CA:orle II

Heute bieten die Eisenbahnlinien und die Autobahnen gute Möglichkeiten schnell und bequem das Mittelmeer zu erreichen. Durch die Alpen gibt es Tunnels und die Alpentäler verschwinden hinter den Lärmschutzwänden. An der oberen Adria, in Caorle angekommen, ist es nicht selbstverständlich, dass man das Meer sehen kann. Die Sicht auf das Meer ist durch viele Hotelreihen verstellt, nur die Hotels in der ersten Reihe können einen Meerblick anbieten. Nicht umsonst finden sich überall in der Stadt Hinweisschilder „ Maare“,  zur selbstverständlichsten Sache. Auf dem Weg zum Strand muss man die vielen Sonnenschirme und Liegen, endlos in der Tiefe als auch in der Breite, durchqueren. Kilometerlange Strände mit reservierten Strandplätzen. Zwischen den vielen Sonnenanbetern riecht es nach Sonnenöl und Sonnencreme. Das Wasser plätschert aus der Mineralwasserflasche und aus dem Lautsprecher tönt die Strandanimation. Dazwischen bewegen sich mit viel Geschick die Strandhändler mit ihren Handtaschen, Badetücher und Sonnenbrillen. Länger verweilen die Strandmasseurinnen,  um € 15. —kann man sich auf der Liege vierzig Minuten lang massieren lassen, das Körperpeeling mit dem feinen Sand inbegriffen.

 Im Zentrum gibt es ein Stück Uferpromenade wo man direkt am Meer spazieren gehen kann.  Dort ist man dem Meer ganz nahe, seinem Geruch, dem Wellenschlag, der Sehnsucht.

Strandpolizei.

CA: orle

Die Sehnsucht der Mittel- und der Nordeuropäer nach dem Meer ist ungebrochen. Damit verbunden sind die Aussicht nach Sonne, Wärme und ein unbeschwertes Leben, wenn auch nur für ein oder zwei Wochen. Dazu kommt die Weite des Horizonts, sodass man im Urlaub seine Gedanken frei fließen lassen kann und sie nicht von der nächsten Bergkette gebremst werden. Mit der Reise in den Süden ändern sich das Licht und die Gerüche. In den vergangenen Jahrhunderten waren die Reisen mit der Pferdekutsche eine Qual und die Alpenpässe schwer zu überwinden. Mit der Eisenbahn wurde es bequemer, die ersten Tunnels durch das Gebirge wurden gebaut. Durch die Motorisierung in den fünfziger Jahren wurde die Urlaubsreise in den Süden zur Pflicht. Vom Norden kommend galt es in Österreich einige Pässe zu überwinden, wie den Brenner- Katschberg- und Tauernpass. Dies mit den für heute unvorstellbaren dreißig bis fünfzig PS. Im Auto saßen die ganze Familie, viel Gebäck und manche auch schon mit einem Wohnanhänger.

 Ein Brüderpaar aus Holland erzählte uns am Villacher Kirchtag, im Biergarten am Standesamtsplatz, dass sie schon als Kinder, seit 1954, in Kärnten Urlaub machen. Bei einer Anreise mit dem Citroen hatten sie am Katschberg einen „Platten“. Der Vater hat geschimpft und das Auto am Straßenrand abgestellt, die Mutter hat abseits der Straße das Mittagessen gekocht. Als der Vater das Rad gewechselt hatte sind alle zu Tisch gesessen und danach wurde die Reise fortgesetzt. Ein anderes mal gab es beim Verteiler ein Gebrechen und es hat einige Tage gedauert bis das Ersatzteil aus Wien, wo die einzige Citroenwerkstatt in Österreich war, gekommen ist und die Urlaubsreise fortgesetzt werden konnte. Die Urlaubserlebnisse begannen damals bereits mit der  Anfahrt. Seit über sechzig Jahre verbringen sie ihren Urlaub in Kärnten. Gut in Erinnerung geblieben sind ihnen auch die Ausflüge nach Jugoslawien, über den Wurzenpass, der zu den steilsten Alpenpässen zählt. Bei der Fahrt sind sie an manchen dampfenden und qualmenden Autos vorbeigekommen. Die ersten Opfer der Steigung waren das Kühlwasser und die Kupplungen, die lädiert waren. Dem Stehenbleiben und Wegfahren bei der Bergfahrt waren viele Autos nicht gewachsen. Bei der Abfahrt vom Berg gab es oft Probleme mit der Bremse. So gibt es bis heute am Wurzenpass eine Auslaufspur, wo Autos bei Bremsversagen die Möglichkeit haben einen Fluchtweg einzuschlagen. Bei den Ausweichstellen sind Abschleppwagen bereitgestanden, welche die fahruntüchtigen Autos gegen teure Gebühr abgeschleppt haben. Dabei kam es zwischen den Abschleppfirmen  zu Streitereien wer zuerst da war.

