costa:concordia VII

Unsere Gruppe feiert am Donnerstagvormittag mit dem Dompfarrer von Klagenfurt auf dem Schiff eine Messe. Da wir seit einigen Tagen auf See sind müssten wir unserem Glück schon näher gekommen sein. Welche Voraussetzungen sind für das glücklich sein notwendig und wie sieht das Glück aus? Jeder wird es anders erleben. In der Predigt stellt uns der Pfarrer die Frage, was uns lieber wäre: „Auf unseren Wohlstand zu verzichten und glücklich zu sein oder unseren Wohlstand zu behalten und unglücklich zu sein“? Die meisten bleiben die Antwort schuldig, weil die Wenigsten können sich vorstellen, dass man ohne unseren Wohlstand glücklich sein kann.

Am Vormittag findet auf Deck 9, der „Riviera Magica Lido“, ein bayrisches Bierfest mit Weißwürsten und Brezen statt. Es gibt Auftritte von Sängerinnen aus Afrika und Schuhplatter aus Taiwan. Dazu gesellen sich die Lesachtaler Trachtenkapelle und eine Sängerin aus Kärnten. Von der Blasmusik angezogen füllt sich das Deck mit Italienern und mit dabei die Kleinkinder und die Halbwüchsigen. Die Musikanten, bekleidet mit einer roten Kniebundhose und Joppe, dazu ein Trachtenhut mit einer großen weißen Feder, fangen zum Jodeln an. Der Jodler klingt wie ein Notruf, ein SOS,  an die  Mitreisenden. Auf  die Frage der Sängerin: „Wollts ihr noch epas hörn“, kommt als Echo, „Jo freilich“  zurück. Im Vergleich zu den farbenfrohen Kleidern der afrikanische Frauen schauen die Trachtenanzüge einfach rot aus.  Die Exotinnen werden von allen Seiten fotografiert und die besten Bilder werden daheim auf der Homepage des Trachtenvereins veröffentlicht. Die italienischen Bambini tanzen zur Musik in ihren violetten, grünen, pinkfarbenen Bademänteln.  Auf einer Seite der Tanzfläche stehen die Kärntner Seniorinnen und Senioren  mit einem Glas Bier in der Hand und schunkeln eifrig mit. Daneben  tummeln sich im Sprudelbad die Gäste aus allen Nationen im Bikini: Schlanke, Mollige, Barbusige, Dunkelhäutige, Sonnengebräunte und Blasse. Der Frühshoppen, ein buntes Schauspiel der Unterhaltungsmaschinerie auf der Costa Concordia, Vormittagsdisco für Alpenbewohner. An den Fenstern fließt unser Urlaubstraum, das Meer vorbei. Zum Abschluss singt man den Hit aus Kärnten: „Is schoan still uman Sea „.

Mit ernsten Gesichtern holen sich die Spätaufsteher am Frühstücksbüffet ihre Pizzastücke, Würstel, Omelette, Obstsalat, Butter, Marmelade, alles für einen guten Start in den Tag. Es ist ein Kampf um den Fressnapf, wie in der Früh bei den Katzen Charly und Undine. Wird die Sheba Dose nicht schnell genug geöffnet, so schimpfen und beißen sie uns in den Fuß. Danach stürzen sie sich auf Huhn und Leber. Auf Deck 9 beginnt die Suche nach einem freien Platz mit Meerblick. Kein Frühstück ohne Meerblick, man hat schließlich für alles bezahlt.

ps. alle costa concordia texte, sind texte aus dem tagebuch. 

rede:antwort

Man kann sagen jeder Mensch hat eine andere Nase, einen anderen Mund, eine andere Stirn und doch erkennen wir sie als Nase, Mund und Stirn. Es gibt in den Gesichtern der Menschen verschiedene Stimmungsbilder, wie ein Verzogenes, ein Aufgewühltes, ein Lächelndes, ein Schmerzhaftes, wir erkennen die unterschiedlichsten Stimmungsschwankungen. Auf diesen Gesichtsausdruck, der etwas von der Stimmung im Innersten preisgibt, reagieren wir mit unserem eigenen Gesichtsausdruck. Wir reagieren mit unseren Gesten, mit unserer Sprache, mit unserem Mitgefühl und mit unseren Entscheidungen.

