telefon:zelle l

In den sechziger Jahren hatten die wenigsten Haushalte auf dem Land ein Telefon. In unserer Nachbarschaft befand sich ein Gasthof und dort gab es einen öffentlichen Fernsprecher. Dieses Telefon wurde benützt um mit dem Viehhändler, dem Holzhändler oder dem Lagerhaus Geschäfte abzuschließen. Bei einem Unwetter konnte man die Feuerwehr und bei einem schweren Krankheitsfall den Hausarzt verständigen. Der Gasthof bildete eine Tauschbörse für Neuigkeiten. Zu den Wirtsleuten hat man ein paar Worte darüber verloren zu wem und warum man telefoniert hat. So ist der Inhalt des Telefonats nicht geheim geblieben. Es könnte vorschnell mit dem Telefonieren gleichgesetzt werden, wie wir es heute in der Öffentlichkeit erleben. Wir hören bei vielen Handygespräche von uns fremden Menschen zu, im Omnibus, im Cafe oder im Park. Wir können ihnen nicht ausweichen. Der Unterschied zu damals liegt darin, dass es sich jetzt zumeist um völlig unbekannte Menschen handelt, die vor uns ihre Probleme ausbreiten. Beim Austausch im Gasthof handelte es sich um Nachbarn, die sich gegenseitig gekannt und notfalls gegenseitig unterstützt haben. In der dörflichen Gemeinschaft hatte jeder seine ihm zugewiesene Rolle, seine Identität besessen. Für die Meisten von ihnen wurde dafür schon mit fünfzehn Jahren das Fundament gelegt, ich möchte sagen einzementiert.

In der Folge begann die Post verbreitet auch in kleineren Ortschaften, wie Politzen, öffentliche Telefonzellen aufzustellen. Hier musste man den Inhalt des Telefonats nicht mehr mit den Wirtsleuten teilen und schützte so seine Privatsphäre. In kritischen Situationen konnte dadurch, für das damalige Zeitverständnis, rasch Hilfe geholt werden. Das Mobiltelefon wie wir es heute benützen wurde durch die Einführung flächendeckender digitaler Mobilfunknetze Anfang der 1990er Jahre in Deutschland, Österreich und der Schweiz möglich. Weltweit sind etwa sieben Milliarden Handys im Einsatz und in Österreich etwa zwölf Millionen.

Abgehört.

genuss:student ll

Heute, im Ruhestand, wo die Tage für die Muse vorhanden sind, passiert mir beim Umsetzen der Gedanken ähnliches, es wird auf den nächsten Tag verschoben. Die Anmerkungen in den Tagheften erlauben den Neustart des Gedankenflusses. Auch wenn handschriftliche Notizen vorhanden sind, entspricht die Niederschrift am nächsten Tag nicht mehr ganz dem Ursprünglichen. Heute sind es nicht mehr die Arbeit oder der fehlende Schreibplatz der mich an der Niederschrift hindert, sondern der Müßiggang. Die Blockade im Kopf, in meinem Leben genug geschafft zu habe und ich keinerlei Aufgaben und Prüfungen mehr brauche oder bestehen muss. Zu meiner Zufriedenheit stelle ich diesen Müßiggang immer wieder in Frage. So lässt mein Wille, dieses Weblog am Leben zu erhalten, auch im Zustand der Muse nicht nach. Es ist verlockend dem Nichtstun zu frönen. Gute Freunde wundern sich über meinen  Arbeitswillen und vertreten die Auffassung einmal ist genug gearbeitet. Lege die Hände in den Schoß, genieße den Vormittag beim Zeitungslesen im Café, bei einem Spaziergang zur Napoleon Wiese oder bei einer Radtour am Drau Radweg. In den Sommermonaten gibt es am Hauptplatz in der Draustadt Events mit Musik und Akrobatik, der Wochenmarkt lädt zum Bummeln ein, dann kann ich sagen, ich bin dabei gewesen.