Abgeschleppt.

VITAMIN:b

In Österreich war es lange Zeit selbstverständlich, dass durch die Partei alles geregelt wurde und in vielen Fällen gilt dies bis heute. Ob bei der Suche nach einem Arbeitsplatz oder einer Wohnung, die Zugehörigkeit zu einer Partei war dabei behilflich. Besonders ausgeprägt ist die Parteipolitik in der Verwaltung, im Unterrichtswesen, bei den halbstaatlichten Industriebetrieben. Man hatte oft den Eindruck, dass die Parteimitgliedschaft genügte um einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung zu ergattern. Lokalpolitiker haben in ihrem Stammgasthaus die Sprechstunden abgehalten. Man konnte sie dort am Vormittag zu einer bestimmtem Zeit antreffen und seine Anliegen vorbringen. Die berufliche Karriere oder die Vergabe einer Wohnung wurden am Wirtshaustisch entschieden. Mit der Privatisierung der verstaatlichten und staatsnahen Betriebe hat sich der Einfluss der Politik abgeschwächt. 

Eine Gepflogenheit des politischen Alltags ist, dass bei Orts- und Bezirksversammlungen von den Obmännern lange Reden, mit belanglosem Inhalt, gehalten werden. In Vorwahlzeiten wird den Mitgliedern erzählt, dass es um das Überleben der Partei geht, dabei geht es um die Wiederwahl des Bezirksobmannes. Zu den Ritualen gehört, dass die Tagungsordnungspunkte auf mehrere Sitzungen verteilt werden, um mehr Präsenz zu erreichen. Die Politiker leiden unter Entzugserscheinungen, wenn sie abgewählt werden und nicht mehr gebraucht werden. Es ist eine Ausnahme, wenn jemand bemüht ist sein Leben ohne die Unterstützung der Partei, wie es im Volksmund heißt ohne das Vitamin B.,  zu leben. 

Überdosierung.         

VER:laufen V

Die Fernsehsender setzen alles daran die Zuschauerzahlen zu steigern. Dadurch sind sie für die Wirtschaft und deren Werbeeinschaltungen attraktiv. Die stärkste Motivation ist das Lukrieren von Werbeaufträgen und die damit verbundenen einnahmen. Das Niveau im Fernsehen steigt nicht, wohl aber die Ansprüche der Zuschauer, sie verlangen mehr Spannung, Grusel und Ekel. Auf diese  Gruppe zielen die  Doku Soap ab. Viele Zuseher sind der Meinung, dass diese Zustände in der Nachbarschaft herrschen. Dabei macht es keinen Unterschied ob es sich um eine Soap wie, „Frau mit Kind sucht Mann“, „Bauer sucht Frau“, neuerdings „Bauer sucht Bauer“ oder „Richterin Barbara“, handelt. Die Wirklichkeit kann sich dabei nicht widerspiegeln, da die Kamera dabei ist und große Gefühle verlangt werden. Bei den meisten Dokusoap werden Laienschauspieler eingesetzt, die stellvertretend für andere ihren Emotionen freien Lauf lassen. In einer Messies Soap werden schreckliche Bilder gezeigt, Ratten in der Wohnung, Müll bis an die Decke, verstopftes und verdrecktes Bad und WC. Könnten die Zuseher den Gestank aus der nachgestellten Wohnungen riechen, so würden sich zwei Drittel der Zuschauer übergeben müssen.

Das Sozialamt meint es in manchen Orten gut und versorgt Arbeitslose und Bedürftige mit einer Fülle von Kleidern. Dabei kontrolliert aber niemand, wie groß der Kleidungsbedarf wirklich ist, ob die Kleider gepflegt und getragen werden und nicht  in einer Ecke der Wohnung gehortet werden. Ähnliches gilt  für Lebensmittelpakete die verrotten, weil man nicht gewillt ist zu Kochen.

