Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

dreisekunden

Drei Hundertstelsekunden entscheiden über einen Stockerlplatz.

Bei einem Topthema sortiere ich danach, was wurde zuletzt veröffentlicht. Dabei kommen mir Beiträge, welche einen Tag zurückliegen, als antiquiert vor. Zumeist lese ich die Beiträge, welche ein paar Stunden, besser ein paar Minuten zurückliegen. Zuerst lese ich die brandaktuelle Nachricht. Brandgefährlich geht es bei den Fahrgästen beim Verlassen des Bahnsteiges und des Bahnhofsgebäude zu. Die Schnellsten von ihnen stürmen die Stiege zum Ausgang hoch und nehmen einige Stufen gleichzeitig. Hier gilt die Rechtsregel wie im Straßenverkehr, die Langsamen werden von den Schnellen links überholt. In gewissen Sinnen funktioniert dies auch bei der Rolltreppe, die Menschen stehen auf der rechten Seite der Stufen und die linke Seite bleibt für die Überholer frei. Beim Einreihen zur Rolltreppe räumte mir eine Frau den Vortritt ein, es handelte sich um einen Vorsprung von etwa drei Sekunden. Bedeutungslos für meinen heutigen Tag, der mich in die Hautambulanz des Krankenhauses Klagenfurt führt. Denke ich dabei an die Skiweltmeisterschaft in Saalbach, dann entscheiden nicht drei Sekunden, sondern drei Hundertstelsekunden über einen Stockerlplatz oder es wird der vierte Platz. So grenzwertig wie im Skisport, mit den Differenzen von Zehntel- und Hundertstelsekunden geht es im Alltagsleben nicht zu.

Für unseren Alltag steht noch eine gravierende Beschleunigung bevor, wenn vieles mit Unterstützung der künstlichen Intelligenz gesteuert und getackt wird. Mit meinem Alter, siebzig plus, gehöre ich zur letzten Generation, welche nicht von der KI gesteuert und im Alltag ohne KI zurechtkommt. Beim Verlassen der Rolltreppe oder der Stiege fixieren die Augen der Pendler und Schüler die Anzeigetafeln mit den Verbindungen zum Anschluss an den Stadtverkehr. Es sieht gerade so aus, als ob am Bahnhofsvorplatz die drei Sekunden zur entscheidenden Metapher werden, um den Bus mit laufendem Motor zu erreichen. Ich husche hinein und die Tür schließt sich hinter mir. Werde ich diesen Zeitgewinn in der Dermatologie verwenden können? Beim Betreten der Dermatologie ist Entschleunigung gefragt, es warten ungezählt bestimmt über zwölf Patienten vor der Aufnahme für einen Behandlungstermin. In Anlehnung an einen Sager vom Skisport, dabei sein ist alles. Der Wunsch, die Ambulanz vor zwölf Uhr verlassen zu können, ist alles.   

fünfjahrecorona

Eine bestimmte Erkenntnis ständig zu wiederholen oder etwas ständig gefragt zu werden ermüdet. Ich bewundere die Geduld der Ober im Stadtrestaurant, ebenso in einfachen Dorfwirtschaften, wenn sie die Gäste immer wieder danach fragen müssen, ob sie genesen, geimpft oder getestet sind?  Um ihnen diese Frage zu ersparen lege ich im Normalfall von vornherein meinen Grünen Pass, weißes A4 Blatt, das Impfzertifikat, vaccination certificate, auf den Tisch. Umgekehrt ist es auch mir lästig, erst bei Aufforderung nach dem Impfzertifikat in der Rock- oder Hosentasche zu suchen. Das Personal im Gastgewerbe übt unschuldigerweise die Funktion der Ordnungshüter aus, dies zumeist mit viel Einfühlungsvermögen. Dieser Pflicht wurde ihnen von Staats wegen aufgebrummt. Wäre ich im Gastgewerbe tätig wüsste ich nicht, welche Mine ich bei der durchzuführenden Kontrolle haben würde. In dieser Zeit genügt es nicht mehr die Gäste zu fragen, was sie Trinken oder Essen wollen, sozusagen die Kardinalfrage. Bevor es soweit kommt müssen die Herrschaften gefragt werden, ob sie genesen, geimpft oder getestet sind, erst dann dürfen sie in der Speise- und Getränkekarte blättern.                                                                                 

