AUS:gemustert

Seine stabile Gesundheit und seine paradoxe Denkweise machen aus ihm ein Gailtaler Urgestein. Er ist in die Jahre gekommen und muss Abstriche bei seiner Leistungsfähigkeit machen. Zu einer Vorsorgeuntersuchung hat er sich nie angemeldet, dafür hatte er kein Verständnis, er stammt aus der steilsten Region des Lesachtales, wo man die Zähne zusammenbeißt, bis man nicht mehr kann.

Bei meinem letzten Besuch war sein Gesicht blass und die Wangen eingefallen. Die Hände zitterten beim Kaffee-Einschenken und die Kraft von früher hat gefehlt. Vor einigen Wochen hatte er Schmerzen in der Brust und ihm ist übel geworden. Der Rettungshubschrauber hat ihn in das LKH geflogen. Dort wurden seine Arterien gedehnt, um einem Herzinfarkt zuvorzukommen. Seit drei Tagen ist er wieder zu hause und ärgert sich darüber, dass er noch nicht der „Alte“ ist, dass er nach ein paar Stunden müde wird.

Der herbstliche Garten verlangt nach verschiedenen Arbeiten, die er zur Zeit nicht bewältigen kann, er möchte sie aufschieben. Der Garten nimmt auf menschliche Befindlichkeit keine Rücksicht. Im Gebirgstal können die Herbstnächte frostig sein und die Kübelpflanzen zerstören. Die Pflanzen müssen in das Haus gebracht werden, die Frau telefoniert nach dem Bruder in Tirol.

Urgestein.

BIENEN:hütte

Der beste Ort um mich zu entspannen ist in Möselstein eine Bienenhütte, auf einem Plateau oberhalb des Ortes, in einer Lichtung, mitten im Wald. Der Weg führt bei der Kreuzkapelle mit dem Steinchristus vorbei, ein persönliches Stimmungsbarometer. Je nachdem ob Christus seine Augen gegen den Himmel oder auf die Erde richtet, ob er mich freudig oder traurig anschaut, so ist die Befindlichkeit der Welt. Die globalen Ereignisse, wie Erdbeben, Brandkatastrophen, Überschwemmungen und Gewaltausbrüche zeichnen sich in seinen Augen ab. Meine Fragen und Gedanken verursachen Furchen in seinem Gesicht.

Nach der Kapelle folgt ein steiler Anstieg und ich bin von allen Straßen- und Zuggeräuschen getrennt. Es ist sonnig und die Bienen schwärmen aus, um die letzten blühenden Blumen und Sträucher, zu besuchen. Ich bin überzeugt von der Disziplin und dem Fleiß der Bienen. Das Gras ist gemäht und in das Grün mischen sich braune Farbtöne. Die Blätter der Sträucher und Bäume verfärben sich, noch einmal erreichen sie unsere Aufmerksamkeit. Ob hier ein Kraftort ist, wie sie jetzt von Geomanten hinter jeder Hausecke in Kärnten entdeckt werden?

Die letzten Radtouren haben meine Hüftgelenke durchbewegt und gelockert, die Sperrigkeit in den Gelenken gelöst. Die Verspannungen nach der Geschäftsübergabe werden weniger, manches mal treten sie noch auf.

Bienengift.

GRUSS:worte

Vielleicht erleben es andere ebenso, dass sie am „Tag danach“, zu Wochenbeginn, eine Leere verspüren, weil am Wochenende etwas außergewöhnliches passiert ist und dann kommt wieder der gewöhnliche Alltag. Ein bemerkenswertes Ereignis kann die Geburt eines Kindes, die bestandene Meister-, oder Führerscheinprüfung sein, eine Hochzeit oder die Feier zu einem runden Geburtstag.

