiertante“ bezahlte je nach Größe der Eier und je nach Jahreszeiten unterschiedlich viel. Sie verkaufte die Eier am Spittaler Wochenmarkt. Vor dem Bahnschranken stauten sich im Sommer viele Autos, bis der Bahnübergang durch den Bau der Schnellstraße und später durch den Bau der Tauernautobahn seine Bedeutung verlor. Durch die Verlagerung des Durchzugsverkehr aus dem Ort verlor auch das Gemischtwarengeschäft mit angeschlossener Tankstelle seinen Umsatz. Waren es in der Reisezeit etwa fünfhundert Semmeln, mit oder ohne Wurst, die an einem Tag verkauft wurden, so waren es nach der Fertigstellung der Schnellstraße gerade dreißig Semmeln. Es war eine Frage der Zeit, bis zum Erreichen des Pensionsalters und das Gemischtwarengeschäft wurde geschlossen.

Eiertante

TROST:pflaster

Die Wahrscheinlichkeit krank zu werden ist gleich groß wie die Wahrscheinlichkeit gesund zu bleiben. Niemand weiß warum jemand krank wird und der andere nicht, oder wo man sich infiziert hat. Unser Wissen über Gesundheitsvorsorge und gesunde Ernährung ist groß, sodass man oft nicht mehr unterschieden kann, was krank macht und was gesund erhält. Würde man alle Gesundheitsvorschläge befolgen, wäre man am Ende krank. Wie krank man sich fühlt, hängt von der eigenen Vorstellungskraft ab. Man kann sich gesund, aber auch krank denken. Spekulieren, was daran schuld ist, dass man sich nicht wohl fühlt, die kalte Luft, der Nebel oder der Wetterumschwung. Ein breites Spektrum von Beschwerden löst die Nahrungsunverträglichkeit aus, sodass man gezwungen ist, tageweise zu hungern. Die sogenannten Hungerkünstler auf den Jahrmärkten im Mittelalter zählten zu den gesündesten und zählebigen Menschen.

Hinter den Spekulationen über Symptome steckt oft der Versuch sich einer Untersuchung zu entziehen, den Gang zum praktischen Arzt zu verzögern. Man gibt den Beschwerden eine Schonfrist, dass sie sich zurückziehen und verschwinden können. Meistens schlummern sie nur ein, um später wieder zu erwachen. Als Erwachsener will man vieles überspielen und den Weg zum Facharzt vermeiden. Als Kind schreit man einmal zu oft, wenn einem etwas weh tut. Es hat genügt, wenn ein Erwachsener ein wenig auf die wunde Stelle geblasen hat oder ein Stück Leukoplast über die schmerzende Stelle geklebt hat. Ein sichtbares Trostpflaster.

Die Erwachsenen waren zu Hause bei der Stallarbeit, das Vieh füttern und die Kühe melken. Mein Bruder und ich waren am Acker bei der Roggenernte und dabei fügte er sich mit der messerscharfen Sichel eine Schnittwunde am Knie zu. Ich war etwa dreizehn Jahre alt, er noch jünger. Ich konnte die Gefährlichkeit der Verletzung nicht einschätzen und war nur von dem Gedanken beseelt, dass wir versuchen mussten den Bauernhof zu erreichen. Dies war mit einem Fußmarsch von etwa fünfzehn Minuten möglich. Die Wunde hat durch den Schock zuerst nicht geblutet, erst als wir in die Nähe des Bauernhauses kamen. Der Vater machte die Erstversorgung der Schnittwunde, die sich durch den Fußmarsch vergrößert hatte. Der Bruder wurde von einen herbeigholten Nachbarn, mit seinem Auto, zum Arzt gefahren. Dieser schickte sie weiter in das Bezirkskrankenhaus. Dort wurde die Schnittwunde genäht und der Bruder musste im Krankenhaus bleiben. Am Sonntag besuchten wir den Bruder mit dem Auto, wobei einige Familienmitglieder zu Hause blieben, damit im Falle eines Verkehrsunfalles, die Versorgung der Viecher gesichert war.

Leukoplast.

SIEBEN:brunn

Die Absicht selbst in Pension zu gehen empfindet man zuerst als Feigheit, als die Kunden im Stich lassen, sich aus der Arbeitswelt und dem Leben davonschleichen. Diese Ankündigung hat verschiedene Reaktionen ausgelöst, Kribbeln in den Unterschenkeln, Hitze im Nacken, abwesend schaut man den Händen bei der Arbeit zu, als sei man ein zweigeteilter Mensch. Je öfter man darüber spricht, umso besser wird die Stimmung. Beginnt ein neuer Abschnitt, gibt es immer ein Vorher und Nachher. In Zukunft wird es keine Generation geben, die vierzig Jahre ohne Anspruch auf Urlaub und Krankenstand, als Selbstständiger arbeiten wird. Es gibt gute Gründe zu sagen einmal ist genug. Man ist zufrieden mit dem, wie es verlaufen ist. Den Körper und die Psyche loben, dass sie alles mitgemacht haben.