Dieses Eingangsprozedere gehört inzwischen zur neuen Normalität, obwohl das Wort Normalität schon viele Male von den Politikern missbräuchlich verwendet wurde. Schon des Öfteren wurde in der Pandemiezeit Normalität versprochen, aber die Umstände waren und sind noch nicht normal. Bestimmt wird uns dereinst etwas fehlen, wenn wir diese Nachweise zum Besuch eines Cafés, einer Bibliothek oder ein Museum nicht mehr bedürfen. Ich erlebte verschiedene Szenen wie sich die Menschen an das Servicepersonal wenden und dann diese in einen nicht ernst zu nehmenden Diskurs über den Impflappen verwickeln. Das genaueste Controlling erlebte ich beim Besuch des Tiergarten Schönbrunn in Wien, selbst an einem Wochentag herrschte reger Besuch. Nicht beim Kauf der Eintrittskarte wurde nach einem 3-G Nachweis gefragt, schon vorher musste man sich Anstellen und eine eigens abgestellte Person kontrollierte den „Grünen Pass“. Dabei wurde das Impfzertifikat bis in das kleinste Detail durchgelesen und bei Unklarheiten gab es Rückfragen. Meiner Vermutung nach versucht man mit den strengen Kontrollen zu verhindern, dass sich das Coronavirus von einem Besucher auf eines der Zootiere übertragen könnte. Die ersten Betroffenen wären die Giraffen im Freigehege beim Eingang. Vor kurzem ist der pandemiebekannte Babyelefant verstorben. Beim Elefantengehege werden die Besucher auf einer kleinen Tafel an den verstorben Babyelefanten erinnert….aus dem Tageheft 258

vordanach

Dieses Jahr kam es zu kräftigen Schneefällen, aber der Medienhype um gesperrte Schulen oder eingeschneite Gehöfte im Lesachtal blieb aus. Die Covid Pandemie hat diesen Winter alle extremen Wettereignisse von den Titelseiten verdrängt. Statt über gesperrte Schulen wegen Lawinengefahr berichtete man von gesperrten Schulen wegen Coronainfektionen. Die abgelegenen Orte im Gailtal sind nicht wegen der Schneemengen nicht mehr erreichbar, sondern wurden wegen Coronacluster abgeschottet und in Quarantäne geschickt. Für die Lokalzeitungen sind die Coronanews die gewinnbringenden Nachrichten. Beim Schnapsen, im Gailtal ein beliebtes Kartenspiel in den Wintertagen würde es heißen, Coronakönig sticht Schneebua. Die Journalisten werten das Corona Virus als einmalig und es gehört auf die Titelseite. Die Wetterkapriolen sind zeitlos, dieses Thema kann man ein wenig zurückstellen. Gibt es keine nennenswerten Nachrichten, ist das Wetter immer ein Thema und kommt bei den Lesern gut an. Ein Nachrichtenstoff für mediale Notzeiten. Gibt es ansonsten nichts zum Berichten, kann man die Wetterkarte als Trumpfkarte ziehen. Die Coronapandemie ist eine vorläufig einmalige Erscheinung, wobei ich mir wünsche, dass dies die letzten Coronaweihnachten waren. Andersherum gedacht wird uns nach Corona viel an Gesprächsstoff fehlen.

Einen Teil wird man damit wettmachen können, dass man über die Zeit der Covid Pandemie noch lange reden wird. Am 25. Februar 2020 wurde der erste Corona Fall in Österreich gemeldet. Für manche Menschen wird dies als Zeitmarker gelten, vor der Coronapandemie und nach der Coronapandemie. Ähnlich wie der Berliner Mauerfall 1989 oder die Flüchtlingskrise 2015, hinzugekommen ist der 23. Februar 2022, an dem Russland die Ukraine überfallen hat.  Solche geschichtlichen Marker braucht die menschliche Gesellschaft, ansonsten wäre das Erinnern unmöglich. Aus den Tageheften…

zeitfenster

Ich wünsche mir das Jahr 2018 zurück.

Eine Besonderheit in der Weihnachtszeit waren die Orangen, Feigen und Datteln welche es das restliche Jahr über nicht gab. Heute werden die Orangen und Mandarinen in der Vorweihnachtszeit im Eingangs Bereich der Supermärkte in rieseigen Schütten angeboten. In Netzen zu zwei Kilo verschleudert. In meiner Jugendzeit war jede einzelne Orange in feines Seidenpapier gewickelt.  Als Kinder haben wir das Seidenpapier glatt gestrichen und gesammelt, je nach Herkunftsland gab es verschiedene Motive mit Negerinnen und Neger, sowie den Schriftzug Jaffa. In der Papierhandlung konnten wir  Zuckerlpapier kaufen und damit offene Bonbons einzeln einwickeln.   