Bei einer runden Geburtstagsfeier warten manche Gäste schon auf den Moment, um dem Jubilar ihre Glückwünsche und Grußworte zu überbringen. Dazu werden schriftliche Aufzeichnungen, die sich mit dem Leben des Geburtstagskindes auseinandersetzen, mal in ernster oder heiterer Form vorgetragen. Oft wird beim Vorlesen von den Anwesenden laut gelacht. Feierlicher wird es, wenn ein Vertreter einer öffentlichen Körperschaft zu einer Lobeshymne ansetzt. In der Rede wird spürbar, dass nicht nur der Jubilar gelobt wird, sondern auch die Institution, für die er gewirkt hat. Dabei kann es vorkommen, dass man sich überschätzt fühlt, oder hat sich aus Bescheidenheit tiefer eingestuft. So kann man sein Wirken, die Nachhaltigkeit für einen Verein und für den Ort, neu einschätzen. Es gibt Menschen, die lassen sich auf die Lobesworte ein, andere lehnen sie ab. Oft wird man für das Neue und das Ungewohnte, welches man vor Jahren gegen viel Widerstand durchgesetzt hat, gelobt.

Einzigartig.

BRUT:stätte

Der Zug fährt an einer kleinen Siedlung im unteren Drautal vorbei und für einen Moment sehe ich, wie auf dem Misthaufen der Hahn thront und rundherum ein paar Hühner sind. Während meiner Kindheit in Politzen sah ich es täglich, wie der Hahn mit einer Schar von Hühnern am Misthaufen im Hof nach Würmern, Käfern und Engerlingen geschart hat, es war ein Paradies für Hühner. Orte wo etwas Neues entsteht werden als „Brutstätten“ bezeichnet. Der Zug passiert als nächstes die Bahnstation Ferndorf, wo sich entlang den Geleisen das Heraklithwerk ausgebreitet hat. Beim Bahnübergang in der Ortschaft Rothenthurn, steht heute noch das Bahnschrankenwärterhaus, wo früher die Bacher Mitzi gewohnt hat, von uns Kindern liebevoll die „Eiertante“ genannt. Hierher brachten wir die Eier zum Verkauf, welche uns die Mutter zu hause sorgfältig im Rucksack verstaut hatte. Von Politzen Berg hinunter in die Beinten und dann der Bahnstrecke entlang nach Rothenthurn war ein weiter Weg, etwa sechs Kilometer. Je nach Witterung konnte der Marsch sehr beschwerlich sein. Nach mehreren Regentagen trat das „Bombachl“ über das Ufer und setzte den Feldweg unter Wasser. Behelfsmäßig wurden dann Bretter zum Überqueren der Wasserstellen ausgelegt, trotzdem kamen wir oft mit nassen Füssen nach Rothenthurn. Die Strecke vom Bahnschrankenwärterhaus in Beinten bis zum Bahnschrankenwärterhaus in Rothenthurn war für uns Kinder unheimlich, da es dazwischen keine Häuser gab, dafür viel Schilf, Sträucher und Auwald. Der Feldweg wurde von den Einheimischen kaum benützt, wohl aber von durchziehenden Scherenschleifer, Kesselflicker und Wanderburschen, die uns Kinder Angst machten. Vor ihnen wurden wir von den Eltern gewarnt und man erzählte sich, dass schon Kinder von den Handwerksburschen verschleppt, „vazaht“ wurden. Einen Sommer lang soll sich angeblich ein Mörder in den Auen versteckt haben.