Bei vielen herrscht Unverständnis, dass ich mir die Mühe mache nach dem Besuch von Vorlesungen an der Uni Klagenfurt den Stoff der Lehrveranstaltung zu Hause aufzubereiten. Den Inhalt der Vorlesung mit dem Nachschlagen in Sach- und Lehrbüchern zu ergänzen,  mir einzuprägen, um am Ende der Lehrveranstaltung eine Seminararbeit abzugeben oder zu einer mündlichen Prüfung anzutreten. Wiederholt höre ich die Meinung es würde genügen den Vorlesungen aufmerksam zuzuhören und ein paar Notizen zu machen. Keine Präsentation vorzubereiten oder mich einer Prüfungssituation auszusetzen. Als Vorbilder werden mir Seniorenstudenten genannt, welche die Vorlesungen regelmäßig besuchen, aber zu keinen Prüfungen antreten. Sie bezeichnen sich als Genussstudenten, in ihrem Leben hätten sie schon genug Prüfungen abgelegt.

Sachertorte mit Schlag.

genuss:student l

Menschen die in Pension sind, ich nenne es im Ruhestand oder noch lieber im Zustand der Muse, werden darauf aufmerksam gemacht, dass sie Zeit hätten über die wirklichen Dinge des Lebens nachzudenken. Angelehnt an die Zeit des antiken Griechenland wo Diejenigen, welche nichts gearbeitet haben, nach Meinung der griechischen Philosophen ein wirkliches Leben geführt haben. Diese Personen konnten sich der Muse hingeben. Die Arbeit verrichteten die Sklaven, für sie fehlte die Zeit zum Nachdenken. Eine Ähnlichkeit mit der heutigen Akkordarbeit am Fließband, wo die Zeit zum Spekulieren fehlt. Fließbandarbeit habe ich am Beginn meines Berufslebens geleistet und dabei das eine und andere Mal davon geträumt, was ich am Abend niederschreiben könnte. Bin ich von der Arbeit nach Hause gekommen so war ich zumeist müde. Anderseits war es üblich, dass ich der Mutter  geholfen habe die Kühe zu versorgen, füttern und melken. Der Vater war noch bei der Feldarbeit oder im Holschlag. War die Stallarbeit erledigt war es meist acht Uhr abends. Jetzt war an das Niederschreiben von Gedanken  nicht mehr zu denken. Es fehlte der geeignete Raum, in der großen Bauernküche, wo sich das Familienleben abspielte, herrschte nicht die notwendige Ruhe. Das Schlafzimmer war ungeheizt, hatte ein  schlechtes Licht und es gab keine passende Einrichtung. So verendete mit dem Schlafengehen die Hoffnung etwas zu Papier zu bringen und wurde auf den nächsten Tag verschoben.

Stadtbibliothek

daumen:drücken ll

Ich habe sie beide lieb, keines von beiden darf geschlachtet werden. Es besteht eine heimliche Freundschaft zwischen uns. Komme ich in den Stall und nähere mich der Schweinebox, dann kommen sie laut grunzend herbei und ich kratze sie vorsichtig zwischen den Ohren. Sind  die Eltern nicht  in der Nähe, dann erzähle ich ihnen von meinen Schwierigkeiten beim Lesen, von der schlechten Note bei der Ansage. Auch von der Strafarbeit, weil ich zwei Mal die Hausaufgabe vergessen habe. Schuld daran waren die neue Schaukel und die Strickleiter, die Steffis Vater bei ihnen im Garten montiert hat. Mit Steffi habe ich bis zum Abend auf den Spielgeräten herumgeturnt. Kaum habe ich den Schweinen etwas erzählt, heben sie ihre Schnauze und stoßen einen Grunzer aus, als Bestätigung dafür, dass sie mich verstehen. Sie stimmen mir zu, dass ich Paul, der im gelben Haus wohnt, blöd finde, weil er an meiner Schultasche gezogen hat und mich umstoßen wollte. In der Schule kann ich mich vor ihm hinter der Garderobetür verstecken. Fordert uns die Lehrerin auf, eine Scheune oder eine Wiese zu zeichnen, zeichne ich zu den Kühen und Schafen  immer auch zwei Schweine dazu. Oft habe ich in den letzten Monaten beim Füttern der Schweine geholfen, ich leerte aus dem  Kübel Milch in den Futtertrog. Jeder von den Beiden will beim Fressen der Erste sein. Aus den putzigen Ferkel sind  zwei kräftige Schweine geworden.