Unter dem Altarraum der Kirche von Siebenbrünn entspringen sieben Quellen und dem Wasser sagt man heilende Wirkung nach. Von hier führt entlang der Viehweide ein Weg nach Korpitsch. Die körperliche Unruhe hält an, bis es die Möglichkeit gibt, sich an einen Kirschbaum zu lehnen, der von der Mittagssonne angestrahlt wird. Der Baum ist erfüllt von Vogelgezwitscher, sie holen sich die verdorrten Früchte. Ein Teil der Wiese liegt im Schatten, über den Kopf hinweg fliegt ein Vogelschwarm. Die Blätter verfärben sich, Bäume und Sträucher wechseln in ein neues Stadium, vieles wird anders, auch schöner. In der Ferne schillern die eingeschweißten Heuballen metallicblau. Die Nachmittagssonne zieht eine rote Spur über die Felsabhänge des Dobratsch. Wie Spinnweben hängen die Drähte der Hochspannungsleitung in der Luft. Die Alarmanlage vom Auto hat sich ausgelöst.

Ausgeflippt.

FINANZ:markt

In der Regel spricht man von den Finanzmärkten und nicht vom Finanzmarkt, weil es den zentralen Finanzmarkt nicht gibt, sondern viele, wie den chinesischen, den russischen, den amerikanischen, den europäischen und die passenden Börsenplätze dazu. Die Turbulenzen auf den Finanzmärkten sind in Europa Jedermann und Jederfrau bekannt, weil die Meldungen über die Schuldenkrise in verschiedenen europäischen Staaten die Insiderbereiche der Wirtschaftsmagazine und der Wirtschaftssendungen im Fernsehen verlassen haben und die Turbulenzen es auf die Titelseiten kleinformatiger Tageszeitungen und auch in die Hauptnachrichten der Fernsehsender geschafft haben. Dabei werden Summen genannt, die für den normalen Verbraucher, für den Billalebensmittelkonsumenten, unvorstellbar sind. Dabei wird auch von Firmeninhaber und Aktieninhaber großer multinationaler Konzerne berichtet, welche riesige Verluste erleiden, wenn die Kurse um zwei bis drei Prozentpunkte fallen. Man zeigt Bilder von geschockten Börsianer, wie sie sich die Hände vor das Gesicht halten um ihre Enttäuschung zu verbergen. Es wird versucht für sie Stimmung zu machen, sodass man mit den Spekulanten Mitleid hat.

Nie habe ich Berichte und Bilder von Billalebensmittelkonsumenten gesehen, von deren Bangen und Hoffen, die über Jahrzehnte kleine Beträge in eine Lebensversicherung eingezahlt haben, mit der Hoffnung auf eine gute Verzinsung und jetzt gerade einmal die eingezahlte Summe bekommen. Gedacht waren sie als Zubuße zur Rente und jetzt sind sie oft um ein Drittel weniger wert. Von diesem Wechselbad der Gefühle, wobei es sich um den „Notgroschen“ handelt gibt es keine Bilder im Fernsehen.

Glückstraum.

REGEL:werk

Die Beschäftigung mit religiösen Gedanken, mit Überlegungen zur Seele, erscheint mir sinnvoll, um selbst eine Antwort zu den Vorgängen von Geburt, Leben und Tod, zu finden. Wir sind zwischen den Eckpunkten, Geburt und Tod eingezwängt, gezwungen zum Leben. Für manche beginnt der Kampf bei der Geburt, so spricht man bei einer Frühgeburt davon, dass das Frühchen einen starken Lebenswillen hat. Es folgt das Tauziehen um einen Platz in der Klassengemeinschaft, sich gegen andere Mitschülern zu behaupten. Hier herrscht das Recht des Stärkeren und des Gescheiteren. Verfügt man weder über die eine noch über die andere Eigenschaft, so muss man sich eine Nische aussuchen um zu überleben. Dabei kann ein besonderes Talent, ein geschickter Fußballspieler, eine schöne Gesangsstimme, ein schneller Läufer oder ein guter Zeichner zu sein, von Vorteil sein. Die Kämpfe setzen sich im Leben fort und nehmen an Schärfe zu. Meistens hat derjenige mehr Chancen, welcher der Bessere, Größere oder Stärkere ist, oder für sich eine Nische gefunden hat. In der Nische funktioniert es ohne dem Nachuntentreten, dem Verdrängen und das Schlechtmachen von anderen.

Das Leben funktioniert nach einem Regelwerk, welches vielfach unverständlich ist. Um vieles unverständlicher ist das Regelwerk für die Seele. Das Verständnis für Geburt, Leben und Tod ist um vieles einfacher, wenn wir das Regelwerk einfach akzeptieren. Ich glaube, dass sich Maler, Komponisten und Schriftsteller nicht all zu viel mit den Regeln der Kunst  beschäftigen. Viele Regeln werden von den Betrachtern, den Hörern, den Lesern hineininterpretiert.

Regeltechniker.