hoch:montafon II

Ein anderes Beispiel für ein langes Berufsleben, man könnte sagen, für eine zweite Berufskarriere ist der örtliche Schneidermeister im Hochmontafon. Manche sagen mit Zufriedenheit, dass sie mit Erreichung des sechzigsten Lebensjahrs seit vierzig Jahren selbstständig waren. Die „neuen alten Selbständigen“ sind oft über sechzig Jahre selbstständig, wo Andere schon lange in Pension sind. Der Schneidermeister sitzt am einzig freien Platz in der Werkstätte über die Nähmaschine gebeugt. Alle Maschinen werden von einem zentralen Motor, mit Keilriemen, betrieben. Was sich wo, unter den vielen Modezeitschriften,  den Zuschnitten und Schnittmuster aus Packpapier verbirgt, weiß nur er. Bis zur Decke sind die Regale mit Stoffen, Schnittmuster, Knöpfen, Schnallen und Bänder angefüllt. Von der Decke hängen zwei halbfertige Blusen und Sakkos auf den Kleiderbügeln. Er erzählt, dass er nicht  wüsste,  wie er zu Hause seine Zeit verbringen soll. Er ist Witwer, da kommt er lieber täglich, auch sonntags,  in seine Werkstätte. Manchmal werfen Touristen einen ungläubigen Blick durch das Fenster und denken dabei  an die Geschichte vom tapferen Schneiderlein. Ich denke an den Avemichlschneider der mir,  für die Sonntage im Internat, einen Kärntner Anzug geschneidert hat.  Die  Kleiderproben fanden nach dem Kirchgang statt. Den Anzug habe ich, trotz der Wachstumsphase in der Kindheit, vier Jahre lang getragen. Jeweils in den großen Schulferien wurde der Anzug zum Erweitern und Verlängern zum Avemichlschneider gebracht. Damals haben die Schneider mit dem Stoff nicht gespart und überall „Reserven“ eingebaut, sodass man mehrmals Erweitern und Verlängern konnte.

Hochwasser.

hoch:montafon

Sowohl  im Handel, wie im Gewerbe begegnet man Menschen die länger als die übliche Berufszeit im Geschäft oder in der Werkstätte bleiben. In einem Tourismusort im Hochmontafon gibt es im Ortszentrum ein Handelsgeschäft mit einer Fassade aus den sechziger Jahren. Auch bei der Ordnung und der Übersichtlichkeit ist es kein Vorzeigeobjekt. Es ist ein Gemischtwarengeschäft der alten Prägung, vor dem Geschäft steht Tag für Tag ein Verkaufsständer mit Besen, Rechen und anderem Werkzeug zum Sauber halten. Manche Artikel, wie Gläser, Geschirr  und Spielwaren liegen bestimmt schon seit zehn Jahren  hinter der Schaufensterscheibe. Im Ort ist das Geschäft eine Institution, die nicht wegzudenken ist. Seit einigen Jahren gibt es am Ortsrand einen neuen Supermarkt, trotzdem kaufen viele Einheimische und Gäste ihre Getränke, Süßigkeiten, Waschmittel, Zigaretten und Zeitungen in diesem Laden. Der erste Ansprechpartner bei  Fleisch, Wurst, Käse, Gemüse und Obst ist der Laden nicht. Der Inhaber gönnt sich erst seit ein paar Jahren eine Mittagspause, er steht knapp vor dem neunzigsten Geburtstag.

Die jungen Alten.

strahle:mann

Wie kann am schnellsten die Psyche und in weiterer Folge das tägliche Leben zerstört werden? Dahin führt ein Weg, wenn man vom Partner aufgefordert wird ein perfekter Mensch zu werden. Korrigiert wird, wenn es darum geht die Stühle auszurichten, den Müll zu trennen und die Küchentüre zu schließen. Auf die Frage nach dem persönlichen Befinden keine Alternativen zugelassen sind und die Antwort lautet: „Es geht mir gut“. An der Aussage, „Alles im Griff zu haben“, gescheitert ist die Jugendrichterin Kirsten Heisig in Berlin. „Ich habe alles im Griff“, war ein Standardsatz von ihr. Sie ist  bei Fernsehdiskussionen für eine bessere Integration und mildere Bestrafung von Jugendlichen eingetreten. Eine Vorzeigefrau wie es die Gesellschaft liebt und dann hat sie Selbstmord verübt. Bei solchen Auswirkungen zeige ich mich als ein Mensch mit Schwächen und Fehlern, kein Strahlemann für Strahlefrau. 