Die Antschi war ein fixer Bestandteil des Ortsbildes in Möselstein. Sie schaute viele Stunden am Tag, Woche für Woche, aus dem Fenster vom 1. Stock auf die  Bundesstraße. Dabei stützte sie sich auf einen Polster und redete Jeden und Jede, die sie erspähen konnte, an. Da sie nur eine Fürsorgerente bezog, beschenkte sie das Sozialamt zu ihrem Geburtstag und zu Weihnachten immer mit einem großen Kleiderpaket. Trotzdem trug sie Jahr für Jahr immer dieselben Kleider. Als die Antschi in eine andere Wohnung übersiedelt wurde, wurden aus ihrem Zimmer ein LKW voll unbenützter Kleider entsorgt.

Alles geschenkt.     

VOR.aus

Auf dem Gailradweg von Fürnitz nach Villach gönne ich mir eine kurze Rast und halte in der Nähe der Eisenbahnbrücke bei einem schlichten Holzkreuz inne.  Am Holzkreuz steht: „Wanderer gedenke des  hier Verunglückten Rudolf S.“  Heute sind hier kaum mehr Wanderer unterwegs, es sind fast ausschließlich Radfahrer. Viele  Radtouristen, die von Hermagor kommen und in Villach Anschluss an den Rosental- und den Drauradweg finden. Von den meisten Radfahrern wird das einfache Holzkreuz übersehen,  sie sind mit mehr Tempo unterwegs, als vor zwanzig Jahren die Wanderer. Mir sind das einfache Holzkreuz und der Schemel zum Niedersitzen seit langem bekannt. Komme ich vorbei mache ich Halt, setze mich nieder und spreche ein kurzes Gebet. Ich habe Herrn Rudolf S. persönlich nicht gekannt. Mich verfolgt der Gedanke, wo wird jetzt sein Geist, die Seele sein, wie wird er sich jetzt fühlen?  Weis er davon,  dass ich an ihn denke?

Vor ein paar Tagen habe ich mit Bekannten, deren Onkel vor kurzem verstorben ist, einen Kaffee getrunken. Dabei ist die Frage nach dem Weiterleben im Jenseits gestellt worden. Entspringt diese Vorstellung nur unserem eigenen Wunschdenken? Ist ein Weiterleben in den Kindern und Enkelkindern eine Alternative dazu. Kann man die biologische Form des Weiterlebens um eine soziologische und künstlerische Form erweitern? Wir kennen die berühmten Namen der Maler, der Musiker und der Literaten, die Museen, Konzerthäuser und Bibliotheken füllen. Wenige gehören zum allgemeinen Kulturgut, der Großteil der Künstler sind Katalogleichen. Stöbert man ein wenig, sind die Spuren des Einen und des Anderen auch noch nach einigen Jahrhunderten zu finden. Der nächste Schritt ist die Präsenz im Web, aber wie sind dort die „Überlebenschancen“?   Dies kann heute noch niemand beantworten. Es gibt Bestrebungen die Bilder und die Bücher zu digitalisieren. In zweihundert Jahren kann der Zugriff darauf daran scheitert, dass sich die Programme geändert haben, nicht mehr kompatibel. Keine guten Aussichten für die Zukunft oder werden wir uns dann in der Vergangenheit vom digitalen Zeitalter befinden?

Die spannende Frage, ob Rudolf S. im ewigen Leben angekommen ist, wie es uns viele Religionen versprechen, ist auch nach so vielen Zeilen noch immer offen. Diesen Bewusstseinsstand hat er uns voraus oder ist er im Nichts gelandet und alles ist nur eine Hoffnung, die das Leben erträglich machen soll. Ist das Weiterleben im Jenseits eine  Vorstellung mit der wir uns trösten, je älter wir werden? Elementarteilchen.

Kommentar von Schlafmütze: 

Es bedeutet für mich auch: Jetzt leben, jede Sekunde, eine zweite Chance gibt es nicht.
Ein Text von Bertold Brecht:

Gegen Verführung
1
Laßt euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen;
Ihr könnt schon Nachtwind spüren:
Es kommt kein Morgen mehr.

2
Laßt euch nicht betrügen!
Daß Leben wenig ist.
Schlürft es in schnellen Zügen!
Es wird euch nicht genügen
Wenn ihr es lassen müßt!

3
Laßt euch nicht vertrösten!
Ihr habt nicht zuviel Zeit!
Laßt Moder den Erlösten!
Das Leben ist am größten:
Es steht nicht mehr bereit.

4
Laßt euch nicht verführen
Zu Fron und Ausgezehr!
Was kann euch Angst noch rühren?
Ihr sterbt mit allen Tieren
Und es kommt nichts nachher.