Die Redegewohnheiten sind bei den Menschen, wie die äußeren Merkmale, verschieden. Im Alltag befinden sich unsere Redegewohnheiten auf umgangssprachlichem Niveau. Meistens geht es darum jemanden seine Wünsche mitzuteilen, eine Frage zu stellen, sich über eine Sache zu äußern oder eine Antwort zu geben. Es geht um Äußerungen, die mit dem unmittelbaren Leben zu tun haben. Ein nüchternes, abgeschliffenes Redeverhalten, dass sich beim Umgang mit Kindern und mit älteren Menschen verändert, einen anderen Tonfall annimmt. Oft ist dies im Umgang mit Kindern, Senioren und dem Partner ein belehrender Tonfall. Der Befehlston schleicht sich bei langjährigen Beziehungen ein, wenn der Partner, die Partnerin, Rede und Antwort einfordert. Dann kommt Skepsis auf, an dem was gesagt wurde.   

Von Menschen die einen Vortrag halten erwartet man, dass sie Punkt für Punkt zum Kern der Sache kommen, für alle verständlich. Diese Vorträge sind oft nicht sehr kreativ. Philosophen und Schriftsteller gehen einen anderen Weg, sie erzählen zuerst von den Nebenschauplätzen, sie verweisen auf Dinge die nur am Rande mit dem ursächlichen Thema etwas zu tun haben, es wird ein Umweg gemacht. Sie springen manches Mal von einer Wortverbindung zu einem Wortspiel. Vieles andere ist wichtiger und von sprachlicher Schönheit, als das gewählte Thema. Eine  Angelegenheit wird eingekreist, wie eine schöne Blume auf der Wiese, sich Spirale um Spirale der Blume nähern. Um eine Antwort zu erhalten müsste man zur  Blüte vordringen, die Blume zerstören. Danach hätte man verschiedene Blüten, aber keine Antwort. Es braucht eine gute Geschichte und nicht eine Antwort die alles zerstört.

Beantworten.       

leer:geräumt

Für uns alle spielt die Menge, die Fülle, eine große Rolle. Wir leben in einer „immer weiter und höher“ Gesellschaft.  Die Höhe des Gehalt, die Größe der Wohnung, die Fülle an Waren, wie man sie seit kurzem im Drogeriemarkt Müller im Alpen Adria Einkaufszentrum vorfindet. Die Leute kommen in das Schwärmen und die Augen fangen an zu glänzen, wenn sie von ihrem Besuch im Drogeriemarkt berichten. Man will die Fülle der Wahlmöglichkeiten bei den Drogerieartikeln, bei den Schuhen und bei den Textilien. Der Drang zur großen Auswahl setzt sich bei den Zeitungen und den Fernsehprogrammen fort. In den westlichen und östlichen Weisheitslehren, so die Vermutung, ist die Stille und die Leere ein Vorbild, statt Konsum.

Wie angenehm die Leere ist erlebe ich,  wenn ich in diesen Tagen über den Villacher Hauptplatz spaziere. Noch vor acht Wochen war der Hauptplatz als solcher nicht zu erkennen, überall standen die Punschzelte, die Holzhütten des Weihnachtsmarktes, dazwischen die Würstel- und Glühweinstandln. Eine Kindereisenbahn,der Christbaum, aus allen Ecken leuchteten die Weihnachtssterne und die Lichterketten. Jetzt ist alles weggeräumt und der Platz als solcher zu erkennen und zu genießen. Die Weite des Platzes berührt mich. Sorgenvoll blicke ich auf das Faschingswochenende, wo alles wieder dekoriert und beflaggt wird.

Leergeräumt erlebe ich die Pfarrkirche Völkendorf, nachdem am Tag der Maria Lichtmess die Krippe und die mit Strohsternen geschmückten Christbäume verräumt wurden, um vieles intensiver. Auch in der Wohnung genieße ich es, dass die üppige Weihnachtsdekoration wegräumt wurde. Nach der Fülle an Dekorationsartikel, die oft  die innere Leere überdecken, genieße ich jetzt die Leere.