Wie ist es nach dem  Berufsausstieg möglich unterschiedliche Leute kennenzulernen, eine Mischung aus Alt und Jung?  Einen Ort zu finden, wo die unmöglichsten Geschichten erzählt werden, wie diese:  Eine Lehrerin hat in einem Aufsatz das Wort „Hifler“ nicht anerkannt, obwohl es im österreichischen Wörterbuch steht und durch „Stange“ ersetzt. Eine Stange ist kein „Hifler“. 

Heuhifler.

hörig:keit IV

Die  stärkste Betroffenheit löst die Hörigkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen aus. Hat man sich aus der Abhängigkeit von den Eltern befreit, dann gerät man in eine Abhängigkeit zu einem anderen Menschen, zum anderen Geschlecht. Es hängt damit zusammen, dass der Partner es versteht seine Erfahrungen, sein Selbstbewusstsein, seine Lebensfreude auszuspielen. Eigenschaften wie Fröhlichkeit, Ausstrahlung und Lebensmut können faszinieren. Schöne Worte und viele  Versprechungen führen zur Hörigkeit. Starke Persönlichkeiten neigen dazu, andere Bezugspersonen auszuschalten, den Gedankenaustausch mit anderen zu verhindern.

Bei weiblichen Person ersetzt die Hörigkeit zu einem Mann oft den Vater. Man verliebt sich in einen besseren Vater. In einer wirtschaftlichen Angelegenheit signalisiert, die meist selbstbewusst und entschlussfreudig auftretende Person, dass sie wie ein kleines Mädchen den Übervater anhimmelt. Jedes Wort wird von seinen Lippen abgelesen, wie ein Tropfen Wasser aufgesaugt. Sie gibt dem Übervater das Gefühl, dass er ihr die zukünftigen Entscheidungen leicht macht. Was ist der Preis der Hörigkeit?

Spielautomat.

radio:müll

Wer glaubt, dass diese Wortkomposition für eine neue Recyclingidee steht, bei der man aus Recyclingstoffen ein preiswertes Radio erzeugt, dem gestehe ich zu, dass diese Möglichkeit besteht. Es ist bestimmt möglich ein günstiges Radio, einen Universalempfänger für Dritte Weltländer herzustellen, nach dem Vorbild  der PC Branche. Ob dort überhaupt überall eine Infrastruktur für den Rundfunkempfang besteht?  Von Afrika weis man, dass das Festnetztelefon übersprungen wurde und die Afrikaner beim Handy gelandet sind. So dürfte  wohl auch manche Radiotradition übersprungen worden sein.

Beim Wort Radiomüll denke ich an die Frühsendung des Regionalsenders. Frühmorgens bin ich sehr empfindlich für das, was ich zu hören bekomme. Meine Psyche liegt nackt auf dem Frühstückstisch, für Alles und Jeden zugänglich. Während der Nacht hat sich eine Schutzfolie um die Andere von der Seele entfernt, der letzte Schutzfilm wurde durch die Träume aufgelöst. Die Seele hat es, im Schutz der Nacht, nicht notwendig sich mit einer Folie zu schützen. So spaziert sie in der Früh unbekleidet durch die Wohnung und will von keinem Wort und von keiner Unterhaltungsmusik berührt werden. Mit vertrauten Ritualen zieht sie sich eine Schutzfolie für den Tag an. Dieser Prozess ist ähnlich, wie wenn bei einer Wunde  ein neuer Verband angelegt wird.  

Die morgendlichen „Weckersendungen“, wie sie in vielen Haushalten oder die ersten Stunden am Arbeitsplatz gehört werden, sind ein Feuerwerk an Gift, das auf meine Seele abgefeuert wird. Gutelaunegiftpfeile die meine Seele treffen. Der Gutelaunebecher der den Hörern verabreicht wird,  ist für mich ein seelischer Giftbecher. Eine Aufforderung an mich, bei fröhlicher Schlagermusik den Giftbecher zu leeren. Dazu kommen die aktuellen Nachrichten: Die Aufzählung  der Verkehrsunfälle und der Einbrüche, die Toten bei einer Bombenexplosion und Raketenangriff. Jede Viertelstunde werden die Wetteraussichten wiederholt, einmal wird die Seele der Sonne, in der nächsten Viertelstunde dem Schneefall ausgesetzt. Der musikalische Müll ergießt sich über meine ungeschützte Seele.

Gutelaunegiftpfeile.