Auf dem Gailradweg von Fürnitz nach Villach gönne ich mir eine kurze Rast und halte in der Nähe der Eisenbahnbrücke bei einem schlichten Holzkreuz inne. Am Holzkreuz steht: „Wanderer gedenke des hier Verunglückten Rudolf S.“ Heute sind hier kaum mehr Wanderer unterwegs, es sind fast ausschließlich Radfahrer. Viele Radtouristen, die von Hermagor kommen und in Villach Anschluss an den Rosental- und den Drauradweg finden. Von den meisten Radfahrern wird das einfache Holzkreuz übersehen, sie sind mit mehr Tempo unterwegs, als vor zwanzig Jahren die Wanderer. Mir sind das einfache Holzkreuz und der Schemel zum Niedersitzen seit langem bekannt. Komme ich vorbei mache ich Halt, setze mich nieder und spreche ein kurzes Gebet. Ich habe Herrn Rudolf S. persönlich nicht gekannt. Mich verfolgt der Gedanke, wo wird jetzt sein Geist, die Seele sein, wie wird er sich jetzt fühlen? Weis er davon, dass ich an ihn denke?
Vor ein paar Tagen habe ich mit Bekannten, deren Onkel vor kurzem verstorben ist, einen Kaffee getrunken. Dabei ist die Frage nach dem Weiterleben im Jenseits gestellt worden. Entspringt diese Vorstellung nur unserem eigenen Wunschdenken? Ist ein Weiterleben in den Kindern und Enkelkindern eine Alternative dazu. Kann man die biologische Form des Weiterlebens um eine soziologische und künstlerische Form erweitern? Wir kennen die berühmten Namen der Maler, der Musiker und der Literaten, die Museen, Konzerthäuser und Bibliotheken füllen. Wenige gehören zum allgemeinen Kulturgut, der Großteil der Künstler sind Katalogleichen. Stöbert man ein wenig, sind die Spuren des Einen und des Anderen auch noch nach einigen Jahrhunderten zu finden. Der nächste Schritt ist die Präsenz im Web, aber wie sind dort die „Überlebenschancen“? Dies kann heute noch niemand beantworten. Es gibt Bestrebungen die Bilder und die Bücher zu digitalisieren. In zweihundert Jahren kann der Zugriff darauf daran scheitert, dass sich die Programme geändert haben, nicht mehr kompatibel. Keine guten Aussichten für die Zukunft oder werden wir uns dann in der Vergangenheit vom digitalen Zeitalter befinden?
Die spannende Frage, ob Rudolf S. im ewigen Leben angekommen ist, wie es uns viele Religionen versprechen, ist auch nach so vielen Zeilen noch immer offen. Diesen Bewusstseinsstand hat er uns voraus oder ist er im Nichts gelandet und alles ist nur eine Hoffnung, die das Leben erträglich machen soll. Ist das Weiterleben im Jenseits eine Vorstellung mit der wir uns trösten, je älter wir werden? Elementarteilchen.
Kommentar von Schlafmütze:
Es bedeutet für mich auch: Jetzt leben, jede Sekunde, eine zweite Chance gibt es nicht.
Ein Text von Bertold Brecht:
Gegen Verführung
1
Laßt euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen;
Ihr könnt schon Nachtwind spüren:
Es kommt kein Morgen mehr.
2
Laßt euch nicht betrügen!
Daß Leben wenig ist.
Schlürft es in schnellen Zügen!
Es wird euch nicht genügen
Wenn ihr es lassen müßt!
3
Laßt euch nicht vertrösten!
Ihr habt nicht zuviel Zeit!
Laßt Moder den Erlösten!
Das Leben ist am größten:
Es steht nicht mehr bereit.
4
Laßt euch nicht verführen
Zu Fron und Ausgezehr!
Was kann euch Angst noch rühren?
Ihr sterbt mit allen Tieren
Und es kommt nichts nachher.