Mit gesenktem Kopf und traurigen Gedanken sitze ich am Tisch und verspüre keinen Hunger mehr. Ich bin zornig auf Papa, er ist ein böser Papa und ich bekomme Bauchweh, wie vor einem Lesetest. Ich kaue lange am Marmeladebrot, es will den Hals nicht hinunterrutschen. Die Schlucke aus dem Kakaobecher werden immer kleiner. Ich habe mich so darauf gefreut  mit der Mama die Ostereier zu färben, jetzt ist alles anders. Vielleicht kann ich mit dem Osterhasen verhandeln, ihm einen Tausch vorschlagen? Ich verzichte auf meine Osterwünsche, eine Jacke und einen bunten Regenschirm und er schickt dafür ein fremdes Schwein. Fridolin und Hansi könnten weiter leben. Ganz fest denke ich daran und drücke beide Daumen. „Schmeckt dir das Frühstück nicht“?, fragt der Papa, steht auf und geht aus der Küche. Durch das Fenster sehe ich, dass ein Auto in der Hauseinfahrt stehen bleibt und kurz danach wird eine Autotür zugeschlagen. „Du bleibst solange in der Küche bis ich dich hole und iss dein Brot“, fordert mich die Mama auf und geht hinaus. Nach einiger Zeit ertönt ein dumpfer Knall und ich presse beide Hände fest gegen meine Ohren. Der Osterhase kann manchmal die Wünsche der Kinder nicht erfüllen, hat  Mama einmal gesagt. Aus der Tischschublade nehme ich ein Blatt Papier und zeichne mit meinen Buntstiften einen Stall und auf der Wiese davor Kühe, Schafe und ein Schwein.

daumen:drücken l

Nachdem ich in den Morgenmantel geschlüpft und in der Küche bin, mache ich zwei Dinge gleichzeitig: Das Einschalten des Kaffeeautomaten und aus dem Küchenfenster einen Blick in den Vorgarten der Wohnanlage. Eine frisch geschlüpfte  Blume, das Grünwerden der Sträucher, täglich entdecke ich im Frühjahr etwas Neues. Seit Tagen hoffe ich, dass an einem Morgen die Schneeglöckchen aus dem Boden sprießen werden, heute ist es soweit. Inmitten des zaghaften Grüns des Rasen strahlen die weißen Blüten der Schneeglöckchen zum Fenster herauf. Ich atme einmal tief ein, so als könnte ich den Duft der Schneeglöckchen durch das geschlossene Küchenfenster riechen und schließe die Augen.

Das Öffnen der Augen zögere ich hinaus und sehe innerlich eine Wiese mit Obstbäumen die übersät ist mit Schneeglöckchen. In meiner Fantasie bin ich wieder „das süße Veilchen“,  wie ich vom Papa liebevoll genannt werde, obwohl ich schon die zweite Volksschulklasse besuche. Ich hüpfe von der Küchenbank und laufe durch das Vorhaus in das Freie, am Viehstall vorbei in den Obstgarten um für Papa ein paar Schneeglöckchen zu pflücken. Als ich in die Küche zurückkomme sitzen Papa und Mama am Küchentisch beim Frühstück. Papa macht ein ernstes Gesicht, er nimmt mich nicht, wie sonst nach der Stallarbeit, in die Arme und hebt mich dabei hoch. Meine Blumen lege ich neben seinen Teller, er legt sie achtlos auf das Fensterbrett. Ich setzte mich zur Mama und frage sie: „Werden wir heute die Ostereier färben?“ Sie fasst nach meiner Hand und antwortet: „In einer Stunde kommt der Fleischer, heute ist Schlachttag“. „Da du schon ein großes Mädchen bist“, mischt sich Papa ein, „kannst du der Mama beim Verarbeiten des Schweinefleisches behilflich sein“. Unwillkürlich rücke ich noch näher zur Mama. Schlachttag, in meinem Mädchenkopf beginnt es zu rumoren: Das bedeutet, dass eines von den zwei Schweinen, die im Stall stehen, geschlachtet wird. Welches von den zwei Schweinen wird es sein, Fridolin oder Hansi? Ich habe sie beide lieb, keines von beiden darf geschlachtet werden. Es besteht eine heimliche Freundschaft zwischen uns.

Fortsetzung folgt…