Als wir das Moped zum „Eierführen“ benützen konnten, ging es viel schneller. Für die Mutter war es wichtig, dass wir die Eier sturzfrei zur Bachermitzi brachten. Die Mutter wollte es genau wissen, wie viel sie für die Eier bezahlt hat. Dabei spielten zehn Groschen, die die Bachermitzi mehr oder weniger bezahlte eine große Rolle. Die „Eiertante“ bezahlte je nach Größe der Eier und je nach Jahreszeiten unterschiedlich viel. Sie verkaufte die Eier am Spittaler Wochenmarkt. Vor dem Bahnschranken stauten sich im Sommer viele Autos, bis der Bahnübergang durch den Bau der Schnellstraße und später durch den Bau der Tauernautobahn seine Bedeutung verlor. Durch die Verlagerung des Durchzugsverkehr aus dem Ort verlor auch das Gemischtwarengeschäft mit angeschlossener Tankstelle seinen Umsatz. Waren es in der Reisezeit etwa fünfhundert Semmeln, mit oder ohne Wurst, die an einem Tag verkauft wurden, so waren es nach der Fertigstellung der Schnellstraße gerade dreißig Semmeln. Es war eine Frage der Zeit, bis zum Erreichen des Pensionsalters und das Gemischtwarengeschäft wurde geschlossen.

Eiertante

TROST:pflaster

Die Wahrscheinlichkeit krank zu werden ist gleich groß wie die Wahrscheinlichkeit gesund zu bleiben. Niemand weiß warum jemand krank wird und der andere nicht, oder wo man sich infiziert hat. Unser Wissen über Gesundheitsvorsorge und gesunde Ernährung ist groß, sodass man oft nicht mehr unterschieden kann, was krank macht und was gesund erhält. Würde man alle Gesundheitsvorschläge befolgen, wäre man am Ende krank. Wie krank man sich fühlt, hängt von der eigenen Vorstellungskraft ab. Man kann sich gesund, aber auch krank denken. Spekulieren, was daran schuld ist, dass man sich nicht wohl fühlt, die kalte Luft, der Nebel oder der Wetterumschwung. Ein breites Spektrum von Beschwerden löst die Nahrungsunverträglichkeit aus, sodass man gezwungen ist, tageweise zu hungern. Die sogenannten Hungerkünstler auf den Jahrmärkten im Mittelalter zählten zu den gesündesten und zählebigen Menschen.

Hinter den Spekulationen über Symptome steckt oft der Versuch sich einer Untersuchung zu entziehen, den Gang zum praktischen Arzt zu verzögern. Man gibt den Beschwerden eine Schonfrist, dass sie sich zurückziehen und verschwinden können. Meistens schlummern sie nur ein, um später wieder zu erwachen. Als Erwachsener will man vieles überspielen und den Weg zum Facharzt vermeiden. Als Kind schreit man einmal zu oft, wenn einem etwas weh tut. Es hat genügt, wenn ein Erwachsener ein wenig auf die wunde Stelle geblasen hat oder ein Stück Leukoplast über die schmerzende Stelle geklebt hat. Ein sichtbares Trostpflaster.

Die Erwachsenen waren zu Hause bei der Stallarbeit, das Vieh füttern und die Kühe melken. Mein Bruder und ich waren am Acker bei der Roggenernte und dabei fügte er sich mit der messerscharfen Sichel eine Schnittwunde am Knie zu. Ich war etwa dreizehn Jahre alt, er noch jünger. Ich konnte die Gefährlichkeit der Verletzung nicht einschätzen und war nur von dem Gedanken beseelt, dass wir versuchen mussten den Bauernhof zu erreichen. Dies war mit einem Fußmarsch von etwa fünfzehn Minuten möglich. Die Wunde hat durch den Schock zuerst nicht geblutet, erst als wir in die Nähe des Bauernhauses kamen. Der Vater machte die Erstversorgung der Schnittwunde, die sich durch den Fußmarsch vergrößert hatte. Der Bruder wurde von einen herbeigholten Nachbarn, mit seinem Auto, zum Arzt gefahren. Dieser schickte sie weiter in das Bezirkskrankenhaus. Dort wurde die Schnittwunde genäht und der Bruder musste im Krankenhaus bleiben. Am Sonntag besuchten wir den Bruder mit dem Auto, wobei einige Familienmitglieder zu Hause blieben, damit im Falle eines Verkehrsunfalles, die Versorgung der Viecher gesichert war.

Leukoplast.