Wurfschlangen. 

geschäft:gründung II

Der Schritt das Papiergeschäft zu übernehmen und die Entscheidung zur Selbstständigkeit mit zwanzig Jahren erfolgte sehr spontan. Dabei waren einige Fragen offen, wie meine Kündigung in einer Spittaler Damenschuhfabrik. Eine Woche vor meiner Neuübernahme überraschte ich den Personalchef bei seinem morgendlichen Kontrollgang durch die Fertigungshalle damit, dass ich ihm mitteilte, ich werde am Montag nicht mehr zur Arbeit kommen, da ich am Mittwoch mein eigenes Geschäft eröffne. Der Personalchef wurde ungehalten und bestand von Firmenseite darauf, dass ich eine vierzehntägige Kündigungsfrist einhalten müsste. Für mich, als „Absatzschrauber“, müsste zuerst ein Ersatz gefunden und jemand neu eingeschult werden. Ich arbeitete in der Endfertigung am Montageband in Akkord. Jeder Ausfall eines eingeschulten Arbeiters oder Arbeiterin bedeutete einen Rückgang bei den Produktionszahlen. Allein  dadurch, dass manche Lederteile ungenau zugeschnitten waren, ist es zu Verzögerungen bei der Montage gekommen und hat zu gegenseitigen Schuldzuweisungen geführt, weil jeder sein maximales Pensum erreichen wollte. In den siebziger Jahren wurde jeder Schuh „gebraucht“ und war bereits vorbestellt. Ich hielt an meiner Ankündigung fest.

Etwa zehn Minuten später kam der deutsche Betriebsleiter zu mir und machte mich darauf aufmerksam, dass, sollte ich die Kündigungsfrist nicht einhalten, jeder Schuh, der durch meinen spontanen Abgang weniger produziert wird, von meinem Lohn abgezogen wird.

Als ich vor kurzem diese Episode bei Freunden erzählte, berichtete ein Zuhörer von einer ähnlichen Erfahrung. In einer Fabrik von Fernseh- und Radiogeräten ist es bei der Montage zu ähnlichen Szenen gekommen. Es hat soweit geführt, dass sich die Frauen gegenseitig an den Haaren gezogen haben, wenn eine am Montageband zu langsam war.

Solidarität

 

geschäfts:gründung

Bei einer Betriebsübergabe liegt der Gedanke an den Anfang, wie alles begonnen hat, ganz nahe. Plötzlich ist einem alles bewusst, als wären zwischen Betriebsübergabe und Betriebseröffnung nur ein paar Jahre vergangen und nicht ein paar Jahrzehnte. Angefangen hat alles am Vormittag des 24. Dezembers, durch ein Inserat in der Volkszeitung, dass in Arnoldstein ein Nachfolger für ein Papierwarengeschäft gesucht wird. Den Ort im Gailtal kannte ich nur von der Kärntnerlandkarte, vom Drautal weit entfernt. Mein Bruder besaß einen VW Käfer, mit abgeteilten Heckfenstern und der Blinker war in der Tür integriert, mit diesem fuhren wir nach Arnoldstein. Der erste markante Eindruck war der viele Schnee rechts und links der Straße. Die Papierhandlung war ob des vielen Schnees nicht zu sehen. Ein paar Jahre später wurde im Ort ein Skilift eröffnet, da gab es in den nächsten Winter fast keinen Schnee. Die Geschäftseinrichtung bestand aus, zu dieser Zeit üblichen Holzregalen und einem Verkaufspult. Die Regale waren schon leer gekauft. Das Geschäft wurde von der Frau eines Offiziers, deren Mann in der Garnisonsstadt seinen Dienst versah, als Nebenerwerb betrieben. Während der Öffnungszeiten saß sie meistens im nahen Caféhaus, von wo sie die Kundschaft holen musste. 

Nach meiner Ausbildung im Papier- und Buchhandel sah ich hier eine Möglichkeit für die Selbstständigkeit. Die Übernahmeformalitäten wurden in den nächsten Tagen abgeschlossen. Mich reizte die Vorstellung, dass ich als Selbstständiger viel Zeit zum Lesen haben werde. Die Zeit für das Bücherlesen ist mit der Vergrößerung und der Übersiedelung des Geschäftes an einen neuen Standort immer weniger geworden. 

Bücherparadies.