Die Tage vor Weihnachten, Ostern oder einer Kirchtagswoche sind Zeitfenster, von denen ich hoffe, dass sie ohne Störungen ablaufen. Besonders gespannt blicken wir auf den Jahreswechsel und das neue Jahr, von dem wir uns erwarten, dass im neuen Jahr alles besser wird. Das Neue ohne die Lasten des alten Jahres betreten zu können. In meinem Fall wünschte ich mir nicht das Kommen des neuen Jahres 2025, sondern ich wünschte mir das Jahr 2018 zurück. Bei aller Retro Skepsis weiß ich, dass es im neuen Jahr 2025 mehr Stolpersteine geben wird als 2018. Die vergangenen Jahre werden auch in diesem Jahr präsent sein. Wir stehen auf einer Stiege, auf der wir Stufe um Stufe und Jahr um Jahr höher steigen, dem Gipfel entgegen. Ich werde erst auf dem vermeintlichen Gipfel einen Überblick auf mein Leben bekommen. Wenn ich ruhig werde vielleicht einen Ausblick in das bevorstehende existenzielle Leben. Manche Stufen erweisen sich als extrem hoch, andere sind niedriger und leichter zu bewältigen. Manches Mal geht es steil bergauf, dann kommt wieder ein Flachstück. Die schlimmen Teilstücke sind jene wo gefragt wird, wann endet diese Stiege, warum alles noch? Dazu der Blick eines  verletzten Rehs wie in den Bergromanen des Basteiverlag. Aus dem Tageheft… 

gefühlstsunami

Die Beziehungen sind im Eis festgefroren.

Wahrscheinlich erleben es andere Personen auch, dass sie froh sind, wenn die Feiertage vorbei sind. Zu den sensiblen Feiertagen zählen die Weihnachtsfeiertage und die Tage um den Jahreswechsel. Jährlich bin ich immer wieder überrascht, welchen Tsunami an Gefühlen diese Feiertage auslösen. Damit ist die Wucht der Erinnerungen im Herzen, im Gemüt und im Bauchgefühl gemeint, welche an den Feiertagen ausbrechen und die äußeren Körperregionen erreichen. Dann kann man den Tsunami nicht mehr zur Seite schieben oder kaschieren. Die äußeren Zeichen werden unübersehbar. Ähnlich der Grippe, welche auch in der Winterszeit Saison hat. Ausgehend von den Nasennebenhöhlen, dem Rachenraum und dem Bauch tobt schon ein längerer Kampf zwischen den Grippevieren und den Kämpfern des Immunsystems. Erst nach und nach wird es sichtbar, dass die Grippeviren den Kampf gewonnen haben, mit einem hochroten Kopf, den Schüttelfrost Attacken, Schweißausbrüchen und fiebrigen Augen.

Der weihnachtliche Stimmung Tsunami lässt alte seelische Verletzungen in den Beziehungen unter den Familienmitgliedern wieder aufbrechen. Es gibt kaum Verbindungen, welche nicht betroffen sind. Einerlei ob zwischen Kinder und Eltern, welche sich von den Eltern abgewendet haben oder zwischen Eltern und Kinder, welche die mangelnde Fürsorge beklagen. Kinder, welche als Erwachsene mit ihren Eltern abrechnen und ihnen fehlende Elternliebe vorwerfen. Eltern, welche dem geschäftlichen Erfolg nachgejagt sind und die Gefühle zu den Kindern in Banknoten abgestattet haben. Anderseits haben die Banknoten ihnen das Leben erleichtert und sie immer mehr an finanziellen Zuwendungen verlangt. Sind die Beziehungen im Eis festgefroren, wie ein Schiff im Polareis eingeschlossen, dann kommt die weihnachtliche Wärme zu spät. Die Wärme des Neugeboren in der Krippe, nicht die der Weihnachtsbeleuchtung über jeder Straße und in besonders üppiger Form in den Gängen der Einkaufszentren. War es vor Jahrzehnten in den Kirchen noch flackernder Kerzenschein, so dominiert heute das kalte eisblaue Licht. Die heimelige Weihnachtsstimmung entfaltete sich beim Brennen der Wachskerzen am Christbaum. Als Kinder blickten wir fasziniert auf die Kerzen und nicht auf eine elektrische Weihnachtsbeleuchtung. An den Tannenzweigen hingen Engelshaar, Eislametta und Christbaumkugeln verziert mit dem Kerzenwachs der vergangenen Jahre. Dazwischen Likörfläschchen, Christbaumbehang aus Marzipan und Schokolade. Verlockende Süßigkeiten, denen wir Kinder schon am Christtag erlegen sind.